Читать книгу Zwei Schicksalswege - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 7
Die Geschichte
George Germaine schreibt und erzählt seine eigene Liebesgeschichte
Sechstes Kapitel
Ihre Geschichte
ОглавлениеWas ich von Marys Geschichte erzählen will, habe ich erst durch Nachforschungen zu einer viel späteren Zeit meines Lebens erfahren, viele Jahre nachdem alles bisher Geschriebene sich zutrug. Man möge das beherzigen.
Der Vogt Dermody hatte Verwandte in London, von denen er zuweilen sprach und andere in Schottland, derer er nie erwähnte. Mein Vater hatte nämlich ein hartes Vorurteil gegen die schottische Nation. Dermody kannte seinen Herrn zu gut, um nicht zu fürchten, dass das Vorurteil sich auch auf ihn erstrecken könnte, wenn er über seine schottische Verwandtschaft sprach. Er schwieg deshalb und nannte sie nie.
Als er den Dienst meines Vaters verließ, war er teils zu Lande teils zu Wasser, nach Glasgow gegangen, wo seine Verwandten lebten. Durch seinen Charakter und seine Erfahrungen zeichnete sich Dermody von Tausenden aus und war für jeden Herrn, der das Glück hatte ihn in seine Dienste zu nehmen, von großem Wert. Seine Freunde bemühten sich für ihn und nach sechs Wochen war er von einem Gentleman angestellt, dessen Gut an der östlichen Küste Schottlands lag. Dort hatte er nun mit Mutter und Tochter eine behagliche neue Heimat gefunden.
Die beleidigenden Worte, welche mein Vater zuletzt an ihn gerichtet hatte, waren tief in Dermodys Gemüt gedrungen. Er schrieb seinen Verwandten in London im geheimen, dass er eine neue, vorteilhafte Stellung gefunden hätte, vorläufig aber Gründe habe seine Adresse zu verschweigen. So vereitelte er die Nachfragen, welche die Anwälte meiner Mutter bei seinen Londoner Verwandten anstellten, nachdem sie seine Spur anderswo nicht hatten auffinden können. Teils gereizt durch die Vorwürfe seines früheren Herrn – teils aus einem Gefühl der Selbstachtung – opferte er Mary und mich; andererseits hielt er es auch für seine Pflicht bei der Verschiedenheit unserer Lebensstellungen, jeden Verkehr zwischen uns abzubrechen, ehe es zu spät war.
In einem entlegenen Teile von Schottland, mir und der Welt verloren, lebte nun die kleine Familie in Zurückgezogenheit begraben.
In meinen Träumen hatte ich Mary gesehen und gehört. Sie sah und hörte mich in den Ihrigen. Das unschuldige Sehnen und Verlangen meines Herzens wurde ihr in geheimnisvollem Schlummer offenbar, so lange ich noch ein Knabe war. Ihre Großmutter, welche den Glauben an unsere vorausbestimmte Vereinigung festhielt, stärkte ihr Herz und erhob ihren Mut. Wenn sie ihren Vater auch sagen hörte, was der meine gesagt hatte, dass wir getrennt wären, um uns nie wiederzusehen, so gedachte sie im Stillen ihrer glückverheißenden Träume und hielt diese für sichere Bürgschaften einer anderen Zukunft als die, die Dermody im Auge hatte. So lebte sie doch im Geiste mit mir – und hoffte.
Der Tod der Großmutter, die in sehr hohem Alter der natürlichen Schwäche erlag, war die erste Trübsal die über die kleine Familie kam. Im letzten Augenblick, als sie noch bei Bewusstsein war, sagte sie zu Mary: »Vergiss nie, dass Du und George für einander bestimmte Geister seid. Warte geduldig – in der festen Überzeugung, dass keine Macht der Erde Eure Verbindung verhindern kann, wenn Eure Zeit gekommen ist.
Obgleich diese Worte in Mary unauslöschlich fortlebten, wurde unsere geistige Gemeinschaft in Träumen plötzlich ihrerseits unterbrochen, wie es mir ja ebenfalls geschehen war. Von den ersten Tagen meiner Selbsterniedrigung an war mir Mary nicht mehr erschienen – genau zur selben Zeit sah sie mich auch nicht mehr.
