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Kapitel 4

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Eine wahnwitzige Mischung aus Schiffstuten, Drucklufttröte, Schafsblöken und Hilfeschrei schmetterte sich durch die Köpfe von Mara und ihrem Mitstreiter. Es klang so widerlich, als würden vierhundert Schweine durch ebenso viele Vuvuzelas kreischen und dabei so erhaben wie Kirchenglocken.

Können die nicht einmal einfach nur ein ganz normales Geräusch machen, die Götter?!, schimpfte Mara in sich hinein.

Das Ohrenzuhalten half überhaupt nichts, denn natürlich konnte man sich innerhalb einer Vision, die nur im Kopf stattfand, nicht die Ohren zuhalten. Nun gut, natürlich konnte man. Es brachte nur nix.

Mara schlang trotzdem ihre Arme um den Kopf, denn es war nicht auszuschließen, dass dieser von dem Lärm bald platzen würde. Und zwar in fünf, vier, drei …

Odin erwacht

Allvaðir! Heimdall eilt zu dem kaum wahrnehmbaren, schemenhaften Umriss des Oberhaupts der alten Götter, will ihn stützen. Aber seine Hände gleiten durch die Gestalt, er kann nicht helfen. Gleichzeitig erscheinen rundherum weitere Schatten, manche etwas klarer, andere nicht mehr als ein Flirren der Luft.

Der Professor drehte sich um die eigene Achse, deutete hin und her und stieß verzückte Laute aus, die Mara einfach mal als Namen nordisch-germanischer Götter interpretierte.

»ÓðinnÞórrSunnaUllrForsetiSifHöðrViðarrFriggFreyr … ich kann nicht mehr …«

Mara registrierte, dass sie nun tatsächlich von alten Göttern eingekreist waren. Also war das vielleicht der geeignete Moment, um hier abzuhauen. Andererseits war sie nun ganz nah an einer Antwort auf viele, viele Fragen, und sie hatte es gründlich satt, weiter dumm durch die Gegend zu stolpern. Also blieb sie einfach stehen, wo sie war und sah zu, was weiter passierte.

Da kam Heimdall direkt auf sie und den Professor zu, und beide reagierten leider etwas asynchron: Während Mara in Richtung des Professors ausweichen wollte, drängelte der in die entgegengesetzte Richtung, und so blieben sie ein paar wertvolle Sekunden rangelnd in der Mitte wie zwei Schuljungen.

So kam es, dass der alte Heimdall nun im wahrsten Sinne zwischen ihnen stand: Ihn schien es nicht zu stören, dass er jetzt eine Schnittmenge von etwa 85 Prozent mit Mara und dem Professor aufwies. Aber den beiden war das höchst unangenehm, und so einigten sie sich recht schnell auf einen geordneten Rückzug von etwa zwei Metern hinter Heimdall.

»Brr, das war nicht schön«, zischte Mara dem Professor zu. »Der stand echt mitten in uns drin!«

»Ich habe aber nichts gespürt, du etwa?«, fragte Professor Weissinger.

»Außer dass es mir saumäßig unangenehm hoch tausend war? Nö, gar nix«, gab Mara zurück. »Und hat der gerade echt mit der Tröte des Wahnsinns alle alten Götter geweckt?«

»Gjallarhorn«, antwortete der Professor recht einsilbig. »Übersetzt: laut tönendes Horn

»Laut tönend? Die haben es echt drauf mit dem Untertreiben, die nordischen …« Sie verstummte auf der Stelle, als Heimdall das Wort ergriff. »Ihr Asen!«, rief er mit brüchiger Stimme. »Hört mich an! Wachsam war ich, wachsam bin ich und muss es immer sein! So erwachte ich, und wie es scheint, doch zu spät! Asgard ist in Trümmern. Ich saß auf Hliðskjálf, hielt Ausschau, suchte nach den Göttern. Doch keinen der mächtigen Richter fand ich, nur sah ich Loki Asenfeind – immer noch gebunden, doch voller Kraft – in seinem Gefängnis am Ende der Zeit.«

Ein Raunen ging durch die schattenhaften Umrisse, doch einer von ihnen hob nur die Hand, und alle hielten augenblicklich inne.

