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Eulen nach Athen

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Mal was Sinnvolles schreiben. Das ist schon lange mein heimlicher Wunsch. Wie so ein Schriftsteller mit Rollkragenpullover. Sechs Uhr morgens, Stehpult, Wasserglas. Ein Essay, das schwerblütig mit »meines Erachtens« beginnt und mit »die Geschichte wird über uns richten« endet. Statt meiner üblichen Lyrics wie »gestern an der Kasse bei Edeka hab ich voll gepupst, hihi haha – Arschloch, K/Fotze, ficken« endlich mal ein inhaltlich wie sprachlich brillantes Meinungsstück zu komponieren, das die Leserin zum Nachdenken und am Ende vielleicht sogar zum Handeln bewegt.

Denn das neue Jahrzehnt beginnt, wie das alte endete: mit Meldungen über Kriege, Katastrophen, Krankheiten und Klimawandel. Daher geht mir mein eitles Geschnatter zunehmend selbst auf die Nerven, diese notorische ZDFisierung einer geschriebenen Kleinkunst, die immer harmlos ist und niemals aneckt nach dem Motto: Kleine Geschichten aus der großen Stadt – wäre doch schön, wir hätten sie nicht aufgeschrieben.

Und so war ich zuletzt immer froh, wenn ich ausnahmsweise mal einen Auftrag für einen echten Artikel mit einem richtigen Thema bekam. Hauptsache, irgendwas mit Haltung. Aber leider entpuppt sich auch das wieder als bloße Augenwischerei: In einer linken Zeitung zu schreiben, wie doof zum Beispiel Nazis sind, bedeutet nicht nur, Eulen nach Athen zu tragen, sondern Athen mit einer springflutartigen Eulenplage zu überziehen, einer regelrechten Eulenpest, überall wimmelt es bloß so von Eulen, die Eulen fliegen den Leuten ins Gesicht, krallen sich schauerlich heulend in die Haare, keiner traut sich mehr zu Fuß auf die Straße, Autos mit geschlossenen Fenstern quälen sich durch dicke Wolken flatternder Eulen, es müssen Billionen sein, die die Sonne derart verfinstern, dass am Tag das Fernlicht eingeschaltet werden muss, links und rechts der Straße türmen sich die von den Fahrzeugen beiseite geschobenen Eulen zu immer höheren Wällen auf; Straßenreinigung, Militär und Katastrophenschutz sind völlig überfordert, längst sind sie auch schon in den Wohnungen der Menschen, kaum öffnet man den Kleiderschrank – schuhu, schuhuu! –, den Klodeckel – schuhu, schuhuu! –, im Küchenregal, im Kühlschrank, in Lebensmittelbehältern, in Lampenschirmen, in Kleidung, Frisuren, Bauchfalten, Arschritzen, Wimpern, Harnröhren, Zahnzwischenräumen sammeln sich lebende Eulen, tote Eulen, Eulenreste, Federn, Gewölle, Kehrschaufeln sind längst ausverkauft und ebenso Eulensprays, verbrennen, vergraben, ausstopfen, Zoo-Volieren, man wird der Masse einfach nicht Herr, die Akropolis sieht aus wie ein Guanofelsen im Südpazifik, übrigens sind auch die griechischen Mäuse ziemlich sauer … Was wollte ich sagen …? Genau, deshalb gibt es an dieser Stelle mal etwas zu einem ernsten Thema: Die holen bei uns nun schon seit Monaten die vollen Werkstofftonnen nicht mehr ab.

Anstelle der Eulenarie könnte man auch kürzer sagen: Man schmort im eigenen Saft. Aber kurz ist immer blöd, wegen des Zeilengelds. Also, wo war ich gerade …? Dum di dum di dum … genau: die Werkstofftonnen. Werden nicht mehr abgeholt. Alles andere schon noch regelmäßig: Restmüll, Papier und Biomüll (keine Eulen und Käserinden – das lockt Ratten an!), nur eben nicht der Plastikmüll. Soll das eine Strafe für unzulässige Durchmischung sein? Aber die wäre ja auch irgendwann mal abgebüßt.

Ich rufe bei der auf der Tonne angegebenen Nummer an, doch dort meldet sich nur der Anrufbeantworter: »Hallo! Hier ist der Anschluss von Monika, Michael und Mathilda Müllabfuhr. Wir sind leider gerade auf Tour oder in der Deponie. Sie können uns jedoch nach dem Piepton eine Nachricht hinterlassen …«

Und dann bricht es doch aus mir heraus. All die Sottisen, Kalauer und Banalitäten, die ich schon fast einen halben Tag lang zugunsten des heiligen Ernstes unterdrückt habe, sprudeln nun haltlos auf das Tonband der redlichen Müllmenschen: meine Erlebnisse mit Lehrlingen an der Supermarktkasse, Backfachverkäuferinnen, Bettlern, Balkontomaten und Fahrraddieben; Geschichten, deren grundlegende Vanität jedem Leser die Tränen der Vergeblichkeit in die Augen treiben muss. Aber ich kann einfach nicht anders.

Oh nee, Boomer!

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