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VI

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„Greg, Greg! Hast du das gehört?“ Stürmisch fiel Natty um Gregs Hals, als er am vereinbarten Treffpunkt neben dem großen Brunnen auf dem Marktplatz ankam. Schon von Weitem hatte er sie in dem kornblumenblauen Korsettkleid, das so trefflich den Glanz ihrer Augen widerspiegelte, bemerkt. Ihre Lebensfreude und die kleinen Grübchen, die sich bei ihrem Lächeln um die Mundwinkel herum bildeten, hoben jedes Mal, wenn er sie sah, augenblicklich seine Stimmung. Das Gefühl war nicht das gleiche, das er empfand, wenn er an Trisha dachte, aber es war trotzdem ganz anders, als bei jedem anderen Menschen. Wie es Trisha wohl gehen mochte?

„Greg! Hörst du mir überhaupt zu?“, schalt Natty ihn und schob schmollend die Unterlippe vor.

„Entschuldige.“, murmelte Greg verlegen. „Ich war kurz in Gedanken.“

„Das habe ich gemerkt.“, erwiderte Natty und boxte ihn spielerisch gegen die Schulter. „Greg, es soll ein Speedwayrennen in der City geben.“, verkündete sie aufgeregt und zog ihn von dem Brunnen, auf dem die kupfernen Figuren von Elfen, Einhörnern, einem Zentaur und anderen mythischen Gestalten durch die Wasserfontänen zu toben schienen, fort in Richtung des alten Rathauses, auf dessen Balkon zwei Frauen standen und miteinander diskutierten. Vor dem alten, mit seinen Türmchen und Erkern wie aus der Zeit gefallenen Haus, hatte sich eine große Menschentraube versammelt, und immer noch strömten von allen Seiten Leute heran.

„Komm schon!“, scheuchte ihn Natty vorwärts. „Sie wollen es jetzt verkünden.“

Greg ließ sich von der jungen Frau mitreisen und bald standen sie im dichten Gedränge. „Speedway?“, fragte Greg skeptisch nach.

„Ein Motorrollerrennen. Die Maschinen fahren mehrere Runden im Kreis.“, begann Natty ihm zu erklären.

„Hör mal! Ich weiß, was Speedway ist.“, stoppte sie Greg abrupt. „Ich habe schon viele Geschichten darüber gehört. Es soll halsbrecherisch sein. Ständig explodieren Maschinen oder die Fahrer überrollen sich gegenseitig, wenn sie stürzen.“

„Ja.“ Natty klatschte begeistert in die Hände. „Ein Riesenspektakel.“

Greg kratzte sich nachdenklich im Nacken. „Und wo soll hier bitteschön ein Speedwayrennen stattfinden?“

„Bisher kursieren nur Gerüchte.“, raunte Natty ihm zu. Wieder einmal durchströmte ihn ein wohliger Schauer, als sie so nah an ihn heranrückte, dass er ihr betörendes Parfum riechen konnte. „Die Leute sagen, dass es in der neuen Arena stattfinden soll.“

„Die Arena?“, vergewisserte sich Greg. „Aber die ist doch noch längst nicht fertig.“

„Sie wollen die Anstrengungen erhöhen.“, setzte ihn Natty in Kenntnis. „Vater hat gesagt, dass Collin Rand persönlich eine große Summe gespendet hat, damit mehr Arbeiter eingestellt werden können. Die Arena soll schon Ende des nächsten Monats eingeweiht werden.“

„Das wird aber doch eine Juggerarena.“, wandte Greg irritiert ein.

Natty zuckte die Schultern. „Na und. Festgetretener Sand. Ein ovales Feld. Das sind doch optimale Bedingungen für ein Speedwayrennen.“ Ihr breites Lächeln wirkte entwaffnend. Greg spürte, wie sie ihn mit ihrer Vorfreude ansteckte. Ein Rennen dieser tollkühnen Männer und Frauen hier in der City wäre eine willkommene Abwechslung. Ob es möglich sein würde, die unterschiedlichen Maschinen genauer unter die Lupe zu nehmen? Was er da alles lernen könnte.

