Читать книгу In 60 Buchhandlungen durch Europa - Torsten Woywod - Страница 9
BOEKHANDEL DOMINICANEN
ОглавлениеNur wenige Meter vom zentral gelegenen Entre Deux entfernt, das einst zum besten Einkaufszentrum Europas gewählt wurde, findet sich auf der Dominicanerkerkstraat 1 die älteste gotische Kirche der Niederlande (1294 fertiggestellt), die seit 2006 regelmäßig Bücherfans aus aller Welt zum Schwärmen bringt und vom britischen Guardian als »bookshop made in heaven« geadelt wurde.
Wenn man vor dem großen, bronzefarbenen Tor der Buchhandelskirche stehen bleibt, auf dem der Begriff »Bücher« in vielen unterschiedlichen Sprachen eingestanzt ist, und den Eingangsbereich beobachtet, kann man sehr gut zwischen jenen Besuchern unterscheiden, die zum ersten Mal den Boekhandel Dominicanen betreten, und denen, die zuvor schon einmal dort gewesen sind: Fast möchte ich wetten, dass es noch niemandem bei seinem ersten Besuch gelungen ist, nicht staunend im Foyer zu verweilen und ungläubig nach oben, in Richtung der Deckenfresken zu schauen.
Auch mir war es – natürlich – so ergangen, als ich die Buchhandlung vor rund drei Jahren zum ersten Mal besuchte. Nachdem ich zunächst im Internet viel Schönes von der Dominikanerkirche gesehen und gelesen hatte, wollte ich diesen Ort möglichst bald mit eigenen Augen erblicken.
Also wagte ich einen Ausflug nach Maastricht, wo es gleich beim Betreten der Buchhandlung um mich geschehen war. Seitdem bin ich oftmals hierher zurückgekehrt, um abermals durch die Gänge zu stöbern, den weltberühmten Karottenkuchen im hauseigenen Café zu essen oder einfach nur die unvergleichliche Atmosphäre zu genießen, die von dieser Buchhandlung ausgeht.
Und während ich mir diese schönen Erinnerungen ins Gedächtnis zurückrufe, wird mir bewusst, dass es demnach gar keinen besseren Auftakt für meine Reise hätte geben können.
Immer noch auf dem Kirchenvorplatz stehend, lasse ich meinen Blick noch einmal über die Fassade gleiten, wo sich über dem Eingangstor ein meterhoher Fensterbogen anschließt, in dem sich das wolkenlose Blau des Sommerhimmels spiegelt. Erst dann trete ich ein.
Das ohnehin schon eindrucksvolle Bild der aufwendig restaurierten Kirche und ihrem weitläufigen Inneren wird dabei durch ein riesiges, begehbares Bücherregal auf der rechten Kirchenhälfte abgerundet: Dreißig Meter lang und knapp 18 Meter hoch, verfügt es über drei Etagen, die frei im Raum stehen und für die Kunden ein umfassendes Bücher- und Musikalienangebot bereithalten; im Obergeschoss sind sogar einige antiquarische Schätze zu entdecken.
Durch das Konzept des offenen Raumes bieten die beiden Flügelseiten die wohl schönste Aussicht und geben jeweils den Blick auf die rund eintausendzweihundert Quadratmeter große Bücherwelt frei. Vor allem beim Betreten der Buchhandlung, wenn sich die Augen erst noch an das leicht grünstichige Licht der Dominikanerkirche gewöhnen müssen, ist dies ein unvergesslicher Eindruck.
Aber auch die gegenüberliegende Seite hat Besonderes zu bieten: Vorbei an den Bestsellern, den Krimis und den fremdsprachigen Titeln, findet sich hier die Kinderbuchabteilung, deren unangefochtener Liebling eine überdimensional große Plüschfigur mit Namen Nijntje (nach einer Cartoonfigur von Dick Bruna) ist.
Desirée, die leitende Buchhändlerin, die man im Zweifelsfall auch an ihren Gute-Laune-Grübchen erkennt, erzählte mir bei einem meiner ersten Besuche, dass vor allem die asiatischen Touristen verrückt nach Nijntje seien und unzählige Fotos mit ihm machten.
Neben der Kinderbuchabteilung schließt das Café Coffeelovers an, das sich mit seiner langen Theke und den zahlreichen Sitzgelegenheiten an die östliche Kirchenseite anschmiegt und von einem riesigen Rund-Kronleuchter imposant überthront wird.
Dass es hier nicht nur den besten Kaffee der Stadt gibt, sondern auch die leckersten Kuchen, passt da nur ins Bild.
Ich gehe ins erste Obergeschoss und stöbere auf dem Weg dorthin durch die im großen, mehrstöckigen Bücherregal ausgestellten Titel. Einige ausgewählte Bücher werden frontal präsentiert und sind teilweise mit einem persönlichen Tipp der Buchhändler ausgestattet – ich versuche, bekannte Titel auszumachen, und muss schließlich über die Entdeckung der niederländischen Version von Jonas Jonassons Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand schmunzeln. Überhaupt fällt auf, dass die niederländischen Buchumschläge deutlich farbenfroher und sehr individuell anmuten – Liebhaber von kreativ gestalteten Covern kommen hier voll auf ihre Kosten.
Im Obergeschoss lehne ich mich für einen Moment an die Balustrade und genieße die Aussicht: Während im vorderen Teil ständig neue Besucher die Buchhandlung betreten (und, ja: im ersten Moment oftmals stehen bleiben) oder verlassen, ist im hinteren Teil Gemütlichkeit angesagt. Im Café wird gegessen und geplaudert – in besonderen Fällen wird dieser Bereich aber auch umfunktioniert; etwa dann, wenn – wie in der Vergangenheit – bekannte Autoren wie Carlos Ruiz Zafón, Karin Slaughter oder John Boyne zu Gast sind.
