Читать книгу Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur - Tomos Forrest - Страница 14

9. Kapitel

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„Seid Ihr wach, Master?“

Die Stimme Lindsays schien aus großer Entfernung an mein Ohr zu dringen, und mühsam versuchte ich, mich aufzurichten. Aber das verhinderten meine Fesseln, und ein scharfer Schmerz im Kopf hinderte mich daran, den Versuch zu wiederholen.

„Was … ist geschehen… ich kann mich nicht erinnern.“

„Nun, man hatte uns an Bord erwartet und mit ein paar Schlägen abgefertigt. Jetzt sind wir unterwegs. Üble Burschen, diese Piraten!“

„Piraten? Aber wie konnten die …“

Erneut zuckte der scharfe Schmerz durch meinen Kopf und brachte mich zum Verstummen. Nach und nach kehrte die Erinnerung zurück. Der schmuddelige Hausdiener und unsere vorzeitige Rückkehr. Das Ruderboot brachte uns zurück, beim Erreichen des Decks wurden wir niedergeschlagen. Was war inzwischen geschehen?

„Habe schon das Vergnügen gehabt mit einem der Oberschurken!“, erklärte Lindsay jetzt, während ich versuchte, etwas von unserer Umgebung wahrzunehmen. Offenbar hatte man uns in die Segelkammer im Bug eingesperrt, denn ich konnte den typischen Geruch von Leinwand und Meerwasser wahrnehmen. Als ich mich einmal um die eigene Achse drehte, stieß ich gegen eine zusammengelegte Segelbahn und nahm an, dass sich dahinter gleich die Bordwand befinden musste. Licht fiel nur spärlich durch ein paar dünne Deckenritzen, genügte aber zur Orientierung, weil sich die Augen inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

Ich hörte deutlich das Rauschen um uns herum, außerdem vibrierte der Boden leicht und das Stampfen der Dampfmaschine war kraftvoll. Wir bewegten uns also in voller Fahrt mit unbekanntem Ziel über das Meer.

Da waren polternde Schritte über uns zu vernehmen, gefolgt von Geräuschen, die beim Öffnen der Kammer entstanden.

Grelles Sonnenlicht fiel plötzlich herein und blendete mich.

Auf Arabisch schrie jemand Lindsay an, dann wurde er gepackt und aus der Kammer gezogen. Leider antwortete mir niemand auf meine Frage, warum wir überfallen wurden – die Tür fiel wieder zu, und erneut umgab mich das Dämmerlicht. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis man meinen englischen Reisegefährten zurückbrachte und ihn rücksichtslos auf den Boden warf, wo er mit leisem Stöhnen neben mir landete.

„Was hat man mit Euch gemacht?“, erkundigte ich mich, denn Lindsay stöhnte noch immer leise, aber dann vernahm ich seine Stimme:

„Well, diese Burschen müssen dem Henker übergeben werden. Haben mich geprügelt, obwohl ich gefesselt war. Üble Verbrecher ohne jede Fairness. Aber wartet nur, bis ich meine Hände wieder frei habe!“ Mit diesen Worten schien sich der Engländer förmlich aufzubäumen, gab aber seine Bemühungen gleich darauf mit einem Stöhnen wieder auf.

„Was wollen die von uns?“

„Nun, natürlich meinen Fowling Bull, Master, was sonst?“

Diese Antwort war so albern, dass ich trotz unserer Situation auflachen musste.

„Ihr habt einen Fowling Bull, Sir David?“

„Will ich meinen, jedenfalls so gut wie sicher. Hatte Euch doch von geheimen Informationen gesprochen. Wartet es nur ab, bis Ihr ihn seht. Ist ein Prachtexemplar.“

Erneut schien sich Lindsay zu bemühen, seine Fesseln zu lockern, denn ich hörte, wie er sich mehrfach mit den Füßen an der Bordwand abstemmte und mit den gefesselten Armen um sich schlug.

„Mal abgesehen davon, dass wir uns hier in keiner beneidenswerten Lage befinden – habt Ihr etwas über die Mannschaft erfahren können?“

„Sind wohl fast alle noch am Leben. Müssen für die Piraten das Schiff steuern. Die Dhahabiyya folgt unserer Jacht.“

Ich wurde langsam ungeduldig. Die Art seiner Antworten trug nicht gerade dazu bei, mir einen Überblick unserer Lage zu verschaffen. Etwas schroff erkundigte ich mich deshalb:

„Und die Piraten wollen einen Fowling Bull stehlen, der für Euch – was genau? – bereits ausgegraben auf die Verschiffung wartet? Sir David, ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr mir ein wenig ausführlicher erzählen könnt, weshalb wir seit unserem Aufbruch aus Deutschland verfolgt, beobachtet und bestohlen werden, um schließlich hier an der Küste vor Tripolis in die Gewalt einer Piratenbande zu kommen?“

Lindsay mochte von den Misshandlungen Schmerzen haben, denn er stöhnte erneut, bevor er antwortete. Ich kannte ihn als zwar schrulligen, aber auch ausdauernden Sportsmann, der sich wohl seiner Haut zu wehren wusste und dabei ein Meister im Boxen war.