Des Mädchens gefühlvolle Natur brach unter diesem Schlage zusammen. Sie hatte nun keine ältere Frau mehr, die ihr Trost und Rat gab; sie lebte mit ihrem Vater allein und dieser wechselte jedes Mal den Gegenstand der Unterhaltung, wenn von den alten Zeiten die Rede war. Der geheime Kummer, der Leib und Seele verzehrt, nagte auch an ihr. Eine Erkältung, die sie sich in der rauhen Jahreszeit zugezogen hatte, artete in ein Fieber aus. Wochenlang war sie in Lebensgefahr. Als sie genas, war ihr Kopf, auf Wunsch des Arztes, seines schönen Haarschmuckes beraubt. Das Opfer war nötig, um ihr Leben zu retten. In einer Hinsicht war dieses Opfer sehr groß gewesen – denn ihr Haar wuchs nie wieder so üppig. Das neue Haar hatte keine Spur von dem reizvollen, rotbraunen Schimmer des früheren; es war nun einförmig lichtbraun geworden, so dass Marys schottische Verwandte sie zuerst kaum wieder erkannten.
Aber die Natur glich reichlich den Verlust des schönen Haares durch den größeren Reiz aus, den sie dem Gesicht und der Gestalt verlieh.
In einem Jahre war nach der Krankheit das zarte kleine Kind aus der alten Zeit der Grünwasserfläche in der stählenden schottischen Luft und durch ihre gesunde Lebensweise zur hübschen, stattlichen Jungfrau herangereift. Ihre Züge waren, wie in ihren früheren Jahren, durchaus nicht regelmäßig schön und doch war die Veränderung eine sehr merkliche. Das hagere Gesicht war ausgefüllt und der bleiche Teint hatte nun seinen Farbenschmuck erhalten. Die wunderbare Veränderung ihrer Gestalt fiel selbst den rohen Leuten um sie her auf. Höchst unbedeutend, als sie ein Kind war, hatte sie sich nun zu jungfräulicher Fülle, zu Ebenmaß und Anmut entwickelt – sie hatte im wahren Sinne des Wortes eine überraschend schöne Gestalt.
Es gab zu jener Zeit Augenblicke, wo selbst der eigene Vater seine Tochter, geistig, wie körperlich, kaum wieder erkannte. Sie hatte ihre kindliche Lebhaftigkeit – ihr süßes, fröhliches Geplauder verloren. Still und versunken in sich selbst, erfüllte sie geduldig ihre täglichen Pflichten. Die Hoffnung mich wiederzusehen war zu dieser Zeit in ihr erstorben. Sie klagte nie; die Kraft, die ihr Körper in der letzten Zeit gewonnen hatte, unterstützte und stärkte nun die Seele. Als ein oder zwei Mal ihr Vater sie fragte, ob sie noch mein gedenke, antwortete sie ruhig, dass sie es nun über sich gewonnen habe, seine Ansichten über die Sache zu teilen. Sie zweifelte nicht, dass ich sie längst vergessen hatte und war nun alt genug geworden, um einzusehen, dass, selbst wenn ich ihr treu geblieben war, unsere Heirat in den verschiedenen Lebenssphären, denen wir angehörten, eine Unmöglichkeit wäre. Sie sagte sich, dass es das Beste sei die Vergangenheit zu vergessen – mein nicht mehr zu gedenken, wie ich ihrer nicht mehr gedachte. So sprach sie jetzt. Allem Anscheine nach hatten Dame Dermodys vertrauensvolle Voraussagungen über unser Schicksal sich nicht bewahrheitet und waren dem Reiche der unerfüllten Prophezeiungen verfallen.
Als Mary neunzehn Jahre alt war, ereignete sich seit ihrer Krankheit der nächste wichtige Vorfall in den Familienannalen. Selbst jetzt, nach dieser langen Zeit, sinkt mir das Herz, fehlt mir der Mut bei der inhaltsschweren Stelle meiner Erzählung, an der ich jetzt angelangt bin.
