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8. Kapitel

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Am Spätnachmittag dieses Tages erreichten wir die Gegend der Kerkenna-Inseln, und ich bemerkte, dass Kapitän Arash unruhig wurde. Immer häufiger suchte er den Horizont mit einem Monokular ab und gab schließlich einem seiner Männer die Anweisung, die Dampfmaschine anzufeuern. Diese Tätigkeit konnte uns nicht entgehen, und als ich Lindsay darauf ansprach, blickte er mich erstaunt an. Er hatte den ganzen Tag über seinen Aufzeichnungen gebrütet und immer wieder eine Karte dabei betrachtet und schließlich mit einem Zirkel ausgemessen. Dabei tat er sehr geheimnisvoll, antwortete nur ausweichend auf meine Fragen, und als ich einmal einen längeren Blick auf die Karte werfen konnte, hatte ich zunächst Schwierigkeiten, sie zuzuordnen. Dann aber konnte ich zwei Ortsnamen entziffern und war mir nun sicher, dass es sich um einen Ausschnitt einer Gegend unterhalb Bagdads am Tigris handelte.

Meine Aufmerksamkeit wurde durch einen Ruf des Kapitäns abgelenkt, und ich trat zu ihm an das Steuer. Er reichte mir stumm das Monokular und deutete in die Richtung, in der ich die ersten Inseln erkennen konnte. Eine Weile musste ich suchen und die Schärfe für mich einstellen, dann entdeckte ich das Segelschiff. Es schien eine Dhahabiyya zu sein, eines der etwas größeren Schiffe, die man auch Sandal nannte. So rasch, wie sie sich näherte, musste sie sehr gut vor dem Wind liegen, auch wenn sie mehrfach kreuzte.

„Ich mache mir Sorgen, Effendi. Diese Dhahabiyya hält direkt auf uns zu, und ich vermute, dass man uns stoppen will.“

„Aber warum, Arash? Ist es ein Fahrzeug der hiesigen Behörden?“

Der Perser schüttelte den Kopf.

„Ausgeschlossen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich genau dieses Schiff schon einmal gesehen habe, und damals war es bewaffnet und in der Nähe trieben Holzplanken auf dem Wasser. Wir waren damals mit einem kleinen, vollkommen unbedeutenden Schiff unterwegs und lagen so hoch, dass man schon von Weitem erkennen konnte, dass unser Laderaum leer sein musste. Vielleicht sind wir nur deshalb damals ungeschoren geblieben.“

„Also Piraten? So nahe an der Küste?“

„Ideale Verhältnisse für Piraten, Effendi. Sie können zwischen den Inseln verschwinden und wieder auftauchen, ohne dass man ihnen in diesem Labyrinth folgen könnte.“

Ich nahm das Monokular wieder hoch und warf erneut einen Blick hindurch.

„Am Heck flattert eine Fahne, Arash. Kannst du das Symbol erkennen?“

Der Perser griff erneut zum Glas, sah hindurch und nickte. Seine braune Gesichtsfarbe war einem fahlen Blass gewichen.

„Allah sei uns gnädig, Effendi. Das ist einer der schlimmsten Schurken, die hier an der Küste kreuzen und kleinen Schiffen auflauern. Wir müssen zwischen den Inseln versuchen, ihm zu entkommen.“

„Hast du nicht gerade selbst gesagt, dass sich die Piraten dort bestens auskennen?“, antwortete ich verwundert und sah, dass ein Lächeln über das Gesicht unseres Kapitäns huschte.

„Das ist schon wirklich so, Effendi. Aber auch ich bin hier schon seit vielen Jahren mit den Gewässern vertraut und hoffe, dass unsere Brigg durch die Dampfmaschine einen Vorteil gegenüber dem Sandal hat.“

Als Arash nun das Ruder drehte und die Segel anders gestellt wurden, spürte ich die Vibrationen der Dampfmaschine. Sir Lindsay war jetzt ebenfalls aufmerksam geworden und kam zu uns herüber.

„Kleines Rennen mit einem Konkurrenten?“, erkundigte er sich und blickte feixend zu der großen Gestalt des Persers am Steuerruder.

„Rennen ja, aber es geht um mehr, Sir David!“, antwortete ich und deutete auf den uns noch immer rasch näherkommenden Segler. „Kapitän Arash vermutet, dass es ein Pirat auf uns abgesehen hat.“

„Ein Pirat? Wundervolles Abenteuer! Werde mein Gewehr heraufholen!“, antwortete Lindsay voller Begeisterung.

„Hat die Morning Star Schusswaffen für die Mannschaft an Bord?“, erkundigte ich mich bei Arash.

