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Kapitel 2

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Erst sah Mara gar nicht, was er meinte. Doch dann stellte sie fest, dass sich ihnen ein kleiner Punkt näherte. Und zwar mit hoher Geschwindigkeit und das auch noch mitten auf der Straße. War das Ding einfach nur verdammt weit weg und darum so klein oder …

Nein. NEIN! »Ratatösk!«, schrie Mara ebenso erschrocken wie wütend auf und riss ihren Stab empor.

»Warte!«, rief der Professor, doch es war zu spät. Mara hatte bereits auf das verdammte Eichhörnchen angelegt und ließ dem Wasser freien Lauf.

Zu beschreiben, was daraufhin aus dem Stab kam, wäre Mara nicht leicht gefallen. Tröpfeln wäre zu wenig, aber Strahl traf es auch nicht so recht. Okay, Rinnsal? Na ja, es war zu schnell wieder vorbei, als dass man es hätte rinnen sehen.

Etwas bedröppelt musterten Mara und der Professor die kleine Pfütze auf dem Asphalt direkt vor Maras Füßen. »Scheint, als wären die Götter noch ganz schön geschlaucht von gestern«, bemerkte der Professor trocken.

Mara nickte. Ja, das war tatsächlich der beste Beweis für das, was Odins Raben ihnen erklärt hatten: Die alten germanischen Götter hatten Mara in den letzten Wochen immer wieder ihre Kraft geliehen, und nur so hatte sie anscheinend all diese Wunderdinge vollbringen können. Odin und Konsorten hatten gestern im ganzen Land ein gigantisches Nordlicht an den Himmel gezaubert, um die Menschen davon abzulenken, den Spruch des Feuerbringers aufzusagen. So hatte er keine Kraft mehr schöpfen können, und Mara hatte ihn zum zweiten Mal besiegt. Die Aurora war den Göttern großartig gelungen, obwohl sie nur noch einen Bruchteil ihrer alten Macht zur Verfügung hatten. Und jetzt waren sie wohl ganz schön ausgelaugt und hatten nichts mehr übrig für Maras Wasserspielchen.

Mara schluckte den mächtigen Frust hinunter, der in ihr aufstieg. Endlich hatte sie sich dran gewöhnt, dass sie all diese coolen Dinge konnte, und nun konnte sie also doch nix. Zumindest nicht alleine.

Vielen Dank auch für diesen Dämpfer, dachte sie nur und griff den Stab fest mit beiden Händen. Das Eichhörnchen war vielleicht noch fünfzig Meter entfernt und hielt immer noch direkt auf sie zu.

»Komisch, bisher hat es immer aus dem Hinterhalt angegriffen«, ließ sich der Professor vernehmen. »Hat jetzt wohl die Faxen dicke.«

Mara nickte. »Sieht so aus, ja.« Sie griff ihren Stab noch ein bisschen fester. »Ich aber auch.«

Schon stellte sie sich in Gedanken vor, wie sie das Eichhörnchen damit quer über die Straße schmettern würde. Vielleicht hab ich Glück, und es kommt grad ein Laster. Mit Beton drin. Patsch, und es hat sich ausgehörnchent. Unter normalen Umständen hätte Mara so ein Tierchen einfach nur süß gefunden. Aber dieses Viech hatte von ihr keine Gnade zu erwarten, denn es war die puschelige Ausgeburt der Hölle!

Auch Ratatösk selbst hätte Mara, ohne zu zögern, vor den nächsten Reisebus geschubst. Es wollte an Maras Stab – und an den kleinen Bronzedelfin daran, koste es, was es wolle.

»Warum nur will Ratatösk unbedingt deinen Stab«, überlegte der Professor laut, während er am Straßenrand nach irgendetwas suchte, das gegen mythologische Eichhörnchen half. »Der bringt ihm doch nix ohne die Götterkräfte. Ebenso wenig wie dir.«

Aua. Mara spürte die Worte des Professors wie einen Stich mitten ins Herz. Er war also auch der Meinung, dass Mara ohne die Unterstützung der Götter nichts wert war? Sie war genauso nutzlos wie der Stab?

