Читать книгу Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur - Tomos Forrest - Страница 12

7. Kapitel

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Die Morning Star machte einen guten und soliden Eindruck, unsere Kabinen waren großzügig, die Mannschaft mit ihrem Kapitän sahen nicht wie eine Bande von Küstenpiraten aus, was ich, ehrlich gestanden, schon halb befürchtet hatte. Kapitän Arash, ein großer, schlanker Perser mit einem kühn geschnittenen, offenem Gesicht, das durch einen sorgfältig ausrasierten Bart noch gewann, schien ein Mann zu sein, dem man zutrauen konnte, das Schiff auch durch große Stürme hindurch sicher zu lenken.

Er begrüßte uns freundlich, aber nicht devot, und Lindsay nickte ihm zu, als würde es sich um einen alten Bekannten handeln. Die Mannschaft bestand aus einem bunten Völkergemisch aller Hautfarben, darunter auch zwei breitschultrige Nubier, deren mächtige Oberarme ein beeindruckendes Zeugnis ihrer Kraft waren.

Selim Agha Bey verabschiedete sich unter zahlreichen Verbeugungen, und als er am Kai stand und einen letzten Blick zu uns heraufwarf, bevor die Jacht ablegte, huschte etwas wie Häme über sein sonst stets freundlich lächelndes Gesicht.

Wir haben uns nicht zum letzten Mal gesehen, Selim!, dachte ich und blickte zum Bug des Schiffes, der sich eben zum offenen Meer drehte. Wir hielten auf die Halbinsel Cap Bon mit der kleinen Stadt El Haouaria zu und verließen schließlich den Golf von Tunis, um an der Küste entlang, Tripolis, unser nächstes Ziel, anzusteuern.

Die Fahrt entlang der Küste verlief etwas eintönig und ruhig, hatte aber für uns den großen Vorteil, dass wir jederzeit in eine Bucht einlaufen konnten, um dort zu ankern und die Nacht sicher zu verbringen. Das taten wir am zweiten Abend in der Nähe der kleinen Ortschaft Hiboun, wo wir eine geradezu idyllisch gelegene Bucht fanden. Das Wasser war kristallklar, man konnte von Bord aus bis auf den Grund schauen. Während in der geräumigen Kombüse das Abendessen für uns bereitet wurde, nutzte ich die Gelegenheit für ein ausgiebiges Bad, schwamm und tauchte in der Bucht wohl eine halbe Stunde lang, bis sich das längliche Gesicht mit der unglaublich langen Nase meines englischen Reisegefährten über der Reling sehen ließ und er zu mir herunterrief:

„Hallo Master, sind Euch schon Kiemen gewachsen? Ich hätte jetzt ein wenig Hunger, das Essen ist bereit!“

„Komme sofort!“, rief ich zurück und kletterte gleich darauf das Fallreep hinauf, das man eigens zu diesem Zweck für mich angebracht hatte. Wenig später war ich erfrischt und umgezogen auf dem Deck und setzte mich zu Lindsay an den kleinen Tisch, den man für uns dort aufgestellt hatte. Verführerischer Duft aus einer abgedeckten Schale schlug mir hier entgegen, und als ich den Deckel lüftete, floss mir buchstäblich das Wasser im Munde zusammen. Es gab Fisch mit Couscous, sehr delikat gewürzt und ein wahrer Genuss. Unser Koch verstand sein Handwerk, das stellten wir beide anerkennend fest.

Als die Sonne mit der in diesen Breitengraden üblichen Schnelligkeit hinter dem Horizont versunken war, saßen wir noch beim Licht einer Petroleumleuchte an Deck und genossen den Blick auf den Abendhimmel, rauchten und tranken dazu Tee. Gegen elf Uhr verabschiedeten wir uns und suchten unsere Kabinen auf, in denen sich allerdings die Tageshitze noch hielt. Ich öffnete deshalb eines der Bullaugen, hängte das Moskitonetz über mein Bett und verzichtete darauf, mir selbst nur ein dünnes Laken überzudecken.

Durch ein zunächst unerklärliches Geräusch wachte ich auf und sah mich in meiner dunklen Kabine um. Was mich geweckt hatte, schien sich nicht zu wiederholen, wohl aber waren jetzt andere Geräusche auf dem Deck, mehrfach schienen Füße heftig aufzutreten. Ich griff meinen Revolver, öffnete die Tür und wollte gerade über den unbeleuchteten Gang zur Treppe, als auch Lindsay seine Tür öffnete.

