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4 Der Hotelbesitzer friert und muss ebenfalls ins Gefängnis

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Der Besitzer des Grand Hôtel Bodensee sitzt im Wohnzimmer seiner Wohnung im Dachgeschoß des Hotels und friert. Noch vor nicht allzu langer Zeit ließ sich die Heizung nicht mehr drosseln, so dass der Gaszähler nur so ratterte. In den Zimmern hatte es mitten im Winter plötzlich über 30 Grad, und es mussten ständig alle Fenster geöffnet werden, aber 35 Grad innen und 5 Grad außen geben zusammen keine angenehme 20 Grad, sondern unangenehme 35 Grad und 5 Grad, gleichzeitig. Und jetzt springt die Heizung gar nicht mehr an, und 8 Grad bei geschlossenen Fenstern bleiben immer und ewig 8 Grad, zumindest bis zum nächsten Frühjahr.

‚Wenn Du so ernst bist schaust Du aus wie ein Dackel’, sagt seine Frau zu ihm, dann steht sie auf und geht in die Küche, um sich ein Glas Wein zu holen. Sie bleibt eine ganze Weile.

At the age of thirty seven, she'd realise she'll never ride through Paris, in a sportscar, with the warm wind in her hair*’, singt sie in der Küche.

Sie kann wunderschön singen, wenn sie will, und wenn sie ein bisschen betrunken ist, denkt der Hotelbesitzer, aber dann fällt ihm ein, dass sie ja vor ihrer Ehe Barsängerin war und er sie kennen gelernt hatte, als sie im Hotel gesungen hatte. Als das Hotel noch ein Hotel war und keine Absteige.

Warum aber das Hotel, das er vor vielen Jahren von seinem Vater geerbt hatte, jetzt eine Absteige ist, diese Frage hatte er bereits als nicht zu beantworten beantwortet. Er ist weder faul noch trinkt er. Er ist einfach nur da, und das reicht eben nicht, sagt seine Frau dazu. Ein Hotel muss gegen die Zukunft verteidigt werden, sonst besteht der Tafelaufsatz plötzlich aus Maggiflasche, Salz und Pfefferstreuer Langneseeiskarte und Aschenbecher. Der Hotelbesitzer, der Tafelaufsätze aus Maggiflaschen, Salz und Pfefferstreuer, Langneseeiskarte und Aschenbecher von den Tischen aus seinem eigenen Hotel gut kennt, weiß nicht, was daran falsch sein soll.

‚Eine Tafel ist ein Ort des erholsamen Verweilens und der Besinnung inmitten des aufregenden Alltagsgeschäftes, und in symbolischer und allegorischer Form bezieht sich dabei der Tafelaufsatz auf die anwesenden Persönlichkeiten und den Anlass der Veranstaltung, nicht allein dem ästhetischen Vergnügen wegen, er soll die Gäste zu tieferer Besinnung anregen und Tischgespräche in Gang setzen und lenken und dafür sind Maggiflaschen, Salz und Pfefferstreuer Langneseeiskarte und Aschenbecher gut geeignet’, entgegnet er ihr.

Sie kommt mit dem Weinglas zurück. ‚So she sat there softly singing . .’ singt sie.

‚Ist das Leben denn ein Pop Song’? fragt er mehr sich selbst als sie.

Die Frau des Hotelbesitzers lächelt wehmütig und kuschelt sich an ihn oder in das Sofa. Kurz darauf verlässt sie ihn.

Er sieht ihr vom geöffneten Fenster aus noch nach, wie sie mit ihrem Golf auf die Hauptstraße von Lindau einbiegt und Richtung Festland aus dem Blickfeld verschwindet. Dann ist sie weg.

Ihr Geruch liegt noch in der Luft. Er schließt die Fenster.

Die Wohnung wirkt plötzlich leer und bedrohlich.

Er geht hinunter in die Bar.

Die Sängerin singt. Die Institution der Barsängerin mit Klavierspieler hat der Hotelbesitzer beibehalten, auch wenn die Barsängerin und der Rest seiner Gäste nicht mehr recht zusammenpassen wollen und der Klavierspieler nur ein älterer Mann ist, der für Kost und Logis spielt. Er hat es für seinen Vater getan, für sein Andenken.

Er sagt der Sängerin, dass sie sich ab sofort bei ihm oben treffen können.

Im Sommer darauf erschlägt der Hotelbesitzer einen Gast im Streit. Vor Gericht verteidigt er sich damit, dass sein Hotel nur mehr Gäste beherberge, die sich auf einen Streit mit dem Hotelbesitzer einlassen, etwas, was es zu seines Vaters Zeiten nicht gegeben hätte. Der Richter ist davon unbeeindruckt. Er verurteilt ihn wegen Totschlag zu 11 Jahren und 3 Monaten.

*Shel Silverstein

o.T., 2014

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