Mara bemerkte gar nicht, dass sie dabei die Arme sinken ließ, obwohl das Eichhörnchen immer näher kam.

Da drehte sich der Professor herum und richtete sich auf. In der rechten Hand hielt er einen großen Stein. Er war wohl tatsächlich zu allem entschlossen.

Überraschenderweise stoppte das Mistvieh etwa zehn Meter von ihnen entfernt. Einen Moment lang geschah gar nichts, als sich die Kontrahenten musterten wie bei einem Westernduell.

Die tiefe Morgensonne hinter Ratatösk warf den grotesk langen Schatten des winzigen Tieres über die Straße. Nichts war zu hören, außer dem leisen Rauschen der Bäume im Wind. Es schien, als hätten sich auch alle anderen großen und kleinen Tiere links und rechts der Straße zurückgezogen, um nicht von einem Querschläger getroffen zu werden. Mara musste die Vorstellung unterdrücken, wie eine Mäusemama ihre Kinder aufgeregt in den Bau zurückzog. Jetzt war nicht der Moment für Kopfkino. Allerdings war jetzt auch nicht der Moment für Westernduelle. Genau genommen, war jetzt der Moment für gar nichts. Und genau danach war Mara im Moment.

Sie warf den Stab mit dem Delfin vor sich auf die Straße, als wäre es ein Stück wertloses Holz. »Da. Und jetzt verpiss dich«, sagte sie nur und ging dann einfach weiter.

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie der Professor sie erstaunt anstarrte. Aber das war ihr leider gerade völlig egal. Er hatte selbst gesagt, dass der Stab nichts wert war, und der blöde Delfin oben drauf war ja auch schon längst leer gezaubert. Also, was sollte sie sich noch groß mit dem elenden Eichhörnchen darum streiten?

»Ist das so etwas wie ein Plan? Dann erklär ihn mir bitte, denn ich verstehe ihn nicht!«, raunte der Professor ihr zu.

»Nein. Kommen Sie?«, antwortete Mara nur, ohne sich umzudrehen, und ging einfach weiter die Straße entlang. Das Eichhörnchen sah erst sie verwirrt an und dann wieder den Stab auf der Straße. Und zurück, und wieder hin und wieder her. Erstaunlich, dass diese kleinen Tiere sich so schnell bewegen konnten, dass man immer nur die Endpose sah, aber nicht die Bewegung selbst. Erstaunlich und egal. Mistviech.

»Aber, Mara! Was … was soll das?!«, hörte sie Professor Weissinger hinter sich rufen, aber sie antwortete nicht, sondern ging einfach weiter. Er konnte sich doch selbst zusammenreimen, was sie da tat. Schließlich hatte er es selbst gesagt, oder nicht?

Alles in ihr schrie danach, sich herumzudrehen und zu ihrem Stab zurückzurennen. Aber ihre Beine liefen wie von selbst immer weiter, und sie konnte nicht stoppen. Ratatösk schien wohl eine Falle zu wittern, denn es machte keine Anstalten, den Stab zu ergreifen. Oder es war einfach nur verwirrt. Obwohl Mara gerade verdammt frustriert und sehr genervt war, bereitete ihr das doch eine gewisse Freude. Trotzdem blieb sie nicht stehen.

Mara passierte das Eichhörnchen und würdigte es dabei keines Blickes. Aus den Augenwinkeln sah sie aber, wie Ratatösk sich schließlich doch entschloss, das Wagnis einzugehen. So blitzschnell, wie es seine Art war, schoss es los.

