Читать книгу Oh nee, Boomer! - Uli Hannemann - Страница 12

Saufen für Luchsbabys

Оглавление

Ich liebe Kinowerbung. Sie wappnet mein Gemüt mit Leichtigkeit und Liebe, damit ich die nachfolgende Arthouse-Mühsal leichter ertrage. Die bunten Botschaften sind die Sauna vor dem Eisbecken und die Betäubungsspritze vor der Wurzelbehandlung. Wohltuend wirken überdies die häufigsten Motive: Eiscreme, Essen und leckere Getränke, die schöne Menschen in scheinbar unberührter Landschaft zu genießen pflegen.

Sehr naturverbunden gibt sich auch der Werbespot der Brauerei Krombacher. Über die komplette Dauer von dreißig Sekunden spielt er im Wald. Also da, wo auch das Bier am besten schmeckt.

»Jede dritte Tierart in Deutschland ist gefährdet …«, mahnt ein Sprecher zu den Bildern einer kleinen Eule, die putzig aus einem Baumloch lugt. Kleine Eulen müssen super PR-Berater haben – sie sind momentan das große Ding in Sachen niedlicher Ausstrahlung. In den sozialen Netzwerken, in Kalendern an der Supermarktkasse, in der Bierwerbung verdrängen sie die Katzenkinder. Dabei galten sie bis zu ihrem Image-Relaunch noch als hässliche Unglücksvögel, die man kurzerhand ans Scheunentor nagelte, um den Gottseibeiuns zu bannen. Nun droht den kleinen Katzen das gleiche Schicksal. Lange Zeit haben die sich ihrer Position vollkommen sicher gewähnt und es deswegen versäumt, weiter an ihrer Marke zu arbeiten. Sie haben sich auf ihren Lorbeeren ausgeruht. »Kleine Kätzchen gehen immer«, »kleinen Kätzchen kann keiner«, haben sie wohl gedacht. Ein fataler Irrtum. Jetzt haben sie ausgedient. Hochmut kommt vor dem Fall.

»… oder sogar vom Aussterben bedroht«, fährt der Erzähler fort. Ein Fischotter guckt traurig und auch irgendwie nachdenklich: Wie lange wird es ihn und seinesgleichen noch in freier Wildbahn geben? Mit schlechtem Gewissen drücke ich mich tiefer in den Kinosessel. Wie oft habe ich sommers unbedacht in Badeseen gepinkelt und den Ottern so den Lebensraum vergällt. Wenn ich mir vorstelle, wildfremde Leute kämen zu mir nach Hause und schissen mir einfach ins Wohnzimmer: Da wäre ich aber unter Garantie auch gefährdet!

Doch es gibt ja noch Krombacher. »Es wird Zeit, dass wir gemeinsam etwas dagegen tun«, wird die trinkfreudige Gemeinde der potenziellen Käufer aufgerüttelt. Untersuchungen haben ergeben, dass die Anzahl geposteter und gelikter kleiner Eulen mit fortschreitender Abendstunde sowie steigendem Blutalkoholgehalt dramatisch explodiert. In diese tiefe Kerbe menschlicher Schwäche schlagen nun die Bierbrauer. Für sich und für die Natur. Eine klassische Win-win-Strategie.

Auftritt Igel (goldig) und Biene (nützlich). Sie sind zu klein, um die im Wald stehen gelassenen Flaschen einzusammeln und zum Pfandautomaten zu bringen. Aber der Mensch kann das tun, der Krombacher-Konsument, und der Erlös fließt in den Erhalt der Tierwelt.

Nicht ohne Stolz setze ich die an der Kinokasse erworbene Bierflasche an den Mund. Ich zeige Verantwortung. Meine ganze Verachtung gilt den Limotrinkern um mich herum. Warum hassen sie die Tiere so? Für die meisten Arten dürfte der Bierverzicht tödlichere Folgen haben als der Klimawandel. Es ist im Grunde, als würde man einem Rehkitz die Mate-Pulle direkt über den Schädel ziehen – das käme im Endeffekt aufs Gleiche raus.

»Das große Krombacher-Artenschutzprojekt beginnt«, ertönt nunmehr der zentrale Slogan – es erhebt sich der Adler, es flattert der Schmetterling. Mehr Symbolik war nie. »Mit jedem Kasten Krombacher geben Sie bedrohten Tierarten in Deutschland ein sicheres Zuhause.«

Während ich noch überlege, ob die Unterbringung in leeren Bierkästen denn überhaupt artgerecht wäre, wird erneut der Otter eingeblendet. Er wirkt noch missmutiger als zuvor. Anschließend sieht man eine Luchsmutter mit Jungtier, dann zwei junge Luchse, die miteinander raufen. Spielerisch erlernen sie das Töten. So ähnlich dürften auch kleine Soldaten an ihr blutiges Handwerk herangeführt werden.

»Jetzt schützen und genießen«, erklärt der Sprecher. Das könnte eine Werbung für Kondome sein, ist es aber nicht. Ein unendlich klarer Wasserfall rauscht mächtig zwischen Bäumen, er steht seit jeher für das Reinheitsgebot. Es geht immer noch um Bier.

»Ein Kasten ist gleich ein Stück Heimat.« Damit auch jeder versteht, dass das ein und dasselbe ist, wird »1 Kasten = 1 Stück Heimat« in Schrift und Ziffern eingeblendet: eine Gleichung mit zwei sehr Bekannten. Vor unserem inneren Auge öffnet sich die ganze Weite der deutschen Provinz. Eine Bushaltestelle. Ein paar Jugendliche. Darüber, welchem politischen Spektrum sie anhängen, wollen wir von hier aus nicht (vor-) urteilen. Ein Kasten Bier. Heimat eben.

Direkt vor mir fangen auf einmal drei junge Leute an, mitten in die Werbung hineinzuquasseln. Das gibt es doch nicht. Wir Alten haben über Jahrtausende hinweg die Zivilisation aufgebaut: die alten Ägypter, die alten Griechen, die alten Römer. Die Jungen reißen sie während nur eines Reklamespots wieder ein. »Pscht«, mache ich erst, dann lauter: »Ruhe bitte!« Ich bin fest entschlossen, die Sanktionsspirale auf Kopfnüsse zu steigern, sollten sie mir keine andere Wahl lassen. Denn gleich wird sich hier vor unseren Augen das Schicksal der heimatlichen Tiere entscheiden.

Zum dritten Mal blickt der Otter traurig in die Kamera. Es ist immer derselbe. Offenbar gibt es nur noch einen. Die Lage ist ernst. Trinken, schnell! »Jeder Kasten zählt«, brummt daher die Stimme aus dem Off. Schließlich sind Biertrinker und Tiere ja auch Leidensgenossen. Sie sitzen im selben, dem Untergang geweihten Boot. Denn nicht nur jede dritte Tierart ist gefährdet, auch jeder dritten Bierart droht die Extinktion. Obwohl es jeden Tag neue gute Gründe dafür gäbe, sich haltlos zuzuschütten, schrumpft die Zahl der Biertrinker in Deutschland seit Jahren besorgniserregend. Auch da zählt also jeder Kasten. Wir saufen nicht nur für Luchsbabys, wir tun es auch für uns selbst. Der deutsche Trinker stirbt vielleicht früh, aber er stirbt niemals aus.

Oh nee, Boomer!

Подняться наверх