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Wie anfangen?
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Ich versuche es mal so:
Der Begriff »Boomer« macht schon seit geraumer Zeit besonders unter Jüngeren die Runde. Er ist die Sau, die noch zum x-ten Mal durchs Dorf getrieben wird, obwohl ihr längst die Zunge raushängt. Die ursprünglich wertfreie Bezeichnung für die Alterskohorte der hierzulande in den geburtenstarken Jahrgängen zwischen 1955 und 1969 Geborenen (»Baby-Boomer«) ist dabei mehr und mehr zu einem Synonym für »altes Arschloch« geworden.
Außer für die originären Arschlöcher ist die Beschäftigung mit dem potenziellen Arschloch in uns allen für jeden eine wichtige Erfahrung. So oft habe ich mich wie eines benommen, ohne wirklich eins zu sein. Dieser Widerspruch ist nicht gesund. Er verursacht existenzielle Zweifel und seelische Altlasten. Irgendetwas fühlt sich immer falsch an, doch ausschließlich nach den Regeln der Vernunft zu leben, wäre erst recht eine deprimierende Vorstellung.
Fast beneide ich Menschen, die sich wie Arschlöcher verhalten und zugleich echte Arschlöcher sind. Denn so leben sie in harmonischem Einklang: Minus mal minus gibt plus. Sie sind scheiße und dennoch oder sogar gerade deshalb mit sich absolut im Reinen. Das ist der lässige Groove des Bösen. Sie können Drogenboss, Chef der Bild-Zeitung oder Söldner sein – alles fühlt sich für sie richtig an. Die Welt gehört ihnen und mit ihr alle anderen Menschen und Tiere. Sie können damit machen, was sie wollen, und es ist in Ordnung, nur weil sie sind, wer sie sind. Und meistens sind es Männer und hier wiederum oft Boomer.
Ein Boomer zu sein, kehrt die Beweislast somit automatisch um. Das gilt auch für mich selbst. Denn ich benehme mich nun vielleicht nicht mehr so oft wie ein Arschloch, doch dafür bin ich jetzt per se eines – einfach nur, weil ich ein Boomer bin. Betrete ich irgendwo den Raum, ob analog oder virtuell, ist es für die Anwesenden, als schöbe sich ein klobiger Schatten vor die Sonne. Ehe ich den Mund öffne, wissen schon alle, was ich sagen werde. Ich bin grundsätzlich auf Bewährung unterwegs.
All das würde sich mit der Hypothek meines einschlägigen Verhaltens nun also wunderbar ausgleichen, gäbe es denn ein noch höheres und vor allem gerechteres Wesen als dasjenige, das den eh schon von uns Ausgebeuteten am anderen Ende der Welt obendrein noch die Hütten ins Meer fegt, sodass uns von dem Anblick daheim auf dem Fernsehsofa beinah der Lachsbagel im Hals stecken bleibt.
Aber so ein Wesen gibt es wohl nicht.
Oder vielleicht so?
Der Boomer gilt als unsexy und ungeschmeidig. Als technisch, moralisch, historisch abgehängt. Als an seiner Macht klebend, misogyn und notorisch heterosexuell, wenngleich nur noch in einer Art parodistischem Notbetrieb praktizierend. Der schwule Boomer, die Boomerin sind in der Regel nicht gemeint, obwohl eine altersbedingte Versteifung der nicht nur körperlichen Haltung auch bei ihnen oftmals nicht zu leugnen ist.
Der Prototyp des gemeinten Boomers ist peinlich, aber auch unfreiwillig komisch in seinem Strampeln, so etwas wie Würde und Relevanz zu bewahren. Gern möchte er in sämtlichen Lebensbereichen noch irgendwie mittendrin, ach was, weiterhin wie gewohnt ganz vorne mit dabei sein. Nun versucht man halt, über ihn zu lachen, so wie er Jahrtausende lang über andere gelacht hat. Das funktioniert nicht immer, weil es zumindest rudimentären Humor voraussetzt, und aggressiver Ageismus ist ja an sich noch kein Humor.
Er ist aber auch alt und hässlich! Also nicht alt und hässlich in einer ehrenwerten Dimension, die derart drüber ist, dass sie ihn schon wieder unangreifbar macht, sondern so ein schmerzhaftes Übergangs-alt-und-hässlich – der Apfel, an dem man schon die meisten Stellen rausschneiden muss, bevor man ihn zur Not noch essen kann. Eine Person darauf zu reduzieren, wäre normalerweise politisch unkorrekt, doch nicht in seinem Fall, denn schließlich hat er mit allem angefangen und noch immer den weißen (in diesem Fall der höchste) Gürtel in Diskriminierung inne. Da darf man das. Muss sogar, denn niemand besitzt mehr unsichtbare Privilegien als er.
Die soll er nun endlich fressen. Über die vergangenen zehntausend Jahre hat seinesgleichen alle anderen genervt. Eigentlich gehörten für das nächste Dekamillennium jetzt jene anderen ans Ruder. Frauen und so. Blöd nur, dass es für die Menschen auf diesem Planeten gar keine weiteren zehntausend Jahre mehr geben wird. Selbst dafür hat der Boomer vorgesorgt: Er hat die Umwelt zerstört, das Klima, die Gesellschaft und alles andere im Grunde auch. Er hat buchstäblich verbrannte Erde hinterlassen und die Brücken hinter sich gesprengt. Wie so ein Nazi. Wahrscheinlich ist der Boomer einfach nur ein Nazi. Nach ihm die Sintflut. Die Rechnung wird auf ewig unbeglichen bleiben.
Oder am Ende so:
Dass der heterosexuelle mittelalte weiße Mann ein Arsch ist, wissen wir nun also alle zur Genüge. Doch was treibt dieser Arsch denn überhaupt, wenn er nicht gerade unvorteilhaft altert oder catcalling und mansplaining durch die Wurstbuden zieht? Und schlägt tief unter diesem Berg aus faulendem Fleisch, Niedertracht und Starrsinn vielleicht doch noch irgendwo ein kleines, schwarzes Herz?
Um es kurz zu machen: Nein. Da ist gar nichts. Wo bei anderen das Herz sitzt, schwärt in ihm nur hartes Gestein. Denn zu all dem andern Übel kommt ja auch noch das Manspreading, das betreibt er schließlich obendrein, das macht alles nur noch schlimmer. Breitbeinig und raumgreifend sitzt er auf dem Weg zum Arzt in der U-Bahn. Er fährt nun jeden Tag zum Arzt, weil er glaubt, dass der ihm noch helfen kann. Kann er aber nicht. Gegen Älterwerden gibt es keine Medizin und gegen Verbohrtheit schon mal gar nicht. Das macht den Mann böse und traurig. Umso schlimmer, da heute noch nicht mal mehr das Manspreading funktioniert: Denn neben ihm sitzt ein junger Mann, der stärker ist. Der Ältere drückt und drückt, doch gegen den strammen Spagat des Jüngeren hat er keine Chance. Warum gilt der eigentlich nicht als Arsch?, fragt sich der Ältere wütend und verzweifelt.
Nun, auch diese Antwort ist ganz einfach. Der junge Mann ist jünger und sieht besser aus. Das Auge hasst halt mit. Und weil er jünger ist, denken die anständigen Leute, dass der vielleicht noch irgendwie die Kurve kriegt und später nicht so wird wie der Boomer. Wird er am Ende aber leider meistens doch.