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Kapitel 5

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Was?, dachte Mara Lorbeer, als sie sich völlig unvermittelt auf der Straße wiederfand. Sie sah sich um und starrte in das Gesicht von Professor Weissinger.

Der Professor verzog das Gesicht.

»Zahnputzzeug ist in deinem Koffer, stimmt’s?«

Mara war nicht in der Stimmung für Witze, aber vermutlich war das gerade eben nicht mal witzig gemeint. Verstohlen hauchte sie sich kurz in die hohle Hand und sog die Luft durch die Nase ein. Oh. Kein Witz. Um Gottes willen. Um davon abzulenken, versuchte Mara trotz massivem Frustaufkommen irgendwie ein Gespräch in Gang zu bringen. »Wieso war das jetzt plötzlich vorbei? Da geht das so ewig, und dann fehlt der Schluss.«

Der Professor schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, das musst du die beiden da fragen.« Doch die beiden Raben machten nicht den Eindruck, als hätten sie dem Ganzen noch etwas hinzuzufügen.

Sofort platzte es aus Mara heraus: »Schon klar, dass ihr jetzt wieder nix sagt! Hauptsache, ich weiß, dass ich ein Fass bin, toll!«

Professor Weissinger sah sie mit leuchtenden Augen an. »Aber Mara, abgesehen davon … es war doch einfach unglaublich! Odin, Thor, Freya, Heimdall … Ich habe sie alle gesehen! Mara, ich habe die alten Götter gesehen!«

Mara seufzte. »Ja doch, ich doch auch. Aber was bringt uns das? Was machen wir jetzt damit?«

Aber der Professor war noch viel zu aufgeregt, um einen klaren Gedanken zu fassen. »Und ich hatte recht, hahaha! Odin sieht aus wie Gandalf! Oder sieht Gandalf aus wie Odin, hihi? Ich glaub das einfach nicht! Da saßen sie alle! Da gingen die Götter zu den Richterstühlen, hohe Götter hielten Rat! Alle, direkt vor mir, ich hätte Thor in die Backen kneifen können.«

»Bin echt froh, dass Sie das nicht gemacht haben. Aber noch mal meine Frage …«

Der Professor klappte beide Zeigefinger aus und hielt sie vor Maras Nase. »So nah war ich! SO NAH!«

Mara sah ihn schweigend an. Sie blinzelte nicht einmal. Der Professor verstand, verharrte aber in der gebückten Position und sprach in einem besonders ruhigen und abgeklärten Ton: »Einen Moment bitte noch, Mara, ich brauche nur ein paar Minuten, um mich zu beruhigen. Ich hab’s gleich.«

»Versprochen?«

»Versprochen.«

»Gut. Viel Spaß.«

»Danke«, sagte der Professor ganz ruhig, ließ sich dann aber recht plötzlich auf die Knie fallen und drückte sich mit beiden Händen die Backen zusammen.

»Ifff habe Obiimm geffehmmm!!!!«, presste er zwischen zusammengepressten Lippen heraus und verfiel dann in ein unterdrücktes Kichern.

Mara sah seinem Treiben eine Zeit lang zu und wendete sich dann ab.

Die beiden Raben saßen immer noch auf dem Ast und blickten auf sie herunter. Mara war die Reaktion des Professors ziemlich unangenehm, und sie verspürte irgendwie den Drang, es den Raben erklären zu müssen.

»Wisst ihr, er … er freut sich eben«, sagte Mara. »Professor Weissinger beschäftigt sich schon viele, viele Jahre mit den Göttern und dem allem. Hat sogar ein Lexikon drüber geschrieben. Und das gerade eben war für ihn eben etwas sehr Besonderes …«

Hugin – oder war es Munin – musterte Mara eindringlich. »Wir verstehen sein Gebaren, Litilvölva. Er hat die Götter gesehen. Weniger kräftige Männer im Geiste sahen wir schon daran zugrunde gehen, schwache Priester dem Wahnsinn verfallen.«

