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2 Willi und Hans ziehen in die Welt

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‚Wir brauchen Geld’, sagt Willi eines Tages. ‚Unsere 2.000 Mark sind aufgebraucht, der Opel verkauft und 5 Kühe und 14 Hühner ernähren keine zwei Menschen.’

‚Vorher haben sie vier ernährt’ wendet Hans ein.

‚Die Arbeit vom Vater in der Hutfabrik und 5 Kühe und 14 Hühner haben vier ernährt’ erinnert ihn Willi.

‚Der Vater ist weg und die Hutfabrik ist pleite’, sagt Hans daraufhin.

Sie fragen ihren Nachbarn, den drei beziehungsweise vier Jahre älteren Benni, wie sie am besten zu Geld kommen könnten.

‚Ich habe letzten Monat erst bei einem Preisrätsel aus der HörZu gewonnen’, erzählt er ihnen.

Hans und Willi fragen interessiert, was Benni gewonnen hat.

‚Eine Ramatischdecke’, verkündet er.

‚Eine was? Was ist denn das’? fragen sie nach.

‚Na eben eine Tischdecke, mit klassischen Muster, in das Bilder von Ramaschachteln eingearbeitet sind.’

‚So ein Scheiß’, sagt Willi. Hans schweigt.

Einen Monat später lernt Hans, als er gerade das Feld an dem Fußweg nach Thal in Österreich mäht, einen Mann kennen, der ihn fragt, wie man hier am besten die Zöllner umgeht, die hier Streife gehen, und ihm 10 Mark bietet für so eine Wanderungen von Vorarlberg ins Allgäu, ohne auf eine zu treffen. Wir sind noch immer in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, da gibt es noch kein Schengener Abkommen der Öffnung der Grenzen mit Verlagerung der grenznahen Streifengänge auf die Schleierfahrdung.

Hans willigt ein und nimmt Willi mit und gibt ihm 2 Mark davon ab. Nach der ersten Wanderung folgt die zweite, dann die dritte.

Es sind meist stille Leute, die sie begleiten, Frauen mit kleinen Kindern, ältere Männer, wenig Junge, aber sie verstehen die Leute nicht, die meist nur rudimentäres Englisch sprechen, und Hans und Willi sprechen überhaupt nicht englisch, in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts war Englischunterricht in Volksschulen noch nicht überall auf dem Land verbreitet. So kommt es immer wieder zu Sicherheitsproblemen, wenn die Brüder Anweisungen geben, die nicht befolgt werden, weil nicht verstanden.

Also fragen sie wieder Benni, der aufs Gymnasium geht und daher Englisch spricht, ob er ihnen hilft.

‚Was springt dabei raus?`

‚2 Mark pro Tour. Dauert höchstens eine Stunde.’

Benni lacht. ‚Wie viel verlangt Ihr?’

‚10 Mark.’

‚Ich will 50’ sagte Benni, ‚Mark. Ihr könnt hundert verlangen.’

Die Brüder schauen einen Moment erstaunt, dann nickten sie, zuerst Willi und mit Zeitverzögerung auch Hans.

Es ist lange beschlossen, dass, sobald Willi 18 wird, die Brüder den Hof verkaufen. Die 14 Hühner und der Hahn sind im Laufe der letzten vier Jahre gestorben und nicht wieder durch neue Hühner ersetzt worden, die fünf Kühe aber leben noch, die Lebenserwartung von Kühen liegt bei etwa 25 Jahren, und die ihren sind erst 12 bis 15 Jahre alt.

‚Wer kauft schon einen Kleinbauernhof mit 5 älteren Kühen’? fragt Willi.

‚Niemand’, antwortet Hans.

‚Stimmt’, sagt Willi, ‚niemand.’

Sie haben sich aber durch die 5 Kühe keinen Tag aufhalten lassen. Sie haben sie einfach verschenkt. Die Brüder schenken sie dem blinden Bauer, der sie nicht weiterverkaufen darf, sondern behalten muss bis sie sterben. Sie legen dabei Nachdruck in ihre Stimme, und der blinde Bauer, der gelernt hat, akustische Signale zu deuten, spürt die Aggression dahinter.

Als die Kühe umgezogen sind finden sie rasch einen Käufer, einen Psychotherapeuten, der ihnen den Hof und die paar Felder abkauft.

‚Ich kann nicht verstehen, warum Sie weggehen. Im Allgäu ist es so schön, dass ich jedenfalls nie wieder weggehen werde. Ich wohne doch dann mit vielen wilden Tieren, und mit Kühen. Der Himmel ist nachts dunkel und der Mond scheint hell, und die laute Natur übertönt die böse Welt draußen’, sagt die dunkelhaarige Frau des Psychotherapeuten zu den beiden Brüdern. ‚Aber uns soll’s recht sein’.

‚Das Land, antwortet Willi frech, ‚das brauchen wir nicht, ich und der Hans, das Land macht krank, das ganze Jahr liegt das Land unter einer dünnen Schicht Odel, oder Bschütte, wie man hier sagt, und nur im Winter deckt der Schnee für ein zwei Monate alles zu.’

Vor allem aber wollen sie ab jetzt alles anders machen, anders als bisher, anders als die anderen.

