Читать книгу Grünblatt & Silberbart - Tom Flambard - Страница 10
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ОглавлениеNachdem er Nachtauges Villa verlassen hatte, ging Flynn die Allee des Östlichen Zephyrs bis zu deren Ende und spazierte danach ein Stück an den Klippen entlang. Er hoffte, die vom Meer herüberwehende Brise werde seinen Kopf ein wenig durchpusten. Irgendetwas an Orfamay Nachtauges Geschichte stank, es stank noch mehr als ihr seltsames Parfum. Flynn beschlich ein mieses Gefühl bei der Sache. Allerdings blieb ihm kaum eine Wahl.
Kurz vor der auf das Rote Kliff zulaufenden Mauer der Altstadt bog er nach Norden ab. Die Seebrise hatte ihm keine Erleuchtung beschert. Kurz erwog Flynn, den Schwarzen Wal aufzusuchen. Vielleicht fiel ihm die Lösung für sein Schuldscheinproblem ein, wenn er einige Rumflips trank. Er verwarf diesen Gedanken jedoch und ging stattdessen in Richtung des Wazaars. Besser, er brachte diese Geschichte so schnell als möglich hinter sich. Wenn er sich sputete, konnte er gegen Mitternacht im Wal sein, schuldenfrei und sturzbetrunken.
Das Gedränge begann, bevor er den Wazaar überhaupt erreicht hatte. Sämtliche auf den Platz zulaufenden Wege schienen heillos verstopft. Er sah einen Büttel, der wütend auf einen Kutscher einredete. Während die meisten Menschen und ein paar Zwerge herumstanden und darauf warteten, dass sich die Masse vor ihnen einen weiteren Schritt in Richtung des Waz bewegte, bahnte sich Flynn zügig einen Weg durch die Menge. Dank seiner elbischen Talente konnte er sich im Wald selbst bei dichtestem Bewuchs so schnell bewegen wie auf freier Flur – und was waren Menschen schon anderes als Baumstämme? In Sachen Anmut und Intelligenz waren beide nach Flynns Meinung durchaus vergleichbar, womit er den Bäumen vermutlich Unrecht tat. Wie ein eingeölter Aal schob er sich zwischen den Menschen hindurch, jede sich bietende Öffnung in der Menge ausnutzend. Nach wenigen Minuten hatte er den eigentlichen Platz erreicht, auf dem es nicht ganz so voll war. Er lief weiter. Das azurfarbene Zelt der Shem befand sich auf der Westseite, Flynn konnte bereits die darüber aufgepflanzte Fahne mit den drei roten Augen auf blauem Grund sehen.
Als er ankam, musste er feststellen, dass sich vor dem Zelt eine kleine Schlange gebildet hatte. Vier Menschen und ein Halbelb warteten darauf, dass ein Schreiber hinter einem Pult vor dem Zelt sie abfertigte. Hier nutzten Flynn seine elbischen Fähigkeiten nichts, und so reihte er sich schicksalsergeben hinter einem Pyronen ein, dessen zobelbesetzter Fez ihn als Mitglied der Apothekergilde auswies. Es ging nicht wirklich schnell voran, und so sah Flynn sich um, während er wartete. Das Shem-Zelt war nach seiner Erinnerung früher kleiner gewesen. Offenbar liefen die Geschäfte so gut, dass die Magier ihren Stand hatten vergrößern können. Ebenso auffällig war, dass die Zauberer ihre Waren nicht sehr offensiv feilboten. Normalerweise pflegten Waz-Händler ihre Produkte kunstvoll aufzutürmen und zu arrangieren. Sie priesen ihr Angebot zudem unentwegt in einem kunstvollen Singsang. Die Shem hatten derlei offenbar nicht nötig. Ihre Auslagen wirkten überaus schlicht. Zudem gab es einen Teil ihres Zeltes, der nicht aus frei einsehbaren Tischen bestand, sondern von einer lichtdichten Plane umgeben war. Gerade verschwand der erste Kunde in der Schlange in diesem Separee.
Interessiert begutachtete Flynn die Auslage eines Waffenhändlers, der sein Zelt links von den Magiern aufgeschlagen hatte. Einer der Eibenbögen hatte es ihm angetan, vielleicht würde er diesen später noch genauer in Augenschein nehmen. Von dem Stand zu seiner Rechten wehte der verführerische Geruch liwarischen Honigkaramells herüber. Flynn fiel ein Gardist auf, der vor der Spezereienbude stand. Er war der wohl fetteste Zwerg, den der Elb je gesehen hatte. Er musste grinsen. Es lag vermutlich am Stadtleben. Solange man mit einer Spitzhacke jeden Tag mehrere Kubikmeter Eisenerz wegkloppte, konnte man so viel Krustenbraten und Honigkaramell essen, wie man wollte. Saß man hingegen den ganzen Tag in einer Amtsstube, ging man auf wie ein Hefeküchlein. Dieser Gardist war das beste Beispiel dafür. In seinen wurstigen Fingern hielt er nicht eine, sondern gleich drei Süße Dublonen. Allerdings schien er etwas an ihnen auszusetzen zu haben.
