Читать книгу Sklavenhölle - Tomàs de Torres - Страница 5

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EIN SCHMERZHAFTES POCHEN füllte ihr Gehirn aus und schien sogar darüber hinauszureichen. Sie glaubte zu schweben, und als sie den Kopf drehte, wuchs das Pochen zu einem Hämmern an, als ob ein Folterknecht glühende Nägel durch ihre Schädeldecke treiben würde.

Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben und langsam und kontrolliert zu atmen. Allmählich klang das Hämmern ab, doch das dumpfe Pochen blieb, synchron zum Tosen des Blutes in ihren Ohren.

Was ist passiert?

Sogar durch die geschlossenen Lider erkannte sie, dass grelles Licht auf sie gerichtet sein musste. Der Untergrund, auf dem sie lag, war stachlig und feucht, aber nicht kalt. Und er stank nach allem, was ein menschlicher Körper von sich geben konnte.

Wo bin ich?

Sie wagte weder die Augen zu öffnen noch ihren Kopf erneut zu bewegen. Da sie auf der linken Seite lag, hob sie den rechten Arm – und stieß nach wenigen Zentimetern an ein Hindernis: Etwas zog den Arm wieder nach unten. Ein Gewicht, das an einem breiten, unnachgiebigen Reif um ihr Handgelenk hing.

Etwas klirrte – eine Kette.

Ich bin gefesselt und … nackt?

Sie öffnete die Lider. Einen Spalt nur, dennoch bohrte sich der sengende Lichtstrahl durch ihre Pupillen bis tief ins Gehirn. Hastig senkte sie den Kopf. Dieses Mal war der Schmerz nicht mehr so stark, und als sich ihre Sicht klärte, erblickte sie ein Paar fester Brüste mit karmesinroten Warzen, darunter zierliche Hände, deren Gelenke von angerosteten Eisenschellen umschlossen und miteinander durch eine höchstens 20 Zentimeter lange Kette verbunden waren. Eine weitere Kette zweigte davon ab und lief durch ihren haarlosen Schritt nach unten zu den Fußgelenken, die auf die gleiche Weise gefesselt waren wie die Hände.

Mit einem langgezogenen Stöhnen richtete sie sich auf und machte dabei zwei weitere Entdeckungen: Ein schwerer Eisenreif umfasste ihren Hals, und die Verbindungskette zwischen Hand- und Fußfesseln war so kurz, dass sie die Hände nicht über die Höhe des Nabels heben konnte, solange sie ausgestreckt dalag.

Was ist passiert, verdammt noch mal? Wie komme ich hierher?

Wo bin ich überhaupt?

Zwei Lampen schienen auf sie herab, so grell, dass sie nicht hineinsehen konnte, ohne sofort wieder bohrende Kopfschmerzen zu bekommen. Immerhin erlaubte ihr das Licht, nachdem sie sich einigermaßen daran gewöhnt hatte, ihre Umgebung zu mustern.

Sie befand sich in einem Raum, dessen Grundfläche etwa zwei auf anderthalb Meter maß. Der Boden war zentimeterhoch mit feuchtem, stinkendem Stroh bedeckt, die Wände bestanden aus großen Steinquadern. Dennoch war es nicht kalt.

Geben die Scheinwerfer so viel Wärme? Wozu sind die überhaupt da? Eine Art Folter?

Wegen des blendenden Lichts konnte sie die Höhe ihres Gefängnisses nicht abschätzen, aber in der Schmalseite zu ihren Füßen befand sich eine massive Holztür mit eisernen Beschlägen, die Spuren von Rost aufwiesen. Die Tür verfügte über keine Klinke oder einen anderen sichtbaren Öffnungsmechanismus. Und sie hatte lediglich die Ausmaße einer Luke, vielleicht 60 Zentimeter breit und 80, höchstens 90 Zentimeter hoch. Die Zelle konnte somit nur kriechend betreten und wieder verlassen werden.

Auf der gegenüberliegenden Schmalseite blitzte Stahl: Ein Gitter verschloss eine weitere Öffnung, noch viel kleiner und enger als die Tür. Was dahinter lag, wurde durch einen schwarzen Vorhang verborgen.

Die Gefangene zog die Beine an und setzte sich vorsichtig auf. Täuschte sie sich, oder klangen die Kopfschmerzen langsam ab? Vielleicht gewöhnte sie sich auch nur daran. Sie lehnte sich gegen die Wand, zuckte jedoch sofort wieder zurück, als tausend kleine Flämmchen in ihrem Rücken aufloderten. Die Haut dort spannte sich und fühlte sich an, als ob sie an einigen Stellen aufgeplatzt sei.

Hat man mich ausgepeitscht?

Sie versuchte, mit den gefesselten Händen ihren Rücken zu erreichen, doch dazu waren die Ketten nicht lang genug.

Sie kauerte sich ins Stroh, die Oberschenkel eng an die bloßen Brüste gedrückt. Nur in dieser Stellung war sie in der Lage, die Hände zum Mund zu führen. Ihre Lippen fühlten sich hart und spröde an, ihre Kehle ausgedörrt.

Wasser? Gibt es hier irgendwo Wasser? Und vielleicht etwas zu essen?

Sie sah sich ein zweites Mal um. Nichts. Kein Becher, kein Teller.

Sie musterte die Wände. An einigen Stellen wies der graue Stein runde Flecken auf. Nein, keine Flecken: Löcher waren es, jeweils etwa fünf Zentimeter durchmessend. Schwarze Löcher. Dienten sie zur Lüftung?

Sie schluckte schwer und schmerzhaft und legte die Arme um die angezogenen Beine. Die Ketten bestanden aus Eisen, und jedes einzelne Glied war etwa drei Zentimeter lang und besaß eine Dicke von mindestens einem halben Zentimeter. Schwer hingen sie an ihren Hand- und Fußgelenken.

Unbestimmte Zeit saß die Gefangene so da, außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen. Dann drang ein Geräusch an ihre Ohren – das erste Geräusch außer dem Klirren der Ketten, das sie wahrnahm: ein Schaben oder Kratzen.

Es kam von der Tür.

Ihr Körper spannte sich.

Endlich kommt jemand! Hoffentlich erfahre ich nun …

Die Tür schwang nach innen auf, mit genau dem rostigen Knarren, das die Gefangene erwartet hatte. Ein Paar schwarzer Schnürstiefel mit dicken Sohlen zeichnete sich dahinter ab, so makellos glänzend, dass sie in dieser Umgebung fremdartig wirkten. Über den Stiefeln stand ein Paar ebenso schwarzer Hosenbeine mit Bügelfalten, die einknickten, als ihr Besitzer in die Hocke ging. Der breite Brustkorb eines Mannes erschien, muskulös und wenig behaart. Dann ein schwarz-grauer Vollbart, gefolgt von einem runden, glatten Gesicht. Das linke Auge schien unnatürlich vergrößert, doch Genaueres war nicht zu erkennen, da die Augen des Mannes im tiefen Schatten der wuchernden Brauen lagen. Sonst wies der Kopf keinerlei Haarwuchs auf. Die nackten Arme waren muskelbepackt. In der rechten Hand, die vorgereckt war wie die eines Tierbändigers, hielt der Mann eine lange, mehrfach geflochtene Hundepeitsche, und in der linken …

Ihre Hände zuckten vor, als sie den Wassernapf sah, wurden jedoch von der Kette gebremst. Der Mann stellte den Napf auf das Stroh, und die Gefangene ließ sich nach vorn fallen. Wie ein verletztes Tier robbte sie kettenklirrend darauf zu, presste ihre Brüste in das schmutzige Stroh, versenkte das Gesicht in den Napf und trank in tiefen, hastigen Zügen. Ihre Hände konnte sie dazu nicht benutzen; sie lagen auf der Höhe ihres Unterleibs seitlich an. Schmerzhaft drückten die Eisen gegen ihre Hüftknochen.

Ein sausendes Geräusch ertönte, und noch im gleichen Augenblick zog sich eine Feuerspur über ihre linke Pobacke. Sie stieß einen gurgelnden Schrei aus und ein Teil des Wassers spritzte ins Stroh.

»Wie sagt man?«

Sie hob den Kopf und zwinkerte Wasser und Tränen aus den Augen. Der Mann stand nun in der Zelle, ragte vor ihr auf wie der Zyklop vor Odysseus.

Einige atemlose Sekunden lang suchte sie nach Worten, wusste nicht einmal, ob sie zu sprechen in der Lage sein würde, dann hob der Zyklop den Arm mit der Peitsche.

»D-danke!« Ihre Stimme kam ihr fremd vor. »Danke!«

Der Arm sauste herab, so schnell, dass sie die Bewegung nur ahnte. Eine zweite Feuerspur raste über die andere Pobacke. Diesmal schrie sie laut auf.

»Herr! Hast du das vergessen?«

»Herr!« Sie schluchzte das Wort. »Danke, Herr!«

Etwas wie eine innere Befriedigung erfüllte sie mit einem Mal, so tief, dass sie beinahe erschrak. Was hatte diese Befriedigung ausgelöst? Das Aussprechen dieser beiden Worte?

Der Mann ging wieder in die Knie, doch sie wagte nicht, ihm ins Gesicht zu blicken. Seine linke Hand erschien in ihrem Sichtbereich. Sie war gepflegt, ohne Schmutzränder unter den sauber geschnittenen Nägeln, und das Handgelenk zierte eine teuer aussehende, silberne Uhr. Er stellte einen weiteren Napf vor ihr ab, dessen Inhalt ihren Magen aufgrollen ließ: Brot und Fleisch, in mundgerechte Bissen geschnitten.

»Danke, Herr!«, wiederholte sie aus Angst vor der Peitsche, und abermals spürte sie diese seltsame Befriedigung.

Er stieß einen knurrenden Laut aus, der Ärger ebenso wie Genugtuung ausdrücken mochte, wandte sich um, bückte sich und verließ die Zelle. Die Tür schlug zu, das Schleifen eines schweren Riegels war zu vernehmen.

Die Gefangene atmete mehrmals tief ein und wieder aus, während die Schmerzen auf ihrem Po abklangen. Schließlich robbte sie zu dem Fressnapf, presste ihren Oberkörper ins Stroh und packte die erste Brotkrume mit den Zähnen. Sie schluckte sie fast unzerkaut hinunter. Als sie das nächste Stück packen wollte, hielt sie mitten in der Bewegung inne. Die Worte des Mannes – des Wärters? – rollten durch ihr Gehirn wie das Echo eines fernen Donners.

›Herr‹! Hast du das vergessen?

Wer war dieser Mann? Sollte sie ihn kennen?

Diese Frage führte zwangsläufig zu weiteren Fragen, die sie sich bereits nach ihrem Erwachen gestellt hatte:

Wo bin ich?

Wie komme ich hierher?

Wenn sie es je gewusst hatte, so hatte sie es vergessen. Doch sie hatte noch etwas vergessen, etwas viel Grundlegenderes …

Ein einsamer Schrei klang auf, kurz und abgehackt, als sie den vollen Umfang ihrer Unwissenheit erkannte.

Wer bin ich?

Sklavenhölle

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