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PROLOG

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12. Dezember 1974 Es ist dunkel in Westberlin. Eine Person schleicht zum Briefkasten, sieht sich dabei nervös um. Ein Brief gleitet durch die zittrigen Finger. Die Person zögert kurz, dann wirft sie den Brief ein. Anschließend verschwindet sie unerkannt in der Dunkelheit.

Am 20. Dezember 1974 geht in der Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin, Abteilung VII (Abteilung zur Überwachung des Grenzverkehrs), ein Schreiben aus Westberlin ein. Dorthin weitergeleitet wurde es von Oberst S. aus der Abteilung M zur Überwachung des Postverkehrs.

Im Begleitschreiben ist von einer »operativ-bedeutsamen Briefsendung« die Rede:

Durch unsere Abteilung wurde eine Briefsendung ohne Absenderangabe Empf.: Polizeirevier Prenzlauer Allee Berlin-Ost im Posteingang aus Berlin-West festgestellt. Die Sendung wurde wegen Hetzverdacht geöffnet.

Der Inhalt des handschriftlich verfassten Briefes lautet:

Berlin, den 12. 12. 1974 An das Pol. Rev. Prenzlauer Allee: Frl. Walusch Friedrich 1055 Berlin, Prenzlauer Allee 48 bereitet seit vielen Wochen, mit Hilfe ihrer ausländischen Freunde und ihrer Mutter, die Übersiedlung nach West-Berlin vor.

20. Januar 1975 In der Abteilung VII wird als Folge des Schreibens unter der Tgb.-Nr. 1057/75 ein erster vierseitiger Ermittlungsbericht erstellt.

Am 26. Februar 1975 berichtet der ehemalige Leiter der Diensteinheit VIII, Gen. Oberst S., ausgiebig von seiner Begegnung mit der Frau F. in einer Gaststätte.

Am 4. April 1975 wird ein Mieter des Hauses, ein Nachbar der Friedrich, befragt. Er bietet seine Mitarbeit sogar freiwillig an. Da er momentan ohnehin krankgeschrieben sei, könne er sich die Autonummern der Besucher gerne notieren. Der Mieter soll in zwei Wochen wieder befragt werden.

Im April 1975 schickt die Stasi einen inoffiziellen Mitarbeiter (IM) zu Frau Waltraud Friedrich in die Prenzlauer Allee 48.

Oberstleutnant N. aus der Abteilung XX/3 vermerkt am 7. Mai 1975:

Information Eine zuverlässige Quelle berichtete: Am 14. 4. 1975 besuchte die Quelle auftragsgemäß die »Valluscha Friedrich« in ihrer Wohnung. Der IM traf in der Wohnung einen ihm namentlich nicht bekannten Guinesen aus Westberlin und eine Guinesin aus der Hauptstadt, von der ihm der Name ebenfalls nicht bekannt ist, an.

Später kam der jetzige Geschäftsführer der Westberliner Gaststätte »Tamtam« hinzu.

Aus der Unterhaltung mit der Friedrich ging hervor, daß sie ein festes Verhältnis mit dem Michele [dem Geschäftsführer des Tamtam, Anm. d. Verlags] unterhält und daß er sie mindestens einmal in der Woche in der Hauptstadt besucht.

Aus der Unterhaltung mit Michele ging hervor, daß er in der Sowjetunion Rechtswissenschaften studiert hat. Zur Sowjetunion hat er eine negative Meinung. Er erklärte dem IM, daß sich die Russen schlecht zu fremden Menschen verhalten. Der IM versucht mit ihm ein persönliches Gespräch zu führen. Dabei kam er zu der Einschätzung, daß Michele in dieser Beziehung harmlos ist. Am 21. 4. besuchte der IM die Friedrich wieder. Michele wurde an diesem Tag gegen 20.00 Uhr erwartet. Aus der Unterhaltung mit der »Friedrich« ging hervor, daß jeweils montags Schließtag in der Gaststätte in Westberlin ist und sie zu diesem Zeitpunkt in die Hauptstadt kommt.

An diesem Tage erzählte die Friedrich dem IM, daß ihre Mutter aus Westberlin in die Hauptstadt gekommen ist. Anzeichen für eine beabsichtigte Republikflucht konnte der IM nicht feststellen.

N.

Oberstleutnant

Dieser Bericht entstand einen Tag vor unserem ersten Fluchtversuch, fast fünf Monate nachdem der Brief eingeworfen wurde.

Wer war die Person, die, aus dem sicheren Westberlin heraus, einen derartigen Denunziantenbrief verschickte und damit billigend in Kauf nahm, dass jemand deshalb ins Gefängnis kommt?

Nur gut, dass meine Mutter und ich zu diesem Zeitpunkt von alledem nichts wussten.

Gedanken im Kofferraum

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