Читать книгу Sklavenhölle - Tomàs de Torres - Страница 11

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SIE SETZTE SICH auf den schalenförmigen Schreibtischsessel, der ebenso elegant wie unbequem war, bückte sich und schaltete den Computer ein. Sie hörte das Startgeräusch des Lüfters, und ein erschreckender Gedanke durchzuckte sie.

Was mache ich, wenn das Ding nach einem Kennwort fragt?

Doch der Computer startete ohne Rückfrage, und eine Minute später saß Charlie vor einem blauen Desktop mit Statuszeile. Links oben prangte ein einsames Papierkorbsymbol.

Ihre aufgeflammten Hoffnungen zerstoben. Der Computer schien noch leerer zu sein als ihr Gehirn, falls das überhaupt möglich war.

Sie klickte auf den Papierkorb.

Sogar der ist leer!

Über das Startmenü rief sie den Explorer auf und klickte sich durch mehrere vorinstallierte persönliche Verzeichnisse – alle leer. Erst als sie den Explorer wieder schloss, registrierte sie, wie leicht ihr das alles fiel. Computer waren ihr offensichtlich nicht unbekannt.

Der Web-Browser …

Sie öffnete den Internet-Explorer und überprüfte die Favoriten. Es gab ein einziges Lesezeichen mit dem Namen slavehell.com. Mit einem Mausklick stellte Charlie die Verbindung her, doch es erschien nur die Aufforderung, einen Zugangscode einzugeben.

Was ist mit E-Mails?

Outlook verzeichnete einen einzigen Eingang, zwei Wochen alt: eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bei S & M Dreams Inc., gezeichnet mit »Yolanda«. Das Ausgangsfach war leer.

Charlie sank im Sessel zusammen. Ein unpersönliches Apartment, ein nagelneuer Computer – es war, als habe ihr Leben erst vor zwei Wochen begonnen. Alles deutete darauf hin, dass hier jemand versucht hatte, Spuren zu verwischen. Wer mochte das gewesen sein? Sie selbst?

Sie stützte den Kopf in die Hände und versuchte, die aufwallende Panik zurückzudrängen und logisch zu denken. Sie rekapitulierte die letzten Tage. Es musste einfach irgendwelche Hinweise auf ihr früheres Leben geben! Oder zumindest darauf, wodurch sie ihr Gedächtnis verloren hatte.

Vielleicht sehe ich mir noch mal den Vertrag an …

Als sie die Handtasche öffnete, fiel ihr die DVD entgegen, die Yolanda ihr mitgegeben hatte. Sekundenlang starrte Charlie sie unschlüssig an, dann zuckte sie mit den Schultern.

Was habe ich zu verlieren, außer Zeit?

Sie ging zurück zum Computer und öffnete die Plastikbox. Außer einer DVD enthielt sie einen kleinen gelben Zettel, auf dem handschriftlich eine sinnlose Folge von Buchstaben und Ziffern notiert war. Es sah aus wie …

»Ein Login-Code!«

Mit fahrigen Bewegungen rief sie abermals slavehell.com auf und tippte die Zeichenfolge ab, wobei sie sich zweimal verschrieb. Ein bebildertes Auswahlmenü mit dem Titel »Aktuelle Live-Shows« erschien. Charlie las Überschriften wie »Bühne 2«, »Bühne 6: OC in Aktion«, »Zelle 3«, »Käfig 7«, »Der Narrenturm«, »Die Schrecken der Inquisition« und »Gestapo-Gefängnis«.

Sie klickte auf »Bühne 2«. Ein bildschirmfüllendes Fenster öffnete sich. Im ersten Moment glaubte Charlie, in den Raum zu blicken, in dem sie während der letzten Tage jeweils mehrere Stunden zugebracht hatte, doch dann bemerkte sie einige Unterschiede. Die Treppe im Hintergrund fehlte, dafür gab es vier Holzpfähle, an die mit Händen und Füßen eine nackte Frau gefesselt war. Sie wand sich unter einem Kugelkopf-Vibrator, den ihr ein Wärter – nicht der Zyklop – zwischen die gespreizten Beine presste. Schweiß glänzte auf ihren zitternden, von blauroten Striemen überzogenen Brüsten.