„Leider nur drei alte Karabiner, Effendi. Die beiden Nubier können damit umgehen, den dritten werde ich für mich selbst nehmen.“ Während ich nun Lindsay folgte, um meine Gewehre und die beiden Revolver zu holen, erteilte der Kapitän seine Anweisungen. Zwei Mann wurden zusätzlich für die Dampfmaschine abgestellt und schaufelten die Kohle, die ganz zweckmäßig im Mitteldeck und in unmittelbarer Nähe untergebracht war. Mühsam war es allerdings, sie mit einer Winde auf das Deck zu bringen und ich verstand recht schnell, dass man diese zusätzliche Antriebsweise nur in besonderen Fällen nutzte.

Jetzt schien sich der dicke, schwarze Rauch aus dem Schornstein zu verdoppeln, und die Morning Star flog nur so über die leichten Wellen, direkt in das Labyrinth der Inseln hinein. Die beiden Schaufelräder peitschten die Wasseroberfläche schaumig, und der Bug der Brigg erzeugte ebenfalls eine schäumende Welle.

Ich beobachtete den Sandal, der jetzt erneut auf unseren Kurs einging, allerdings auch rasch zurückfiel. Dann fuhren wir zwischen zwei dicht beisammen liegende Inseln der Kerkenna-Gruppe hinein, umrundeten sie und waren dann in dem Bereich, den unser Kapitän als Labyrinth bezeichnet hatte. Die Sonne berührte bereits das Meer am Horizont und schickte ihre letzten, goldenen Strahlen herüber, aber Kapitän Arash machte keinerlei Anstalten zum Ankern. Im Gegenteil, er fuhr zwischen den großen und kleinen Inseln hindurch, als suche er nach einem besonderen Platz, und ich bewunderte seine Kenntnis der Gewässer. Damit verließen wir die unmittelbare Umgebung der beiden größten Inseln, die man Chergui nennt, kreuzten dann wieder zwischen kleineren, unbewohnten Inseln und schließlich hielt die Morning Star auf das offene Meer hinaus, was mich verwunderte.

„Bis zur Küste können es doch kaum zehn Seemeilen sein, warum fährst du auf das offene Meer hinaus?“, erkundigte ich mich bei Arash, der seinen Platz am Steuer nicht für einen Moment verlassen hatte.

„Weil das für uns die einzig wahre Chance ist, dem Piraten zu entkommen. Er gehört zu den Menschen, die seit vielen Jahren die Gewässer unsicher machen, seine Dhahabiyya könnte uns trotz unserer Geschwindigkeit in der Nacht einholen, und wir wären seiner stark bewaffneten Mannschaft unterlegen. Auf dem freien Meer aber können wir ankern, ohne dass er sich unbemerkt annähern wird.“

Das leuchtete mir ein, und wenn auch gleich mein Misstrauen wieder erwacht war, beruhigte ich mich wieder und erörterte mit Lindsay, dass wir abwechselnd selbst an Deck wachen wollten.

Die sternenklare Nacht verlief aber vollkommen ruhig, und als ich Lindsay gegen zwei Uhr ablöste, lag unsere Brigg in einer leichten Dünung sicher vor Anker. Kaum brach jedoch der neue Tag an, waren auch wieder Segel zu erkennen, die in alle Richtungen unterwegs waren. Aber die Dhahabiyya konnte ich auch mit dem Monokular nicht ausmachen, und als der Anker gelichtet wurde, verzichtete der Kapitän auf die Kraft der Dampfmaschine, ließ die Segel setzen und hielt im großen Bogen um die in der Ferne nur als Streifen sichtbare Inselgruppe, um wieder Kurs auf die Küste zu nehmen. Gegen Abend des nächsten Tages ankerten wir an der Küste vor Tarābulus al-gharbiyya (Westliches Tarabulus), wie Tripolis im Arabischen oft genannt wird. Lindsay und ich hatten Kapitän Arash darum gebeten, denn durch die bisherigen Zwischenfälle vorsichtig geworden, wollten wir uns unauffällig in die Stadt begeben, wo Lindsay ähnlich wie in Tunis einen Händler hatte, bei dem wir unseren Proviant ergänzen und in einer etwas abgelegenen Bucht an Bord der Morning Star bringen lassen konnten.

Als wir noch am Abend fertig zum Landgang waren und uns ein kleines Boot am Strand absetzen sollte, überraschte mich Lindsay mit seinem neuen Auftritt.