Dabei kann die Dominikanerkirche nicht nur in ihrer heutigen Funktion als Buchhandlung, sondern ganz grundsätzlich auf eine ausgesprochen bewegte Vergangenheit zurückblicken: Bereits seit über zweihundert Jahren wird sie nämlich nicht mehr als Kirche, sondern mehr oder weniger funktional genutzt. So fanden hier neben Weihnachtsmärkten auch schon Boxkämpfe und Autoshows statt – und neben einem Intermezzo als Abstellraum für Fahrräder wurden sogar schon Karnevalssitzungen in der Dominikanerkirche abgehalten.
Doch auch als Buchhandlung ist sie scheinbar erst jetzt zur Ruhe gekommen: Nach einer aufwendigen Restaurierung zwischen 2002 und 2006 beherbergte sie zunächst einen Ableger der niederländischen Buchhandelskette Selexyz. Nachdem diese in eine finanzielle Notlage geraten war, wurde sie von einer Investorengruppe aufgekauft und fusionierte anschließend mit der belgischen Gebrauchtbuchkette De Slegte unter dem Namen Polare. Da es auch hier zu wirtschaftlichen Problemen und einem anschließenden Konkurs kam, sah es zunächst so aus, als wäre das Buchhandelskapitel der Dominikanerkirche endgültig abgeschlossen.
Im Frühjahr 2014 startete Ton Harmes, der zuvor schon als Filialleiter für Selexyz und Polare tätig gewesen war, dann jedoch eine groß angelegte Crowdfunding-Kampagne, die innerhalb kürzester Zeit einhunderttausend Euro in die Kassen spülte. Den größtenteils privaten Investoren wurden dabei im Gegenzug Belohnungen wie »eine Nacht in der Buchhandlung« angeboten. Harmes kaufte die Buchhandlung schließlich vom Treuhänder zurück und führt sie bis heute als unabhängiges Unternehmen weiter.
Als ich den Dominicanen-Buchhändler Peter an der Infotheke, die im Erdgeschoss der Außenseite zugewandt ist, entdecke, gehe ich schließlich wieder hinunter und gratuliere ihm sogleich. Vor wenigen Tagen ist er mit der Goldenen Nadel für seine vierzigjährige Buchhändlerzeit ausgezeichnet worden, wie ich im Internet gelesen habe. Wie immer trägt Peter ein feines Hemd, und er lächelt etwas verlegen, als ich ihn nach dem schönsten Erlebnis in all den Jahren frage.
»Zuletzt die Party«, sagt er und lacht fröhlich. Er meint die Verleihungsfeier, die am Abend zuvor stattgefunden hat. Aber dann erzählt er noch begeistert von der feierlichen Neueröffnung im Jahr 2014, zu der über sechshundert geladene Unterstützer gekommen waren – »ein sehr emotionaler Moment«.
Ich wünsche Peter alles Gute und verabschiede mich mit einem letzten, ganz bewussten Blick auf diese einmalige Kulisse, bevor ich mich auf den Weg zum Bahnhof mache.
Der Zug, der mich zu meinem nächsten Ziel, einer Buchhandlung im rund dreihundert Kilometer entfernten Zwolle im Norden der Niederlande, bringen soll, bewegt sich die meiste Zeit nur schneckenlangsam fort. Dann in Weert, das dreißig bis vierzig Kilometer nördlich von Maastricht liegt, müssen alle Fahrgäste aussteigen. Es sollen ersatzweise Busse verkehren, wie mir einige Mitfahrer zu berichten wissen, doch zunächst einmal passiert gar nichts. Als schließlich doch ein Zug einfährt, steige ich, ohne zu wissen, wo die Fahrt hingeht, ein und hoffe, dass diese Bauchentscheidung sich nicht rächen wird. Die Türen schließen sich, und der Zug fährt an, da entdecke ich einen kleinen, gelben Zettel an der Wand, auf dem handschriftlich »Have a nice day!« notiert wurde – ich werte dies als gutes Zeichen.
Tatsächlich fahren wir nun weiter in Richtung Norden – für mich und diesen Tag jedoch zu spät. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon hektisch und orientierungslos durch Zwolle laufen, um letztendlich doch nur vor verschlossenen Türen der gesuchten Buchhandlung zu stehen, sodass ich meine Bedenken für eine weitere spontane Entscheidung nutze: Statt nach Zwolle geht es zunächst einmal nach Amsterdam, das ich nur dreißig Minuten später erreiche.
Amsterdam erscheint bunt, ansteckend lebendig und unglaublich jung – irgendwo habe ich einmal gelesen, dass beinahe fünfzig Prozent der Einwohner jünger als 35 sind. Und natürlich ist Amsterdam die Hauptstadt der Fahrräder, was mir heute allerdings etwas ungelegen kommt. Meine Reisetasche, die sowohl Rucksack als auch Trolley sein will, ist im Moment nämlich vor allem eines: unhandlich. Also bugsiere ich meinen fahrbaren Kleiderschrank durch das dichte Gedränge und bin froh, als die Menschenmassen irgendwo auf Höhe der Singelgracht weniger werden.
Zehn Minuten später habe ich die Prinsengracht Ecke Berenstraat erreicht und tupfe mir den Schweiß von der Stirn. Der Taschenkoloss, das Kopfsteinpflaster und die Hitze sind keine gute Kombination; ich fühle mich etwas mitgenommen. Dummerweise erwartet mich ausgerechnet jetzt die Design-Buchhandlung Amsterdams: