Читать книгу In 60 Buchhandlungen durch Europa - Torsten Woywod - Страница 13
WAANDERS IN DE BROEREN
ОглавлениеWas von außen zunächst einmal wie eine große gotische Kirche aussieht, die mit ihren haushohen Fenstern und den kupferroten Backsteinen zufrieden in der Mittagssonne schlummert, entpuppt sich beim Betreten als Eintausend-Quadratmeter-Buchhandlung, die wahrhaft ihresgleichen sucht.
Und so bleibe ich nach wenigen Schritten staunend bis ungläubig darin stehen und weiß gar nicht, wohin ich mich zuerst wenden soll: Diese Buchhandlung ist umwerfend schön!
Beinahe kommt es mir so vor, als gäbe es hier sogar mehr Licht als draußen – so viel Sonne bricht durch die großen Fenster der Südseite herein und wird auf die gegenüberliegende, schneeweiße Wand projiziert, von wo aus sie in sämtliche Richtungen abstrahlt und die unzähligen Schmuckverzierungen und Ornamente erst richtig zur Geltung bringt.
Aber auch aus östlicher Richtung, wo sich das buchhandlungseigene Café im Binnenchor der Kirche befindet, strahlt viel Licht in den hohen Raum. Dabei ist das mittlere Fensterglas der Apsis nicht transparent, sondern blau gefärbt und sorgt für einen ganz besonderen Akzent.
Atemberaubend schön: Das Buntglas im meterhohen Fensterbogen sorgt für außergewöhnliche Lichtverhältnisse in der Buchhandlung Waanders in de Broeren.
Ich drehe mich um und will mich gerade einer Buchhändlerin vorstellen, da entgegnet sie bereits: »Torsten?«
Ich nicke.
»Janny.«
Janny, die ihre brünett-grau melierten Haare im Nacken zusammengesteckt hat, begrüßt mich mit einem freundlichen Lächeln und führt mich zunächst einmal in den Personalraum, wo ich meine Tasche abstellen kann.
Erst vor einigen Tagen hatte ich mit Ellen Waanders, der Inhaberin, gemailt, und ihr von meinem Reiseprojekt erzählt. Wie ich nun von Janny erfahre, war das Projekt daraufhin ein großes Gesprächsthema unter den Buchhändlern, sodass mir die meisten von ihnen bereits über Facebook folgten und sie sich ausrechnen konnten, dass ich heute hier aufschlagen würde … Verrückt!
Ich werde also zunächst weiteren Kollegen vorgestellt, bevor Janny mich einmal komplett durch die Buchhandlung führt. Die Waanders sind ein Familienbetrieb mit beinahe hundertachtzigjähriger Tradition, dem nicht nur die Buchhandlung angehört, sondern auch ein auf Kunstbücher und Bildbände spezialisierter Verlag.
Die Buchhandlung in der Broerenkirche, einem denkmalgeschützten Bauwerk aus dem 15. Jahrhundert, gibt es nun seit fast genau zwei Jahren.
Bei unserem Rundgang entdecke ich am westlichen Ende des Mittelschiffs, das zu beiden Längsseiten endlos lange Bücherregale beheimatet, ein parkendes Auto, das die Outdoor- sowie Reiseabteilung flankiert. Daneben führt ein Aufgang zur Empore mit einer Orgel hinauf, deren Pfeifen mit Goldornamenten und weißen Engeln verziert sind.
Während über der Belletristikabteilung eine zusätzliche Etage angebaut wurde, sind auf der Südseite gleich drei Etagen im Seitenschiff einzogen. Aufgrund des Denkmalschutzes wurden diese allerdings nicht fest verbaut.
Janny führt mich hinauf, wo es zunächst unter anderem Hörbücher, Musikalien und Do-it-Yourself-Produkte gibt, während ganz oben eine Kunstausstellung stattfindet.
Der Ausblick von der oberen Etage ist überwältigend schön – vor allem, wenn man vom westlichen Ende die gesamte Buchhandlung überblickt.