Ein lautes Donnern schreckte Greg aus seinen Gedanken auf. Vom Rande des Marktplatzes hielt ein wahres Monstrum auf zwei Rädern auf die Menschenmenge zu. Das Gefährt hatte nur ganz entfernt Ähnlichkeit mit Nattys Dieselroller. Ein riesiger Motor schleifte beinahe auf dem Boden, die Front war mit blankpolierten Messingplatten versehen und hinten spuckten hin und wieder Flammen aus den Auspuffrohren hervor. Der Fahrer selbst war in eine dicke Ledermontur gehüllt. Ein martialischer Stahlhelm, der einer der alten Pickelhauben ähnlich sah, zierte seinen Kopf. Das Gesicht war von einer Ledermaske und einer Fliegerbrille verdeckt.

Rasch bildet sich eine Gasse in der Masse der Schaulustigen, auf die das Geschoss mit ungeminderter Geschwindigkeit zuhielt. Mütter zogen ihre staunenden Kinder am Kragen zurück, als die dröhnende Maschine an ihnen vorbeischoss und mit einem gewagten Bremsmanöver direkt unter dem Balkon zum Stehen kam. Alle Augen waren auf den Fahrer des Gefährts gerichtet, doch dann rief eine der beiden Frauen durch ein Megaphon vom Balkon zu den gespannt wartenden Menschen hinab:

„Meine Damen und Herren, lieber Bürger und Gäste dieser wundervollen Stadt.“

Kurz brandete Applaus auf, wurde aber sogleich durch eine herrische Geste der in einem Hosenanzug doch recht unkonventionell gekleideten Frau unterbrochen. „Begrüßen Sie mit uns Matador, siebenmalige Gewinnerin des legendären Rennens um den Goldenen Motor der Stadt Kiew!“ Die Frau deutete nach unten, wo der Fahrer des Feuerstuhls den Helm vom Kopf nahm und ein erstaunlich schmales Frauengesicht präsentierte. Ungläubiges Murmeln breitete sich unter den Schaulustigen aus, als die vorn Stehenden den Menschen weiter hinten berichteten, was vor sich ging.

„Matador führt ihnen heute eine der Maschinen vor, mit denen überall auf der Welt begeisternde, spannende, tragische und aufregende Speedwayrennen ausgetragen werden. Und auch, wenn diese Stadt bisher noch kein solches Rennen erlebt hat, so ist es uns doch eine große Ehre, ihnen mitteilen zu dürfen, dass sich dies schon bald ändern wird und auch diese City in den elitären Kreis der Städte Aufnahme finden soll, in der Speedway einen festen Platz im Kalender finden wird.“

Erneut hob ein Stimmengewirr unter den Zuschauern an. Einige zögerliche Bravorufe ertönten, in anderen Ecken wurde dagegen verständnislos mit dem Kopf geschüttelt.

„Patty Song, der Gouverneur dieser wunderbaren Stadt, hat uns, der internationalen Speedwayagentur, die Erlaubnis erteilt, die neue Arena, die in diesem Moment am Rande der Stadt ihrer Fertigstellung entgegensteuert, mit einem Speedwaycup zu eröffnen. Das Rennen wird den Namen ,Cup des Goldenen Löwen‘ tragen.“

Diesmal war der Jubel der Menschen schon deutlich lauter, war der Löwe doch seit langem ein Wahrzeichen der City.

„Eine Besonderheit des Rennens wird es sein,“, fuhr die Frau in dem Hosenanzug fort, „dass nur Amateure teilnehmen dürfen. Sowohl Fahrer als auch Konstrukteur der Maschine dürfen keinem professionellen Rennstall angehören.“ Nach einer kurzen Kunstpause fuhr sie fort: „Aber seien Sie nicht enttäuscht, Matador und ihre Kollegen werden ein Schaurennen fahren, das in die Punktewertung der diesjährigen europäischen Rangliste eingeht. Sie werden also doppelt auf Ihre Kosten kommen.“

Diese Information führte zu lautem Applaus unter den Zuhörern.

„Die Formalitäten des Rennens sind einfach.“, rief nun die zweite Frau, die über einem schwarzen Kleid eine Tweetjacke trug. „Anmelden darf sich jeder, der noch nie bei einem professionellen Speedwayrennen gestartet ist. Alle Arten von Antrieben sind erlaubt, es dürfen an der Maschine jedoch keine Apparaturen angebracht sein, die andere Fahrer behindern oder gegnerische Dieselroller beschädigen sollen. Der beste Sportler möge gewinnen. Anmeldeschluss hier in unserem kleinen improvisierten Büro im alten Rathaus ist heute in zwei Wochen, am letzten Sonntag des nächsten Monats wird das Rennen beginnen. Die Anmeldegebühr beträgt 10 Wertmarken.“

Begeistert spendeten die Menschen Applaus. Das war doch etwas, worauf sie sich freuen konnten. Ein eigenes Speedwayrennen für ihre Stadt. Das hatte der neue Gouverneur sehr gut in die Wege geleitet.

