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4Forschungsstand Musikmedizin und Musikpsychologie oder:„Das Gehirn hört mehr als die Ohren“

von Hans-Helmut Decker-Voigt

Daran erkenn ich den gelehrten Herrn,

Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,

Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar,

Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,

Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,

Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.

(Johann Wolfgang von Goethes Mephisto, Urfaust, 1. Akt; dieses Kapitel beschreibt Gelehrsamkeit, die nicht so orthodox-dogmatisch denkt und handelt …)

Musikmedizin und Musikpsychologie sind zwei der Musiktherapie zugehörige Entitäten innerhalb jenes Zeitkontinuums frühesten Einsatzes von Musik in Heilungsritualen bis zur Gegenwart, in der sich Musiktherapie als Gesundheitswissenschaft profiliert – vor dem Hintergrund der „überlebenswichtigen Rolle, die Musik durch die Entwicklungsgeschichte des Menschen, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hindurch spielt“ (Spintge 2000, 406).

Definitionen Musikmedizin:

Eine kurze: Musikmedizin ist die Einbeziehung von Musik in die schulmedizinische Behandlungskonzeption.

Eine umfassende: „Musikmedizin ist […] die präventive, therapeutische und rehabilitative Anwendung musikalischer Reize im Gesundheitswesen, mit der Absicht, übliche medizinische Verfahren zu komplementieren, wobei die spezifische, drohende oder tatsächlich gegebene Gesundheitsstörung und deren medizinische Behandlung individuell berücksichtigt wird.“ (Spintge 2001, 8)

Definition Musikpsychologie:

„Musikpsychologie ist die Wissenschaft der Wahrnehmung von Musik, der Herstellung und Reproduktion von Musik und der Wirkungen von Musik.“ (Bruhn 1996, 241)

Musikpsychologie und Musikmedizin (Spintge nutzt die Schreibweise „MusikMedizin“) sind mit musiktherapeutischer Praxis und Forschung interdependent verbunden, d. h. sie arbeiten in einem Verhältnis wechselseitiger Bedingung und Abhängigkeit voneinander. So wie jede denkbare musiktherapeutische Fragestellung (aktuell-spezifisches Beispiel: Musiktherapeutische Begleitung von sexuell missbrauchten Kindern unter Einbeziehung von Aspekten der Psychotraumatologie) im heutigen Forschungsstand ein interdisziplinäres Arbeiten erfordert, reflektieren auch Musikmedizin und Musikpsychologie als „Nahverwandte“ der Musiktherapie ihre Forschungsthemen durch deren Einbettung in ein Netzwerk benachbarter Disziplinen.

Spintge sieht die wissenschaftliche Evaluierung von Musikmedizin „insbesondere mittels medizinischer, musiktherapeutischer, physiologischer, psychologischer und mathematisch-physikalischer Forschung“ (2000, 396). Damit definiert er auch namens der Ärzte, die Musik in die schulmedizinische Behandlung integrieren, als Teil eines komplexen Wissensnetzwerkes über die Grenzen der Schulmedizin hinaus. Der Zusammenschluss musikmedizinisch arbeitender Ärzte ist die weltweit arbeitende Forschungsgemeinschaft der „International Society for Music in Medicine“ – ISMM.

internationale

Musikmedizin

Interdisziplinäre Fachkomplexe im Wissensnetzwerk

Netzwerkdenken gilt bei jeder spezifisch musikmedizinischen Fragestellung. Ein spezifisches Beispiel: Einfluss musikalischer Rezeption auf das Schmerzempfinden des chronischen Schmerzpatienten. Eine solche Fragestellung wird musikmedizinisch nur im o. g. interdisziplinären Netzwerk bearbeitet werden können.

Netzwerke und

Interdisziplinarität

Dasselbe in der Musikpsychologie. Diese wird von Bruhn und Kollegen (1993) als Teilbereich der Systematischen Musikwissenschaft gesehen, jedoch auch in Interdependenz zu folgenden Fächern gesetzt: Sozial- und Kulturpsychologie, Wirtschafts- und Medienwissenschaften, Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie, Pädagogik, Medizin und Psychotherapie, Psychoakustik und Neuropsychologie sowie Psychophysik. Jeder musikpsychologischen Fragestellung wird sich also ebenfalls nur von dem o. g. Netzwerk interdisziplinärer Perspektiven aus genähert werden können. Ein solch spezifisches Beispiel: Wie ist der Einfluss der Musikberieselung im Supermarkt auf das Konsumverhalten des Kunden?

