Читать книгу Gehen - Томас Эспедал - Страница 10

4

Оглавление

Direkt gegenüber von dem Haus in der Vestre Torggate, in dem ich als Kind lebte, liegt eine Gaststätte. In dieser Gaststätte befindet sich eine Theke. An dieser Theke habe ich zwei Jahre fast jeden Abend gesessen und getrunken. Von meinem Tisch am Fenster aus habe ich zu jenem Fenster hinaufschauen können, an dem ich als Kind stand und zu den Lampen hinter der Glasfront hinabstarrte, unter denen ich jetzt sitze.

Gut möglich, dass sich unser Leben im Umkreis weniger entscheidender Orte abspielt und ich zu einem dieser Orte zurückgefunden habe. Eine Straße. Sie führt aufwärts, steigt steil an und kreuzt eine Stichstraße, ehe sie in Treppen übergeht; die Stufen zur Johanneskirche hinauf. Die Gaststätte liegt links, mein Elternhaus rechts; vor dem Hauseingang gibt es ein viereckiges Fleckchen Garten und einen Baum, ich glaube, es ist eine Buche, ich schreibe, dass es eine Espe ist, und hinter dem Eingang, in der Gaststätte, steht eine hufeisenförmige Theke, und hier sitzt meine neue Familie. Ja, das Lokal erinnert wirklich an ein Wohnzimmer. Hier sitzen mein Trinkbruder und meine Trinkmutter und mein Trinkvater, und dort sitzt meine Trinkschwester, sie gibt mir Bier und Zigaretten. Aber ich möchte allein sitzen. Ich möchte die ersten Biere allein mit den Gläsern und der Theke und dem Wirt trinken. Lauschen und schauen. Die immergleichen alten Geschichten hören, die gleichen Gesichter sehen und ein Anderer werden.

Wer wirst du sein? Wem wirst du begegnen? Wo wirst du landen? Was wird geschehen? Sich an die Theke zu setzen ist, als bräche man zu einer Reise auf. Trinken ist wie reisen, ohne sich vom Stuhl zu rühren.

Die Dunkelheit ist ein Ort, das Licht ist ein Weg, schrieb Dylan Thomas. Ich befinde mich in der Dunkelheit, habe meinen Stammplatz an der Theke gefunden und bestelle ein Bier. Das erste ist gut. Das zweite am besten. Das dritte ist besser als das erste, das vierte ist ganz ausgezeichnet, das fünfte auch, bei den restlichen geht es nicht mehr um den Geschmack, sondern ums Trinken, es geht um den Rausch. Ein gutes, langsames Vergessen. Nicht wie bei Wein oder Schnaps, nicht so ungeduldig, nicht so beflissen; wir werden hier lange sitzen, das ist die Kunst, zu sitzen und zu trinken, einen ganzen Abend bis in die Nacht hinein, darin besteht die Kunst: so lange ruhig sitzen zu bleiben, bis du dich bewegst. Sachte und unbeschwert reist du fort von dir selbst.

Man muss sich diesem Gedanken einmal stellen: Du wirst dein Leben lang mit dir selbst leben. Du kannst eine neue Geliebte finden, du kannst Freunde und Familie verlassen, verreisen, eine neue Stadt und neue Orte finden, du kannst verkaufen, was du besitzt, und dich von allem trennen, was dir nicht passt, aber solange du lebst, wirst du dich nie von dir selbst trennen können.

Es gibt Phasen im Leben, da sagst du dir: Du bist eine ungeduldige Person. Es gibt Phasen im Leben, da hast du Lust, auf den Hund zu kommen. Vor die Hunde und heim zu gehen. Du trinkst und gehst zu Bruch, du sinkst. Du arbeitest hart daran, bis zum Grund zu sinken. Du bist auf dem Weg nach unten, und das Gute an dieser Zerstörungsarbeit ist, dass du sie genießt.

Es gibt simplere Gründe dafür, dass ich trinke. Ich liebe Alkohol. Ich mag diese Theke. Hier fühle ich mich zu Hause. Es ist eine gute Theke. Die Theke ist ein guter Ort, ein Trinkort. Die Theke ist ein perverses Zuhause, ein unmögliches Wohnzimmer.

Es ist Dienstag, der beste Abend. Das Lokal ist voll, ich mag Gedränge. In eine niedrigere Einheit zu fallen, in eine Art untere Gemeinschaft; eine betrunkene Gesellschaft. In diesem Moment hat die Uhr zwölf geschlagen, es ist weder Dienstag noch Mittwoch, es ist Trinkzeit. Es ist Zeit, zu verschwinden, hier, inmitten deiner Freunde und deiner neuen Familie und all jener, die du nicht kennst. Du sitzt an der Theke und trinkst. Du hast dich in die Menge geworfen, und ohne dass es jemandem auffallen würde, sinkst du bis zum Grund hinab und bist fort.

Gehen

Подняться наверх