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6. Kapitel

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Endlich traf der englische Dampfer ein, und ich konnte einen überglücklichen Lindsay begrüßen. Er gab sich allerdings in Bezug auf sein erlebtes Abenteuer in Marseille ziemlich wortkarg, und nur mühsam bekam ich die Geschichte aus ihm heraus – allerdings war sie banal genug. Ein Unbekannter hatte ihn festgehalten, als er vom Hotel zum Hafen eilte und des Diebstahls beschuldigt. Im daraus entstehenden Handgemenge verpasste der Engländer ihm einen prächtigen Hieb mit der Faust, der seinen Gegner auf das Pflaster schickte.

„Prächtiger Uppercut, yes!“, fügte er seiner knappen Schilderung an und nickte zur Bestätigung. Seine trockene Erzählart stimmte mich heiter und versöhnte mich schon ein wenig mit seiner verpassten Abreise, die uns ja kaum weiter aufgehalten hatte.

Wir hatten uns wieder in eines der unzähligen Straßencafés gesetzt, und während mein schrulliger Reisegefährte erzählte, genoss ich den ausgeschenkten Kaffee.

„Well, nun aber zu unserer Reise, Master. Ich hatte von Selim Agha Bey die Nachricht, dass er für alles Vorsorge getroffen hat. Werden eine Jacht nehmen, Küste entlang und nach Kairo.“

Ich nickte nur zu seinen Worten und wartete ab, aber Sir David Lindsay schwieg, vermutlich in der Meinung, alles Wichtige gesagt zu haben.

Gut also!, dachte ich mir. Wenn Lindsay mich mit so wenig Informationen abspeist, muss ich ja nicht Gleiches mit Gleichem vergelten! Vor allem möchte ich wissen, ob er diesem Kaufmann trauen kann.

Gerade setzte ich an, um von meinen Erlebnissen zu berichten, da griff Lindsay in seine Rocktasche, um nach etwas zu suchen. Verwundert zog er seine Hand wieder heraus und betrachtete ein kleines Stück Papier, das er behutsam auseinanderfaltete.

„Zounds! Was ist das?“

Wir beugten uns über die Zeichnung und nach einem kurzen Augenblick des Überlegens rief Lindsay aus:

„Der Löwe von Aššur – kein Zweifel! Aber wer hat mir …?“ Er verstummte, während mich ein unangenehmes Gefühl beschlicht, denn diese Zeichnung entsprach exakt dem Messingschild, das ich in Dresden gesehen hatte und am Haus des hiesigen Kaufmanns Selim Agha ebenfalls.

„Was bedeutet das?“

Lindsay sah mich mit großen Augen an, dann begann er, ungewohnt ausführlich zu dozieren.

„Ihr seht hier, Master, einen Gott auf einem geflügelten Löwen. Das ist Aschschur, wie er assyrisch genannt wird, oder auch Aššur, wie die Stadt im Zweistromland. Er war zunächst nur der Stadtgott, später wurde er aber zum mächtigsten aller Götter im mittelassyrischen Zeitalter. Ich bin ihm seit langer Zeit auf den Spuren, denn seine Tempel sind zerstört und im Wüstensand untergegangen.“

„Er steht auf einem geflügelten Löwen, nicht auf einem Stier. Heißt das jetzt für uns, dass wir keinen Fowling bull suchen, sondern einen Fowling lion?“

Lindsay warf mir einen raschen Blick zu.

„Hört, Master, lasst das mit dem Verspotten sein. Da, wo es einen solchen geflügelten Löwen gibt, ist auch der Stier nicht weit entfernt! Glaubt einfach einem erfahrenen Mann!“

„Gut, und wie kommt nun dieser Zettel in Eure Jackentasche?“

Lindsay sah mich ratlos an, zuckte die Schultern und erklärte dann:

„Nur eine Möglichkeit denkbar. War der Mann in Marseille. Einzige Person, die mit mir zusammenstieß.“

Ich griff noch einmal nach dem Blatt mit dem mir nun bekannten Symbol und entdeckte darunter eine weitere, allerdings winzige Zeichnung, die dem Betrachter nicht sofort auffiel. Sie war sehr kunstvoll ausgeführt und konnte auch alles Mögliche bedeuten, doch jetzt war meine Neugierde geweckt. Ich stand auf und trat mit dem Blatt in der Hand auf die Straße, wo ich im hellen Sonnenlicht einen aufrecht stehenden Löwen erkannte, der ein sich aufbäumendes Pferd angriff. War das das Zeichen des Künstlers oder hatte es noch eine andere Bedeutung?

Jetzt zog eine ganze Reihe von Bildern an mir vorüber. Ich sah den Bärtigen, der sich nach dem Umschlag bückte, der mir heruntergefallen war. Später verfolgte ich ihn mit einer Droschke in Dresden. Und ich spann den Gedanken weiter, während Sir David ebenfalls schwieg.

