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Kapitel 3

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Ein lautes »Krah Krah« ließ sie erschrocken zusammenfahren.

Mara kannte nur zwei Raben, die »Krah Krah« sagten, anstatt es zu krähen. Der Professor hatte sie natürlich ebenfalls sofort erkannt. »Hugin und Munin! Wenn ihr keine guten Nachrichten habt, schlage ich vor, ihr kommt später wieder.«

Die beiden Raben hatten sich gerade erst auf einem Ast in Augenhöhe des Professors niedergelassen, machten nun aber sofort Anstalten, wieder loszufliegen.

»Stallþu«, rief der Professor sofort auf Altnordisch, was wohl so was wie Stopp hieß. »Das war ein Scherz!«

Ausdruckslos klappten die beiden Vögel ihre Flügel wieder ein und beschränkten sich erst einmal darauf, stumm von dem Ast herunterzublicken.

Doch auch Mara hatte ein Anliegen. Sie versuchte, sich einigermaßen zusammenzunehmen und kratzte alles zusammen, was sie noch an fester Stimme sammeln konnte. Dann erst bemerkte sie, dass sie den Professor immer noch fest umklammert hielt. Sie löste sich etwas zu schnell, als hätte man sie ertappt. Es war ihr eh immer schon unangenehm gewesen zu weinen. Und unter dem stoischen Blick der beiden komischen Vögel erst recht. Sie räusperte sich ein bisschen albern und sah die beiden Raben dann mit einem möglichst seherischen Blick an. »Erklärt mir bitte jetzt, wie das mit meinen Kräften und den Göttern zusammenhängt«, sagte sie.

Die beiden Raben Odins sahen sich für einen kurzen Moment an, als würden sie sich wortlos austauschen. Dann nickten sie, wie Raben eigentlich nur in animierten Trickfilmen nicken, und Munin begann zu sprechen:

Einst schritten die Rater zum Richterstuhl

Die heiligsten Götter hielten Rat —

»Stallschuh!«, rief Mara sofort dazwischen und hoffte, dass sie das altnordische Wort einigermaßen richtig ausgesprochen hatte. »Bitte diesmal ohne diesen nordisch-germanischen … Reim … Rätsel … Bampf!«

»Ich protestiere«, hörte sie den Professor neben sich, aber Mara hob die Hand. »Ich weiß, dass Sie viel Freude daran haben, das immer wieder zu entschlüsseln und so, aber ich will jetzt mal viel Freude daran haben, dass ich gleich alles verstehe.«

Der Protest des Professors brach sich in Form eines lautstarken Ausatmens Bahn, doch er sagte nichts. Mara blickte auffordernd zu Hugin und Munin. »Also? Wie sieht’s aus? Sagt ihr mir jetzt, wie das alles kam, oder nicht? Ich warne euch aber vor: Wenn ich nicht zufrieden bin mit der Erklärung, dann könnt ihr die so was von alleine retten, eure Welt!«

»Unsere«, verbesserte der Professor.

»Die wissen, was ich meine!«, fauchte Mara zurück, und alle schwiegen.

Ein paar Sekunden lang geschah nichts. Wieder wirkte es so, als würden die beiden Raben stumm miteinander kommunizieren. Doch dann passierte etwas Seltsames. Hugin drehte ziemlich plötzlich seinen Kopf zur Seite und starrte nun mit einem Auge direkt in Maras Kopf hinein. Ihr erster Gedanke war: Hoffentlich schaut der sich da drin jetzt nicht um! Ihr zweiter galt dem Professor, und sie hatte noch die Geistesgegenwart, ihn an der Hand zu packen, um ihn mit einzuschließen.

Aber schon der dritte Gedanke war nicht mehr der ihre. Stattdessen erfüllte die Stimme von Hugin all ihre Sinne. Schnell erkannte sie auch, was er sprach, und im nächsten Moment hörte sie schon nicht mehr, sondern fühlte nur noch …

Heimdall

Wächter der Götter, Bewacher von Bifröst,

Erwacht.

Wie lang schlief ich, wie lang wachte ich nicht?

Warten schon die Feinde, am anderen Ende der Farbenbrücke?

Ist Asgard schon Feuer, der Wohnsitz der Asen vernichtet?

Heimdall öffnet die Augen

Bifröst, prächtiger Regenbogen, einst Weg nach Asgard, zum Wohnsitz

der Götter – kaum mehr als eine Erinnerung …

Asgard, mein Asgard, einst Sitz der Götter, mit den großen Hallen der

Mächtigen – nichts als Reste vergangener Zeiten …

Die Götter, Odin, Frigg, Thor, Freyr und Freya, vergaßen sich – schlafende

Schatten in den Ruinen …

Und Heimdall weint um die Menschen.

