Читать книгу Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur - Tomos Forrest - Страница 7

2. Kapitel

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Ich verließ Freiburg wie geplant.

Das Gespräch mit meinem Verleger verlief wie gewünscht. Ja, er war sogar so freundlich, mir von sich aus einen Vorschuss anzubieten, wenn ich meine zu erwartenden Abenteuer nach Rückkehr sofort niederschrieb. Ich hatte ihn ja durch meine Reiseerzählung Giölgeda padishanün für mich eingenommen, die seinerzeit im Deutschen Hausschatz erschien. So reiste ich inzwischen in guter Stimmung zurück und hatte den dreisten Diebstahl im Zug eigentlich überwunden, als mich bei meiner Ankunft in Dresden ein neuerlicher Zwischenfall auf seltsame Weise daran erinnern sollte. Es wurde schon langsam dämmrig, denn die Bahnfahrt dauerte lange und ich war froh, noch vor der Dunkelheit wieder in Dresden zu sein. Gerade sah ich mich vor dem Leipziger Bahnhof nach einer Droschke um, als mir ein groß gewachsener, breitschultriger Mann mit dichtem, schwarzen Bart auffiel, der kaum zehn Meter von mir entfernt aus der Bahnhofshalle getreten war und zielstrebig auf eine wartende Kutsche zueilte. Er trug, wie ich, nur eine leichte Reisetasche, und ich beeilte mich, ihn einzuholen. Schon öffnete er den Schlag und warf seine Tasche auf die Sitzbank und wollte sich gerade an dem Haltegriff hinaufziehen, als ich ihn ansprach.

„Entschuldigung, Herr, aber sind Sie nicht Dr. Frank Großer aus Leipzig?“

Erstaunt drehte sich der Bärtige zu mir um, musterte mich aus eiskalten, blauen Augen von Kopf bis Fuß, schüttelte den Kopf und stieg ein, ohne mich einer Antwort zu würdigen. Die Kutsche ruckte an, die Pferdehufe klapperten auf dem Kopfsteinpflaster, und ich hatte buchstäblich das Nachsehen.

Doch dann entdeckte ich eine freie Droschke, aus der eben die Passagiere ausstiegen und mit ihrem Gepäck von einem Gepäckträger begleitet wurden.

Rasch war ich bei dem Kutscher und rief ihm zu, der bereits ein Stück voraus fahrenden Kutsche nachzufahren.

„Sind Sie ein Gendarm?“, erkundigte sich der Kutscher erstaunt, drehte aber die Bremse wieder los.

„Nein, ein Privater!“, antwortete ich doppeldeutig und schloss den Verschlag.

„Also ein Geheimer!“, antwortete der Kutscher etwas brummig. „Kennt man ja, dass diese Herren nur das Allernötigste bezahlen! Na, mir soll es recht sein, fahren muss ich ja, und wer will mit diesen Menschen Ärger haben!“

Damit nahm die Droschke Fahrt auf, und ich bemühte mich, aus dem schmalen Sehschlitz nach vorn etwas zu erkennen. Es ging zunächst in die Lössnitzer Straße, dann nach rechts in die Königsbrücker und Hauptstraße hinunter zur Elbe, und von dort weiter am Elbufer Richtung Winterhafen. Mir wurde rasch klar, dass die Kutsche mit dem Bärtigen einen großen Bogen fuhr, um nach eventuellen Verfolgern Ausschau zu halten. Jetzt wurde sie auch noch langsamer, und ich klopfte an das Dach, um dem Kutscher mein neues Fahrtziel mitzuteilen.

„Besten Dank, guter Mann, von hier aus bitte hinter dem Kaiser-Wilhelm-Platz in die Kaiserstraße und in der Hafenstraße halten Sie dann bitte.“

„Sehr wohl, der Herr!“, kam die Antwort, und wir rumpelten in die angegebene Richtung. Die andere Kutsche behielt ihre gerade Richtung und fuhr am Packhof entlang, dadurch mit uns parallel. Das hatte ich erhofft, ließ schließlich an einer Hofeinfahrt halten und kletterte aus der Droschke.