Erst jetzt, da ich an der Brüstung der oberen Ebene stehe, wird mir bewusst, dass hier alles in einem offenen Raum stattfindet. Auf einer Länge von mindestens sechzig Metern schmiegen sich beidseitig die mehrstöckigen Regalflächen an die etwa 15 Meter hohen Wände und werden im Deckenbereich auf der gesamten Länge von einem vierteiligen Kreuzrippengewölbe überthront.
Die Rippen kreuzen sich trapezförmig und bilden kleine Rechtecke, die von unzähligen Gemäldeverzierungen umrankt werden, während ganz hinten das Café anschließt, das vom wundervollen Blau des großen Ostfensters ausgefüllt wird.
Zusätzlich hängen an einigen Stellen aufwendig verschnörkelte Papierskulpturen von der Decke, die von dem One-Paper-Artist Peter Gentenaar angefertigt wurden und der Buchhandlung nun exklusiv zur Verfügung stehen.
Ich lasse meinen Blick nochmals durch das eindrucksvolle Rund schweifen, als Janny auf den Bereich zwischen Treppenaufgang und Infotheke deutet.
»Manchmal, wenn wir besondere Signierstunden abhalten, wie im vergangenen Jahr mit Tess Gerritsen, werden hier zusätzliche Möbel aufgebaut«, erklärt sie. »Und zur Weihnachtszeit finden sich zu beiden Seiten des Aufgangs festlich geschmückte Bäume, die bis zur zweiten Etage reichen. Fast schon eine zusätzliche Sehenswürdigkeit.« Sie schaut schmunzelnd in die Höhe.
Ich schließe für einen Moment die Augen und stelle mir vor, wie die Buchhandlung zu dieser Jahreszeit wohl aussehen mag.
Schließlich gehen wir wieder hinunter, wo ich Janny frage, wie es sich anfühlt, tagtäglich in dieser beeindruckenden Kulisse arbeiten zu dürfen. Sie überlegt, dann sagt sie: »Every day is a little gift.«
Auch ich könnte Stunde um Stunde in Waanders In de Broeren verbringen, so kurzweilig, einnehmend und fesselnd ist diese Buchhandlung. Und so bemerke ich auch gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht, und muss mich am Nachmittag sputen, um rechtzeitig am Bahnhof zu sein.
In Den Haag angekommen, eile ich zum Taxistand. Nur eine gute halbe Stunde bleibt mir, um die nächste Buchhandlung, im Norden der Stadt, noch innerhalb der Öffnungszeiten zu erreichen. Der Taxifahrer, in dessen Taxi ist einsteige, nimmt die Herausforderung nicht nur an, sondern offensichtlich auch sehr ernst und fährt mit quietschenden Reifen los. Wie sich herausstellt, kann der junge Mann nicht nur schnell Auto fahren, sondern noch schneller sprechen. Binnen weniger Minuten hat Jahir mir nicht nur seine Lebensgeschichte erzählt, sondern ist bereits dazu übergegangen, auch mich auszufragen. Und dabei passiert es: Ich lasse mich im Gespräch über dies und das zu einer unbedachten Äußerung hinreißen, die Jahirs Weltbild von einer Sekunde auf die andere zusammenbrechen lässt. »Auch in Deutschland haben die Züge oft Verspätung«, merke ich unbekümmert an, woraufhin Jahir mich ungläubig anstarrt. Als er merkt, dass ich keinen Spaß mache, richtet er seinen Blick wieder nach vorn – womöglich hat er mir aber auch die Angst vor dem Gegenverkehr angesehen. »German engineering«, sagte er jetzt trotzig, »… sogar dieses Auto ist deutsch!«
Für eine Weile schweigen wir bedächtig, bevor Jahir mit einem neuen Vergleich aufwartet: »Ich glaube aber, dass die Taxen in Deutschland nicht so teuer sind wie hier.«
Ich blicke auf das Taxameter und nicke vorsichtig-freundlich, ich möchte ihn nicht erneut herausfordern.
Um 17.40 Uhr biegen wir schließlich von der Schnellstraße auf die Willem de Zwijgerlaan ein und halten an der Ecke Frederik Hendriklaan. Der Übergang zwischen beiden Straßen wird dabei von einer abgerundet-umlaufenden Häuserfront gebildet, die nicht nur auffallend schön ist, sondern in der sich nur ein einziges Geschäft befindet: