Читать книгу Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur - Tomos Forrest - Страница 8
3. Kapitel
Оглавление„Karl? Karl, wach auf, da ist jemand im Haus!“
Ich fuhr aus meinen schönsten Träumen hoch und griff zur Nachttischschublade, wo ich den Colt Pocket aufbewahrte. Ich hatte mir diese handliche Waffe in den Staaten zugelegt, nachdem ich bei einem Schiffsunglück meinen Adams verloren hatte, Inzwischen war ich längst davon überzeugt, dass die Colt-Revolver wesentlich besser waren als alle anderen Produkte. Auch meine Blendlaterne entzündete ich und hielt mich nicht weiter mit dem Ankleiden auf.
Meine Frau hatte die Gasbeleuchtung aufgedreht, und ich schlich mich auf Zehenspitzen zum Treppenhaus, den gespannten Revolver in der Hand, während mir die wildesten Gedanken durch den Kopf jagten.
Ich, Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi, musste von meiner Ehefrau geweckt werden, weil ich den Einbrecher im eigenen Haus nicht gehört hatte! Und dabei genügte ein leises Schaben im Gras, das Schnauben eines Pferdes oder das Knirschen von Sand unter Schuhsohlen, und ich war sofort glockenwach. In der Heimat schienen meine Instinkte zu schlummern, und nun schlich ich durch das Treppenhaus der von uns gemieteten Villa Agnes, um einen Einbrecher auf frischer Tat zu schnappen!
Vollkommen lautlos erreichte ich den kalten Steinfußboden im unteren Flur und entdeckte den Schein einer Laterne im Wohnzimmer.
Ganz schön dreist – da hockt der Kerl an der Kommode mit unserem Tafelsilber und füllt seine Tasche! Was glaubt der eigentlich, wo er ist?, dachte ich, als ich die Blendlaterne öffnete und den Strahl auf die Gestalt richtete.
„Hände hoch!“, brüllte ich gleichzeitig und hob die Rechte mit dem Revolver.
Der Mann reagierte blitzschnell.
Er ließ alles stehen und liegen und war mit einem Hechtsprung am geöffneten Fenster und gleich darauf in unserem Vorgarten. Ich folgte ihm hinaus und sah noch einen schemenhaften Umriss, der gerade den niedrigen Gartenzaun überwunden hatte und die Straße hinunterlief.
Nun – ich ließ ihn laufen, was sollte ich auch anderes tun?
Wir waren in Deutschland, im lieben Oberlößnitz, und es wäre wohl wenig angebracht, wenn ich den Dieb im Schlafanzug verfolgt hätte, noch dazu ohne Schuhe. Und einen Schuss konnte ich ihm auch nicht hinterherschicken, wollte ich nicht sämtliche Polizeikräfte Dresdens alarmieren.
Also kehrte ich wieder zurück, untersuchte das aufgebrochene Fenster und begnügte mich damit, einen Schrank davor zu schieben, um den Schaden am nächsten Tag in Ordnung bringen zulassen.
„Naja, vielleicht waren wir ein wenig zu sorglos!“, erklärte ich Emma, als ich wieder im Schlafzimmer eintraf. „Jeder weiß, wo wir wohnen und dass ich häufig auf Reisen unterwegs bin. Da sollten wir so schnell wie möglich Maßnahmen ergreifen, um unser Eigentum zu sichern.“
Als das Licht wieder erlosch, hörte ich meine Frau leise kichern.
„Was ist daran so lustig, Emma?“
„Dass der große Held so unzähliger Abenteuer nicht hört, wenn ein Dieb in sein eigenes Haus einsteigt!“
„So, und das findest du also lustig?“, gab ich zurück.
Im nächsten Augenblick hatte Emma noch mehr Grund zum lauten Lachen, denn zur Strafe wurde sie von mir tüchtig gekitzelt, bis wir beide lachend, Arm in Arm aneinandergeschmiegt, versuchten, noch etwas Schlaf zu finden.
Am nächsten Tag setzte ich die erforderlichen Handwerker in Bewegung, die uns nicht nur das Fenster wieder reparieren sollten, sondern noch ein zusätzliches Schloss an beiden Türen anbringen mussten, sowie schließlich einen ordentlich stabilen und hohen Bretterzaun errichteten, der eine Sicht auf das Haus unmöglich machte. Ich wusste, dass unsere Vermieter, das Ehepaar Sauerzapf, keinerlei Einwände dagegen hatte.