Apropos „Verwandtschaften“ unter den Fächern, in die Musiktherapie eingebunden ist: Wie in der menschlichen Genealogie trennen sich auch früher näher Verwandte durch die Ausformung eigener Profile im Zeitablauf der Generationsfolge von Fächern. So war Musiktherapie noch in den 70ern des 20. Jh. von der Musikpsychologin Helga de la Motte definiert worden als „Angewandte Musikpsychologie“ – zeitgleich also zu den häufigsten Definitionen durch Mediziner, wie z. B. Harm Willms. Diese sahen die Musiktherapie als Heilhilfsmaßnahme, als „Adjuvans“ der Schulmedizin, was sie medizingeschichtlich in den letzten 200 Jahren auch war.

Forschungsmethodische Unterschiede

So weit die Gemeinsamkeiten. Die Abgrenzungen zueinander und zur Musiktherapie beginnen in der Forschungsmethodik und ihrer Instrumente. Die bis heute wirkenden Unterscheidungen begründeten sich im neuen Wissenschaftsverständnis im Zuge des Aufklärungszeitalters mit seinem Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 18. Jh. Die bis dahin ganzheitlichere Sicht auf den Patienten (die psychologische, soziale u. a. Perspektiven einbeziehende Sicht des Medicus) wurde jetzt mehr und mehr geprägt vom naturwissenschaftlichen Kausaldenken und -forschen im Blick auf Ursache und (Aus-)Wirkung im Krankheitsgeschehen. (Kausalitätsprinzip vereinfacht: Wenn die und die Symptome beim Patienten zutreffen – dann verdichtet sich diese oder jene Diagnose und erfordert diese oder jene Behandlung …). Medizin wurde von dem amerikanischen Psychoanalytiker und Arzt James Hillman in den 1970er Jahren bis zu Ralph Spintge (2000) als in einer ständigen Reduzierung begriffen: Von der früheren Heilkunst über die Heilkunde bis zur heutigen angewandten Naturwissenschaft und Hochtechnologie. Die heutige Forschungsmethodik im naturwissenschaftlich-(musik)medizinischen Bereich basiert auf

naturwissen-schaftliche

Position

●der Objektivität des therapeutischen Experiments,

●der Reproduzierbarkeit des therapeutischen Erfolgs,

●den Erkenntnisfortschritten über therapeutische Erfolge durch Vergleichsgruppen.

Die Beobachtung des musikmedizinischen Forschungsgegenstandes, die Trias „Mensch (Patient) – Musikwirkung-Krankheitsentwicklung – Krankheitserleben“, wird mit erheblichem mathematisch-statistischen Aufwand begleitet und ausgewertet. Sie bezieht sich letztlich immer auch, wenn nicht zentral, auf die Auswirkung der Musik auf die Soma, auf die Körperantworten des Patienten. Sekundär, aber interdependent wird dabei auch mit der inzwischen ebenfalls in der Musikmedizin als streng individuell gesehen akzeptierten Steuerfunktion der Psyche und des emotionalen Haushaltes auf eben diese Körperantworten. Wegen der Notwendigkeit der Vergleichsgruppenarbeit (Randomisierung), die die Datenmengen nochmals potenziert, werden diese Forschungsmethoden als quantitative Verfahren bezeichnet.

Musikwirkung

auf Körper

Zweifach ist dagegen der Zugang zum Menschen in der musikpsychologischen Forschung, wenn es zentral um das Verstehen seiner seelischen Prozesse geht, wenn es um die Beobachtung seiner Gesundheit/Krankheit, um sein Musikerleben und dessen Einfluss auf Prävention, Therapie und Rehabilitation geht: Zum einen sind dann qualitative, hermeneutische Methoden angesagt, weil Diagnose und Indikation nicht immer vor der Entscheidung zur Forschungsperspektive stehen (wie in der Musikmedizin). Sie werden oft erst während des therapeutischen Prozesses deutlich. Vergleich und Kontrolle sind außerhalb des naturwissenschaftlichen Kausaldenkens in der psychologisierenden „qualitativen Forschung“ auch möglich, aber jeweils innerhalb der individuell verlaufenden Therapieprozesse. Zum anderen erfordert eine musikpsychologische Fragestellung nach der Häufigkeit des Musikhörens in bestimmten Patientengruppen bzw. überhaupt soziologisch erfassten Gruppensystemen wiederum quantitativ gestützte Auswertung empirischer Methoden (wie in der Musikmedizin). Insgesamt arbeitet Musikpsychologie der musiktherapeutischen und musikmedizinischen Behandlungsbereiche zu, sie behandelt und begleitet und untersucht Patienten nicht selbst.