»Was wir jedoch nicht verstehen«, sprach der andere Rabe, »ist deine Ruhe.«

Mara sah die Raben erstaunt an. »Meine Ruhe? Also bitte, was soll das denn jetzt? Soll ich mich auch auf dem Boden rollen und Odinodinodin rufen? Tut mir echt leid, dass mich ein paar Leute mit Hammer, Bart und Augenklappe vielleicht nicht mehr sooo schockieren wie der Drache auf der Ludwigsbrücke oder ein hochhausiger römischer Zenturio aus Millionen kleiner Flammen!«

Mara bemerkte gar nicht, wie der Professor innehielt und ihr mit nachdenklichem Gesicht zuhörte, während sie auf die Raben einredete. »Oder meint ihr, ich soll erst mal einen gepflegten Heulkrampf kriegen? Ist es das? Ey, da hätte ich grad sogar jede Menge Lust drauf! Ich weiß nicht, ob ihr das auch gehört habt, aber ich hab grad aus erster Hand erfahren, dass ich selbst gar nix kann, außer ein Fass sein! Ein verdammtes Fass! Vielen Dank, echt jetzt! Das ist nicht nur kein Kompliment, sondern auch noch deswegen echt kacke, weil ich eben doch nix kann!«

Der Professor legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Also Mara, das stimmt doch so überhaupt nicht.«

»Doch, das stimmt eben schon!«, rief Mara aufgebracht. »Ich bin also eine Spákona, und? Wow, toll! Wenn die Götter nicht grad ein bisschen Kraft für mich überhaben, dann kann ich genau das, was ich vorher schon konnte und gar nicht wollte: Sachen sehen, die ich gar nicht sehen will! Und nur weil ich Sachen sehe, die ich gar nicht sehen will, muss ich Sachen machen, die ich gar nicht machen will! Und gar nicht kann! Ich will nicht die Welt retten, und ich kann’s auch gar nicht, verdammt. Warum machen das nicht die, die dafür ausgebildet sind?«

»Ach du liebe Zeit, wer sollte das denn sein?«

»Na, der Siegfried von mir aus! Der soll einfach sein Schwert nehmen und auf den Dr. Thurisaz draufhauen! Wie das die Leute eben so machen, wenn sie ein Schwert haben!«

Der Professor seufzte. »Ich verstehe ja, was du meinst. Aber was sollte das denn bitte bringen?«

»Na, das bringt schon mal, dass irgendwer auf den Thurisaz draufgehauen hat, und … und … das ist schon mal eine ganze Menge!«

Professor Weissinger fasste Mara an beiden Schultern und hielt sie fest, als wolle er dafür sorgen, dass sie nirgendwo anders hinsehen konnte als direkt in seine Augen. Dann erst sprach er ganz ruhig und trotzdem eindringlich: »Mara. Bitte entschuldige, dass ich vorhin so einen Unsinn gesagt habe. Ich sehe, dass ich damit eine Menge Schaden angerichtet habe, und es tut mir wirklich leid. Alles das, was wir gerade eben gesehen haben, mag auf dich jetzt so wirken, als wäre es die Bestätigung dessen.«

Mara nickte. Genau so hatte sie es empfunden. Aber sie sagte nichts. Dafür sprach der Professor weiter: »Aber das ist einfach falsch! Du bist trotz allem die Einzige, die die Kräfte der Götter überhaupt nutzen kann, verstehst du das denn nicht?«

Überraschend wand sich Mara plötzlich aus dem Griff des Professors und drehte sich weg. Dann ging sie einfach los, weiter die Straße hinunter. Sie musste nachdenken. Alleine.