»Mein guter Alvar«, sagte der Zwerg mit dröhnender Stimme, »diese Dublonen sind ja fast verkohlt!«
Bevor Flynn sich die Replik des von diesem Anwurf sichtlich gekränkten Marketenders anhören konnte, trat der Apotheker vor ihm beiseite, und er fand sich vor dem Pult des Shem-Sekretärs wieder. Der Mann trug eine Robe aus purpurfarbenem Stoff, deren dürftige Verzierungen ihn als einen Magier des ersten Grades auswiesen. Sein Gesicht war hinter einer lackierten Holzmaske verborgen, die die Züge eines Feuersalamanders trug.
»Ihr wünscht?«, fragte er.
»Ich würde gerne den ehrenwerten Ion Ibn Shem konsultieren«, antwortete Flynn.
Der Salamander machte sich eine Notiz.
»In welcher Angelegenheit?«
»Erwerb mehrerer Tessari.«
Der Magier nickte, als sei dies eine befriedigende Antwort. Mit einer Geste seines rechten Arms bedeutete er Flynn, in das Separee zu gehen. Der Elb schob die Plane ein Stück beiseite und trat ein. Das erste, was ihm auffiel, war die unheimliche Stille im Inneren des Zelts. Zwar war zu erwarten gewesen, dass der dicke Stoff einen Teil des Marktlärms schluckte. Aber es war so still wie nächtens im Smaragdwald. Bevor er sich weiter orientieren konnte, kam ein Mann auf ihn zu. Unter seiner reich verzierten grünen Robe konnte Flynn breite Schultern erkennen. Seine silberne Maske bildete den Kopf eines Leoparden nach.
Der Elb verneigte sich. »Habe ich das Vergnügen, mit dem ehrenwerten Ion Ibn Shem zu sprechen?«
»Der bin ich. Mit wem habe ich die Ehre?«
»Flynn Grünblatt, zu Diensten.«
»Was wünscht Ihr zu erwerben, Meister Grünblatt?«
»Tessari. Man sagt, Ihr hättet welche vorrätig«, erwiderte der Elb.
»Nicht viele. Wie viele benötigt Ihr denn?«
»Drei würden mir reichen.«
»Das ist möglich. Der Preis beträgt tausend Goldflamm je Stück.«
Normalerweise wäre dies der Beginn eines komplexen verbalen Tanzes gewesen. Flynn und Ion Ibn Shem hätten einander beschuldigt, die Kinder des jeweils anderen dem Hungertod anheim geben zu wollen. Ferner hätten sie über das Geschäftsgebaren ihres Gegenübers spekuliert und angedeutet, dieser sei noch gieriger als die Diebesgilde und die Vereinigte Händlercompagnie zusammen. Aber irgendwie hatte Flynn den Eindruck, dass dies kein solches Geschäft war. Deshalb erwiderte er lediglich: »Einverstanden.«
Der Magier nickte.
»Eine Sache wäre da noch, Meister Grünwald. Es gibt gewisse Ausschlussgründe, was den Verkauf von Tessari angeht.«
»Ausschlussgründe?«
»Ich muss auf arkane Weise prüfen, ob Ihr zu einer jener Fraktionen gehört, an die wir keine Tessari verkaufen. Seid Ihr dazu bereit?«
Flynn zuckte die Achseln und machte ein unbeteiligtes Gesicht. Allerdings konnte er nicht verhindern, dass sich seine Nackenhaare aufstellten.
»Tut, was Ihr tun müsst, Meister Ion«, sagte er.
Ion Ibn Shem holte aus einer Falte seiner Robe einen kleinen, rötlich schimmernden Kristall hervor, der an einer silbernen Kette hing und schwenkte diesen wie ein Jahrmarkthypnotiseur hin und her.
Sprecht mir nach: »Ich komme nicht im Auftrag des Ordens der Nigromanten von Arkadash.«
»Äh … ich komme nicht im Auftrag des … des Ordens der Nigromanten von Arkadash.«
»Ich bin kein Diener der Hexer von Yrr.«
Flynn wiederholte auch dies. Während er das tat, beobachtete sein Gegenüber konzentriert das Kristallpendel, das zwischen ihnen hin und her schwang. Offenbar handelte es sich bei dem, was Ion Ibn Shem da tat, um eine Art Konkurrenzausschluss-Methode. Die Yrr waren ein Haufen zauseliger Elementarmagier aus dem Nordreich. Wer die Nigromanten von Arkadash waren, wusste er nicht. Aber der Name deutete an, dass sie Finsteres im Schilde führten.
»Ich komme nicht im Auftrag der Antinomie«, sagte der Shem.
