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Der Mann in der Andropause: Junge Menschen
ОглавлениеSpätestens seit Eintritt des Vorsiechenalters verstehe ich die Jugendlichen gar nicht mehr. Also alle unter 45-Jährigen. Sie sind so anders. Schon wegen Kleinigkeiten reizen sie mich zur Weißglut. Das sind dann stets die Momente, in denen ich sie gerne mal scheinheilig »um ihr Wohlergehen besorgt« anspreche: »Warum hast du eine Wollmütze auf? Es ist doch warm. Warum trägst du eine Sonnenbrille? Es ist doch dunkel. Warum fährst du mit Kopfhörern Rad? Es ist doch gefährlich.«
Ihr Gehabe nervt mich kolossal. Die ständig eingestreuten lächerlichen Englischfetzen, obwohl ihre Sprachkenntnisse einer seriösen Qualitätsprüfung oft gar nicht standhalten, srsly. Ihre Unfähigkeit, auf Mails zu antworten, geschweige denn die von mir sauber aufgelisteten Punkte nacheinander abzuhaken – immer lesen sie nur die erste Zeile, dann wird die Konzentration auch schon vom nächsten Device absorbiert. Ihre Angewohnheit, eine Nachricht mit einem schlichten »hey« ohne weitere Anrede zu beginnen und mit einem Lach-Smiley zu beenden. Das ist weder höflich noch lustig. Und was schon per se nicht lustig ist, wird es auch nicht, indem man ein Grinsezeichen dahintersetzt, word!
Im nächsten Moment könnte ich sie jedoch schon wieder knuddeln. Schließlich waren wir selbst mal jung und haben ganz verrückte Sachen gemacht. Ich hab mal einen Apfel geklaut, der über den Zaun hing. Und einmal ist ein Schneeball in der Schule an der Tafel gelandet, kaum einen Meter neben dem Lehrer. Der war zwar nicht von mir, aber was da hätte passieren können: Nicht auszudenken! Außerdem sind die Jungen heute oft so schlau und freundlich – das findet übrigens auch Zbigniew, mein Urologe: »Jun-ge Menschen«, sagt er voller Liebe und spricht das N und das G dabei wie immer getrennt aus. »Jun-ge Menschen sind so stark und so frisch wie ihr Harnstrahl.«
Er hat ja so recht. Ihre unfassbar niedliche Arglosigkeit, die sich darin manifestiert, eben nicht allem Fremden präventiv mit Ablehnung zu begegnen, rührt mich im Innersten. Sie sind oft auch echt engagiert, während ich bloß schlau labere. Und besser als meines ist ihr Englisch allemal – etwas anderes behaupte ich ja nur aus Missgunst.
Sie können überhaupt ganz viel: Komputer und Umwelt und Schmartfon und so. Und sie beschämen mich mit ihrer offenherzigen Gelassenheit mir gegenüber. So gehen sie einfach darüber hinweg, dass ich schon über dreißig Jahre vor meinem Tod täglich böser werde und das nicht zuletzt an ihnen auslebe. Als ob sie ihn nicht mitbekämen, lassen sie den passiv-aggressiven Unterton meiner Warum-Fragen einfach an ihren, mit dem Blut zahlloser Social-Media-Trolle perfekt imprägnierten, Gemütern abperlen.
Ehrlich besorgt – denn diese beißende Dauerironie, die das gesellschaftliche Klima auf dem Globus komplett zu vergiften droht, ist ihnen fremd – wenden sie sich mir zu: »Sie sind nice. Aber irgendwas nagt hölle in Ihnen. Wollen Sie nicht mal zum Doc gehen? Srsly :)«