Raff es, Mara, sprach sie zu sich selbst. Du bist jetzt wieder genau das, was du vor ein paar Wochen noch unbedingt sein wolltest. Einfach nur Mara Lorbeer. Okay, du bist Mara Lorbeer, das Fass. Klingt echt dämlich, und ist es irgendwie auch, aber du wolltest nur Mara Lorbeer sein und warst gerade echt zufrieden damit, bis dann der Zweig kam und alles auf den Kopf gestellt hat. Das heißt doch, dass du jetzt nicht schlechter dran bist als vorher. Und es heißt doch auch, dass der ganze Irrsinn in dem Moment aufhört, wo wir den blöden Dr. Riese und seinen Feuerbringer mitsamt dem verdammten Eichhörnchen endgültig erledigt haben. Das ist zwar eigentlich völlig unmöglich, aber wenigstens ein Ziel. Außerdem hab ich keinen Bock mehr auf …

Sie öffnete die Augen und drehte sich wieder um zu Professor Weissinger. »Ich hab keinen Bock mehr.«

Der war ihr schweigend gefolgt und sah sie nun erschrocken an. »Wie meinst du das? Auf was hast du keinen Bock mehr? Auf diese Diskussion? Auf den Feuerbringer? Auf Weltretten?«

»Nein«, widersprach Mara, und ihre Stimme klang plötzlich eiskalt. »Ich habe keinen Bock mehr auf Weglaufen.«

Ein breites Grinsen teilte den Bart des Professors in zwei Hälften. »Das trifft sich gut, Mara, denn darauf hab ich auch keine Lust mehr.« Er drehte sich schwungvoll um zu den beiden Raben, die sich gerade auf einem der Begrenzungspfosten an der Straße niedergelassen hatten, und deutete mit einem ausgestreckten Zeigefinger auf sie. »Ihr beiden! Ihr kommt ab sofort mit, denn ihr seid unsere Verbindung zu den Göttern. Sobald die wieder aufwachen und einer von ihnen ein bisschen Saft übrig hat, sagt ihr uns Bescheid. Ich will dann wissen, welcher Gott es ist, und wann er Mara seine Kräfte zur Verfügung stellt. Und wenn möglich wüsste ich auch gerne, wann diese Kraft jeweils aufgebraucht ist.«

»Das ist kein Problem«, warf Mara ein. »Das kann ich inzwischen ziemlich genau sagen. Aber es wäre echt gut, wenn ich vorher wüsste, was ich jetzt gleich kann. Für kurz.«

Ehrlich gesagt, gefiel ihr die Idee von Professor Weissinger sogar ganz gut. Es fühlte sich richtig gut an, dieser ganzen Götterkraftgrütze nicht mehr so hilflos ausgeliefert zu sein. Allein der Gedanke, in Zukunft zu wissen, ob sie die Vision einer Spinne im Pausenhof erschaffen, Lindwürmer beamen oder das Wasser kontrollieren konnte, würde eine Hilfe sein und ihr endlich ein bisschen mehr Kontrolle geben. Sie hütete sich aber, das dem Professor zu zeigen. Offiziell war sie noch im BoahBinIchGenervtModus, und den gab man nicht so einfach auf.

Früher, als ich kleiner war, sprang dabei wenigstens ab und zu ein Eis raus, dachte sie und musste fast grinsen.

Der Professor suchte noch bei den Raben nach irgendeiner Art von Zustimmung oder Ablehnung. Aber sie saßen nur da und starrten ihn an. Professor Weissinger wartete noch einen Moment, dann nickte er. »Ich werte euer Schweigen als Zusage. Vielen Dank dafür, ihr helft uns damit sehr. Und nicht nur uns, sondern auch Odin und allen anderen.« Voller Elan drehte sich der Professor zu Mara um. »Also, dann gehen wir jetzt zurück nach Osnabrück, holen unterwegs in Kalkriese unser Zeug und steigen dann in den Zug nach München. Und dort …«

»Dort kümmern wir uns um Thurisaz«, sagte Mara und wollte gerade noch einen markigen Spruch über Eichhörnchen, Puschelschwänze und einen Tacker loswerden, als sie der Blick des Professors verstummen ließ. Gleichzeitig knirschte etwas, ein lautes Zischen war zu hören, die Straße verdunkelte sich, und Mara fuhr erschrocken herum.

Sie blickte auf einen Truck.

Mara und der Feuerbringer

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