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7 James wird entlassen und ist auf dem Weg vom Gefängnis zu seinem neuen Hotel

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James verlässt, wie alle Gefangenen aus allen Gefängnissen der Welt, das Gefängnis durch eine unscheinbare, verrostete Stahltüre irgendwo in der Außenmauer der Haftanstalt an einer staubigen Nebenstraße, die aussieht, als wären hier seit Jahren keine Fußgänger oder Autofahrer sowie auch keine Straßenreinigung mehr entlang gekommen, nur entlassene Sträflinge, und er läuft schnell auf die nächste belebte Kreuzung zu. Auf dem Weg vom Gefängnis zum Bahnhof kommt er dann an einer Buchhandlung vorbei und beschließt spontan, Bücher zu kaufen, von denen er hofft, eine Einführung in die Führung eines Grandhotels zu bekommen. Im Regal gibt es eine Vielzahl von Ratgebern für fast alle Lebensfragen, für Liebe, Reichtum, Karriere, Kochrezepte und Waschbrettbäuche, gegen Einsamkeit und für Steuererklärungen, Gebrauchtwagenkauf, gutes Benehmen in höheren Kreisen, orgiastischen Sex, organisiertes Arbeiten, Reisen in unbekannten Ländern. Er schlägt ein Buch über erfolgreiche Geschäftsführung auf und liest ‚So sammelte der Autor einen wahren Schatz an praktischen Erfahrungen die er in diesem Buch in kompakter Form weitergibt.’ James schlägt das Buch sofort wieder zu und fragt die Buchhändlerin nach einem Ratgeber für erfolgreiche Hotelführung, aber die Buchhändlerin, eine runde Person in den Wechseljahren, lacht ihn aus und erklärt ihm, auch wenn sie in ihrer Buchhandlung außer Kriminalromanen fast ausschließlich Ratgeber verkaufe, sei es leider völlig ausgeschlossen, mittels eines Ratgebers ein Hotel erfolgreich zu führen, ebenso wie es leider auch völlig ausgeschlossen sei, mittels Ratgebern schlank, fit, schön, erfolgreich, sexy, glücklich, erleuchtet, organisiert, 100 Jahre und älter, höflich oder sonst was zu werden, sie wisse das, da sie vielen ihrer Kunden nach dem Ratgeberkauf noch über Jahre immer wieder begegne und daher eine Art Feldforschung durchführen hätte können. Sie jedenfalls habe nach dem Kauf eines Buches mit dem Titel ‚Wie werde ich glücklich’ in ihrer Buchhandlung noch nie gesehen, dass der Käufer danach ein glücklicherer Mensch geworden sei und sie vermute daher, dass der Nutzen von Ratgebern sich ausschließlich indirekt, anhand der Verkaufszahlen bemisst. Der Nutzen ausschließlich für Buchhandlungen und Ratgeberindustrie natürlich. James vermutet seinerseits, dass die Buchhändlerin selbst ebenfalls an der Forschung teilgenommen hat und daher doppelt authentisch berichtet, und glaubt ihr.

Um einen Einblick in die Welt des Grandhotel zu bekommen empfiehlt sie ihm, ‚Menschen im Hotel’ von Vicki Baum, ein Roman aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, Marcel Proust, ‚auf der Suche nach der verlorenen Zeit’ und ‚Shining’ von Steven King und fragt ihn noch, warum er denn ausgerechnet ein Grand Hotel führen möchte.

‚Die Verlangsamung der Welt durch ein Grand Hotel’ antwortet er kryptisch und verabschiedet sich.

Er widersteht dem starken Impuls, unverzüglich wieder umzukehren und in der Gefängnisküche nach langfristig festgelegtem Plan Kartoffelpuffer aus Kartoffelpufferfertigware herzustellen mit Apfelmus aus 20 Liter Eimern, er sagt sich, er hat jetzt eine neue Aufgabe, die damit beginnt, erst einmal nach Mannheim zum ICE nach Lindau kommen, und dazu muss er in Erfahrung bringen, ob der richtige Zug der von Kaiserslautern der über Kusel und Ramstein ist. James steht am Bahnsteig, weiß es nicht und ist das erste Mal seit Jahren auf sich allein gestellt. Er denkt, wer es nicht allein schafft nach Mannheim zu kommen, der kann auch kein Grandhotel führen,

James sucht eine Information. Es gibt keine, nur Fahrkartenautomaten, wohin er schaut. Er verlässt den Bahnhof wieder, überquert die Straße und geht in die Bahnhofsgaststätte, die aber keine Bahnhofsgaststätte ist, sondern ein richtiges Lokal, das Bistro heißt und mit hellen freundlichen und vollkommen geschmacklosen Bistromöbeln eingerichtet ist.