„Hören Sie, mein Lieber!“, sprach ich meinen Kutscher an und zog dabei die Geldbörse. Als ich mit dem Geldschein wedelte, bekam der Mann große Augen. „Sie haben noch meine Reisetasche auf der Rückbank und werden damit eine gute halbe Stunde spazieren fahren, bevor Sie mich hier wieder abholen. Dann verspreche ich Ihnen noch eine lohnende Fahrt hinaus nach Oberlößnitz. Das hier als erste Zwischenvergütung. Ich verlasse mich auf Sie und habe mir natürlich Ihre Droschkennummer gemerkt.“

„Selbstverständlich, der Herr. Nach Oberlößnitz also?“

„Ja, Villa Agnes, Nizzastr. 1d. Sollten Sie hier länger als eine halbe Stunde auf mich warten müssen, bin ich verhindert. Dann bringen Sie bitte meine Reisetasche zu der Adresse und informieren Sie meine Frau, sie wird dann die Polizei verständigen müssen. Hier ist meine Karte.“

Der Kutscher versprach, alles gewissenhaft zu erledigen, und ich war nun einigermaßen beruhigt. Als er die Hafenstraße wieder verließ, sah ich mich kurz auf dem Hof der Fabrik um, an der ich ausgestiegen war.

Da nahten sich die typischen Fahrgeräusche von Kutschenrädern auf dem groben Pflaster, und ich hatte gerade noch genügend Zeit, mich hinter die Einfahrt zurückzuziehen, als die Kutsche mit dem Bärtigen langsam vorüberrollte. Er hatte entweder einen Verdacht gefasst oder einen erneuten Umweg eingeschlagen, um mögliche Verfolger zu erkennen.

Als ich einen raschen Blick hinter der steinernen Einfahrt riskierte, sah ich das blasse, bärtige Gesicht des Fremden am herunter gelassenen Fenster seines Fahrzeugs. Er konnte mich allerdings nicht ausmachen, und ich hörte, wie die Fahrgeräusche langsam verklangen. Gleich darauf war ich an der Einfahrt und bemerkte, wie die Kutsche gerade auf einen anderen Hof abbog. Da es hier mehrere große Lagerhallen gab, war meine weitere Annäherung unproblematisch. Sollte mir jemand entgegenkommen, konnte ich jederzeit zu einer der hier ansässigen Firmen abbiegen und vorgeben, dort etwas zu erledigen zu haben. Aber alles ging glatt. Ich erreichte ungesehen die Einfahrt, hinter der die Kutsche verschwunden war. Ich konnte sie auf dem Hof warten sehen, während der Kutscher abgestiegen war und eben dem Bärtigen half, eine offenbar schwere Kiste aus einem Gebäude zu tragen und in der Kutsche abzustellen. Dann wurde die Haustür von draußen wieder verschlossen und man machte Anstalten, die Fahrt fortzusetzen. Also sah ich mich rasch nach einem Versteck um, entdeckte eine schmale Gasse zwischen zwei langgestreckten Lagerhallen, huschte dort in das Halbdunkel und presste mich an die Hauswand, als die Kutsche in raschem Tempo die Hafenstraße zurückfuhr.

Kaum war das Fuhrwerk in der Ferne verschwunden, war ich auf dem Hof und sah mir interessiert das Grundstück an. Hier gab es ein einfaches, schlichtes Steinhaus, wie man es häufig auf dem Gelände einer kleinen Fabrik hat, dazu eine größere Lagerhalle. An der Lagerhalle verkündete ein großes Schild Antiquitäten & Kunst.

Dann entdeckte ich das kleine Messingschild an der Haustür und beugte mich darüber, um das eingravierte Zeichen mit dem Sinnspruch zu entziffern.

Zunächst einmal handelte es sich um eine recht künstlerisch ausgeführte Wappenfigur, bei der ein Mann auf einem geflügelten Löwen ritt – was ich schon bemerkenswert fand. Dann entzifferte ich die lateinische Inschrift, die das ausgefallene Wappen umrandete. Amat Victoria Curam, las ich, was etwa Der Sieg liebt die Vorbereitung bedeutet und für mich etwas unpassend erschien, wenn die hier ansässige Firma mit Antiquitäten und Kunst handelte. Wozu diente einem solchen Händler eine derartige Wappeninschrift?

Leider waren die Fenster alle von innen mit dicken Vorhängen zugezogen, sodass ich nichts erkennen konnte. Ich untersuchte die Rückseite des Hauses, fand zwar eine Tür, aber auch die war verschlossen und sehr massiv. Also war als Nächstes das Lagerhaus dran, und hier hatte ich mehr Glück. Ebenfalls auf der Rückseite gab es mehrere leere Holzkisten, die man hier gestapelt hatte. In gut zwei Metern Höhe entdeckte ich ein gekipptes Fenster, turnte rasch über die Kisten hinauf und fand durch Umhertasten den Riegel. Keine zwei Minuten später ließ ich mich im Inneren des Lagerhauses auf den Boden, dabei immer gewärtig, von irgendwoher Stimmen zu hören und die Schritte von Lagerarbeitern. Aber in der Halle herrschte Dämmerlicht, weil auch hier die Fenster zur Vorderseite alle verhängt waren, und der menschenleere Eindruck des ganzen Anwesens täuschte nicht. Hier war niemand, und ich begann nun mit der Untersuchung der Halle.