Es passte eigentlich nicht zu der Erscheinung des Mannes, und gerade darum wirkte es so rührend. Er mochte auf den ersten Blick wie ein uralter Mann aussehen, mit seinem dichten, weißen Bart und den langen, zotteligen Haaren unter der Lederkappe. Aber die Körperspannung und die drahtigen Muskeln unter der Lederrüstung verrieten, dass er ein Kämpfer war.

Auffallend war außerdem die seltsam geformte Ledertasche auf seinem Rücken. Sie sah so ähnlich aus wie ein Köcher für Pfeile, war aber so gebogen, dass Pfeile dieser Form überallhin, nur sicher nicht ins Ziel geflogen wären.

Gleichzeitig war Mara ebenso verwundert wie auch gerührt, dass er nicht nur um sich und die alten Götter in Sorge war, sondern um die Menschen weinte! Ja, Heimdall bangte um die Menschen in Midgard, »der Welt in der Mitte«. Denn wie konnten sie überlebt haben, wenn ihre Götter nicht mehr waren?

Mara wusste natürlich die Antwort, konnte sie ihm aber nicht geben. Sie war nur Zuschauer dieser Erinnerung, musste ohnmächtig zusehen, wie der alte Gott verzweifelt durch die blassen Ruinen stolperte. Doch gleichzeitig spürte sie auch, wie dieser ehemals so mächtige Ort ihr selbst Kraft spendete. Es war nicht viel, gerade wie ein sanftes Kitzeln in den Fingerspitzen, aber es half Mara, sich zu konzentrieren.

Heimdall späht in die größte aller Hallen

Walhall, die Halle der Gefallenen, bei Tag kämpften sie hier, bei Nacht tranken sie und sangen, nun nur mehr ein Haus für Gebeine … die grauen Überreste Tausender Toter, ein zweites Mal gefallen ohne die Macht Allvaters …

Heimdall betritt Odins Palast

Valaskjalf ist kaum mehr als ein Haufen Stein … keine Treppen führen mehr hinauf zu des Rabengotts Thron, der goldene Hochsitz ist nun tief darunter vergraben …

Heimdall gräbt

Warum tut er das?, überlegte Mara. Was will er denn mit dem Thron von Odin? Oder sucht er nach Odin selbst?

»Natürlich! Hliðskjálf

Mara erschrak und ließ einen spitzen Schrei los, der ihr sofort peinlich war. Der Professor hatte gerade direkt in ihrem Kopf gesprochen! Heimdall schien nichts bemerkt zu haben. Er wuchtete nur weiter traurig Stein um Stein von dem Trümmerhaufen.

»Ich kann Sie hören! In meinem Kopf, ganz so als wären Sie neben mir … und trotzdem weit weg!«, sagte, oder besser, dachte Mara in Richtung des Professors. Der dachte lachend zurück: »Eine Seherin, die auch hören kann. Da denk ich doch mal: Respekt.«

Mara ignorierte den Halbscherz. »Das liegt an diesem Ort, Asgard. Da bin ich mir ganz sicher! Ich spür das.«

»Na, vielleicht liegen hier nicht nur die Trümmer der alten Götterfestung, sondern auch noch Überreste der alten Kräfte herum. Möglich wäre es doch. Und wenn nicht hier, wo dann?«, entgegnete der Professor. »Nutz es bitte für einmal Volltanken, wer weiß, wann wir es wieder brauchen.«

»So viel ist das leider nicht … reicht gerade für ein bisschen Kopfradio und Kribbeln in den Fingern«, seufzte Mara. Sie konnte den Professor ja gerade nicht einmal ohne Berührung in die Vision mit einschließen. Sie seufzte und wendete sich wieder dem Geschehen vor ihnen zu. »Also, was sucht der Mann denn da? Irgendwas mit Odins Thron hab ich mitbekommen, aber warum?«

»Nun ich denke, er sucht Odins Hochsitz, Hliðskjálf

Mara wurde ungeduldig. »Okay, er sucht Odins Thron, und der heißt wie eine Mischung aus Schnupfen und Husten. Aber was will er damit?«

»Na, Antworten will er.«

»Und die kriegt er vom Wiglaf?«

»Nein, vom Hliðskjálf, bitte schön, wie Hlið die Öffnung und skjálf, was vielleicht Gerüst oder gar Turm bedeutet. Also in etwa der Blick von oben herab – und zwar auf die ganze Welt!«

Mara hatte schon zu viel Götterzeugs erlebt, um sich nun über einen Thron zu wundern, der einem die ganze Welt zeigte. Dafür war ihr nun auch klar, was Heimdall vorhatte: Er wollte von Odins Thron einen Blick über die Welt werfen, um zu sehen, was passiert war. Oder ob es die Welt noch gibt, dachte sie.

Hliðskjálf, Odins Sitz …

Vorsichtig stellt Heimdall Allfaðirs Blick wieder auf, zögert erst voll Demut, setzt sich dann – und schweigt.

