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Eamon Eiswasser war ein Zwerg. Das war das einzig Positive, das Colin über den Sheriff von Brae Flammar sagen konnte. Sein Vorgesetzter entstammte einer reichen Familie, die bereits seit vielen Jahrzehnten in der Stadt ansässig war. Eiswasser hatte folglich nie Straßendienst schieben oder sich auf den Zinnen der Seefeste die Nase abfrieren müssen. Stattdessen hatte er seine Laufbahn bei den Prächtigen Garden als Offizier begonnen. Den Posten hatte ihm sein Vater dem Vernehmen nach zum 33. Geburtstag geschenkt.

Als Colin das ebenso große wie geschmacklos eingerichtete Büro des Sheriffs betrat, saß dieser hinter seinem wuchtigen, intarsierten Schreibtisch aus Kirschbeerenholz und gab vor, irgendwelche Schriftrollen zu studieren. Eiswasser ließ Colin etwas warten, bevor er den Blick hob und sich ihm mit gespielter Überraschung zuwandte.

»Ah, Silberbart, ich habe Euch gar nicht reinkommen hören. Setzt Euch und berichtet.«

Colin nahm auf dem Besucherschemel Platz, der natürlich so niedrig war, dass Eiswasser auf einen herabsehen konnte. Der Stuhl des Sheriffs stand auf einem hinter dem Schreibtisch verborgenen Podest. Dieses war so hoch, dass der Sheriff auf seine menschlichen Untergebenen herunterschauen konnte. Da sie jedoch beide Zwerge waren, geriet der Höhenunterschied geradezu grotesk. Colin merkte wie sich seine Nackenmuskeln verspannten, als er zu dem über ihm thronenden Sheriff hinaufsah.

»Der Shem-Stand ist hinüber, Lord Sheriff. Eine Rauchbombe, vermutlich, um die Auslagen plündern zu können. Ich nehme an, dass mehrere Diebe zugegen waren. Sobald der Qualm alles vernebelt hatte, machten sie sich die Taschen voll.«

Eiswasser schob eine Schriftrolle beiseite, um Platz für seine mit Diamantringen verzierten, gefalteten Hände zu machen.

»Das ist ein unglaublicher Vorgang, Silberbart. In der Händlerfeste ist man ganz außer sich, dass wir nicht einmal die Sicherheit des wichtigsten Marktes der Stadt gewährleisen können. Man will Antworten von uns. Schnell.«

»Meine Männer arbeiten mit Hochdruck daran, Lord Eiswasser.«

»Wie kann es überhaupt angehen, dass so etwas passiert, während Ihr die Oberaufsicht über den Wazaar habt, Zweiter Hauptmann?«

»Es wäre nicht passiert, wenn wir ordentlich patrouillieren dürften.«

Eiswasser schnaubte: »Was soll das denn heißen?«

»Die Zahl der täglichen Diebstähle auf dem Wazaar liegt bei gut einem halben Dutzend. Wegen des Arrangements. Mit der Gilde.«

Der Sheriff, der die fragliche Vereinbarung mit dem Oberhaupt der Syzaar-Familie höchstselbst ausgehandelt hatte, musterte ihn, als höre er gerade zum ersten Mal davon.

»Aha. Sprecht weiter.«

»Seit es das Arrangement gibt, haben wir kaum mehr als diese paar Diebstähle.«

Eiswasser nickte zufrieden. »Das war der Sinn der Sache.«

»Da wir zu wenige Leute haben, wie Ihr wisst, wurde im vergangenen Frühjahr beschlossen, die Zahl der Gardisten, die auf dem Wazaar patrouillieren, zu halbieren.«

»Wer hat das veranlasst?«, fragte Eiswasser scharf.