Musikwirkung

auf Erleben

In der westeuropäischen Szene künstlerischer Therapien und damit der Musiktherapie, auch wenn sie in musikmedizinische und musikpsychologische Zusammenhänge eingebunden ist, gilt,

Musikwirkung im

therapeutischen Prozess

●dass jeder Therapieverlauf nur mit sich selbst vergleichbar ist,

●dass statt Reproduzierbarkeit die „dialogische Erinnerung“ besteht (gestützt durch Supervision, Intervision usw.),

●dass nicht der therapeutische Erfolg i. S. der Symptombeseitigung der Forschungsgegenstand ist, sondern der therapeutische Prozess, dessen Erfolgsbeurteilung in wissenschaft-lichen Beschreibungsverfahren tiefenpsychologisch-psychoanalytisch-morphologischer Art stattfindet (Petersen 1990).

quantitativ vs.

qualitativ

Die Unterscheidung in die später quantitativ genannte Forschung der Naturwissenschaften (einschl. Medizin) versus der qualitativen Forschung der psychologisierenden Fächer (von der frühen Psychoanalyse bis zur heutigen Musiktherapie) begann die Wissenschaftswelt in naturwissenschaftliche, geisteswissenschaftliche und (seit Mitte des 20. Jh.) sozialwissenschaftliche Bereiche zu differenzieren, teilweise schmerzhaft zu trennen und zu spalten durch die jeweiligen Ansprüche und Durchsetzungen vermeintlich „wahrer Wissenschaft“.

Des Wissenschaftsphilosophen Gadamers Erkenntnis, dass es keinen wirklich sicheren Zusammenhang zwischen Forschungsmethode und der „Wahrheit von Erkenntnissen“ gibt (1965), hat sich auch dadurch weich etabliert, dass die quantitativen Forschungsansätze (der Naturwissenschaften, hier: Musikmedizin) und die qualitativen Methoden (der Psychologie, hier: Musikpsychologie) heute einander nicht mehr einander widersprechend gegenüberstehen, sondern in gemeinsamen Forschungsthemen einander ergänzen. Beispiel Musikpsychologie:

„Die Frage nach der Häufigkeit des Musikhörens in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen [eine musikpsychologische Frage, Anm. d. Verf.] erfordert die Anwendung quantifizierender Verfahren und statistischer Auswertungsmethoden, während die Frage nach den Gründen für diese Hörgewohnheiten mit diesen Verfahren wiederum nicht zu ermitteln ist.“ (Tüpker 1996, 103)

Solche u. ä. komplexen Fragestellungen der Forschung werden in der Musikpsychologie ebenso inzwischen mit sowohl quantitativen als auch qualitativen Methoden angegangen wie entsprechende wichtige Fragestellungen der Forschung in der Musikmedizin und Musiktherapie.

Aktuelle Situation

David Aldridge stellt in einem Symposium über Grundlagenforschung fest: „Vor mindestens 10 Jahren haben forschende Musiktherapeuten weltweit den Unsinn einer solchen Trennung [von qualitativen und quantitativen Verfahren, Anm. d. Verf.] bereits erkannt“ (2005, 151). Er betont zwar die Notwendigkeit quantitativ klinischer Studien in der Musiktherapie (mit Forschungsinstrumenten der Schulmedizin und der klinischen Psychologie, Anm. des Verf.), um den Forderungen der evidenzorientierten Medizin und damit im Gesundheitswesen zu genügen, bedauert gleichzeitig aber die Vernachlässigung qualitativer Forschung.

quantitativ

und qualitativ

Der heutige Forschungsstand der Musiktherapie-Nachbarn Musikmedizin und Musikpsychologie stellt sich aktuell wie folgt dar: Musikpsychologieforschung, per se der Erforschung der Musikwahrnehmung verpflichtet, hat mit ihrer bisher überwiegenden Methodik empirisch ausgerichteter Wirkungsforschung keine Objektivierbarkeit erreicht.

Anders die Musikmedizin. Sie erreichte mit Computertomografie, Kernspintomografie und vor allem der Magnetresonanztomografie und anderen bildgebenden Verfahren Quantensprünge in ihrer Forschung und arbeitet – neben den musikmedizineigenen Zielen der kausalitätsorientierten Musikmedizin – der Musiktherapieforschung zu. Herausragend erscheint in der musikmedizinischen Forschung das „missing-link-concept“ (Spintge 2000) der Rhythmizität als Brücke zwischen Musik einerseits und Physiologie und Medizin andererseits. Dahinter stand die (erfolgreiche) Suche der Musikmedizin nach biologischen Zeitstrukturen im menschlichen Organismus. Sie entsprechen musikalischen Zeitstrukturen, welche wiederum als Resonanzadresse fungieren.