„Well, Master, da staunt Ihr! Habe mich entschlossen, einmal den Hanswurst zu geben und eine arabische Dschalla-Dings angezogen.“

„Das nennt man Dschallabija, und sie steht Euch ausgesprochen gut. Jedenfalls werden wir damit weniger Aufsehen erregen als mit Eurem geliebten, englischen Tweed-Anzug!“

„Oho, habt Ihr etwas gegen meinen wunderbaren Anzug aus bester, maßgeschneiderter Fertigung, Master? Seid gewiss, dass ich davon ausreichend mitgenommen habe, um mich jederzeit wieder in einen zivilisierten Menschen verwandeln zu können!“

Ich erklärte lachend, dass ich ihm jederzeit zur Seite stände, sollte jemand den großkarierten Anzug für passender erklären als sein derzeitiges Kleidungsstück.

Wir legten den Weg in der Dämmerung rasch zurück und standen kaum eine Stunde später vor dem Haus des hiesigen Kaufmanns. Neugierig musterte ich die mit Lehm verschmierte Wand vor mir, aber das erwartete Messingschild fand sich hier nicht.

Nach dem Betätigen des Klingelzuges dauerte es eine ganze Weile, bis geöffnet wurde, und als schließlich ein Diener die Tür öffnete und uns mit einer Laterne anleuchtete, schrak er zusammen.

„Oh, der Inglisman! Aber mein Herr ist nicht zu Hause, Effendi, er musste in dringenden Geschäften nach Bagdad reisen!“ Der Mann hatte eine kleine, dicke Figur und steckte in einem nicht sonderlich ordentlichen Kaftan. Seine Kopfbedeckung bestand aus einem Fes mit einem darum gewickelten, vor Schmutz starrenden Tuch – das jedenfalls ließ sich selbst im Licht seiner Laterne erkennen.

„Zounds!“, stieß Lindsay verärgert aus. „Mister Hassan hat doch gewusst, dass ich in dieser Zeit vorbei kommen würde! Wir brauchen Vorräte und wollen weiter!“

„Da kann ich nicht helfen, Effendi, ich bin allein im Haus, der Herr hat das Komptoir abgeschlossen, als er aufbrach. Ich bin nur der Hausdiener!“

„Unglaublich, aber Ihr werdet von mir hören!“, polterte der wütende Lindsay, wandte sich um und stapfte davon, ohne sich um mich zu kümmern. Ich wollte noch etwas zu dem Hausdiener sagen, aber der schlug rasch die Türe zu und legte mit deutlichem Geräusch von innen einen Riegel davor.

Also zogen wir unverrichteter Dinge wieder ab, gingen an den Strand zurück, wo die Ruderer auf uns warteten. Erstaunte Gesichter blickten uns entgegen, denn so früh hatte wohl niemand mit unserer Rückkehr gerechnet. Die beiden Matrosen, die uns an Land gebracht hatten, saßen im Boot und rauchten, als wir so unerwartet vor ihnen auftauchten.

Eine Laterne hatten sie nicht dabei, was vermutlich noch zur Überraschung beitrug. Jedenfalls sprangen sie auf, schoben das Boot ins Wasser und halfen uns, an Bord zu kommen.

Tripolis liegt am Golf von Gabès, und hier gibt es einen stärkeren Tidenhub als im übrigen Mittelmeer. Kapitän Arash hatte die Morning Star schon mit Rücksicht auf ihren Tiefgang und die beiden, seitlich angebrachten Schaufelräder, etwas weiter vom Strand entfernt geankert, und die Jacht trieb jetzt um ihren Anker als dunkler Schatten auf dem fast schwarz wirkenden Wasser.

Sir David war verärgert und schwieg, ich hing meinen Gedanken nach, die beiden Ruderer legten sich mächtig ins Zeug, um so schnell wie möglich wieder an Bord zu gelangen und ihre Koje aufzusuchen. Sie hielten das Boot für uns im Gleichgewicht, ich ließ Lindsay den Vortritt, und geschickt hangelte er sich auf dem schwankenden Fallreep an Deck, dicht von mir gefolgt. Gerade hörte ich, wie er von der Reling aufs Deck hinuntersprang und einen dumpfen Laut von sich gab, da war ich ebenfalls oben, griff das Gitter und folgte ihm mit elegantem Schwung nach.

Eine Bewegung konnte ich in der Dunkelheit hinter mir nur noch erahnen und wich instinktiv zur Seite aus. Dadurch traf mich der Schlag zunächst heftig auf die Schulter und ließ den Schmerz durch meinen Körper rasen. Der nächste Schlag meines Angreifers aber erwischte mich direkt am Kopf. Sterne schienen um mich herum zu funkeln, als ich auf das Deck fiel.

Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur

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