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Kapitel 10

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Als Mara in die Halle der Gefallenen trat, war dort kein einziger Gefallener. Stattdessen räumte eine kleine Armada an Frauen die Tische ab, wischte Bier vom Boden auf und rückte Bänke an ihre Stelle. Von draußen tönte Kampfeslärm.

Ist mal wieder typisch, dachte Mara. Die Jungs toben draußen rum, und die Mädels räumen auf. Dann kommen die Jungs nach Hause, sauen mit ihren Straßenschuhen wieder alles ein und wollen dann aber, dass die Mädels über die Schrammen am Knie pusten.

Andererseits … Mara überlegte. Vielleicht wollte sie doch lieber hier drin Teller stapeln, wenn die Alternative war, sich da draußen gegenseitig mit Schwertern die Birne runterzuhauen.

Genug davon. Mara griff sich ein grobes Leinentuch, das zusammengeknüllt in einer Ecke lag, wickelte es notdürftig über ihre moderne Kleidung und band es mit ihrem Ledergürtel an der Hüfte zusammen. Schließlich schulterte sie noch eine große Holzschüssel, um irgendwie einen arbeitenden Eindruck zu machen, und wagte sich aus der Deckung. Sie blieb trotzdem im Schatten zwischen den Holzsäulen und der Wand, um nicht aufzufallen.

Sie musste gar nicht lange suchen, als sie die Exfrau des Professors schon erkannte. Zugegeben, das war auch nicht sonderlich schwer. Stefanie Warnatzsch-Abra stand umringt von einer Gruppe Frauen auf einem der Tische und redete in einer fremden Sprache auf sie ein. Die Frauen hörten gebannt zu und nickten dabei eifrig. Mara wagte sich etwas näher heran und versuchte, die Aufmerksamkeit von Steffi zu erhaschen. Doch die war voll in ihrem Element und sprach wie ein Wasserfall. Vereinzelt wurden nun zustimmende Rufe laut. Anscheinend traf Steffi einen Nerv mit ihrer Rede.

»Psst! Frau Warnatzsch-Abra! Hallo, ich bin’s!«, zischte Mara zu ihr hinauf, aber sie drang nicht durch.

Verdammt, jeden Moment kommt wieder irgendein Gott mit Wölfen, Raben oder abbem Arm hier rein, und dann hab ich’s dreifach schwer, ärgerte sich Mara. Sie spürte kurz prüfend in sich hinein und stellte fest, dass ihre Kraft nicht ausreichen würde, um mit Steffi zusammen hier zu verschwinden. Okay, das ist blöd, dachte sie und sah sich etwas ratlos um. Da entdeckte sie etwas, das ihr bekannt vorkam: Eine große Schale Äpfel stand auf dem Tisch, an dem Odin gesessen hatte. Sofort war Mara klar, dass dies keine gewöhnlichen Äpfel sein konnten, denn sie schillerten golden im Licht, das von oben zwischen den Schilden hindurch in die Halle fiel.

Hatte der Professor da nicht etwas erzählt? Irgendwas mit Äpfeln, die Loki geklaut hatte? Wie war das noch gleich? Auf jeden Fall waren die Dinger irgendwie wichtig für die Götter, und was für die Götter gut war, konnte doch wohl kaum schlecht für Mara sein, oder?

Okay, bei Adam und Eva war die Apfelnummer echt schlecht ausgegangen. Hm …

Sie blickte noch einmal verstohlen auf die Früchte. Ja, die sahen auf jeden Fall so aus, als wären sie voll mit … mit Zauberdings.

Und ich brauch jetzt ganz dringend was mit Zauberdings, dachte Mara entschlossen. Im schlimmsten Fall hab ich dann halt weniger Hunger, und das ist auch nicht so schlecht.

Vorsichtig zog sich Mara aus der Gruppe der Zuhörerinnen zurück und näherte sich der Schale. Als sie nah genug dran war, drehte sie sich mit dem Rücken zum Tisch und streckte heimlich die Hand aus ihrem improvisierten Kleid. Blind tastete sie sich an der Schale hoch und griff sich einen der Äpfel.


AU! Mara zuckte zurück und starrte auf ihren blutigen Handrücken. Auf dem Tisch stand ein Rabe und funkelte sie wütend an.