Hans geht in die Welt, sie anzuhalten

Willi geht in die Welt, sie anzutreiben.

Willi kauft sich von dem Geld für den Mooshof einen gebrauchten Mercedes SL, Anzüge und Schuhe. Hans weiß noch nicht, was er mit seinem Anteil anfangen soll und lässt ihn auf der Bank. Er trägt die Kleidung, die er immer trägt, Jeans und bunte Baumwollhemden.

Benni kommt eigens aus München, um sich von den Brüdern zu verabschieden. Er studiert nun Kunstgeschichte, auch etwas, an das er sich später nicht mehr wird erinnern können.

‚Was wollt ihr jetzt machen’? fragt er.

‚Als erstes die Fingernägel wachsen lassen’, antworten beide.

‚Die wachsen doch von selber’ wirft Benni ein.

Sie merken, dass er sie ärgern will und grinsen ihn an.

Als sie ihm erzählen, dass Hans in die Welt geht, sie anzuhalten und Willi um sie anzutreiben, dass Willi dazu nach Amsterdam und Hans nach London gehen wird, wundert er sich nicht, er war bereits in London und Amsterdam und eigentlich hätte man eher erwartet, dass jemand, der die Welt beschleunigen will, nach London geht und der Entschleuniger nach Amsterdam, er findet aber, dass in der Beschleunigung von Amsterdam und der Entschleunigung von London eine gewisse Logik steckt.

‚Aber warum gerade Amsterdam’? fragt er trotzdem.

‚Weil in Amsterdam all die Firmen ihre Leute sitzen haben, die an den Finanzplätzen Frankfurt oder London in Erscheinung treten. Die Leute, die immer schneller am Verfall der Zivilisation arbeiten, immer manischer versuchen, an den noch frei verfügbaren Rest Macht, Reichtum und Sex zu gelangen, bevor sich für sie alles in Luft auflöst und nur noch die Imagination bleibt von Macht, Reichtum und Sex, die jeder haben kann und sie sich in einem Fünfsterneressortallinclusive wiederfinden’ antwortet Hans an Willis Stelle.

Willi sagt, wenn Hans das so sähe wird es wohl stimmen.

Das habe eine gewisse immanente Logik, meint auch Benni, findet aber nicht, dass es an ihm ist, hier weiter kommentierend einzugreifen.

Hans und Willi bieten Benni an, durchs Haus zu gehen und alles mitzunehmen, was er gerne hätte, aber Benni lehnt dankend ab. Benni ist jetzt 23 Jahre alt und kann sich ausrechnen, wie groß die Wohnung sein muss, die er braucht wenn er 50 Jahre alt ist, er aber bereits mit 23 Jahren angefangen hat, sie zu füllen, und wenn er einmal gestorben ist, werden nach seinem Ableben seine Erben den Haushalt auflösen, in Müllcontainer sortieren, Papier, Holz und Gemischmüll trennen, Schachteln und Kartons mit all den Dingen füllen, die noch zu verticken sind, diese an Flohmarkthändler nach Kilo verkaufen, ihn ob des großen Aufwandes und des geringen Ertrags posthum verfluchen.

Hans packt die verbliebenen zwei kleinen braunen genoppten Lederkoffer, die zu dem Set mit dem großen braunen genoppten Koffer gehörten, mit dem seine Mutter fortgegangen ist. Er besitzt außer dem, was er anhat, nicht mehr all zu viel, etwas Wäsche, einen Leinenanzug, und einen Apple Notebook mit 4 MB Arbeitsspeicher, den er auf 8 MB erweitert hat, mit 80 MB Speicher, und der auch bereits ein Farbdisplay hat.

Er möchte nach London und fragt Willi, ob er ihn bis Amsterdam mitnimmt, aber Willi verweist darauf, dass der Sportwagen bis unter das Dach voll gepackt sei. Er sagt das in neutralem Ton, weder bedauernd noch hämisch. Der Bitte von Hans, ihn dann doch wenigstens zur Autobahnauffahrt zu fahren, kommt Willi ebenso neutral nach, wundert sich aber, dass Hans per Anhalter nach London fährt, Mitte der 80er Jahren fährt niemand mehr per Anhalter, und außerdem hat Hans ja auch die Hälfte des Erlöses für den Kleinbauernhof, könnte sich ein Flugticket also leisten. Hans wiederum, der schon einmal mit Willi mitgefahren ist, zum Notar nach Lindau, und dabei versucht hat ihm zu erklären, zu was Blinker und Scheibenwischer da sind, findet zwar, dass er ihm ein paar weitere Tipps auf der Fahrt hätte geben können, aber schon auf der Lindaufahrt hat Willi ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er vorhat, sich alsbald einen Chauffeur anzuschaffen, und es deshalb überflüssig sei, den Gebrauch des Blinkers zu erlernen.

Dann sind sie beide weg. Sie werden nicht nochmals auf den Hof zurückkehren, auch nicht, als sie viele Jahre später mehrmals ganz in der Nähe sein werden. Vergleiche früher – jetzt bringen nichts, weil immer Vergangenheitsform, da sind sich die ungleichen Brüder einig.

*Andrzej Stasiuk beschreibt in ‚Tagebuch danach geschrieben’ ein ähnliches Phänomen auf einer Reise durch Mazedonien

o.T., 2014

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