Die Begegnung mit dem Bettler? Nein, belanglos. Der Steward an meiner Kabine? Eher nicht. Dann das Zeichen am Haus dieses Selim Agha. Die Begegnung mit Suef und das belauschte Gespräch im Garten. Der Diebstahl des Umschlages mit Karte und Aufzeichnungen Lindsays. Wenn ich alles zusammenzähle, stellt sich mir die Frage: In was waren wir da geraten? Kaum jemand konnte ahnen, dass Lindsay und ich gemeinsam in das Zweistromland reisen wollten – es sei denn, man beobachtete ihn schon seit geraumer Zeit. Und hatte er nicht selbst etwas von ‚geheimen Informationen‘ erzählt?

„Sir David, ich habe den Eindruck, dass wir seit unserem Zusammentreffen in Dresden beobachtet werden. Was hat es mit diesem Symbol auf sich, das ich sowohl an einem Lagerhaus in Dresden wie auch am Haus Ihres Geschäftspartners hier in Tunis gesehen habe?“

Jetzt sah mich der Engländer mit weit aufgerissenen Augen an.

„Dieses Symbol? Ihr habt den Löwen von Aššur am Haus von Selim Agha Bey gesehen?“

„So ist es, und ich bin auch nicht von der Aufrichtigkeit dieses Geschäftsmannes überzeugt, aber vielleicht tue ich ihm da ja auch Unrecht. Wir sollten gemeinsam mit ihm über alles sprechen.“

„Well, das wäre jetzt gut. Wollen ja in Kürze aufbrechen.“

Damit verließen wir unser Café und suchten Selim Agha auf, von dem wir mit geradezu überschäumender Freundlichkeit empfangen wurden. Kaffee und Wasserpfeifen standen bereit, und kaum hatten wir Platz und die Pfeifen in Betrieb genommen, erklärte uns der Kaufmann, was er inzwischen alles unternommen hatte, damit unsere Weiterreise ohne jegliches Problem erfolgen konnte.

„Kann es sein, dass es eine Geschäftsverbindung zwischen Eurem Haus und einem Kunden in Umm Qasr gibt, Selim Agha?“, erkundigte ich mich eher beiläufig und nahm damit erneut den Faden auf, den ich mit dem Handelshaus in Dresden verband, das der Mann angeblich nicht kannte.

Auch bei seiner jetzigen Antwort behielt er seine freundlich lächelnde Miene und erklärte vollkommen gelassen:

„Das ist durchaus möglich, Effendi. Ich kenne nicht alle Kunden persönlich, dazu ist unser Haus inzwischen viel zu groß geworden. Wenn Ihr Genaueres wissen möchten, werde ich mich selbstverständlich mit meinem Sekretär in der Faktorei unterhalten, der alle Handelsverbindungen überwacht und jeden, wirklich jeden unserer Kunden in der gesamten Welt kennt.“

Ich erwiderte sein freundliches Lächeln, schwieg aber dazu, was unseren Gastgeber ein wenig zu irritieren schien, aber auch er ging nicht wieder auf das Thema ein, sondern plauderte von dem Schiff, das uns zur Verfügung stände – eine für das Meer taugliche Jacht nebst einer kleinen Dampfmaschine, die nützlich bei Flauten sein konnte. Dieses Schiff, eine zweimastige Brigg, gehörte ursprünglich einem reichen Hamburger, der sie für seine Verhältnisse umbauen und mit einem Dampfkessel auf dem Mitteldeck ausstattete. Der Antrieb der Maschine wurde auf zwei Schaufelräder übertragen, die man an den Seiten angebracht hatte. Später kaufte sie ein um die Welt reisender Engländer, der aber im fortgeschrittenen Alter auf die ärztliche Versorgung an Land angewiesen war und die Jacht deshalb an Lindsay vermietete.

Die Mannschaft nebst einem tüchtigen Koch – wie uns Selim Agha versicherte – und ihrem Kapitän bestand aus zehn Mann, die uns jeden Wunsch von den Augen ablesen würden.

„Alles befindet sich bereits verladen im Frachtraum, Sir Lindsay, und wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr schon morgen ablegen.“

„Ausgezeichnet, hatte es nicht anders erwartet. Schlage vor, stechen um neun Uhr in See.“

So war Lindsay – er ordnete an und erkundigte sich bei seinen Reisegefährten keineswegs danach, ob ihnen das so gefiel. Mir lag eine Erwiderung auf der Zunge, dann aber fing ich einen seltsamen Blick des Kaufmanns auf, der mich verstummen ließ. Er hatte in dem Augenblick, in dem ich zu Lindsay sah, mir einen so bösen Seitenblick zugeworfen, dass ich den Eindruck hatte, ihm wäre seine freundliche Maske für einen winzigen Moment entglitten. Als ich den Kopf zu ihm wandte, lächelte er mich wieder an und zeigte das gleiche, freundliche Gesicht wie zuvor. Aber mich konnte er nicht täuschen.