Mara hörte, wie der Professor einen wütenden Laut ausstieß und gleich darauf das Plockediplock des schweren Steins auf dem Asphalt. Er hatte ihn wohl nach dem Eichhörnchen geworfen, aber natürlich nicht getroffen. Stattdessen raste nur Sekunden später ihr eigener Stab an Mara vorbei. In der Mitte befand sich etwas Rotes, das sich so schnell bewegte, dass man es nur schemenhaft erkennen konnte: Ratatösk hielt den Stab quer umklammert und trug ihn mühelos in den Pfoten, während es die Straße entlangschoss. Dann bog es überraschend ab, und schon waren Eichhörnchen und Stab in dem angrenzenden Feld verschwunden. Nur die Halme der Pflanzen zeigten noch ein paar Sekunden lang, wo es sich befand, und dann regte sich gar nichts mehr. Stille trat ein, und Mara blieb stehen.

Da erst bemerkte sie, dass sie zitterte. Sie kannte dieses Gefühl. Das hatte sie immer, wenn sie begriff, dass sie gerade eine besonders dämliche Grütze verbrochen hatte. Instinktiv machte sie sich bereit für den lautstarken Anschiss ihrer Mutter. Stattdessen folgte ein lautstarker Anschiss von Professor Weissinger.

»Was war DAS denn, in drei Teufels Namen!?«, rief er, während er näherkam. »Ich kann es gar nicht glauben, und doch hab ich es gesehen! Du hast dem Viech deinen Stab überlassen? Kampflos?! Mit dem Delfin? Der Delfin aus dem Museum, den wir Steffi zurückgeben müssen?«

Nein! Mara wäre am liebsten im Boden versunken. Ganz egal, ob die Kraft des Delfins aufgebraucht war – er gehörte ihr nicht, und sie hatten versprochen, ihn zurückzubringen.

»D… daran hab ich gar nicht … ich dachte nur«, purzelte es kleinlaut aus ihr heraus.

»Du dachtest? Das möchte ich an dieser Stelle mal höchst wissenschaftlich anzweifeln, Mara Lorbeer! Wenn du gedacht hättest, dann hättest du das nicht getan!«

»Es ist doch nur, weil Sie gesagt haben, der Stab ist eh wertlos! So wie …« Maras Stimme versiegte, und gleichzeitig erweichte sich auch der Blick von Professor Weissinger.

»Du liebe Zeit, das war es also. Ach Gott, wie konntest du das nur so falsch verstehen.« Niedergeschlagen ließ sich der Professor auf einem verwitterten Grenzstein am Straßenrand nieder.

»Das tut mir leid«, sagte er und starrte zu Boden.

»Nein, mir«, entgegnete Mara sofort.

»Nein, mir. Ich wollte dir doch nicht das Gefühl geben, du wärst wertlos!«

»Nein, mir, weil Sie ja recht haben und ich den Delfin nicht hätte weggeben dürfen!«

»Nein, mir, aber trotzdem«, antwortete der Professor und musste dabei ein kleines bisschen grinsen.

»Immer einmal mehr als Sie«, sagte Mara und grinste auch.

»Immer einmal mehr als du plus tausend unendlich«, erwiderte Professor Weissinger. »Und mit der Unendlichkeit kenne ich mich besser aus als du! Weil ich älter bin und weil ich Wissenschaftler bin, nämlich!« Dabei stampfte er mit dem Fuß auf und machte ein dermaßen beleidigtes Leberwurstgesicht, dass Mara losprusten musste.

Da war der Professor auch schon aufgestanden und schlang seine Arme um Mara. Sie konnte und wollte gar nicht anders und schlang die ihren um ihn. Kaum war das geschehen, begann sie auch sofort, bitterlich zu weinen. Mara spürte, wie sie dabei zitterte und wie ihre Knie weich wurden, aber sie konnte nicht aufhören. Sie hörte die Stimme des Professors wie durch einen Schleier. »Es wird alles gut … Du schaffst das … Wir schaffen das zusammen, Mara«, sagte er, und obwohl seine Stimme beruhigend klang und einfach nur guttat, konnte Mara nicht aufhören zu weinen.

Mara und der Feuerbringer

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