Neben zahlreichen, offenen Holzkisten, Verpackungsmaterial wie Holzwolle und kleinen Pappstücken gab es hier nur eine einzige, rechteckige, verschlossene Kiste unmittelbar hinter dem Fenster, durch das ich eingedrungen war. Ich strengte meine Augen an, um die Inschrift auf einem Zettel entziffern zu können, auf dem eine sehr akkurate Handschrift eine Adresse geschrieben hatte.

Mr Habib Bey, Umm Qasr, las ich als Empfänger.

Seltsam. Warum wollte jemand eine Kiste in eine winzige Stadt am Golf von Persien senden? Habib Bey? Der Name sagte mir nichts, aber die türkische Anrede Bey bedeutete eigentlich nur Herr, in der Hierarchie der Herrscher stand der Bey unter dem Pascha. Flüchtig galt mein Gedanke dem guten alten Krüger Bey, dem Obersten der Leibgarde beim Bey von Tunis und Sohn eines Brandenburger Bierbrauers, den ich einst kennen- und schätzen lernte. Sein Herr, Mohammed es Sadok Pascha, schenkte ihm größtes Vertrauen, und ich schätzte seine Art und seine Hilfsbereitschaft.

Kurz entschlossen nahm ich mein Taschenmesser heraus und begann, die Nägel im Deckel damit zu lockern, was eine ziemlich mühsame Arbeit war. Endlich gelang es mir, die Kiste zu öffnen, und eingebettet in zahlreiche Lagen von Stroh ertastete ich einen länglichen Gegenstand, den ich herausziehen konnte. Noch ein paar Lagen Stoff entfernt, und ich hatte etwas in der Hand, das zunächst an ein Stück einer alten, dünnen Säule erinnerte. Dann aber dämmerte mir, was es tatsächlich war – ein uraltes Rollsiegel, wie es schon vor unglaublich langer Zeit von den Herrschern im Orient verwendet wurde. Im unsicheren Licht konnte ich nicht sehr viele Einzelheiten entdecken, aber schließlich doch ein paar Figuren, darunter einen Mann, der auf einem geflügelten Löwen stand und seinen gespannten Bogen zur Seite hielt.

Eine antike Kostbarkeit, da war ich mir vollkommen sicher. Rasch wickelte ich die Stoffbahnen wieder darum, schob das Rollsiegel wieder zwischen das Stroh und sah mich dann nach einem Gegenstand um, mit dem ich die Kiste leichter wieder verschließen konnte. Einige Ziegelsteine fanden sich in einer Ecke, man legte sie vermutlich unter die Kisten, um sie vor Feuchtigkeit zu schützen. Rasch waren die Nägel wieder eingeschlagen, ich sprang zum Fenstersims und zog mich hinauf. Dort oben verharrte ich kurz und vergewisserte mich, dass mein Einbruch nicht beobachtet war. Als ich zum Treffpunkt mit meiner Droschke zurückgekehrte, empfing mich der wartende Kutscher mit einem Seufzer der Erleichterung.

„Ein Glück, Herr, dass Sie wieder rechtzeitig zurückgekommen sind. Ich hatte schon befürchtet, dass Ihnen etwas zugestoßen ist!“

„Danke für Ihre Geduld. Jetzt also bitte nach Hause, es wird Zeit für mich, meine sicher schon sehr beunruhigte Ehefrau in die Arme zu schließen!“

Kaum saß ich auf der gepolsterten Bank, als die Pferde antrabten und wir in rascher Fahrt durch die Stadt fuhren.

Noch einmal entlohnte ich meinen Kutscher großzügig, und der Mann strahlte vor Glück, als er sich verabschiedete.

„Besten Dank, der Herr. So großzügig wurde ich noch nie entlohnt, und schon gar nicht von einem Geheimen! Wenn Sie mal wieder meine Dienste benötigen, fragen Sie nach Gustav, Droschkennummer siebenundvierzig. Einen schönen Abend noch!“

Damit fuhr er davon, und während ich noch über den Geheimen lachen musste, öffnete sich hinter mir die Tür und meine liebe Frau empfing mich mit einem besorgten Gesicht.

„Eigentlich hatte ich schon das Schlimmste befürchtet, Karl! Hatte der Zug Verspätung?“

Lachend nahm ich sie in den Arm und küsste sie.

Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur

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