„Oh, Greg!“ Natty hüpfte aufgeregt auf und ab wie ein Schulmädchen, wenn die Glocke vor der langen Sommerpause ein letztes Mal geläutet hat. „Das wird großartig. Ein richtiges Speedwayrennen.“

„Ja, das wird eine schöne Abwechslung.“, stimmte Greg ihr zu. Deutlich nachdenklicher fügte er allerdings hinzu: „Hoffentlich lassen sie auch uns einfache Leute zuschauen. Wenn sie Wertmarken für Eintrittskarten haben wollen, kann ich mir das Rennen ohnehin nicht anschauen.“

„Sei nicht albern, Greg!“, wies Natty ihn sanft zurecht. „Natürlich wirst du das Rennen sehen. Wir werden teilnehmen.“, rief sie begeistert, so dass einige der Umstehenden neugierig die Köpfe in ihre Richtung drehten.

„Wer wird teilnehmen?“, fragte Greg verwirrt.

„Wir beide!“ Natty grinste ihn begeistert an. „Du und ich.“

Greg riss die Augen weit auf. Es dauerte einen Augenblick, bis er den Inhalt von Nattys Aussage voll erfasst hatte. Dann tippte er sich mit dem Zeigefinger heftig gegen die Stirn. „Ich steige doch nicht auf so eine Höllenmaschine, um mir das Genick zu brechen.“, erwiderte er vehement.

Natty kicherte und legte ihm beruhigend die Hand auf den Unterarm. „Du sollst doch nicht das Rennen fahren. Das werde ich tun.“

„Du?“, entfuhr es Greg.

„Natürlich.“ Natty bedachte ihn mit einem theaterreifen Schmollmund. „Ich bin geübt mit dem Dieselroller. Auf eine solche Herausforderung habe ich mein Leben lang gewartet.“

„Aber Natty! Das ist etwas anderes, als mit hoher Geschwindigkeit durch die Stadt zu brausen. Bei Speedwayrennen kommen Menschen ums Leben. Das ist viel zu gefährlich.“, gab Greg zu bedenken.

Auf Nattys Stirn bildete sich eine steile Falte. „Traust du mir nicht zu, dass ich mich gegen eine wie die da durchsetzen kann?“ Verächtlich deutete sie auf die Rennfahrerin, die in einer großen Menschentraube stand.

Greg warf einen kurzen Blick auf Matador. Ehrlich gesagt, konnte er sich das tatsächlich nicht vorstellen, aber er hütete sich wohlweislich, das Natty gegenüber zuzugeben.

„Sie ist eine Frau, die es geschafft hat, und ich werde ihr nachfolgen.“, stellte Natty mit Entschiedenheit fest und stemmte die Fäuste in die Hüften.

„In Ordnung.“, lenkte Greg ein. „Wenn du dir unbedingt alle Knochen brechen willst, nur zu. Ich werde dich nicht daran hindern.“

„Gut!“, entgegnete Natty schmallippig, sah ihn aber weiter herausfordernd an.

„Ich verstehe nur nicht, was das Ganze mit mir zu tun haben soll.“, tastete Greg sich langsam vor. „Ich werde dir ganz bestimmt keine Wertmarken besorgen, damit du die Startgebühr zahlen kannst.“

Nattys glockenhelles Lachen ärgerte ihn. Sie nahm die Sache eindeutig zu leicht. „Die zehn Wertmarken sind für mich kein Problem. Mein Vater wird nicht einmal merken, wenn sie fehlen. Was aber dich betrifft -“, sie tippte Greg mit dem Zeigefinger vor die Brust, „du wirst mir einen Dieselroller bauen, der dem Wettbewerb gewachsen ist.“

„Ich?“ Greg hob abwehrend die Hände. „Wie stellst du dir das vor?“

Nattys Ausdruck blieb hart und fordernd. „Ich brauche einen Mechaniker, und gebe mich nur mit dem besten zufrieden.“

„Ich habe davon doch gar keine Ahnung.“, entgegnete Greg beinahe flehend. Er wusste, wenn Natty sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie schwer wieder davon abzubringen.