„Kann nicht über Einzelheiten reden, Master, zu gefährlich. Außerdem könnten diese Kerle da draußen mithören, was ich weiß. Nur so viel: Meine Gewährsleute haben im Zweistromland einen längst vergessenen Tempel des Gottes Aššur entdeckt und einige sehr interessante Ausgrabungen gemacht. Da aber das Geld fehlte, bin ich eingesprungen, yes. Und man hat mir glaubwürdig versichert, dass sich dort ein Prachtexemplar eines Fowling Bulls befindet.“

„Verstehe. Aber eine steinerne Figur wird ja wohl kein Grund für diese Menschen sein, uns mit aller Macht festzusetzen oder gar auszuschalten!“

Lindsay brummte etwas, was ich nicht verstand.

„Was habt Ihr gesagt, ich habe nicht verstanden – was ist mit diesem Gott?“

„Alte Schriften berichten von Gold in einer Grabkammer. Der assyrische König Salmānu-ašarēd I. erbaute den Tempel von Éḫursagkurkurra für den Gott wieder auf und ließ ihn mit kostbaren Kräutern, vor allem aber mit Edelsteinen, Kupfer, Gold und Silber im Fundament füllen.“

Ich stieß einen Grunzlaut aus, denn mir kochte die Galle über. Warum hatte mir Lindsay das alles verschwiegen? Aber noch bevor ich meinem Unmut Luft machen konnte, fügte er hinzu:

„Die Expedition zu dem Fundort geriet bereits in Lebensgefahr, weil sie mehrfach angegriffen wurde. Erst fielen ein paar Schüsse, die als Warnung dienen mochten. Dann gab es den ersten Toten. Eines Morgens fand man einen der Arbeiter mit durchgeschnittener Kehle. Als die Archäologen ihre Arbeit noch immer nicht einstellten, wurde auf geheimnisvolle Weise ihr gesamtes Trinkwasser über Nacht aus den Vorratsbehältern abgelassen. Als man die Lebensmittelvorräte untersuchte, stellte man fest, dass sie vergiftet waren. Glücklicherweise hatte niemand davon gegessen, sondern wurde durch einen scharfen Geruch gewarnt.“

„Jetzt wird es interessant, Sir David! Und weshalb habt Ihr mir das alles bislang verschwiegen?“, entgegnete ich unwirsch.

„Habe Euch Abenteuer versprochen, well“, antwortete er und verfiel wieder in seine kurze Art, zu antworten. Aber diesmal ließ ich nicht locker.

„Ist diese seltsame Bruderschaft hinter uns her?“

Lindsay schien für einen Moment den Atem anzuhalten, bevor er ihn mit einem lauten Schnauben wieder ausstieß.

„Hatte das für Humbug gehalten. Aber nun bin ich überzeugt, dass wir es mit einer Verbrecherbande zu tun haben, die sich als Bruderschaft bezeichnet. Pah, Bruderschaft! Verbrecher ist die richtige Bezeichnung!“

Unser Gespräch verstummte, weil sich jemand wieder an der Tür zu schaffen machte. Vielleicht hatte ja Lindsay mit seiner Vermutung recht, dass wir belauscht wurden. Trotzdem war ich verärgert, dass er mich nicht eingeweiht hatte. Jetzt fiel erneut grelles Licht in unser Gefängnis, und jemand schob etwas scharrend auf dem Holzboden entlang. Gleich darauf wurde die Tür erneut verschlossen und ich bemühte mich, etwas nach vorn zu rutschen, um den Gegenstand zu untersuchen.

„Hat man Töne!“, empörte ich mich. „Hier steht eine Schale mit Wasser! Sollen wir wie die Tiere daraus mit der Zunge schlabbern?“

Aber um solche Vorbehalte scherte sich niemand von unseren Wächtern, und da ich bereits seit einiger Zeit meinen trockenen Gaumen spürte, kam mir die Antwort von Lindsay gerade gelegen.

„Lasse Euch gern den Vortritt, Master. Habe genug von meinem Blut geschluckt, um nicht durstig zu sein.“

Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur

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