Als die Frau unter einem Orgasmus aufschrie, drückte Charlie die ESC-Taste. Das Menü erschien, und sie klickte auf »Käfig 7«. Eine nackte Asiatin kauerte in der Ecke eines aus dicken Eisenstangen gebildeten Käfigs und versuchte, etwas zu essen. Das wurde jedoch durch eine Art Metalltrichter erschwert, der an ihrem Hals befestigt war und sich nach oben zu verbreiterte, wie eine jener Manschetten, die Haustieren mit Kopfverletzungen angelegt wurden, damit sie die Wunden nicht wieder aufkratzten. Im Fall der Asiatin verhinderte der Trichter, dass sie die Hände zum Mund führen konnte. So warf sie die Fleischstücken in den Trichter und versuchte dann unter allerlei Verrenkungen, danach zu schnappen.

In »Zelle 3« schließlich erkannte Charlie ihre eigene Zelle wieder oder zumindest eine sehr ähnliche. Ein Mädchen saß der Kamera gegenüber, mit einem eisernen Halsreif an die Wand geschmiedet, die Beine weit gespreizt und ebenfalls gefesselt, während dazwischen eine Handvoll Mäuse um einen Fressnapf wieselten.

Charlie hatte genug gesehen. slavehell.com beziehungsweise S & M Dreams Inc. betrieb offensichtlich eine Vielzahl von Live-Shows, die zahlende Kunden über das Internet ansehen konnte. Die Frauen nahmen freiwillig daran teil und wurden dafür entlohnt.

Sie schloss den Browser und schob die DVD ein. Die Live-Shows interessierten sie nicht weiter; wichtig war lediglich, was mit ihr selbst geschehen war. Vielleicht würde der Inhalt der DVD diese Frage beantworten?

Rasch stellte Charlie fest, dass die Disc tatsächlich einen Zusammenschnitt ihres Aufenthalts bei slavehell.com beinhaltete, mit einer Gesamtlänge von etwa zwei Stunden. Sie ließ den Film in vierfacher Geschwindigkeit ablaufen und verlangsamte nur an solchen Stellen, die sie für interessant hielt. Derjenige, der den Film zusammengestellt hatte, hatte sich nicht an die zeitliche Abfolge gehalten, sondern die Szenen mehr oder weniger nach Themen aneinandergereiht.

Charlie sah sich selbst in ihrer Zelle, aus verschiedenen Blickwinkeln und in Gesamt- ebenso wie in Großaufnahmen: wie sie in ihren Ketten schlief, wie sie ohne Zuhilfenahme ihrer Hände aus dem Napf fraß oder Wasser leckte, wie sie in der Ecke kauerte und ihre Blase oder ihren Darm entleerte. Alles war via Internet live übertragen, kein Detail ausgelassen worden. Charlies Vermutung, dass sich hinter den runden Löchern in den Zellenwänden Kameras verbargen, wurde zur Gewissheit.

Es folgte eine kurze Sequenz, in der sie wie ein Seehund durch den Käfiggang robbte, dann erschien die »Bühne«.

Mit brennenden Augen starrte Charlie auf den Bildschirm. Es war nicht nur die Anspannung, die Ungewissheit, ob sie endlich die Antworten auf zumindest einige Fragen erhalten würde – es war mehr: Sie spürte Feuchtigkeit zwischen ihren nackten Schenkeln und ein beinahe schmerzendes Verlangen in ihren steil aufgerichteten Brustwarzen.

Die Szenen erregten sie.

Nicht nur jene Szenen, in denen sie durch einen Dildo oder durch einen Mann, der sie von vorn oder von hinten nahm, zum Orgasmus gebracht wurde, sondern auch die anderen: als sie, an einen Holzbalken gefesselt, 20 Streiche mit dem Rohrstock erhielt; als sie, an den Füßen aufgehängt, es einem der Wärter mit dem Mund machte, bis dieser sich in sie ergoss – Handler, schoss es ihr durch den Kopf, die korrekte Bezeichnung ist nicht Wärter, sondern BDSM-Handler1 –; als sie den »Peitschentanz« aufführte; sogar als einer der Handler sie mit Elektroschocks traktierte. Das war eine Szene, an die sie sich nicht erinnerte; sie erinnerte sich jedoch sehr wohl, wie der Zyklop sie in ihrer Zelle mit dem Stock berührt hatte. Damals war sie keineswegs erregt gewesen, nur erfüllt von Schmerz, aber jetzt, wo sie sich diese Szenen ansah …

Die Erkenntnis, dass sie von Natur aus devot war, überraschte Charlie nicht mehr. Tief in ihrem Herzen hatte sie das bereits gewusst, als sie das Halsband entdeckt und angelegt hatte. Sie erinnerte sich an die Wärme und das Gefühl der Geborgenheit, das sie verspürt hatte.