„Was ist da oben los, Master?“, erkundigte er sich mit gedämpfter Stimme. In der einen Hand hielt er eine Laterne, in der anderen ebenfalls einen Revolver.

„Jetzt scheint dort ein Kampf stattzufinden, rasch hinauf!“, gab ich zurück, denn gerade war ein dumpfer Laut zu hören, als würde ein Körper auf das Deck schlagen. Jemand stöhnte laut, dann brach der Ton ab.

In dem Moment streckte ich behutsam meinen Kopf aus dem Niedergang und erkannte zwei Gestalten, die auf dem Deck miteinander kämpften. Sie stießen nur kurze Keuchlaute aus, dann hob einer der beiden Kämpfer den anderen plötzlich hoch über den Kopf und warf ihn im hohen Bogen über die Reling.

Mit dem Platschen des Körpers klang etwas anderes durch die Dunkelheit zu mir herüber. Hinter mir tauchte ein weiterer Gegner auf, und im fahlen Mondlicht erkannte ich einen geschwungenen Säbel, der im nächsten Augenblick auf mich herniedersausen würde. Rasch hob ich den Revolver und schoss.

Mit einem gurgelnden Laut kippte mein Gegner nach hinten und schlug auf das Deck.

„Nicht schießen, Sidi (Herr)!“, vernahm ich die Stimme des Mannes, der eben den anderen über Bord geworfen hatte. Das Licht der Laterne erfasste den riesigen Mann, in dem ich jetzt einen der beiden Nubier erkannte, der einen arabischen Dialekt sprach, wie er in der Umgebung von Tunis üblich war. Er stand mit erhobenen Händen vor uns und fletschte jetzt so stark seine Zähne, dass ich das Weiße schimmern sah. Kein Zweifel, der Mann gehörte zur Mannschaft und hatte wohl eben seinen Gegner kurzerhand ins Meer geworfen.

„Was ist hier passiert?“, erkundigte ich mich, während Lindsay mit seiner Lampe das Deck absuchte und neben dem von mir erschossenen Angreifer noch einen weiteren Toten entdeckte. Bei genauer Untersuchung sollte es sich herausstellen, dass der Nubier ihm im Kampf das Genick gebrochen hatte.

„Ich bin Tarek, der Noba, und hatte Wache auf dem Deck, als plötzlich zwei Hände nach mir griffen. Noch bevor ich Alarm geben konnte, waren die anderen da und wollten mich mit einem Messer töten. Einen konnte ich fassen und warf ihn gegen die anderen, aber dann sprangen die beiden wieder auf und stürzten sich auf mich. Da kamt Ihr auf das Deck, Sidi, und habt Tarek gerettet, dafür danke ich Euch!“

„Wo sind die anderen, Tarek? Sie müssen doch den Lärm wie wir gehört haben!“, antwortete ich, und der kräftige Nubier deutete nach vorn, wo es den Niedergang zu den Mannschaftsquartieren gab.

„Sie müssen so leise an Bord gekommen sein, dass ich zunächst nichts von ihnen bemerkt habe. Als Erstes wurde die Tür hier verriegelt, sodass die anderen mir nicht helfen konnten!“, antwortete der Nubier und eilte nach vorn, wo laute Schläge gegen das Holz und gedämpfte Rufe zu vernehmen waren.

Wenig später strömten die Männer der Morning Star auf das Deck, und unser Kapitän, der große Perser, kam als Erster auf uns zugelaufen.

„Allah sei gepriesen, Ihr lebt!“, rief er aus und hob die Hände.

„Das war Glück, und hier steht Tarek, der wohl Dank seiner Körperkraft den heimtückischen Überfall zurückschlagen konnte. Holt Lampen herauf, damit wir die beiden Toten untersuchen können. Ein dritter Mann wurde von dem Nubier ins Meer geworfen, er wird wohl entkommen sein!“, erklärte ich rasch.

Lampen wurden herbeigeschafft, und in ihrem Schein untersuchten wir in aller Eile die beiden toten Angreifer. Sie waren in einfache Dschallabija gekleidet, trugen in ihren um die Hüfte gewickelten Tüchern noch die Scheiden ihrer Dolche, während wir die Waffen auf dem Deck fanden. Nichts schien darauf zu deuten, woher sie stammten, aber dann war es Lindsay, der im Schein seiner Taschenlampe auf den Unterarm eines Mannes wies.