„Wer bringt jeden Dieselmotor wieder zum laufen? Und wer wurde bei einem Uhrmacher als Geselle eingestellt, bei dem noch nie jemand mitarbeiten durfte?“ Herausfordernd funkelte sie ihn an.

„Das sind winzige Uhrwerke. Die haben doch nichts mit Motorrollern zu tun.“, wand sich Greg, auch wenn er tief im Inneren spürte, dass sie womöglich Recht hatte. Er konnte wie kein anderer mit mechanischen Gerätschaften umgehen. Und hatte er in der Kolonie nicht auch Grub, dem alten chaotischen Erfinder, bei seinen Maschinen geholfen?

„Greg, du kannst das!“, redete Natty weiter auf ihn ein. „Ich besorge einen Dieselroller und sehe zu, dass du alles Material bekommst, was du brauchst. Ich habe sogar schon eine Werkstatt im Auge.“ Mit einem Blick, der eigentlich süßen, kleinen Hundewelpen vorbehalten bleiben sollte, schauten ihre blauen Augen Greg so flehend an, dass er gar nicht anders konnte, als nachzugeben. „Also gut.“, meinte er resigniert. „Ich baue dir deinen Feuerstuhl. Aber dafür will ich beim Rennen in der ersten Reihe stehen.“, gab er seine Entscheidung bekannt.

Begeistert fiel ihm Natty um den Hals. „Danke, Greg. Das wird großartig.“

„Versprich mir, dass du vorsichtig sein wirst.“, murmelte Greg und versuchte, sich aus der Umklammerung des Mädchens zu befreien.

„Aber natürlich!“, stimmte sie ihm aufgeregt zu.

Um die beiden Jugendlichen herum entstand ein munterer Wortwechsel. Greg schaute sich um und entdeckte schon bald die Ursache der Unruhe – ein findiger junger Mann hatte die Gunst der Stunde genutzt und ein mobiles Wettbüro eröffnet. „Wer will noch einen Einsatz wagen?“, rief er durch das Stimmengewirr. „Wer setzt auf die genaue Anzahl der Teilnehmer am Cup des Goldenen Löwen?“

Die Männer und Frauen um ihn herum runzelten nachdenklich die Stirn. Hier winkten leicht verdiente Wertmarken, aber man konnte auch nutzlos ein gutes Abendessen verspielen.

Ein eleganter Herr mit samtblauem Zylinder schob sich durch die Gaffer hindurch zu dem Buchmacher. „Fünf Teilnehmer.“, rief er laut und deutlich. „Ich glaube, dass es fünf Amateure schaffen, in so kurzer Zeit einen Roller für das Rennen herzurichten.“, sagte er laut und deutlich.

In den Augen des Buchmachers leuchtete bereits die Freude auf einen einfachen Gewinn. Fünf war eine unglaublich niedrige Anzahl für so ein Ereignis. Auch die Umstehenden schüttelten schmunzelnd den Kopf. Eilig fertigte der junge Mann mit dem Wettbüro einen Wettschein aus. Nicht, dass der Unbekannte es sich doch noch anders überlegte. „Wie viele Wertmarken wollen der Herr einsetzen?“, fragte er lauernd.

Der elegant gekleidete Herr kramte umständlich im Inneren seines Sakkos. „Zwei.“, verkündete er dann. „Die Quoten stehen ja sicher recht gut.“, rief er den Umstehenden mit einem siegessicheren Lächeln zu.

„Zwei Wertmarken auf fünf Starter.“, rief der Buchmacher gut gelaunt. „Auf wen darf ich den Wettschein ausstellen?“, fragte er galant. Wohlhabende Kunden musste man sich unbedingt warm halten.

„Gordon Fletcher.“, sagte der Mann, wartete, bis er den Schein erhalten hatte und verschwand dann gut gelaunt in der Menschenmenge.

„Fehlen noch vier.“, stellte Greg mit einem Schmunzeln in die Richtung des Buchmachers fest.

„Nur fünf.“, schnaubte Natty verächtlich. „Ich bin mir sicher, dass wir es mit viel mehr Konkurrenz zu tun bekommen werden.“

Diesel

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