Heimdall fuhr fort: »Viele Monde sind vergangen, die Welt ist eine andere, und der Eine Gott ist nun mächtig! Viel mächtiger, als wir es sind, vielleicht mächtiger als wir es jemals waren! Einzig voller Kraft noch liegt Loki, gefesselt zwar, jenseits der Welten! Und ich sage euch, es braucht nur noch wenig, und er wird sich befreien!« Heimdalls Stimme wirkte belegt, er wirkte, als würde eine schreckliche Last seine Schultern niederdrücken, als er weitersprach: »Asen! Ihr wisst, was wir ihm angetan. Die Fesseln aus seines Sohnes Gedärmen, gerissen vom Bruder in Wolfsgestalt! Darüber Skaðis giftiges Geschenk, ihn peinigend für alle Ewigkeit! Strafe, ich weiß, Vergeltung für die Schmähungen in Ägirs Halle, für den Tod von Balder, Odins Sohn, Licht unter den Göttern …«

Er verstummte und für einen Moment wurde Heimdalls Blick sanft. Mara wusste, was er dachte. Sie hatte Balder selbst kennengelernt, bei ihrem unfreiwilligen Besuch in der nordischen Unterwelt. Balder hatte sie vor der Todesgöttin Hel beschützt, kurz bevor diese Mara mit Stumpf und Stiel verschlingen wollte. Ein netter Kerl, der Balder. Warum nur hatte Loki ihn getötet?

»Mara, es wird interessant«, raunte der Professor, und sie konzentrierte sich wieder auf das Geschehen vor ihnen.

»Hört mich an, ich sage euch!«, rief Heimdall den anderen Göttern zu. »Lokis Fesseln sind schwach, wie wir schwach sind! Er wird sich lösen, und er wird grausame Rache üben! Um uns sorg ich mich nicht, denn nichts mehr als Schatten sind wir. Doch wir alle wissen, was die Weissagung spricht. Das Endschicksal der Götter ist auch das Ende für die Menschen, deren Schutz, deren Schicksal wir einst waren. Diese Erde wird brennen, wie es vorausgesagt ist. Und wir sind schwach, können nichts mehr tun … nichts mehr …« Und damit sank der alte Wächter im Kreise der alten Götter auf die Knie und weinte. Es tat Mara weh, den Alten so verzweifelt zu sehen. Er weint um uns, dachte sie in einem fort, um uns Menschen.

»Das ist es also«, wisperte der Professor. »Die Angst vor Loki! Dem einzigen der alten Götter, der noch seine alte Kraft besitzt. Von wegen Feuerbringer, es ist tatsächlich Loki, den du aufhalten sollst!«

»Aber«, wollte Mara gerade widersprechen, als etwas geschah: Vor ihren Augen nahm einer der Schatten Gestalt an, und gleichzeitig hörte sie ein seltsames Geräusch. Es klang so ähnlich wie »Wuuhu, wuhuuhu …«


Mara stellte fest, dass es von Professor Weissinger kam, der vor Aufregung ganz zappelig war.

»Odin … das ist Odin …«, wiederholte er immer und immer wieder und wirkte wieder einmal wie ein kleiner, aufgeregter Junge. Doch Mara sah keinen Odin, sie sah jemand völlig anderes. Vor ihren Augen stand nun nämlich …

»Gandalf?«, hauchte Mara völlig überfordert, denn die Ähnlichkeit mit dem Zauberer aus Herr der Ringe war wirklich verblüffend. Bis auf die Augenklappe stand in der Tat Gandalf der Graue ein paar Meter von ihr entfernt. Der Professor hatte ja schon mehrfach auf die Parallelen zwischen der nordischen Mythologie und dem Werk Tolkiens hingewiesen, aber das war einfach nur … krass.

