Читать книгу Diesel - Tom Dekker - Страница 9

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„Macht Platz für die Feuerwehr!“, brüllte eine laute Stimme durch die von Passanten, Fuhrwerken und einigen Dieselkutschen, die mit ihrer Breite allein schon beinahe den gesamten Verkehr zum Erliegen brachten, verstopfte Straße. Gordon Fletcher löste seinen Blick von der wenig überraschenden Auslage eines Waffengeschäfts und spähte die Straße entlang. Zwischen den Köpfen der anderen Schaulustigen, die mehr oder weniger freiwillig zurücktraten, konnte er weiter hinten eine riesige Dieselkutsche erkennen, die versuchte, einen Eiswagen zu umkurven. Das vor den Wagen gespannte Pferd scheute vor dem lautstarken Ungetüm zurück. Blitzschnell sprangen vier Männer in Ledermänteln und feuerroten Helmen von der Dieselkutsche und zerrten die Stute mitsamt ihrem Wagen beiseite, so dass sich das mit einer riesigen Leiter bestückte Monstrum wieder in Bewegung setzen konnte.

„Schon wieder die Feuerwehr.“, hörte er eine Frau in hellblauem Miederkleid und einem violetten Tuch über den Schultern neben sich mit ihrer Nachbarin tuscheln. Ohne den Blick von dem Spektakel auf der Straße zu wenden, versuchte er, dem Gespräch zu lauschen.

„Das häuft sich in letzter Zeit wirklich. Und immer dampft dieses stinkende Gerät durch die Einkaufsstraßen. Sie sollten wirklich breitere Straßen für die Feuerwehr bauen.“, beklagte sich die andere Frau, die ein grünes Kleid unter dem eleganten Mantel trug und deren Seidenhandschuhe sie wie ihre Gesprächspartnerin als Dame von Welt auszeichneten.

„Irgendwann geschieht nochmal ein Unglück.“, stimmte die hellblau bekleidete Dame zu. „Obwohl so ein Brand für sich genommen ja schon ein Unglück ist.“, räumte sie nach kurzem Überlegen ein.

Den Rest des Gesprächs verschluckte das Stampfen, Schnaufen und Dröhnen der Feuerwehrkutsche, die sich Gordon Fletcher und den Umstehenden in hohem Tempo näherte. Als die Kutsche fast auf Augenhöhe war, konnte der junge Mann sogar die kleine Glocke vernehmen, mit der die Feuerwehr die Passanten und Fuhrwerke vor ihrem Auftauchen warnen wollte. Unwillkürlich musste Fletcher schmunzeln. Der Krach, den dieses Ungetüm auf sechs Rädern machte, verschluckte jedes Geräusch im Umkreis von mehreren Metern. Da musste das Glöckchen unweigerlich den Kürzeren ziehen.

Fasziniert betrachtete der junge Mann die Feuerwehrkutsche eingehender. Ein gewaltiger Dieselmotor in der Mitte des Gefährts trieb sechs eisenbeschlagene Räder an. Auf der Plattform darüber saßen vorn und hinten jeweils acht grimmig dreinblickende Männer mit der Montur der Feuerwehrleute, wie sie jede Stadt dieser Welt zu bieten schien. Ledermantel, nackenschützender Helm, schwere Stiefel, Axt und Umhängetasche mit einem Notfallpaket zur Versorgung Verwundeter kennzeichneten diesen Berufsstand zweifelsfrei. An den Brandflecken auf den Mänteln konnte man unschwer erkennen, dass diese Männer in letzter Zeit schon einige Einsätze mitgemacht hatten. Zwischen den beiden Gruppen waren die Fletcher schon von weitem aufgefallene ausfahrbare Leiter und eine riesige Spritze montiert. An den Seiten des Gefährts hingen unzählige Eimer, Brecheisen und Seile. Hinter der Kutsche rumpelte ein großer Anhänger einher, in dem sich vermutlich ein Wasservorrat befand. Ein weiterer gigantischer Tank, in dem der junge Mann ebenfalls Wasser vermutete, hing zwischen den Rädern des Ungetüms aus Stahl und Holz. In den wenigsten Stadtvierteln gab es ausreichend Wasservorräte, so dass die Feuerwehren dazu übergegangen waren, ihr eigenes Löschwasser bei den Einsätzen gleich mit zu transportieren. Das hatte er bereits in einigen seiner Aufenthaltsorte beobachtet und so schien es auch hier in 95B457 der Fall zu sein.