Er hat im Gefängnis noch zu Mittag gegessen und bestellt nur ein Bier. Weil nirgendwo Aschenbecher stehen und auch sonst niemand im Bistro raucht unterlässt er es ebenfalls zu rauchen. Er trinkt aus, zieht bei der Bedienung Erkundigungen über den Fahrplan ein, die Bedienung ist daran gewöhnt und kennt den Fahrplan auswendig, und steigt dann in den richtigen Zug.

Er denkt, auf der Bahnfahrt hat er genug Zeit, sich mit dem Thema Grandhotel zu beschäftigen, Kaiserslautern Hbf ab 11:58, Mannheim an 13.30 Uhr, aber dann ist er 12:04 schon in Hochspeyer Mitte, 12:09 hält der Zug in Frankenstein(Pfalz) dann in Weidenthal 12:12, in Neidenfels 12:17, in Lambrecht(Pfalz) 12:20, 12:30 in Schifferstadt, in Neustadt(Weinstr)Hbf 12:32, Neustadt-Böbig 12:37, Haßloch(Pfalz) 12:40, Böhl-Iggelheim 12:45, Limburgerhof 12:48 und schon sind 50 Minuten vergangen und er ist vor lauter Bahnhöfen noch nicht dazugekommen, sich auszumalen, wie es sein wird, wieder ein Werk zu schaffen. Die Bahnfahrt zwischen Kaiserslautern und Mannheim erinnert ihn vielmehr an die Bahnfahrt von Casablanca nach Marrakesch, die er einmal, noch von London aus, unternommen hat. Nur dass die Ortsnamen in Marokko anders gelautet haben, sonst alles gleich. Beim Namen Schifferstadt hatte er kurz aufgemerkt weil er es rätselhaft findet, dass es viele tausend Weltmeister und Olympiasieger gibt, über die die Geschichte gnädig ihren Mantel gelegt hat, dass aber immer wieder ein paar davon unter dem Mantel hervorschauen, wie Wilfried Dietrich, der Koloss von Schifferstadt, dann fuhr der Zug aber bereits weiter und James vergaß Schifferstadt. Ankunft Ludwigshafen-Rheingönheim 12:51, Ludwigshafen-Mundenheim 12:54, Ludwigshafen(Rh)Hbf 12:57, Ludwigshafen(Rhein) 13:00 und dann endlich Mannheim an 13:03.

In Mannheim steigt James dann um in den ICE nach Lindau. Ähnlich wie die Insassen im Gefängnis sind auch die Mitreisenden im ICE dauerhaft beleidigt und James kommt sich vor wie in seinem geraden verlassenen Zuhause, also wie in der Justizvollzugsanstalt, wo auch immer alle unzufrieden waren, oft auch mit dem Essen. Die Deutsche Bundesbahn erscheint den Mitreisenden unwillig, unfähig, die richtigen Bahnsteige anzuzeigen, stimmende Bahnverbindungen zu ermitteln und diese dann auch zu verifizieren, den gebuchten Sitzplatz so zu kennzeichnen, dass er gefunden wird. Sie wehklagen bei den Mitreisenden, die, weil auch beleidigt, zustimmend nicken, sie wehklagen über das Mobiltelefon bei Freunden, Bekannten, Verwandten und Kollegen, die wahrscheinlich aus der Ferne auch zustimmend nicken und sie klagen in anmaßendem wie gleichzeitig devotem Ton bei den Schaffnern, die ebenfalls nicken, um keinen Streit vom Zaum zu brechen und die hilfsbereit sind, ohne damit etwas bei den Beleidigten zu erreichen, gar eine Stimmungsaufhellung. Lebensfreude findet im Zug nicht statt, es ist eher wie bei einer arabischen Beerdigung, nur ohne Leiche. Das Erlebnis einer fast arabischen Beerdigung reicht nicht aus dass das Gejammere James nicht langweilt und er schläft ein, bis sie nach Stuttgart kommen.

Ab Stuttgart sitzt ihm dann ein Mann gegenüber, der alles, was er macht, hektisch macht, was aber James nicht weiter verwundert, da er einen dunkelgrünen Cordanzug anhat, der ihm viel zu klein ist, die Jacke ist zu eng, so dass er sie nicht zuknöpfen kann, und die Ärmel und die Hosenbeine sind zu kurz.

Schon als der Zug noch über den Damm auf die Insel Lindau fährt steht James auf, packt seine 2 Koffer und verlässt fluchtartig als erster den Zug, kaum dass er im Inselbahnhof zum Stehen gekommen ist. Die ungelesenen Bücher lässt er liegen.

o.T., 2014

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