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Der Mann in der Andropause: Midlife-Crisis? What Midlife-Crisis?
ОглавлениеWie schön war doch die Midlife-Crisis! Das war ein Spaß, da wurde noch Porzellan zerschlagen, als wäre das eigene Leben ein einziger Polterabend. Vortodesangst vermählte sich mit grundloser Aufbruchsstimmung, das Brautpaar war dumm und fickte gut. Aber immer noch besser Flausen im Kopf als Leere. So wie heute. Denn leider liegt die Midlife-Crisis inzwischen auch schon wieder eine Weile zurück. Nun herrscht die Andropause.
Mach mal Andropause!, schreit der Körper, flüstert der Geist. Ruh dich ein bisschen aus, ein paar Jahrzehnte nur, bevor du stirbst. Fahr den Ehrgeiz runter, stell den Spiegel in den Keller und verschenke allen Kasperkram getrost an Jugendliche. Damit du optimal erholt in den Tod gehst und nicht schon mit einem Burn-out im Jenseits ankommst.
Die Andropause ist als Begriff nicht unumstritten. Denn der Prozess verläuft weitaus unauffälliger als sein weibliches Gegenstück. Während die Wechseljahre der Frau praktisch eins zu eins die Havarie eines Atomkraftwerks (mit der Menopause als Kernschmelze) abbilden, bei der sich fatale Kettenreaktionen unweigerlich in einem Super-GAU entladen, präsentieren sich die Wechseljahre des Mannes eher als Deich, der langsam von Bisamratten untergraben wird. Stetig höhlt der Zahn der Zeit den Mann und seine Männlichkeit. Auf das Phänomen überhaupt aufmerksam wurde ich im Grunde erst durch die immer dringlicher werdende Frage: Warum werde ich eigentlich Jahr für Jahr unablässig scheißer?
In der Tat gibt es Parallelen zwischen den Klimakterien der Geschlechter. Hormonell bedingte Stimmungsschwankungen; Rührseligkeit wechselt sich ab mit Wut, Verzagtheit und Lustlosigkeit. Überforderung. Angst. Entfremdung. Stillstand. Rückschritt. Dass Energie, Körperkraft und Libido mit schwinden, ist dabei fast Nebensache – die braucht man ja kaum mehr als dicker, kastrierter Kater, der sich vor dem Ofen zusammenrollt und nur noch schlafen will. Und fressen und vielleicht noch hinter den Ohren gekrault werden ab und zu. Dazu Fußball im Fernsehen. Der Frühherbst des Lebens, da sich Nase und Wangen prächtig rot zu färben beginnen, hat auch seine schönen Seiten.
Der häufige Irrtum einer breiten Öffentlichkeit scheint mir in der Verwechslung der Andropause mit der bekannteren Midlife-Crisis zu liegen. Vor einiger Zeit hatte ich mal die Idee, Erstere könnte im Grundton gut einen Romanstoff unterfüttern, mit einer tragikomischen und dennoch oder sogar deshalb würdevollen Hauptfigur. Die hat natürlich null mit mir selbst zu tun, eh klar, Literatur eben; wer in der Kritik zwanghaft lyrisches Ich und Autor vermengt, ist voll das dumme Schwein. Doch mit wem ich auch darüber sprach – alle winkten nur ab: »Ach ja, Midlife-Crisis meinst du. Postvirile Witzfigur vergisst, in den Spiegel zu gucken, rennt weg, knickknack, und hat am Ende komplett verschissen. Alimente, Alleinsein, Alkohol, Ableben. Sorry, aber das ist so überstrapaziert. Das macht jeder. Läuft nicht.«
»Es geht aber um die Andropause«, quengelte ich dann seltsam übererregt. »Das ist etwas völlig anderes.« Ich präzisierte den Gegensatz nochmals scharf im Exposé, versah ihn mit Belegen, Zitaten, Links und Ausrufezeichen und formatierte den ganzen Scheiß fett und kursiv. Das alles ergänzte ich noch um eine Liste übelsinniger Edelfedern im einschlägigen Alter. Weiterhin keine Chance.
Dabei ist der Unterschied zwischen Andropause und Midlife-Crisis grundlegender Natur: Denn die eine befasst sich nur mit der Vergangenheit, die andere exzessiv mit der Gegenwart. Die eine hat sich von jeglicher Zukunft verabschiedet, die andere überschätzt ihre kolossal. Gemein haben beide eigentlich nur eines: Schön ist das alles nicht.