Als das Gefährt an ihm vorbeigerollt war, setzten sich Gordon Fletchers Füße ganz automatisch in Bewegung. Ohne recht den Grund dafür angeben zu können, folgte er den Feuerwehrleuten. Pläne für den Tag hatte er ohnehin nicht und so kam ihm die Abwechslung gerade recht. Während er in schnellem Schritt der stinkenden Qualm ausstoßenden Kutsche folgte, grübelte er über die eigenartige Bezeichnung der Städte in diesem Landstrich nach. Er wusste, dass es hier einst ein mächtiges Kaiserreich gegeben hatte, das aber nach dem letzten verheerenden Krieg, der letztendlich nur Verlierer hervorgebracht hatte, zerfallen war. Übrig geblieben war die Terapolis als starker Stadtstaat, in dem der Doge mit eisernen Hand regierte und von dem unzählige Städte und Kolonien auf dem Gebiet des alten Reichs mehr oder weniger abhängig waren. Aus den Zahlen und Buchstaben konnte man die Lage von der Terapolis aus, die Größe der Ansiedlung und die Entfernung von der Machtzentrale des Dogen ablesen. Ein anerkennendes Schmunzeln huschte über Gordon Fletchers Gesicht. Dieser Sinn für Ordnung und Pragmatismus gefiel ihm.

Die Feuerwehr bog nach links ab. Hinter ihr hob ein lautes Fluchen an. Ein Pferdefuhrwerk war beim Versuch, dem Koloss auszuweichen, gegen eine elegante Dieselkutsche gestoßen. Der Fahrer des teuren Gefährts, der Kleidung nach zu urteilen ein piekfeiner Schnösel, vermutlich ein verzogener Spross einer wohlhabenden Industriellenfamilie, zeterte Hölle und Mordio, während sich der alte Kutscher des Fuhrwerks nur seelenruhig am Bart kratzte und sein Pferd am Zügel aus dem Kreuzungsbereich herausführte.

Fletcher hatte keine Zeit zu beobachten, wie sich die Szene weiter entwickelte, denn die Feuerwehr war nun auf eine etwas breitere Straße eingebogen und dementsprechend mit höherem Tempo vorangekommen. Er musste sich sputen, wollte er den tapferen, unerschrockenen Männern auf den Fersen bleiben. Er sah die Kutsche bereits eine weitere Biegung nehmen und wollte schon die Verfolgung aufgeben, als er einen eindeutigen Brandgeruch wahrnahm. Die Luft füllte sich schnell mit Rauch und Qualm und es wurde zunehmend unangenehm, tief einzuatmen. Der Brandherd musste also ganz in der Nähe sein.

An der nächsten Abbiegung schaute Fletcher in die Richtung, die das Feuerwehrgefährt genommen hatte und sah keine drei Häuser weiter einen brennenden Dachstuhl. Die Flammen spuckten bereits hoch in den Himmel und drohten, auf weitere Häuser überzugreifen. Eine Flut von Passanten drängte aus der Straße heraus auf die Kreuzung. Offenbar waren bereits einige Bobbys angerückt, um den Feuerwehrleuten, die in eingespielter Zusammenarbeit die Leiter ausfuhren, Schläuche miteinander verbanden und Eimer und Seile für den Einsatz bereit machten, genügend Freiraum für ihre gefährliche Arbeit zu verschaffen.

„Was für ein Haus brennt denn da?“, sprach ihn eine dicke Frau mittleren Alters an, deren wohl gefüllter Korb Fletcher verriet, dass sie auf dem Nachhauseweg vom Markt war.

„Ich bedauere, aber ich habe keine Ahnung.“, erwiderte er und lüpfte galant den neuen, samtblauen Zylinder, den er vor einer Stunde in einem teuren Geschäft für Herrenmode nicht ganz gesetzesgetreu erworben hatte. Wie immer war es für ihn ein Leichtes gewesen, sich elegante Kleidung zuzulegen. Mit den Lumpen, die er auf der unfreiwilligen Reise mit dem Luftschiff getragen hatte, konnte er sein Vorhaben, in die oberen Kreise der Stadt vorzudringen, kaum umsetzen.