Aber wo war ihr Herr, ihr »Meister«? Sie musste einen haben, andernfalls ergaben Halsband und Fingerring keinen Sinn. Hatte er ihr befohlen, sich bei slavehell.com zu bewerben? Doch warum meldete er sich nicht? Wo war er – und vor allem: wer?

Sie ließ den Film weiterlaufen. An solchen »Shows« waren bis zu fünf Frauen und zwei Handler beteiligt. Die Weißblonde mit den kurzen Haaren und dem Ohrring war oft neben Charlie zu sehen, und auch die Schwarzhaarige mit der auf den Arm tätowierten 79 hatte längere Auftritte. Mit ihr wurde offensichtlich besonders hart umgegangen.

Dann kam eine Szene, in der Charlie beinahe freischwebend im Raum hing, etwa anderthalb Meter über dem Boden, gehalten von nur zwei Riemen: einer war mit einer Stange verbunden, an deren Enden Charlies Fußgelenke gefesselt waren, der andere mit einem Ledergeschirr, das um ihren Brustkorb lag, mit Aussparungen für die Brüste, an denen Elektroden angeklemmt waren. Ihre Hände hatte man auf den Rücken gefesselt, und zwischen ihren gespreizten Beinen stand auf einem Dreibeinstativ eine Vorrichtung, der irgendein Witzbold den Namen Franz gegeben hatte: ein automatischer Dildo, im Volksmund auch »Fickmaschine« genannt. Ein Elektromotor bewegte mithilfe eines Exzenters einen Dildo in steuerbarer Geschwindigkeit vor und zurück. Charlie wurde in den Fesseln hin- und hergeworfen, während sie ein lang anhaltendes Heulen ausstieß. Es war schwer zu beurteilen, ob dieses Heulen Ausdruck des Schmerzes oder der Lust war.

Möglicherweise beides, dachte Charlie und spielte mit ihrer linken Brustwarze.

Mitten in dieser Szene erfolgte ein Schnitt zu der Weißblonden, die vor einem anderen Handler kniete und, da ihre Handgelenke an ihre Fersen gekettet waren, mit den Zähnen versuchte, seinen Hosenschlitz zu öffnen. Genau in dem Moment, als ihr dies gelang und sein halb aufgerichtetes Glied heraussprang, wurde Charlies Aufmerksamkeit durch eine Bewegung im Bildhintergrund abgelenkt, die so abrupt und kurz war, dass sie unnatürlich erschien. Doch bevor sie erkennen konnte, was da geschehen war, wechselte das Bild abermals: Großaufnahme des Kopfes der Weißblonden, aus einer anderen Perspektive, wie sie das Glied des Handlers zwischen die Lippen nahm.

Charlie hielt den Film mit einem Mausklick an und fuhr mit einem zweiten einige Sekunden zurück.

Der Schatten …

Im Hintergrund war der Schatten einer schwebenden Frau zu sehen, erkennbar an den baumelnden Brüsten. Nach Lage der Dinge konnte es nur Charlies eigener Schatten sein, zumal auch noch die Stange mit dem Dildo ins Bild ragte. Und dann …

Charlie klickte sich einzelbildweise weiter. Jetzt war der Schatten noch da, im nächsten Bild sah er seltsam schief aus, und im übernächsten war er beinahe verschwunden. Dann erfolgte bereits der Schnitt auf die Weißblonde.

Noch mal zurück …

Bild eins: Der Schatten hing waagrecht vor der Rückwand der Bühne. Bild zwei, etwas verwischt: Der Schatten bildete einen Winkel von annähernd 45 Grad mit dem Boden. Schlussfolgerung: Der vordere Teil von Charlies Körper war im 24. Teil einer Sekunde nach unten gesackt. Bild drei: Der Schatten »stand« senkrecht, gehalten vom Schatten des Fußriemens.

Charlie atmete tief durch und lehnte sich im Schreibtischsessel zurück. Es schien klar, was geschehen war: Der vordere Halteriemen, jener an ihrem Brustgeschirr, musste sich gelöst haben, warum auch immer. Daraufhin war ihr Oberkörper nach unten weggesackt, und sie musste mit dem Kopf auf dem Holzboden aufgeschlagen sein. Bewusstlosigkeit war wohl die Folge gewesen, vielleicht nur für ein paar Sekunden.

Bewusstlosigkeit und … Gedächtnisverlust!

1 Gesprochen "Händler", eigentlich "Hundeführer" oder allgemein "Tierbändiger". Anmerkung des Verfassers

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