„So kann ich beruhigt mit Sir David Lindsay aufbrechen, ich weiß, dass unser Haus jetzt sicherer geworden ist!“, sagte ich an diesem Abend zu Emma, als wir nach dem Abendessen noch zusammensaßen und ein Glas Wein tranken.
Plötzlich wurde an der Haustür heftig geklingelt, und wir sahen uns verwundert an.
„So spät noch Besuch? Wer mag das sein?“, sagte ich mehr zu mir selbst und ging zur Haustür, denn unsere Köchin und das Mädchen hatten beide schon ihren wohlverdienten Feierabend angetreten.
„Herr May?“, sagte ein schnauzbärtiger Herr im leichten Sommermantel und verbeugte sich leicht. „Inspektor Krüger, Sie hatten eine Einbruchsanzeige gemeldet.“
„Oh ja, das trifft zu, kommen Sie doch herein, Herr Inspektor. Können wir Ihnen etwas anbieten?“
„Nein, vielen Dank, ich möchte Ihren Abend auch nicht unnötig stören, sondern Ihnen nur das hier zurückgeben. Wir haben es bei dem Dieb sicherstellen können, als er versuchte, zwei silberne Leuchter zu verkaufen.“
Verwundert starrte ich auf mein kleines Notizheft, das ich bislang noch nicht vermisst hatte.
„Herzlichen Dank – das ist ja eine Überraschung! Und die beiden Leuchter …?“
„Sind sichergestellt und werden noch als Beweismittel der Anklage benötigt. Aber ich dachte mir, dass Sie Ihre Notizen dringend benötigen und konnte sie mit Genehmigung meiner Vorgesetzten schon vorab vorbeibringen.“
„Das ist sehr freundlich, Herr Krüger. Nicht doch noch ein Gläschen Wein?“
Der Mann machte eine abwehrende Handbewegung.
„Nein, vielen Dank. Ich bin noch immer im Dienst. Aber – wenn ich einen Wunsch äußern dürfte?“
Er machte dazu ein so treuherziges Gesicht, dass ich unwillkürlich lachen musste.
„Aber natürlich, was kann ich für Sie tun, Inspektor?“
„Hätten Sie – eine Karte mit Ihrer Unterschrift? Wissen Sie, wir haben den Hausschatz daheim und mein Junge, der Fred, ist ein begeisterter Leser von Ihnen und da …“
„Kein Wort weiter, Herr Inspektor, selbstverständlich schreibe ich für Fred eine persönliche Widmung auf mein Foto. Warten Sie, ist sofort fertig!“
Damit eilte ich zu der langen Kredenz im Wohnzimmer, wo ich in einer Schale immer ein paar dieser famosen Bildkarten aufbewahrte, die mich in meiner Bekleidung als Old Shatterhand oder als Kara Ben Nemsi zeigten. Ich hob beide hoch, und sah, wie die Augen des Inspektors glänzten.
„In Ordnung, ich habe schon verstanden – also beide!“
Ich schrieb rasch die Widmung darauf und pustete über die noch nasse Tinte, als ich die Bildkarten überreichte.
„Herzlichen Dank, Herr May – hätte nie gedacht, dass ich einen so weit gereisten Mann einmal persönlich kennenlernen durfte! Ihnen noch einen schönen Abend und – vielen Dank!“
Damit war er schon aus der Tür, ich verschloss sie sorgfältig und kehrte zu meiner Frau zurück, das Notizheft noch in der Hand.
„Was hast du da, Karl?“
„Etwas, das mir der Einbrecher entwendet hat, ohne dass ich es bereits vermisste. Kein Wunder, ich habe es ja auch im Moment nicht benötigt. Aber – seltsam …“
Ich blätterte zwischen meinen Notizen und stieß auf die Aufzeichnungen, die ich während meiner vergangenen Orient-Reise gemacht hatte.
Plötzlich stieß ich einen leisen Pfiff aus.
Jetzt wusste ich, woher ich den Namen Habib Bey bereits kannte.
Ich war auf ihn in Bagdad gestoßen.
Der Mann erschien mir mit seinem Handel in der Altstadt immerhin so bemerkenswert, dass ich ihn in meinem Heft festgehalten hatte. Und dahinter hatte ich den Namen einer alten Stadt vermerkt, die ihren Namen nach einem Gott erhalten hatte: Aššur.