„Es ist eine dieser Gemeinschaften.“, brummte ein vierschrötiger Zimmermann, der in dem Gedränge der Schaulustigen neben ihnen stand.

„Schon wieder?“, fragte die dicke Frau mit sorgenvollem Blick. „Man sollte meinen, diese Jugendlichen sind alle viel zu leichtsinnig mit dem Feuer.“

„Irgendwann legen diese Vandalen noch einmal die ganze Stadt in Schutt und Asche.“, stimmte ihr eine hagere, elegant gekleidete Dame zu.

„Sie glauben doch nicht wirklich, dass all diese Brände in letzter Zeit aus Unbedachtheit entstanden sind.“, versetzte der Zimmermann. „Da ist ganz klar Brandstiftung im Spiel.“

„Und immer trifft es diese Gemeinschaften?“, erwiderte die elegante Dame skeptisch. Die Art und Weise, wie sie das letzte Wort aussprach, zeigte deutlich, was sie von diesen Vereinigungen hielt. Fletcher machte sich eine gedankliche Notiz, dass er unbedingt mehr über diese Gemeinschaften herausfinden musste.

„Ja, warum brennen nicht auch ein paar Häuser von ordentlichen Bürgern dieser Stadt?“, sprang ihr die dicke Frau, offensichtlich um die Aufmerksamkeit der reichen Dame bemüht, bei.

„Wenn Sie mich fragen, stecken da politische Gründe dahinter.“, entgegnete der Zimmermann gelassen.

„Politische Gründe?“ Die hagere Frau schürzte die Lippen. „Haben wir es hier mit einem Verschwörungstheoretiker zu tun?“, fragte sie in spöttischem Ton.

„Verzeihung! Ich bin fremd hier.“, drängte sich Gordon Fletcher in das Gespräch. Er wollte Informationen sammeln, da war es wenig hilfreich, wenn um ihn herum ein offener Streit ausbrach.„Sie sagten vorhin, es habe in letzter Zeit bereits mehrere Brände in der Stadt gegeben?“

„Oh ja.“ Die dicke Frau griff die Gelegenheit, etwas Klatsch und Tratsch unters Volk zu bringen, begierig auf. „Fast schon regelmäßig brennt es in irgendwelchen dieser illegalen Gemeinschaften. Wisst Ihr, diese jungen Leute haben ja keinen Respekt vor dem Gesetz und der Moral. Sie brechen in fremde Häuser ein, lassen sich dort häuslich nieder und leben in liederlichen Verhältnissen, Jungen und Mädchen bunt gemischt zusammen.“ Mit empört aufgerissenen Augen starrte sie zu Fletcher hinüber.

„Und so zügellos, wie sie leben, wundert es mich gar nicht, dass sie auch auf den Brandschutz wenig geben. Was da alles passieren könnte.“, ereiferte sich die hagere Dame nun ebenfalls. „Letzte Woche wäre um ein Haar ein solcher Brand auf die umstehenden Häuser übergegangen. Nicht auszudenken, wenn ganze Stadtviertel wegen dieser Banausen in Schutt und Asche gelegt würden.“

„Ich bin der Meinung, man müsste diese ganzen verdammten Gemeinschaften auflösen und diesen Herumtreibern in Heimen eine ordentliche Arbeitsmoral einbläuen.“, geiferte die Matrone nun. „Liegen den ganzen Tag auf der faulen Haut und verunzieren unsere schöne Stadt mit ihrem Unrat.“

„Wenn sie nicht gerade alles abbrennen.“, kam es unterstützend von der hageren Frau.

„Also ich kenne viele junge Menschen, die in Gemeinschaften leben und jeden Tag einer geregelten Arbeit nachgehen.“, gab der Zimmermann zu bedenken, zog damit aber nur die selbstgerechte Rage der beiden Frauen auf sich.

„Ach ja? Seid Ihr am Ende selbst einer aus dieser verlausten Brut?“, zischte ihn die vornehme Dame giftig an.

„Nein, Gott bewahre.“, wehrte sich der junge Mann.