»Hab ich’s nicht gesagt?«, jubilierte der Professor neben ihr. »Ach was, gesagt! Geschrieben hab ich’s in meinem Buch über die nordisch-germanischen Einflüsse auf die Werke von …«

»Ja, ja, ja!«, winkte Mara ab. »Ich will doch hören, was der jetzt sagt, der G…«

»Odin! Der graue Wanderer Odin! Da steht er, hohoo! Seht her!«

»Herr Professor, bitte!«

Als der Oberste der nordischen Götter nun sprach, rechnete Mara trotzdem fest mit der deutschen Synchronstimme des Schauspielers Ian McKellen. Sie war allerdings auch keine Sekunde enttäuscht, als sie Odins wohlklingenden Bass im Magen spürte. Das war mehr Gänsehaut, als es von den Viechern gab auf der Welt! Boah …

»Heimdall Menschenfreund«, brummte Odin gutmütig und half dem alten Wächter wieder auf die Beine. »Die Asen danken dir für deine Wachsamkeit über das Vergessen hinaus. Ehre sei dir und Dank. Wiewohl ist es, wie du sagst, und doch ist nicht alles verloren. Denn auch wenn die Menschen Midgards mich vergaßen, so nennen sie wohl doch noch oft meinen Namen.«

Da trat ein weiterer Gott nach vorn. Er wirkte noch viel älter als Heimdall oder Odin, sein Gesicht war von Narben übersät. Auch er schien an Festigkeit zuzunehmen, bis auf seinen rechten Arm. Der blieb verschwunden.

»Der einarmige Tyr. Vielleicht der älteste aller Asen«, murmelte Professor Weissinger.

»Du sprichst wahr, denn auch ich spüre, was du sagst, Odin«, sprach der alte Gott. »Man sagt auch meinen Namen, und ich erstarke. Seelenlos wird er gesprochen, und ungewohnt klingt er. Aber ich bin es, den sie nennen. Und doch huldigen sie mir nicht.«

Zwei weitere Gestalten traten vor, und Mara erkannte den einen sofort. Es war Thor oder Donar, wie man ihn hierzulande genannt hatte. Sein Gesicht mit den breiten Wangenknochen und dem kantigen Kinn hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt, seit sie ihn auf seinem irrsinnigen Fischzug begleitet hatten, wo er versucht hatte, die Midgardschlange zu angeln.

Die andere Gestalt war eine Frau, und Mara musste unwillkürlich an die Frauenquote denken, über die sie in Sozialkunde debattiert hatten. Sieh mal an, die Asen hatten freiwillig eine Frau im Vorstand, dachte sie. Nicht genug für die Quote, aber immerhin.

»Mein Gemahl«, sprach die Frau und griff Odins Hand. »Auch ich spüre es: keine Riten, keine Opfergaben … und doch nennt man mich.«

Der Professor grübelte. »Odin, Tyr, Thor, Frigg … was könnte der Grund sein, dass ausgerechnet die vier … Hm …«

Er fasste Mara am Arm, um nicht den Kontakt zu verlieren, und zog sanft daran. »Komm mit, ich will die genauer ansehen, wer weiß, wann ich das noch einmal erleben darf!«

Mara folgte ihm widerwillig, denn ihr war die Situation nach wie vor unheimlich. Trotzdem gingen sie nun langsam im Kreis und sahen sich die Götter ganz genau an. Die nahmen von ihnen weiterhin keine Notiz, waren auch ohnehin genug mit sich selbst beschäftigt.

»Odin, Tyr, Thor oder Donar … Frigg oder Frija … Ich hab’s! Natürlich, die Wochentage! Es sind die Wochentagsnamen!«, rief der Professor plötzlich aus. »Der englische Wednesday ist Odins Tag, Wodens Day

»Ich weiß, das hab ich …« begann Mara, aber der Professor war schon voll in Fahrt. »Tyrsdagr ist unser Dienstag, dazu Donarstag und der Friday, Frjadagr, der Freitag! Das ist die Erklärung, Mara! Verstehst du nicht?«

»Wann hätte ich denn sagen sollen, dass ich was verstehe? Sie lassen einem ja nicht mal ein Komma«, gab Mara etwas beleidigt zurück. Denn die Sache mit den Wochentagen wusste sie ja in der Tat schon lange. Das war eins der ersten Dinge, die sie im Internet über die alten Götter rausgefunden hatte.