Das Gesicht des alten Gottes sprach Bände. Verwirrung, Bestürzung, Panik, Trauer, Verzweiflung! Mara konnte den Schmerz spüren, den all diese Eindrücke in Heimdall hervorriefen und hätte ihm am liebsten Trost gespendet. Stattdessen sah sie hilflos zu, wie der Wächter sich in Agonie hin und her warf, mit schmerzverzerrter Miene, dabei seine Finger um die Armlehne krallte, bis diese splitterte. Hölzerne Spreißel drangen tief in die Handfläche Heimdalls, aber er ließ nicht los, konnte nicht oder wollte nicht.

»Oh mein Gott«, flüsterte der Professor und merkte dabei gar nicht, wie passend dieser Ausruf gerade jetzt eigentlich war. »Wenn mich nicht alles täuscht, holt der arme Kerl gerade viele Hundert Jahre Menschheitsgeschichte nach.«

Mara schluckte den Spruch So was hätte ich mal im Geschichtsunterricht gebraucht ganz bewusst herunter, denn ihr war eigentlich gar nicht nach Witzen zumute. Warum fielen ihr die eigentlich immer nur in den unpassendsten Momenten ein?

Sie zuckte zusammen, als der morsche Sitz unter Heimdall mit der Lautstärke eines Gewehrschusses brach und der ganze Thron unter ihm zusammensackte. Dazu stürzten die letzten Reste der Treppe ein, und der alte Gott verschwand in einer Wolke aus Holz, Staub und Steinbrocken.

Was … was ist denn jetzt passiert?, dachte Mara in Richtung des Professors.

Mir scheint, dass der alte Thron diesem Ansturm an Geschichte und Geschichten nicht gewachsen war, Mara. Schade, denn ehrlich gesagt, hätte ich das auch gerne einmal ausprobiert, antwortete der Professor ihr in Gedanken, näherte sich dann neugierig den Trümmern und versuchte, den Stein zu berühren. Seine Hand glitt hindurch, und er wirkte enttäuscht.

Mara war fassungslos.

Wie bitte? Haben Sie denn nicht gesehen, wie der gerade gelitten hat, der Heimdall?

Oh, das habe ich wohl, und trotzdem denke ich, das wäre es wert gewesen, gab Professor Weissinger zurück und meinte spürbar jedes Wort ganz genau so, wie er es zu ihr hinüberdachte.

Mara schüttelte nur den Kopf. So viel Wissensdurst war ganz bestimmt nicht gesund.

Da rührte sich etwas in den Trümmern, und der Professor ging zur Sicherheit doch wieder auf Abstand.

»Zäher Hund«, murmelte Mara.

Muss er auch sein, als einziger Wächter vor dem einzigen Eingang zur Festung der Götter, hörte sie den Professor in ihrem Kopf sprechen. Mara nickte. Ja, da stellt man wohl am besten den zähesten Knochen von allen hin.

Sie war beeindruckt von dem alten Gott, der sich da vor ihr aus den Gesteinsbrocken schälte. Mit dem unnachgiebigen Grimm eines Mannes, der schon Dinge gesehen und erlebt hatte, die er am liebsten vergessen hätte, schob er das Geröll von sich und richtete sich wieder auf. Doch kaum stand er wieder auf seinen lederumwickelten Füßen, als er auch schon zu dem seltsamen Köcher auf dem Rücken fasste und mit geübtem Griff etwas daraus hervorzog.

»Ich werd verrückt, jetzt auch noch das Gjallarhorn«, rief der Professor und schlug sich sofort die Hände auf die Ohren. Mara überlegte nicht lange und tat es ihm gleich. Er würde schon seine Gründe haben. Doch kaum hatte sie seine Schulter losgelassen, als er auch schon verblasste und verschwand. Wenn sie den Kontakt zu ihm abbrach, sah er nicht mehr, was sie sehen konnte!

Sofort tat sie das einzig Richtige und machte einen großen Schritt in seine Richtung, ohne die Hände von den Ohren zu nehmen. Kaum berührte ihr Arm wieder den seinen, erschien er wieder und sah sie erleichtert an.

Sie war trotzdem verwundert, als die Stimme des Professors laut und deutlich in ihrem Kopf ertönte, obwohl sie sich die Ohren zuhielt. »Danke, Mara, es wäre wirklich schade, wenn ich das nicht miterlebt hätte. Wobei mir gerade etwas einfällt …« Dann lachte er und nahm die Hände von den Ohren. »Das bringt nix. Ist ja alles in unseren K…«

Alle Fasern von Maras Körper wurden nun von dem wahnwitzigsten Geräusch durchgerüttelt, das sie jemals gehört hatte und sicherlich auch jemals hören würde.

Heimdall stieß in sein Gjallarhorn.

Mara und der Feuerbringer

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