„missing-link-concept“

Rhythmizität


„Rhythmizität ist dabei definiert als strukturierte Koordination zweier oder mehrerer verschiedener Rhythmen über die Zeit innerhalb eines dynamischen Systems, wobei interaktive Phänomene wie Synchronisation, Kopplung, Verstärkung und Extinktion auftreten.“ (Spintge 2000)

Beispiele für Anwendungsfelder in Forschung und Therapie sind u. a.: Blutdruckpatienten (Hyper und Hypo), Patienten in der kardiologischen Rehabilitation, chronische Schmerzpatienten. Seit Koepchens Forschung ist bekannt, dass alle zentralnervösen Neuronennetze nach diesem Prinzip arbeiten (1992). Über eben dieses Phänomen der Rhythmizität zentralnervöser Steuerungsprozesse wurde die Wirkung musikalischer Reize als Stress- und Schmerzreduktion erklärbar. Eine zentral wichtige Synopse aus der heutigen Musikmedizinforschung ist in Tabelle 4.1 zu sehen.

Tab. 4.1: Musikalische Reize als Stress- und Schmerzreduktion (nach Spintge 2001, 389)


Interdisziplinär unzufällig und Musikmedizin mit Musiktherapie forschungsmäßig verschränkend sind die Korrespondenzen zwischen der Rhythmizitätserforschung in der Musikmedizin und der Entdeckung der Vitalitätsaffekte und der aus ihr folgenden Affektabstimmung (durch z. B. Musik) durch die Analytische Entwicklungspsychologie von Daniel Stern bzw. deren Bedeutung für die Wirkungsforschung in der Musiktherapie durch die Abhängigkeit vom musikalischen Parameter Dynamik (Stern 1992). Musikmedizin und Entwicklungspsychologie geben hier eine neue, technologieunterstützte Sichtweise von der Interdependenz zwischen Rhythmus und Dynamik und deren Bedeutung für die seelischen und körperlichen Antworten des Menschen auf Musik.

Rhythmizität

und Affekt-abstimmung

Ein aktuell stark zunehmender Anteil in der Musikmedizinforschung kommt von den Neurowissenschaften. Deren derzeitige und zu erwartenden Ergebnisse werden nicht nur das „missing-link-concept“ erweitern, sondern bedeuten auch Erklärungsmöglichkeiten der Wirkungsforschung in der Musiktherapie mit ihrer ununterbrochensten Forschungsfragestellung: Warum und wie wirkt Musik im Begleitungsprozess von Patienten? Die Möglichkeiten, via Forschung den emotionalen Schaltplan im Menschen zu organisieren und therapeutisch nutzbar zu halten, besitzen seit Einarbeitung neurowissenschaftlicher Ergebnisse nicht mehr allein die Übertragungs- und Erinnerungstechniken der Psychoanalyse oder neue Psychotherapien als Gesundheitswissenschaft, die sich immer auch aus den Wurzeln schamanistischer Heilungsrituale nähren.

Beitrag der

Neurowissen-schaften

Denn Erinnerungen, reinszenierte Bilder aus der Vergangenheit und Imaginationen (allesamt auch besonders evozierbar durch Musik als ältere Kommunikationsform als die Sprache) sind ebenso laut aktueller neurowissenschaftlicher Forschung (Arbeit mit der Positronen-Emmissions-Tomografie, PET) begabt und geeignet, Schaltstellen des Gehirns zu beeinflussen, zu modifizieren – wie die Ereignisse in der äußeren Realität. Oder kurz gefasst: Simulierte Realität tangiert, beeinflusst und steuert unser Gehirn in denselben Regionen wie die nicht simulierte Realität (Baer 2005; Kunz 2001).

bildgebendes

Verfahren PET

Ausblick

Jetzige kurz- sowie mittelfristig geplante Forschung von Musikmedizin und Musikpsychologie wird sich an folgenden Gegenwartsforderungen orientieren: Das künftige, finanzierbare Gesundheitswesen wird zunehmend mehr auf Gesundheitssupportiven, auf gesundheitsunterstützenden und -verstärkenden Methoden in Therapie und Medizin aufgebaut sein, mit gleichzeitig sich reduzierenden Systemen für die stationären Behandlungsformen des erkrankten Menschen. Dabei wird den künstlerischen Therapien und aufgrund deren voranschreitender qualitativer und klinischer Forschung zunehmend mehr die Rolle zuwachsen, die James Hillman bereits vor über einem Jahrzehnt formulierte zugunsten der Einbeziehung von Kunst (im Kontext meint Hillman alle Künste): „… die Kunst formt die Verrücktheit [Krankheit; Anm. d. Verf.], statt sie zu unterdrücken“ (Hillman/ Ventura 1993, 188).