Allerdings machte das wirklich Sinn. Die Menschen nutzten die Wochentagsnamen millionenfach täglich, ohne wirklich zu wissen, dass darin die Namen alter Götter versteckt waren. Und der Effekt war nicht viel anders als bei dem verdammten Feuerbringer! Sie schöpften Kraft daraus, obwohl damit kein wirkliches Glaubensbekenntnis verbunden war.

Man konnte ja auch keiner der Schwurbelhexen vorwerfen, dass sie an den großen Loge glaubten. Trotzdem hatte das stupide Wiederholen der Zeilen eine Wirkung. Wohl nicht so viel, wie ein richtiges Gebet mit echtem Glauben voller Hingabe gesprochen, aber immerhin genug, um Loge für kurze Zeit zu einem übermächtigen Gegner werden zu lassen, der unter anderem ganze Armeen von Untoten aus dem Boden holen und gegen sie antreten lassen konnte.

»Wohlan«, brummte Odin gerade. »Dann sei der Menschen Aufgabe, was die Götter nicht mehr vermögen.«

»Ein Mensch?«, fragte Heimdall und sah Odin erstaunt an. »Du willst einen Menschen zu Loki schicken?«

»Allvater, bei Thrymrs gespaltenem Haupt!«, schaltete sich auch Thor polternd ein. »Was soll ein Menschlein ausrichten gegen einen Gott, sei er gefesselt oder nicht?«

»Oh, keinen gewöhnlichen Menschen, mein Sohn«, entgegnete Odin. »Es gilt, einen zu finden, in dem die alte Gabe noch lebt.« Mit diesen Worten griff der oberste nordische Gott in den Trümmerhaufen und hob ein Stück seines geborstenen Thrones heraus. Er umschloss das ehemals so aufwändig vergoldete Stück Edelholz, und sein verbliebenes Auge wendete sich für einen Moment so weit nach innen, dass Mara nur das Weiße seines Augapfels sah. Trotzdem konnte sie den Blick nicht abwenden, denn sie war sehr aufgeregt. Das ist es, jetzt komm ich! Gleich geht’s um mich!, schoss es ihr immer und immer wieder durch den Kopf. Auch der Professor blinzelte zu ihr herüber und war ganz Ohr.

»Ein Menschenkind mit den Fähigkeiten zu sehen und zu hören«, hob Odin feierlich an zu sprechen. »Gefäß für unsere Kräfte, so wir sie freiwillig geben und geben können … für die Magie der Asen ein Fass.«

Da haben wir’s jetzt, dachte Mara, und sofort stieg ihr der Frust bis hoch in den Hals. Es stimmt also doch! Ich bin echt nur ein Gefäß. Ein Fass auch noch, na toll. Nix als ein Dings, wo man Götterkräfte reintut, und dann schubst man mich in die richtige Richtung. Und ich Vollrind denk dabei doch immer wieder, Wunder, wie toll ich das hinkriege, und huihui, was ich alles kann, und dabei bin ich nur der Erfüllungshirni? Vielen Dank, das hab ich jetzt wirklich gebraucht!

Dem Professor war anzusehen, dass er genau wusste, was Mara nun dachte, und er wollte gerade etwas sagen, als Odin weitersprach:

»Möge dieser Mensch die Last der Götter in ein Geschenk für die Welt verwandeln, auf dass die Erde gerettet wird.«

Mara musste sich sehr zusammenreißen, um nicht loszuschreien. Die Last in ein Geschenk verwandeln? Wie soll das denn gehen? Hallo Erde, ich hab da ein Geschenk für dich! Ich hab all meine Probleme hier in dieses Päckchen gepackt, mit Schleifchen drumrum in Rosa! Hach, du wirst erstaunt sein, Welt, denn meine Probleme sind nämlich witzigerweise eigentlich die deinen. Bitte mach es aber erst auf, wenn ich ganz, ganz weit weg bin. Ich bin nämlich der Geschenkeschlumpf, und ich will nicht dabei sein, wenn es Bumm macht und die Götterdämmerung aus der Torte hüpft, bis dann!

»Und der Name dieses Menschen ist …«

Mara und der Feuerbringer

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