Ein ungewöhnlich heftiger Sturm tobte an der Ostküste von Schottland. Unter den Fahrzeugen, die der Sturm vernichtete, war ein holländisches Schiff, das an der felsigen Küste nah bei Dermodys Wohnung scheiterte. Wie er in allen guten Werken voranging, zeigte der Vogt auch hier durch sein Beispiel den Weg zur Rettung der Passagiere und Bemannung des verlorenen Schiffes. Einen Mann hatte er bereits lebend ans Land gebracht und war nun wieder auf dem Wege zum Schiff – als zwei heftig aufeinander folgende Windstöße ihn gegen die Felsen warfen. Er wurde von seinen Nachbarn mit Lebensgefahr gerettet. Die ärztliche Untersuchung ergab, dass ein Knochen gebrochen war und verschiedene andre ernstliche Verletzungen stattgefunden hatten. Soweit waren seine Beschädigungen leicht festzustellen gewesen, aber nach einiger Zeit entdeckte der Arzt an dem Kranken Symptome, die ernstliche innere Verletzungen schließen ließen. Nach des Doktors Ansicht konnte er seine tätige Lebensweise nie wieder aufnehmen. Er musste für seine Lebenszeit ein elender, gebrechlicher Mann bleiben.
Sein Herr tat für den Vogt Alles, was man unter diesen traurigen Umständen erwarten durfte. Er mietete einen Stellvertreter, der die Landarbeit beaufsichtigen konnte und gestattete Dermody noch für die nächsten drei Monate in seinem Hause zu bleiben. Dadurch war dem armen Manne Zeit gegeben, die Trümmer seiner früheren Kräfte zu sammeln und sich mit seinen Verwandten in Glasgow über seine Zukunftspläne zu beraten.
Die Aussichten waren sehr trübe. Dermody war für jede sitzende Lebensweise untauglich und die geringen Mittel, die er erübrigt hatte, reichten nicht für seinen und seiner Tochter Unterhalt aus. Die schottischen Verwandten waren freundlich und bereitwillig, aber sie hatten ihre eigenen Familien und konnten kein Geld missen.
Der Passagier des gescheiterten Schiffes, dem Dermody das Leben gerettet hatte, trat, grade in dieser Not, mit einem Vorschlage hervor, der Vater und Tochter in gleiches Erstaunen versetzte. Er machte nämlich Mary einen Heiratsantrag, mit der ausdrücklichen Bedingung, dass, wenn sie
seine Hand annähme, ihre Heimat auch lebenslang die Heimat ihres Vaters sein sollte.
Der Mann, der der Familie Dermody in dieser schweren Zeit so nahe trat, war ein holländischer Edelmann namens Ernst von Brandt. Er besaß einen Anteil an einer Fischerei an den Ufern des Zuider-Sees und war, als das Schiff scheiterte, auf dem Wege eine Vereinbarung mit den Fischereien des nördlichen Schottlands anzubahnen. Als er Mary zuerst sah, hatte sie einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Er hatte sich in der Nachbarschaft aufgehalten, weil er hoffte mit der Zeit ihre Gunst zu gewinnen. Er war ein hübscher Mann, im Lenz des Lebens; sein Einkommen machte es ihm vollständig möglich zu heiraten. Als er um Mary anhielt, nannte er Personen von hoher, gesellschaftlicher Stellung in Holland, die über ihn Auskunft geben konnten, insofern es seinen Charakter und seine Stellung anlangte.
Mary überlegte lange, was für ihren hilflosen Vater und für sie selbst das Geratenste sein würde.
Seit Jahren hatte sie die Hoffnung auf eine Heirat mit mir aufgegeben. Keine Frau sieht gern ein einsames Leben vor sich und Mary sah sich natürlich, wenn sie an ihre Zukunft dachte, immer als verheiratete Frau. Konnte sie jemals erwarten einen annehmbareren Antrag zu erhalten, als diesen jetzigen? Herr van Brandt hatte jeden persönlichen Vorzug, den eine Frau wünschen kann, er liebte sie zudem zärtlich und hatte ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit für ihren Vater, seinen Lebensretter. Was konnte sie Besseres tun als Herrn van Brandt zu heiraten, welche andere Aussicht blieb ihr – welche andere Hoffnung durfte sie hegen?
