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Papa sah aus wie ein UFA-Star

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Meine Eltern waren in jungen Jahren schöne Menschen. Speziell die alten Fotos meines Vaters sind eindrucksvoll. Er hätte damit auf der Titelseite sepiafarbener Kinoprogrammhefte mit den UFA-Filmstars seiner Zeit leicht konkurrieren können. Die Damenwelt war hingerissen, meine Mutter angemessen fasziniert. Fassade. Wenn Eltern streiten, leiden Kinderseelen. Bei uns war das anders, hier stritt immer nur Papachen. Vom Charakter ein Egomane erster Güte, dessen bescheidener Kosmos sich nur um die eigene Achse zu drehen schien, stellte er sich unaufhörlich die bange Frage, schadet oder nützt mir das. Deshalb hatte in seinem Wortschatz „Ich“ höchste Anwenderpriorität. Er war stets ganz seiner Meinung und ließ selbstgerecht fremdes Denken nur widerwillig zu. Seine Intoleranz ging bis zur Schmerzgrenze und die Bürokraten-Gesinnung zurück in ferne Jahrhunderte. Besonders ausgeprägt brillierte er mit alldem im trauten Kreise der Familie. Versprach es Vorteil, konnte er nach außen im Nu holdselig, spaßhaft und gegenüber Autoritäten devot sein Bestes geben. Phantomfröhlichkeit. Und mit heuchlerischem Altmänner-Charme gab er in Vollendung fortwährend ein und dasselbe Stück. Das hieß: „Ich würde ja meine Fehler zugeben, wenn ich welche hätte!“ Er war ein Meister, trivialste Arbeiten zu enormer Bedeutsamkeit zu stilisieren, und bedauerte sich selbst, wie fürchterlich er sich im Leben habe schinden müssen. Das hat er zweifellos getan, aber war doch selbst verantwortlich dafür, wenn er nach Büroschluss verbissen in Haus und auf dem Acker knuffte. Seine Arbeitswut war glatter Selbstbetrug, so konnte er vor sich selbst am besten fliehen, weil er mit sich selbst nicht glücklich war.

Besonders mich und meine pubertären Hornochsigkeiten betrachtete er mit Unverständnis. War ich doch nur der nichtsnutzige Tagträumer mit zu großer Klappe, den unwichtige Dinge lockten. Ständig musste ich mir Zeigefingerplattitüden anhören, die so tiefgründig waren wie ein Teller Erbsensuppe. In Endlosmonologen wurden banalste Banalitäten als wertvolle Lebenshilfe gepriesen und in mich hineingebläut. Dabei hörte er sich liebend gerne zu, fand sich und sein sorgsam gewähltes Vokabular einfach fabelhaft, das ging so: „Ich muss dir Nachfolgendes noch einmal sehr ausführlich und anschaulich erläutern. Wegen dir nehme ich mir dafür wiederholt extra Zeit. Was ich da hören musste, das war für mich wieder eine Peinlichkeit sondergleichen. Und das in meiner Stellung, wo mich alle kennen, durch mein Amt als Bahnhofsvorsteher. Begreifst du eigentlich, wie wertvoll meine Hinweise sind, die ich dir gebe. Ich wünschte, mein Vater hätte sich so um mich gekümmert. Deine eigene Meinung, die kannst du für dich behalten. Hast du meine bedeutungsvollen Worte endlich begriffen? Und hast du das verstanden, was ich so mühevoll ausführte und erläuterte??? Antworte!“ Ja, das hatte ich… Solche Tiraden musste ich noch über mich ergehen lassen, da war ich bereits siebzehn Jahre alt. Bei jenen Ansprachen war Papachens Markenzeichen die inszenierte Amtsvisage, mit einer hochgezogenen Augenbraue, die den Tadel pädagogisch unterstreichen sollte. Widerspruch wäre undenkbar bis tödlich gewesen und niemals hätte ich mir den erlaubt. Ich hatte schlichtweg Schiss vor meinem Papa und schwieg. Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, meinem Vater zu beichten, was mich beschäftigt, umtreibt oder quält. Aber wahrscheinlich war das in jener Zeit an jenem Ort bei allen so. Manchmal tat er mir leid, doch meistens verachtete ich seinen unberechenbaren Charakter. Vor allem, wenn er meine Mutter wegen nichts terrorisierte. Das traf mich im Innersten weit mehr, als wenn Papachen mich zur Eule machte. Und so verging kaum ein Tag, wo wegen kleinster Kleinigkeiten nicht kritisiert, drakonisch kommandiert oder wenigstens ein bisschen herumgenörgelt wurde. Und dabei schrie er oft so laut, dass die Ureinwohner auch noch davon profitierten. Noch heute erschrecke ich mitunter und verabscheue es, wenn es irgendwo Gebrülltes gibt.

Mama ist der liebste Mensch, den man sich vorstellen kann. Noch immer besitzt sie eine Grundfröhlichkeit und Lebenszuversicht, über die nur wenige Menschen verfügen. Unaufhörlich ist sie ausschließlich für die anderen da, nie für sich. Ich habe das nie als ihre starke Seite empfunden und mir so oft kämpferische Offensive herbeigewünscht, denn, ist man nur altruistisch wie eine Opferanode, verbraucht man sich. Es immer nur gut zu meinen, ist nicht immer nur das Beste. Mein Vater als Ausbeuter dieses Seelenlebens hätte einen ersten Sonderpreis verdient. Heute, wo er so viel vergisst und vergessen hat, ist er der umgänglichste, rücksichtsvollste Mensch geworden, den man sich denken kann. Mama erzählt noch immer interessant, wenngleich sich die Dinge manchmal wiederholen. Um dem Gesagten Ausdruck zu verleihen, tut sie das lautstark. Komisch, wenn ausgerechnet Papachen sich heute über das laute Organ meiner Mama beschwert, piano und Kurzfassung befiehlt. Ich glaube, er ist missgünstig, weil er nie mehr der Endlosredenschwinger von damals sein kann. Das muss man erst Mal hinkriegen, ein Leben lang mit Bravour gekonnt aneinander vorbeizuleben. Und trotz allem bin ich der festen Überzeugung, dass mein Vater nichts mehr liebte, ihm nichts wichtiger ist auf der Welt, als seine Familie. Wer soll das verstehen?

Nun bin ich die dritte Nacht schon kaum zu Schlaf gekommen, weil ich nicht aufhören kann, mir mein Leben in Erinnerung zu rufen. Kinderkram! Ja, natürlich, weil ich auftragsgemäß zeitlich geordnet denken und erzählen soll. Damals war noch alles in schönster Ordnung.

Bravourös in die Suppe gespuckt

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