Zukunftsforderung

Prävention

Das Jahrzehnt dazwischen ergab eben denjenigen Forschungsschub für die Musiktherapie, eingebunden in Medizin und Psychologie, der sie nicht nur im Hochschulbereich das erkennbare Profil einer Gesundheitswissenschaft schärfen ließ. Durch unsere gewachsene qualitative und zunehmend nun auch klinische Forschung unter Evidenz-Aspekten jedes Gesundheitsberufs haben Musiktherapieforschungen in Verbindung mit Musikmedizin und -psychologie die Aufmerksamkeit erregt von: Neurowissenschaften, Entwicklungspsychologie, Neuropsychoimmunologie und – nicht zuletzt – von Verwaltungsdirektionen der Kliniken und Krankenhäuser. Diese entdeckten mit Recht in der interdisziplinär angelegten Musiktherapie eine ebenso erfolgreiche wie vor allem vergleichsweise günstige Therapieform.

Gesundheitswissen-schaft „Musik-therapie“

Weitergedacht für die gemeinsamen Forschungsrichtungen von Musikmedizin und Musikpsychologie in Bezug auf Musiktherapie: Indem der Patient sein Symptom künstlerisch gestaltet (die Krebspatientin ihr Karzinom malt, der Herzinfarktpatient die Wiederholungsangst musikalisch improvisiert), gestaltet er die Symptome und deren ätiologischen Hintergrund aktiv um. Er stellt den Ausgleich dar für eine Patientenrolle, die der Klinikalltag eher als passiv, als rezeptiv, den Patienten als Behandlungsobjekt sieht, nicht als MitbehandlerIn – wie es die künstlerischen Therapien per se tun.

Die Zukunft der Forschung hängt nicht von der Zukunft der Hochschulen als ihren dafür tradierten Orten ab, sondern von der Synergie zwischen Hochschule, Berufspolitik und Praxisort. „Was wir brauchen [für die Forschung; Anm. d. Verf.], ist eine starke politische Lobby, und dies verlangt Einigkeit unter den Berufsvertretern.“ (Aldridge 2005, 151) Diese Position nehmen aktuell auch die meisten berufspolitischen Gruppierungen in der Musikmedizin (ISMM) und in der Musiktherapie einschließlich der meisten Studien- und Ausbildungsleitungen ein. Die Position der Musikpsychologie dazu ist noch nicht formuliert.

Forschungs-synergien

Am effektivsten sind bereits diejenigen Forschungen (etwa im Bereich des bis dato noch einzigen Promotionsstudienganges für Musiktherapie in Hamburg), bei denen der Doktorand die Forschungsarbeitsrichtung und deren Forschungsdesign seiner Arbeit mit einem interessierten Arbeitgeber aus dem Gesundheitswesen abspricht, der zunehmend mehr – neben privaten Stiftungen – eine Mitfinanzierung übernimmt. Fragen der Handlungsforschung und der zugehörigen Forschungsethik orientieren sich dabei an den vorhandenen Ethik-Codes im deutschsprachigen und den „codes of ethics“ im internationalen Bereich der Berufsverbände im jeweiligen Gesundheitswesen. In mittelfristiger Planung wird dies weniger ein nationales sein – wie überwiegend noch das gegenwärtige –, sondern ein europäisches.

Finanzierung

aus Drittmitteln


Schmidt, H. U., Stegemann, T., Spitzer, C. (Hrsg.) (2019): Musiktherapie bei psychischen und psychosomatischen Störungen. Elsevier, Amsterdam

Spintge, R. (2001): Aspekte zum Fach MusikMedizin. In: Decker-Voigt, H.-H. (Hrsg.): Schulen der Musiktherapie, Ernst Reinhardt, München, 387–407

Spintge, R. (2009): Musikmedizinische Forschung heute und morgen. In: Decker-Voigt, H.-H., Weymann. E. (Hrsg.): Lexikon Musiktherapie. Hogrefe, Göttingen, 303 ff.

Spintge, R. (2019): MusikMedizin. In: Decker-Voigt, H.-H., Weymann, E. (Hrsg.): Lexikon Musiktherapie. 3. Aufl. Hogrefe, Göttingen (in Vorbereitung)

Lehrbuch Musiktherapie

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