»Äh, Ihr, Lord Sheriff.«

»Vielleicht habe ich etwas Dahingehendes unterschrieben, man reicht mir ja ständig irgendwelche Schriftstücke herein. Aber ich habe es ganz sicher nicht angeordnet. Unseren wichtigsten Marktflecken schutzlos dem organisierten Verbrechen auszuliefern! Leichtsinnig ist das, Zweiter Hauptmann, äußerst leichtsinnig, ja: unverantwortlich!«

»Ich bin ganz Eurer Meinung, Lord Sheriff.«

»Die Wazaar-Patrouillen werden verdoppelt. Verdreifacht!«

»Ich werde es veranlassen, Lord Sheriff.«

»Gut. Nun zu der wichtigeren Frage: Wer steckt dahinter? Ich habe die Jadefinger im Verdacht.«

Als die Chu nach Brae Flammar gekommen waren, hatten sie nicht nur Nudeln, Tee und seltsame Katzen mitgebracht, sondern auch eine Verbrecherorganisation. Man nannte sie die Jadefinger, wobei ihr Chu-Name ungleich elaborierter und blumiger war. Die Finger kontrollierten das Chu-Viertel. Außerhalb dieser Gegend waren sie kaum aktiv, wohl wissend, dass die Fünf Familien eine solche Expansion als Kriegserklärung aufgefasst hätten. Colin vermutete, dass die Jadefinger in anderen Teilen der Stadt vereinzelte, diskret ausgeführte Straftaten begingen. Mitten auf dem Wazaar eine Rauchbombe zu zünden wäre hingegen so ziemlich das Dümmste gewesen, was die Chu-Diebe hätten tun können. Nur ein kompletter Schwachkopf käme auf eine derartige Idee.

Colin musterte Eamon Eiswasser.

»Das ist … eine Möglichkeit, Lord Sheriff. Aber ehrlich gesagt deutet die Vorgehensweise meines Erachtens eher auf die Fünf Familien hin.«

»Was, was?«

»Der Rauchbombentrick.«

»Mein lieber Silberbart. Rauchbomben sind Feuerwerkskörper, und wer stellt die her?« Eiswasser grinste triumphierend.

»Die Chu, Lord Sheriff. Es ist sehr scharfsinnig von Euch, diese Verbindung sofort erkannt zu haben.«

»Ich kenne diese Stadt eben besser als Ihr, Hauptmann. Bin hier aufgewachsen.«

»Zweifelsohne ist Euer Gespür für alles Flammarische vortrefflich, Lord Sheriff. Allerdings kenne ich die Patrouillenberichte recht gut, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«

Das Gesicht des Sheriffs verzog sich, aber er sagte nichts.

»Deshalb«, fuhr Colin fort, »fallen mir mindestens vier Überfälle in den vergangenen zwei Jahren ein, bei denen die Syzaar ganz ähnliche Rauchbomben eingesetzt haben. Sie kaufen diese von den Chu, kein Zweifel. Aber diese spezielle Überfalltaktik und diese spezielle Art der Bombe mit tiefschwarzem Qualm haben bisher nur Gildendiebe eingesetzt.«

»Das, das wäre …« Weiter kam der Sheriff nicht. Irgendwie schien ihm die Luft wegzubleiben. Offenbar war sein nicht sehr flott arbeitendes Gehirn zu demselben Schluss gekommen, zu dem Colin bereits vor längerer Zeit gelangt war.

»Es würde bedeuten, dass die Gilde das Arrangement aufgekündigt hat, Lord Eiswasser.«

»Unmöglich!«

»Ich hoffe genau wie Ihr, dass es eine andere Erklärung für den Vorfall gibt. Ansonsten stünden uns wohl sehr turbulente Zeiten bevor.«

Eiswasser strich sich durch den prächtigen Bart, der vermutlich das Beste an ihm war. Dann sagte er: »Übrigens. Nicht nur die Händlerfeste steht mir auf den Füßen. Auch die Shem.«

Colin zuckte mit den Schultern. »Seit wann haben die was zu sagen?«

»Seit seine Königliche Hoheit Prinz Renial einen Shem zum Ersten Wesir berufen hat.«

»Wie bitte?«

»Die Nachricht ist erst wenige Tage alt und noch, sagen wir, halboffiziell. Aber Yal Ibn Shem, Exaltierter des Löwenordens und Magier des Siebten Ranges, wird sich fürderhin um die Tagesgeschäfte unseres geliebten Regenten kümmern.«

»Was hat er dafür gezahlt?«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht. Nun, möglicherweise schon, aber ich kenne die Details nicht. Am Hof wird darüber jedoch heftig spekuliert, das könnt ihr mir glauben.«

Eiswasser beugte sich vor und schaute auf Colin herab.

