Читать книгу Lehrbuch Musiktherapie - Tonius Timmermann - Страница 9
Оглавление„Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen;
und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“
(Ludwig Wittgenstein)
Musiktherapie ist die gezielte Verwendung des Mediums Musik oder seiner Elemente zu therapeutischen Zwecken. Sie ist immer in eine bewusst gestaltete therapeutische Beziehung eingebunden und verwendet nicht sprachliche und sprachliche Kommunikation sowie psychologische Mittel und Techniken.
Musiktherapie wendet sich an Menschen mit Leidenszuständen, Verhaltensstörungen und Entwicklungsrückständen, um an der Wiederherstellung, Erhaltung oder Verbesserung von seelischer, geistiger und körperlicher Gesundheit mitzuwirken (Oberegelsbacher 2004). Ihre spezifische Möglichkeit ist, dass sie Menschen über einen präverbalen bzw. extraverbalen, emotionsbetonten Zugang erreicht, in allen Lebensaltern und Störungen einen Wiederanschluss an diesen Bereich findet und von dort aus ihr Wirken entfaltet.
präverbaler
Zugang
Musiktherapie kann einzeln, in Gruppe sowie unter Einbeziehung von Angehörigen stattfinden. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen der Musik erlebende und sich durch Musik ausdrückende Mensch sowie die Resonanz, die er im Therapeuten und bei den anderen Beteiligten auslöst, mithin das Beziehungsgeschehen in all seinen Aspekten (Timmermann 2004a, 4).
Ausdruck und
Resonanz
Die Resonanz umfasst die äußere und innere Wirklichkeit der Beziehung, also die Realbeziehung und auch die begleitend auftretenden Phantasien dazu. In der musiktherapeutischen Situation wird der behandelte Patient/Klient in seinem Umgang mit Musik und seinen Reaktionen auf das musikalische Geschehen wahrgenommen. Besondere Berücksichtigung finden dabei die sich herausbildenden Erlebens-, Einstellungs- und Verhaltensmuster, unbewusste (Re-)Inszenierungen, aber auch psychovegetative und physiologische Reaktionen. Der Therapeut gestaltet die musikalischen Handlungen oft aktiv mit, beachtet dabei die Indikation und den Zeitpunkt im therapeutischen Prozess. Spielen, Reden und Zuhören wechseln einander ab.
Beziehungs-gestaltung durch Musik
Die Angebote der Musiktherapie, aktiv – auf leicht spielbaren Instrumenten und mit der Stimme – oder rezeptiv – im vorbereiteten Hören gezielt angebotener Musik –, dienen folgenden Zielen:
Ziele der
Musiktherapie
●Anbahnung von Kommunikation und Beziehung;
●Öffnung von psychovegetativen Kommunikationskanälen;
●Offenlegung und Veränderung sozialer Interaktionsmuster;
●Nachreifung krankheitswertiger früher Defizite;
●Probehandeln im Dienste von Problemlösung (Oberegelsbacher 2004, 1555).
Weitere Ziele sind:
●klinische Diagnostik;
●kathartisches Freilegen verschütteter Emotionen und Traumata;
●Darstellung intrapsychischer Zustände und Konflikte;
●nonverbale Konfliktbearbeitung;
●Transformieren und Strukturieren von Desintegrationszuständen bei Zerfall der Persönlichkeit;
●Herstellung von Realitätsbezug über Symbolisierung;
●Anregung freier Assoziation; Bewusstmachung von krank machenden Einstellungen;
●Förderung der Erlebnis- und Genussfähigkeit.
Die Definition der Musiktherapie im Rahmen von Psychotherapie bedarf einer Abgrenzung zu entwicklungs- und persönlichkeitsfördernden Methoden (Fitzthum et al. 2000, 445); zu Psychotherapien oder Kunsttherapien, die fallweise Musik verwenden, sowie zur Musikmedizin (Oberegelsbacher/Rezzadore 2003, 98).
Als Pioniere einer psychotherapeutischen Musiktherapie in Europa können Edith Lecourt, Gertrud Loos, Mary Priestley, Alfred Schmölz, Christoph Schwabe und Harm Willms genannt werden. Viele ihrer Gedanken bereiteten eine Kultur, die dem heutigen „Mainstream“ der Musiktherapie zugrunde liegt.
Pioniere
Die Kasseler Konferenz Musiktherapeutischer Vereinigungen in Deutschland hat zehn Kasseler Thesen zur Musiktherapie vorgestellt (1998, 232 f.): Musiktherapie gilt dort als Sammelbegriff für eine praxisorientierte Wissenschaft, die interdisziplinär und – in Abgrenzung zu pharmakologischer und physikalischer Therapie – psychotherapeutisch ist.
Kasseler Thesen
Es wird von einem bio-psycho-sozialen Krankheitsverständnis ausgegangen und von einem Methodensystem, das sich auf therapeutische, rehabilitative und präventive Aufgaben einstellen kann. Die Methoden sind abhängig von Theorie und Kontext, vor allem bei Indikation, Zielen, Praxeologie, Umgang mit Dynamik der Gruppe und Dyade. Es bedarf eines Settings und einer therapeutischen Beziehung, damit sich die Wirksamkeit der Therapie im Wahrnehmen, Erkennen und Handeln des Patienten entfalten kann. Niemals wirkt dabei nur ein Faktor.
Die gestaltete Musik mit ihren Tönen, Klängen und Geräuschen, mit Rhythmus, Melodie und Harmonie ist zeitstrukturierend. Sie artikuliert menschliches Erleben, hat die Funktion von Ausdruck, von Kommunikation und ist ein subjektiver Bedeutungsträger für verinnerlichte Erfahrungen. Musik wird als präsentatives Symbolsystem verstanden, aber auch unter semiotischen und ästhetischen Aspekten betrachtet.
Die musiktherapeutischen Methoden folgen tiefenpsychologischen, verhaltenstherapeutisch-lerntheoretischen, systemischen, anthroposophischen und ganzheitlich-humanistischen Theoriebildungen und Handlungskonzepten. Gefordert wird auch eine eigene musiktherapeutische Diagnostik, welche Krankheitsbild, Therapieprozess und musikalische Phänomene mit den körperlichen, seelischen und sozialen Vorgängen in Verbindung bringt.
Ein Versuch, die Definitionen verschiedenster Musiktherapien zu kommentieren, wurde im angloamerikanischen Raum von Kenneth Bruscia (1989) unternommen.
Bunt, L. (1998): Musiktherapie. Eine Einführung für psychosoziale und medizinische Berufe. Beltz, Weinheim/Basel
Decker-Voigt, H.-H. (1993): Aus der Seele gespielt. Eine Einführung in die Musiktherapie. Goldmann, München
Timmermann, T. (2004): Tiefenpsychologisch orientierte Musiktherapie. Bausteine für eine Lehre. Reichert, Wiesbaden