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Fast zu Tode stranguliert

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Das kleine Bauerngehöft meiner Großeltern war so manches Mal mein Zufluchtsort. Ich liebte es. Und ich wurde bedingungslos zurückgeliebt. In der Welt der Tiere gab es bunte Vielfalt, ersprießlicher als bei uns daheim. Immerhin, Opa hatte ein Trakehner-Pferd, das auf den Namen Theo hörte, aber nur, wenn es gute Laune hatte. Meist hatte es schlechte Laune und passte damit so wiederum zum Charakterbild meines strengen Großpapas. Der warnte mich häufig vor Unvorsichtigkeiten mit dem Tier. Im Juni mussten Mann und Maus bei der Bergung der Kirschernte helfen. Unzählige Bäume, hoch wie hundertjährige Tannen, mussten dann auf wackeligen Leitern erklommen werden. Von so einem Riesen ist Opa mit 76 Jahren aus einer Baumspitze abgestürzt, brach sich den Oberschenkelhals und wurde dennoch hundert und ein halbes Jahr alt. Das ewige Kirschenpflücken hing uns Jungens wie die eigene Zunge zum Halse raus. Da hatte ich eine glänzende Idee. Es war höchste Zeit, für Abwechslung zu sorgen und auszuprobieren, wie bravourös ich Theo, das unberechenbare Pferd, im offenen Gelände reitermäßig beherrschen würde. Vorsichthalber sagte ich wegen möglicher Einwände niemandem Bescheid, band den misstrauisch äugenden Fuchs von seinem schattigen Ruheplatz und schlich mich mit ihm unbemerkt davon. Wir beide konnten überhaupt nicht reiten! Aber darum ging es ja. Irgendwie erklomm ich den blanken Pferderücken, wickelte mir hurtig die lange Wagenleine um Körper und Hals. Und los ging`s auf unbefestigten Feldwegen. Theo war erstaunlich einsichtig und machte anständig mit beim Experiment Ross und Reiter. Bis sich von hinten ein bedrohlich knatterndes Automobil langsam näherte. Das misstrauische Tier stellte die Lauscher in Richtung Automobil und rollte mit den Augen wie Fury in der Deckstation. Mir wurde mulmig. Endgültig sah sich das Pferd nun von dem heranwackelnden Fahrzeug bedroht, legte die Ohren flach an den Kopf und sprang aus dem gemütlichen Schritt ohne Überleitung in einen furiosen Mords-Galopp. Nach einigen Metern bekam ich es wie Theo mit der Angst zu tun und ließ mich krachend zu Boden fallen. Trotz meiner beachtlichen Pfunde, die nun am Pferdemaul hingen, dachte der Rasende überhaupt nicht daran, sein Tempo zu drosseln, geschweige denn, stehenzubleiben. Er war durchgegangen und ich notgedrungen mit ihm. Anerkennung, dem alten Kameraden und Ackergaul! Ich hing wie beim Kielholen an der Leine und raspelte bäuchlings über den staubig-steinigen Feldweg wie ein nasser Sack. Lange würde ich mich so mit meinen feuchten Händen nicht mehr halten können und die Lederleine spannte bereits spürbar an meinem Hals. In meiner Not versuchte ich nachzufassen, das ging schief, die Schlinge zog sich zu. Ich spürte ein Hämmern in meinem Kopf, dann wurde es dunkel. Beinahe hätte dieser Zwischenfall das frühe Ende meiner Reiterlaufbahn und meines jungen Lebens bedeutet. Doch es wurde wieder hell. Weil der vernunftbegabte Autofahrer angehalten hatte, tat das gottlob mein Theo auch. Als ich blinzelnd die Augen wieder öffnete, stand mein Pferdchen. Ich lag hinter ihm. Beide keuchten wir. Wie mir schien, verharrten wir ewig so. „Bei fleißiger Ackerarbeit zu Tode geschleift“, das hätte bestimmt auf meinem Grabstein gestanden, ging es mir durch den Kopf. Mühsam erhob ich mich. Und langsam wie ein rheumageplagtes Bettelweib humpelte ich zum Pferd. Das ließ abgekämpft den Kopf nach unten hängen und, wie zum Nickerchen bereit, hielt das Reittier die Augen halb geschlossen. Dem bleichen Autofahrer gab ich weitere Lebenszeichen, worauf der unschuldige Mann so eilig verschwand, als drohe ihm die Todesstrafe. Wahrscheinlich hatte durch den harten Aufprall und den vorübergehenden Sauerstoffmangel mein Verstand endgültig gelitten, denn ich hievte mich nach alledem abermals aufs Pferd. Doch Theo war erledigt wie sein Reiter und so schleppten wir uns ohne weitere Zwischenfälle zurück zum Kirsch-Feldzug. Dort wurden wir nicht wie siegreiche Kavalleristen empfangen.

Bravourös in die Suppe gespuckt

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