»Hugin! Oder Munin! Spinnst du oder was?«, rief sie und hielt sich die schmerzende Hand. »Ich sag dir, das wirst du noch bereuen, wenn du erst einmal weißt, wer ich bin! Ich rette euch gerade allen den Hintern, verdammt!«

Immerhin hatte sie es mit ihrem Monolog geschafft, dass der Rabe sie verwirrt anstarrte. Ach ja, und auch Steffi schwieg und sah fragend herüber. Zusammen mit ihren Zuhörerinnen.

Okay, na dann … Mara gab sich einen Ruck und rannte los. Sie hörte den Raben krähen und mit den Flügeln schlagen und legte noch einen Zahn zu. Er würde jeden Moment einen Luftangriff starten, da war sich Mara sicher. Und sein Schnabel war eine verdammt fiese, schwarze, spitze Waffe! Trotzdem blieb sie nicht stehen, hob im Rennen den Apfel mit der blutigen Hand zum Mund und biss hinein.

Innerhalb einer Millisekunde fühlte sich Mara … kurzbeinig?

Sie stolperte über ihre Verkleidung, obwohl ihr die doch nur bis zu den Knien ging, und wollte sich mit den Händen an einem der Tische abstützen. Doch irgendwie war der Tisch weiter weg, als sie dachte. Mara prallte fies mit der Schulter auf eine der Bänke, bevor sie auf dem Boden aufschlug.

Gerade noch rechtzeitig hörte sie ein verräterisches Flattern über sich und hatte noch die Geistesgegenwart, die große Holzschüssel wie ein Schild über ihren Kopf zu halten. Es machte laut BONK, und direkt danach machte es leise »Krächz«. Neben ihr fiel der Rabe bewusstlos zu Boden.

»Tut mir leid!«, quietschte Mara seltsam, rappelte sich auf und lief weiter auf Steffi zu. »Frau Warnatzsch-Abra!«, rief sie und wunderte sich über ihre eigene schrille Stimme.

»Mara?!«, antwortete Steffi und sprang vom Tisch. »Aber … aber du … du bist …«

»Ja, ich weiß, ich war weg, aber jetzt bin ich wieder da, und wir hauen hier ab! Ihre Hand!«, piepste Mara heiser und streckte ihre Finger nach Steffi aus. Doch als sie ihre eigene Hand vor sich sah, erschrak Mara so sehr, dass sie fast noch einmal hingefallen wäre. Ihre Finger waren … Fingerchen!?

»Du bist … ein Kind!«, stotterte Steffi und starrte Mara völlig entgeistert an.

»Ich bin ein … aber … was?«, stammelte Mara verwirrt. Und doch schien alles darauf hinzudeuten, dass Steffi recht hatte: die Finger, die kürzeren Beine, die Stimme – Mara hatte sich verjüngt!

Alles, aber doch DAS nicht!, schrie es in Mara, ich hab ewig gebraucht, um vierzehn zu werden, bitte nicht noch mal!

»Du … du hast doch nicht etwa von den Äpfeln der Idun gegessen?!«, rief Steffi erschrocken. »Bist du denn von allen guten Geistern verl…«

Ein lautes Krachen und Knarren ließ sie verstummen, und beide sahen sich um.

Zu allem Überfluss öffnete sich direkt neben ihnen gerade eines der gigantischen Doppeltore. Und noch eins. Und noch eins. Und noch eins. Okay, alle. Und in die Halle flutete durch jedes Tor eine Hundertschaft an blutverschmierten, johlenden und lachenden Wikingern.

Sie warfen ihre Waffen, Helme und Schilde achtlos zur Seite, rissen sich um die Tische, schubsten und schlugen sich feixend und schrien nach Essen und Trinken. Das verstand Mara zwar nicht, aber sie hatte trotzdem keinen Zweifel daran. Was sonst hätten sie brüllen sollen? »Für mich bitte eine Rhabarbersaftschorle mit Strohhalm?!« Oder was?

Da hatte Steffi Mara endlich erreicht und griff mit beiden Händen ihren Arm. »Los, weg hier! Die sind jetzt erst mal beschäftigt.«

Mara verstand erst nicht, was Steffi meinte. Doch als sie zurückschaute zu den Frauen, auf die Steffi vorhin so eindringlich eingeredet hatte, wurde ihr alles klar: Die Frauen sahen den Männern schweigend zu, hatten die Arme verschränkt, die Lippen zusammengepresst und bewegten sich keinen Millimeter.

Steffi grinste schelmisch. »Dachte, es kann auch hier in Walhall nicht schaden, wenn sich die Männer zur Abwechslung mal ihr Bier selber holen. Jetzt aber los.«

Mara nickte und konzentrierte sich.

Mara und der Feuerbringer

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