In bläulicher Farbe zeichnete sich dort eine Tätowierung ab, die sofort meine Aufmerksamkeit fesselte. Den Hintergrund bildeten zwei ausgebreitete Schwingen, davor stand ein Mann mit langem, schwarzem Bart, einer hohen, altertümlichen Kopfbedeckung, und richtete seinen gespannten Bogen zur Seite. Das Bild war sehr deutlich ausgeführt, dabei insgesamt aber klein.

„Aššur!“, flüsterte Tarek der Nubier und kniete sich auf das Deck neben Lindsay, um die Zeichnung besser betrachten zu können. Dann, noch eine Nuance leiser, fügte er hinzu: „Die Bruderschaft des Löwen!“

„Was hast du da gesagt? Bruderschaft des Löwen?“

Tarek hatte sich wieder erhoben und war schon neben dem nächsten Toten, dessen Ärmel er rasch nach oben streifte und seine Worte flüsternd wiederholte. Nun war auch der zweite Nubier zu ihm getreten und raunte leise: „Khemeis muss fliehen, Tarek!“

Doch der andere legte ihm beruhigend den Arm um die Schultern und antwortete noch immer mit gedämpfter Stimme: „Niemand weiß von uns, Bruder. Dieser Anschlag galt den Ferani, nicht uns!“

Ich hatte wohl verstanden, was die beiden da leise austauschten, schwieg aber dazu und wartete ab, bis sich eine bessere Gelegenheit für ein Gespräch finden würde. Unser Kapitän teilte die Mannschaften in mehrere, gleich große Gruppen, die nun bewaffnet auf dem Deck wachen würden.

Ich muss einräumen, dass ich unserem Kapitän und seiner Mannschaft nicht vollständig traute, immerhin war es Selim Agha Bey gewesen, der sie und das Schiff ausgesucht hatte. Aber nach diesem nächtlichen Überfall, bei dem sich insbesondere der bärenstarke Nubier bewährt hatte, musste ich meine Vorbehalte fallen lassen.

Endlich kehrte wieder Ruhe ein, und ich fiel in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich in den frühen Morgenstunden wieder aufschreckte. Aber es waren nur meine wilden Träume, die mich geweckt hatten. Ich wusch mich in Ruhe, kleidete mich an und begab mich an Deck, wo eben die Vorbereitungen zur Weiterreise getroffen wurden.

Kapitän Arash stand am Steuer und begrüßte mich freundlich.

„Hattet Ihr eine gute Nachtruhe, Effendi?“

„Danke, es ging so. Die Nacht verlief ruhig?“

„Wir haben aufmerksam gewacht, Effendi, aber jetzt können wir unsere Reise fortsetzen. Es gibt einen uns günstigen Wind, sodass wir heute ein großes Stück zurücklegen können, zumal die See noch immer ruhig ist.“

„Gut, dann werde ich jetzt mal nach Lindsay sehen, er scheint sich zum Langschläfer zu entwickeln.“

„Never mind, Master!“, vernahm ich da seine Stimme, und ein gut gelaunter Sir David betrat das Deck, natürlich, wie immer, in seinen großkarierten Anzug gekleidet. „Bin schon einige Zeit munter und gedenke nun, ausgiebig auf dem Deck zu frühstücken. Haben heute vor, noch Tripolis zu erreichen, yes!“

Damit zog er einen Stuhl zu sich heran und nahm an dem bereits gedeckten Tisch Platz und ich leistete ihm Gesellschaft. Sofort eilte der Koch mit einer Schüssel herbei, und erstaunt betrachtete ich, was er uns auf die Teller häufte.

„Ham and Eggs, ich bin verblüfft, Sir David!“

„Nichts ist wichtiger als ein gutes Frühstück!“, antwortete er und schob sich eine gehäufte Gabel in den Mund, wobei seine riesige Nase den Eindruck machte, als wolle sie sich davon überzeugen, dass er wirklich alles auf einmal essen wollte. Mit anderen Worten, Sir David Lindsay bot einen so grotesken Anblick beim Essen, dass ich mich mit einem Lächeln abwenden musste und auf das Meer hinaussah, wo am Horizont bereits einige kleinere Segler zu erkennen waren.

Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur

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