Durch diese Betrachtungen veranlasst, entschloss sie sich das verhängnisvolle Wort zu sprechen. Sie sagte, Ja!
Gleichzeitig sprach sie ganz offen mit Herrn van Brandt. Sie gestand ihm ohne Rückhalt, dass sie von einer anderen Zukunft, als die, die jetzt vor ihr läge, geträumt habe. Sie verschwieg ihm nicht, dass eine alte Liebe in ihrem Herzen gewohnt habe und dass es außer ihrer Macht sei wieder zu lieben – Dankbarkeit, Achtung und Verehrung hatte sie jetzt noch zu geben und Liebe konnte ja mit der Zeit kommen. Übrigens hatte sie sich längst von der Vergangenheit losgerissen und entschieden alle Hoffnungen und Wünsche aufgegeben, die sich darauf bezogen. Die einzigen Segnungen, die sie vom Schicksal erbat, waren Ruhe für ihren Vater und ein stilles Glück für sich selbst. Diese konnte sie unter dem Dache eines ehrenwerten Mannes, der sie liebte und achtete, finden und wenn sie ihm auch nichts anderes bieten konnte, so konnte sie ihm versprechen, ihm ein gutes, treues Weib zu sein. Es war nun an Herrn van Brandt sich klar zu machen, ob er unter den obwaltenden Umständen in dieser Ehe sein Glück finden würde.
Herr van Brandt nahm ohne Zögern ihre Bedingungen an.
Durch eine bedenkliche Verschlimmerung in Dermodys Zustande musste die Hochzeit, die sonst augenblicklich stattgefunden hätte, noch verschoben werden. Es zeigten sich Symptome, die der Doktor nach seiner eigenen Aussage nicht vorausgesehen hatte, als er sein Urteil über die Krankheit abgab. Er unterrichtete Mary, dass ihres Vaters Ende herannahe. Herr van Brandt ließ einen Arzt aus Edinburgh kommen, der die Ansicht des Landarztes bestätigte. Der gute Vogt quälte sich noch einige Tage. Am letzten Tage legte er die Hand seiner Tochter in van Brandts Hand: »Machen Sie sie glücklich, Herr,« sagte er in seiner einfachen Weise, »und ich bin dafür entschädigt, dass ich Ihnen das Leben rettete.« Am selben Tage starb er ruhig in den Armen seiner Tochter.
Marys Zukunft lag nun ganz in den Händen ihres Verlobten. Die Verwandten in Glasgow hatten für ihre eigenen Töchter zu sorgen, die Londoner Verwandten ließen sie entgelten, dass Dermody sie vernachlässigt hatte. Mit zarter Rücksicht wartete van Brandt bis das arme Mädchen die erste Heftigkeit ihres Schmerzes niedergekämpft hatte – und dann machte er unwiderstehlich die Macht eines Gatten geltend, um sie besser trösten zu können.
Sie heiratete zu derselben Zeit in Schottland, als ich von Indien zurückkehrte. Mary war nun zwanzig Jahre alt geworden.
* * *
Die Geschichte unserer zehnjährigen Trennung ist nun erzählt: und wir stehen an dem Ausgangspunkte unserer neuen Lebensschicksale.
Ich lebe mit meiner Mutter und beginne meine Laufbahn als ein Landedelmann auf dem Gute in Pertshire, welches ich von Mr. Germaine ererbte. Mary erfreut sich an der Seite ihres Mannes ihrer neuen Rechte und erlernt ihre neuen Pflichten als Frau. Auch sie lebt in Schottland – und durch eine wunderbare Fügung, nicht weit von meinem Landsitze entfernt. Ich ahne nicht, dass sie mir so nahe ist: der Name von Frau van Brandt, selbst wenn ich ihn gehört hätte, ruft in meiner Erinnerung keinerlei Beziehungen wach. So sind die verwandten Geister noch immer getrennt. Noch ahnt weder sie noch ich, dass wir uns je wieder begegnen werden.