Das ständige Lächeln war falsch und aufgesetzt.

Der Mann war eiskalt bei der Verfolgung seiner Ziele, und ich wollte ihn jetzt herausfordern.

„Sagt einmal, Selim Agha Bey …“ Damit machte ich eine bedeutungsvolle Pause, hatte bei meiner Anrede den Bey noch besonders betont. „Dieses Zeichen an Eurem Haus – Ihr spracht mir gegenüber von einer privaten Vereinigung. Handelt es sich dabei vielleicht um Anhänger des assyrischen Gottes Aššur?“

Selim Agha zuckte sichtlich zusammen, und seine eben noch so sanftmütig blickenden Augen schickten mir einen Blitz zu, um gleich darauf wieder freundlich wie zuvor zu blicken, als er mir erklärte:

„Ich bin erstaunt über Eure Kenntnisse, Effendi. Nur wenige Europäer kennen den Gott Aššur auf seinem geflügelten Löwen. Nun, das Abendland hat viel von uns Morgenländern gelernt, und die Wiege einer hohen Zivilisation stand sicher zwischen Euphrat und Tigris, wie Ihr mir bestätigen werdet. Aber auch wir Morgenländer lernen, was uns im Abendland gefällt. Ich habe in Berlin, Hamburg und München studiert und dabei von dem Schutzbund der Kaufleute gehört, die sich in der Hanse zusammenschlossen.“

„Oh, das erstaunt mich nun wirklich, denn die Hanse ist zwar ein mächtiger Kaufmannbund der Städte an Nord- und Ostsee und im ganzen Binnenland gewesen, aber ich hätte nicht angenommen, dass nun ein Kaufmann in Tunis davon Kenntnis hat.“

Selim lächelte ein wenig gequält, ließ sich sonst aber meine Reaktion nicht weiter anmerken, sondern fuhr fort:

„Eine Reihe von Kaufleuten fand diese Idee, die ich ihnen einst unterbreitete, gut und nachahmenswert – so schufen wir den Schutzbund in ähnlicher Weise für uns neu und wählten als Symbol den Gott für uns aus.“

Ich sah dem Mann in die Augen, aber er hielt meinem Blick stand.

Für mich stand in diesem Augenblick fest, dass Selim Agha ein ausgesprochener Lügner war und die Geschichte mit seinem Bund der Kaufleute uns beruhigen sollte. Andererseits war das Blatt mit dem Symbol, das man Lindsay zugespielt hatte, mit Sicherheit eine Warnung, aber ich behielt meine Meinung für mich.

Wenig später verabschiedeten wir uns, Selim Agha wollte uns am nächsten Morgen von unserem Hotel abholen und persönlich zum Anleger in La Goulette bringen. Das alte Fischerdorf wurde ständig zum eigentlichen Hafen von Tunis ausgebaut, und derzeit fanden wieder einmal Kanalarbeiten zur Lagune von Tunis statt, sodass wir mit einer Droschke über den etwa zehn Kilometer langen Damm fahren mussten, um die Jacht zu erreichen. Unter französischer Herrschaft wurde die Lagune durch einen breiten Kanal mit dem Meer verbunden, aber kaum fertiggestellt, waren weitere Vertiefungen des ständig wieder versandeten Teils erforderlich.

Das alles wurde besprochen; am anderen Morgen erwartete uns Selim Agha Bey, wie immer mit einem freundlichen Lächeln, an einer Droschke vor unserem Hotel. Mehr zufällig fiel dabei mein Blick auf ein kleines Geschäft gegenüber, und ich war mir sicher, dass dort Suef, der Schatten, stand und uns beobachtete. Ein kleines Stück entfernt bummelten zwei Polizisten die Straße herauf, und ich fasste kurz entschlossen in meine Tasche, zog ein paar Pfundnoten heraus und lief zu den Polizisten, die mich aufmerksam musterten.

„Meine Herren, ich bin gestern hier im Bazar bestohlen worden und habe eben den Dieb wiederentdeckt. Er lauert gegenüber vom Hotel im Eingang eines Basars, der kleine Schmächtige mit dem angeschmuddelten Hemd. Er hat mir nur eine wertlose Zigarettendose entwendet und ich möchte Sie bitten, ihn festzunehmen. Dieses Geld ist die Belohnung, die ich auf seine Ergreifung ausgesetzt habe.“

Verblüfft starrten die Polizisten in die angezeigte Richtung, als sich Suef plötzlich in Bewegung setzte und in die andere Richtung eilte.

Mehr war nicht erforderlich, die beiden Polizisten setzten zu einem Spurt an, und als ich die Droschke bestieg, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Die beiden kräftigen Männer hatten den schmächtigen Suef gepackt und fesselten ihn. Das alles konnte auch Selim Agha Bey nicht entgehen, aber er zeigte eine gleichmütige Miene und tat, als ginge ihn das alles nichts an.

Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur

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