Gordon Fletcher, der neuen Streit aufwallen sah, griff erneut in den Disput ein. „Sehen Sie nur!“, rief er und zeigte auf das brennende Haus. Die Feuerwehrleute hatten die drehbare Leiter in Position gebracht und einer der hartgesottenen Kerle kletterte unter lauten „Oh‘s“ und „Ah‘s“ der Gaffer mit einem Schlauch nach oben. Gleichzeitig begann die riesige Spritze, Wasser auf die unteren Stockwerke zu versprühen.

„Na, das wurde aber auch Zeit.“, mäkelte die dicke Frau.

Fletcher nutzte das aufflammende Fachsimpeln der beiden Frauen über die Feuerwehrarbeit, um den Zimmermann am Ellenbogen etwas weiter in die Menge hineinzuziehen. Dankbar blickte der den gut gekleideten Gentleman an, der ihn aus der Schusslinie der beiden Damen gebracht hatte.

„Was glaubt Ihr, hat es mit den Bränden auf sich?“, fragte er den Handwerker.

Der kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Es wird allenthalben von einem Feuerteufel gemunkelt. Die Brände entstehen fast ausschließlich in Gemeinschaften. Entweder, der Brandstifter hat persönlich etwas gegen diese Gruppen, oder, was mir plausibler erscheint, irgendjemand will den Gemeinschaften aus politischen Gründen schaden.“

Gordon Fletcher hob die Augenbrauen. Langsam wurde es interessant. „Wer könnte denn ein Interesse daran haben?“, fragte er möglichst unaufgeregt.

„Nun ja. Collin Rand ist zurück in der Stadt und es heißt, dass er schon jetzt mehr Einfluss hat als der neu gewählte Gouverneur.“, stammelte der Zimmermann verlegen. „So genau kenne ich mich damit aber auch nicht aus.“

„Collin Rand?“, hakte Fletcher nach.

„Ein ganz durchtriebener Bursche. Er wollte selbst Gouverneur werden und hat dazu mehrere Mitbewerber umbringen lassen. Als die Sache aufgeflogen ist, wurde er ins Exil verbannt und sein ganzes Wirtschaftsimperium wurde enteignet. Aber irgendwie hat er es geschafft, von Patty Song, dem neuen Gouverneur, amnestiert zu werden und jetzt ist er wieder hier und lenkt die Geschicke der Stadt.“, versuchte der Zimmermann, den Stadtfremden ins Bild zu setzen.

„Wie ist denn sowas möglich?“, tat Gordon Fletcher überaus bestürzt. Insgeheim musste er sich jedoch eingestehen, dass dieser Rand ein Charakter ganz nach seinem Geschmack zu sein schien.

„Nun, ihm gehört ein Großteil der Fabriken, so dass fast die halbe Stadt für ihn arbeitet. Und dann kontrolliert er einige der berüchtigtsten Jugendbanden, die Angst und Schrecken auf den Straßen verbreiten.“, fuhr der Zimmermann fort.

Ein lauter Aufschrei weiter vorn lenkte die Aufmerksamkeit der beiden Männer ab. Dicker Rauch quoll immer noch aus den Fenstern des oberen Stockwerks des brennenden Hauses, auch wenn es so aussah, als hätte die Feuerwehr die Lage im unteren Bereich des Gebäudes langsam im Griff. Den Dachstuhl hatten die Feuerwehrleute aber nicht retten können, denn dieser war soeben unter lautem Krachen eingebrochen. Wild um sich schreiend strömten viele der Schaulustigen von der Kreuzung, auf die nun neben dem Rauch auch noch Staubteilchen des einfallenden Hauses zurasten, davon. Sie hatten ohnehin genug gesehen und unmittelbare Gefahr für das Viertel schien auch nicht mehr zu bestehen, auch wenn das Haus selbst wohl nicht mehr zu retten war.

Zu seinem Leidwesen hatte Gordon Fletcher den Zimmermann in dem Geschiebe und Gedränge bald aus den Augen verloren. Er beschloss, sich einfach von der Menge mittreiben zu lassen und so sah er wie der größte Teil der Schaulustigen nicht mehr, wie die Feuerwehrleute einen ihrer Kameraden, der schwer hustete, und ein junges Mädchen, dessen Arme reglos an ihrer Seite baumelten, aus den Trümmern des brennenden Hauses heraustrugen, kurz bevor ein Teil der Seitenwand nachgab und das Gebäude in sich zusammensackte.

Diesel

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