»Die Shem wollen die gestohlene Ware zurück.«

»Ich habe noch keine Aufstellung von den Shem erhalten, Lord Sheriff.«

»Aber ich.«

Eiswasser griff nach der Schriftrolle, die er studiert hatte, als Colin eingetreten war.

»Erstaunlicherweise fehlt nur eine Sache. Sechs Tessari. Eine Art kostspieliger Weihrauch, sagt man.«

»Sonst nichts?«

»Nein, sonst nichts.«

»So wertvoll war dieser Weihrauch nun auch nicht. Das Stück zu tausend Goldflamm, nach meinen Informationen. Viel Geld, aber nicht die Welt.«

»Das mag sein. Aber den Shem geht es ums Prinzip. Niemand bestiehlt ungestraft einen Magierorden. Ich rate Euch deshalb dringend, den Dieb und auch die verschwundene Ware zu finden. Taucht sie nicht bald wieder auf, wird der frischgebackene Wesir fordern, dass Köpfe rollen.«

Er verstand, was Eiswasser eigentlich meinte: Colin war der auserkorene Buhmann. Wenn er die Tessari nicht wiederbeschaffte und den Dieb dingfest machte, würde sein Kopf rollen. Schließlich hatte er die Aufsicht über den Wazaar gehabt. Er hegte keinen Zweifel, dass sein Vorgesetzter ihn ans Messer liefern würde, schneller als eine Hure die Beine breit machte, wenn sie das Klimpern von Münzen hörte.

Statt etwas zu erwidern, nickte er.

»Macht Euch an die Arbeit, Silberbart. Seid unbesorgt, ich stehe hinter Euch!«

»Das ist gut zu wissen, Lord Sheriff«, erwiderte er. Dann erhob er sich, verbeugte sich leicht und machte, dass er hinauskam. Er verließ das Hauptquartier der Garde auf dem schnellstmöglichen Weg. Während er das Hauptportal durchschritt, salutierten die beiden Wachen, aber Colin beachtete sie nicht. Er war tief in Gedanken versunken.

Jemand zündete eine Rauchbombe auf einem Marktplatz. Sobald es dunkel wurde, stopften der Täter und seine Gehilfen sich die Taschen so voll es ging und verschwanden – ein Klassiker. Eiswasser hatte jedoch erklärt, die Shem hätten lediglich die Tessari als gestohlen gemeldet. Colin nahm an, dass dies der Wahrheit entsprach. Denn warum sollten die Magier ihren Schaden kleiner aussehen lassen, als er tatsächlich war?

Wenn aber nur die Tessari gestohlen worden waren, konnte es sich nicht um den klassischen »Macht Rauch und nehmt, was ihr kriegen könnt«-Raubzug gehandelt haben, sondern um eine Auftragsarbeit. Jemand hatte lediglich den seltsamen Weihrauch stehlen wollen.

Colin lief über den Waffenplatz und ging in Richtung des Südviertels. Für ihn roch die Sache immer noch nach der Diebesgilde, aber die Vorzeichen waren inzwischen gänzlich andere. Hier hatte jemand etwas im Auftrag eines einzelnen Kunden gestohlen. Leider hatte Colin das Gefühl, dass dieser Umstand die Aufklärungschancen nicht erhöhte, im Gegenteil. Es half alles nichts – um weiterzukommen, würde er mit jemandem sprechen müssen, der noch unangenehmer war als Eamon Eiswasser.

Grünblatt & Silberbart

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