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ОглавлениеAm Rande des Wazaars blieb Colin Silberbart stehen und strich sich mit der rechten Hand über das gut gefüllte Gardistenwams. Es versprach ein weiterer ausgezeichneter Tag in der besten Stadt der Welt zu werden. Mit der Linken beschirmte Colin seine Augen, um die Sonne abzuhalten, die bereits über den Dächern und Türmen hervorlugte. Gerade erst hatte der Trompeter vom Prinzenturm die zweite Stunde verkündet, aber das Markttreiben war schon in vollem Gange. Colin Silberbart schlenderte scheinbar ziellos zwischen den Ständen hindurch. Dabei war sein mäandernder Weg über den Wazaar keineswegs zufällig gewählt.
Die ganze Woche war er für die Wazaarschicht eingeteilt und somit dafür verantwortlich, dass auf Brae Flammars größtem Marktplatz alles mit rechten Dingen zuging. Er musste sicherstellen, dass keine Fuhrwerke einen der sieben Zugänge zum Waz, wie die Einheimischen den Markt nannten, blockierten. Es galt Sorge zu tragen, dass Bettelei und Gaukelei nicht überhandnahmen. Ferner oblag es ihm, Diebstähle an den Ständen zu unterbinden und den Taschendieben zu signalisieren, dass sie es nicht zu toll treiben sollten. Gegen letztere wäre Colin gerne beherzter vorgegangen, aber das war ihm untersagt worden, mehrfach bereits. Die Prächtigen Garden und das Kartell der Fünf Familien hatten sich für diese und andere Delikte auf gewisse Quoten geeinigt. Diese erlaubten es beiden Seiten, ihr Gesicht zu wahren. Weder konnte der Hohe Rat Sheriff Eamon Eiswasser vorwerfen, seine Truppe tue zu wenig für die öffentliche Sicherheit, noch mussten die Fünf Familien Revolten in ihren eigenen Reihen befürchten, weil das Einkommen ihrer Beutelschneider zu kärglich ausfiel.
Colins Rundgang war zwar dienstlicher Natur, jedoch durchaus auch darauf ausgelegt zu klären, was der Offizier der Stadtwache zu Mittag essen würde. Sein zwergischer Magen knurrte bereits, wenn er nur daran dachte. An einem der Stände waren mehrere Männer dabei, über einem großen Feuer einen Ochsen in Position zu bringen und mit einer rötlichen Paste aus zu Brei zerstoßenen Feuerpflaumen zu bestreichen. Heute Mittag würde das Fleisch fantastisch schmecken, zart und aromatisch. Als nächstes begutachte Colin einen Chu-Stand, an dem mandeläugige Männer mit dünnen Zöpfen und noch dünneren Spitzbärten in großen Pfannen Nudeln und Gemüse wendeten. Der Gardist überlegte, ob er bereits eine kleine Portion zu sich nehmen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Eiernudeln waren eindeutig ein Mittagsgericht. Die Frühstückszeit verlangte nach etwas Süßem.
Bei Alvars Spezereien ließ Colin sich Süße Dublonen geben. Das waren Pfannkuchen nach liwarischer Art, handtellergroß, fingerdick und mit Honigkaramell gefüllt. Nachdem er die klebrigen Taler in Empfang genommen hatte, griff er betont langsam nach seinem Geldbeutel, um zu signalisieren, dass er für die Küchlein selbstverständlich bezahlen wolle. Der Standbesitzer setzte eine Miene des Entsetzens auf und schüttelte energisch den Kopf. Es war ein Schauspiel, das sich an diesem Tag noch mehrfach wiederholen würde – und zwar jedes Mal, wenn Colin sich an einem der Stände bediente. Gardisten aßen umsonst, aber wie fast alles in Brae Flammar war auch dieser allseits bekannte und akzeptierte Umstand kein Grund, den Vorgang als Selbstverständlichkeit zu behandeln. Es galt, die Formen zu wahren, und so setzte Colin einen Ausdruck erfreuten Erstaunens auf, so als ob ihm das erste Mal in seinem Leben ein Marketender etwas schenke. Er verneigte sich leicht und trottete davon.
Im Laufen biss er in den ersten Pfannkuchen. Honigkaramell tropfte in seinen buschigen Bart. Mit einem Seufzer des Behagens ließ er sich auf einer von Kastanien beschatteten Steinbank in der Mitte des Platzes nieder und aß. Als er gerade die letzte Dublone in Angriff nehmen wollte, fiel ihm eine junge Frau auf, die mit seltsam angewinkelten Armen an einem pyronischen Seidenhändler vorbeiging. Ihre Linke hielt sie flach ausgestreckt in Hüfthöhe, mit der Handfläche nach oben. Darüber schwebte ihre Rechte, deren Daumen abgespreizt war. »Flug der Elster« nannten die Gildendiebe diese Technik. Colin sah, wie die winzige, unter dem Daumen der Frau befestigte Klinge den Lederriemen des Geldbeutels durchtrennte. Das Säckchen des Seidenhändlers fiel und landete lautlos in der unteren Hand der Taschendiebin. Der Pyronier hatte nichts bemerkt. Dann verschwand die Frau in der Menge.
Colin Silberbart machte sich eine geistige Notiz. Spätestens beim achten Taschendiebstahl würde er einschreiten. Er biss in seine letzte Dublone und seufzte. Gab es etwas Besseres als liwarischen Honigkaramell? Es versprach, ein wirklich ausgezeichneter Tag zu werden.