Auch das gab Flynn von sich. Er bildete sich ein, dass sein Gegenüber daraufhin ein zufriedenes Gesicht machte, was angesichts der Maske natürlich Unfug war.
»Das war es auch schon, Meister Grünblatt. Wir können jetzt zur Transaktion schreiten.«
»Ausgezeichnet. Sagt, Meister Ion, eine vielleicht dumme Frage …«
»Nun?«
»Was ist die Antinomie?«
»Sie ist das Böse«, erwiderte der Magier im Plauderton, als rede er über das flammarische Wetter, »genauer gesagt ist sie das Gegenteil des Guten. Sie ist die völlige Umkehr alles Wahren und Schönen, seine Antithese.«
»Ah. Ich verstehe«, erwiderte Flynn, was gelogen war.
Der Shem machte auf dem Absatz kehrt und führte den Elb auf der Rückseite des Separees hinaus. Sofort umbrandete sie wieder der Lärm des Waz. Sie befanden sich nun im hinteren Teil des Shem-Areals und waren umgeben von Verkaufstischen, auf deren anderen Seiten Marktbesucher vorbeischlenderten. Ion Ibn Shem ging zu einem der Tische, öffnete eine Holzkiste und holte ein halbes Dutzend kleine Scheiben heraus. Sie erinnerten Flynn an jene Teerstücke, die man nach Stürmen manchmal unten am Südstrand fand – tiefschwarz, klebrig und dabei bröckelig.
Man hatte die Tessari in eine runde Form gepresst. Der Shem legte alle sechs schwarzen Plättchen auf ein Seidentuch, das er auf einem Tischchen zwischen ihnen platzierte.
»Dürfte ich nun das Geld sehen, Meister Flynn?«
Der Elb holte Orfamay Nachtauges Beutel aus dem Inneren seines Wamses hervor, platzierte ihn auf dem Tischchen und zog den Lederriemen heraus. Das Gewicht der Edelsteine ließ die Börse auseinandergehen, es klackerte, als die in Silber gefassten Gemmen, jeder einhundert Goldflamm wert, sich über den Tisch verteilten. Flynn musterte sie. Es war sehr lange her, dass er derart viel Geld auf einem Haufen gesehen hatte. Ion Ibn Shem nickte zufrieden und wollte gerade beginnen, drei Tessari abzuzählen, als es einen lauten Knall gab, verbunden mit einem gleißenden Lichtblitz.
Einen Moment lang vermochte Flynn weder etwas zu sehen noch zu hören. Als seine Sinne wieder zu funktionieren begannen, vernahm er aufgeregtes Geschrei, sah allerdings immer noch nicht sehr viel. Der Großteil des Shem-Stands war hinter Wolken dichten schwarzen Qualms verborgen. Flynn kannte den Geruch, der ihm in die Nüstern stieg. Der Qualm rührte weder von einem Brand her, noch war er magischer Natur. Jemand hatte eine Rauchbombe geworfen, ihr charakteristisches Aroma war ihm schon des Öfteren begegnet.
Flynn ging in die Hocke und zog sein Waldmesser. Rechts von ihm stürzte einer der Warentische krachend um. Der Elb ließ sich davon nicht ablenken, sondern tastete sich langsam vor, in die Richtung, in der er das Tischchen mit den Tessari vermutete. Durch den Qualm sah er die Silhouette eines Mannes, der eine Robe trug. Zunächst vermutete er, es handle sich um Meister Ion. Doch dieser Kerl war kleiner und schmaler, außerdem war seine Kutte safrangelb. Flynn kroch eine weitere Elle vorwärts. Er sah jetzt das Tischchen. Der Shem in der gelben Robe machte sich daran zu schaffen. Lautlos bewegte der Elb sich weiter nach vorne. Er konnte nun die Beine des Mannes erkennen, die unter der etwas zu kurzen Robe hervorlugten. Sie steckten in Wildlederhosen, die wiederum in sonderbaren schwarzen Stiefeln steckten. Fast hätte er sich durch einen Fluch verraten. Die Shem hatten keine Hosen, die Beine unter ihren Roben waren nackt. Und sie trugen Sandalen, keine Stiefel – schon gar nicht solche. Er hatte diese Art von Schuhwerk schon einmal gesehen. Aber wo?
Er machte einen Satz nach vorne. Der falsche Shem fluchte, als sich die Spitze von Flynns Machete durch einen seiner Stiefel bohrte. Allerdings war der Kerl schneller als gedacht, und bevor der Elb sich aufrappeln konnte, erwischte ihn dessen anderer Stiefel mitten im Gesicht. Alles um ihn herum verschwamm. Mit letzter Kraft kroch er auf das Tischchen zu und versuchte, sich daran hochzuziehen. Auf der Tischfläche lag nichts außer einem einzelnen Goldflamm und einigen schwärzlichen Krümeln.