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Einführung

Einführung

Zugleich Vorwort zur 3. Auflage

Was darf man von unserem Klausurenkurs erwarten? Was unterscheidet diesen Kurs womöglich von anderen Fallbüchern zum Bürgerlichen Recht? Welche didaktischen Ziele verfolgen wir dabei? Und wer sind „wir“ eigentlich?

Zugeschnitten ist unser Kurs auf fortgeschrittene Jurastudierende, die sich auf die zivilrechtlichen Klausuren in der Ersten Juristischen Staatsprüfung vorbereiten. Im Staatsexamen erwarten sie fünfstündige Aufsichtsarbeiten, die es in sich haben, sowohl in inhaltlicher Hinsicht wie im Umfang. Ein solches Klausurexamen wird gefürchtet, ist wegen seiner hohen Qualität und Objektivität aber auch sehr angesehen. Wer sich hier bewährt, kann den weiteren Herausforderungen des Ausbildungswegs mit gehörigem Selbstbewusstsein entgegensehen. Von einer überdurchschnittlichen Leistung, die Grund zur Zufriedenheit gibt, spricht man bereits dann, wenn ein(e) Kandidat(in) 9,0 Punkte von 18 möglichen Punkten erzielt, also ein knappes „vollbefriedigend“. Die Note „gut“ hat echten, „sehr gut“ sogar sehr großen Seltenheitswert.

Ein Klausurenkurs, der auf dieses Examen vorbereitet, darf hinter diesem Anforderungsprofil nicht zurückbleiben. Auch seine Fälle müssen es in sich haben. Einstreuen dürfen wir freilich, wie im echten Examen auch, einen ausgewogenen Anteil an Aufgaben, die leichter von der Hand gehen, sei es wegen der Bekanntheit der Problemstellung (sog. Examensklassiker), sei es, weil der Schwierigkeitsgrad niedriger oder der Sachverhalt weniger umfangreich ist.

Die Lösungshinweise, die das Landesjustizprüfungsamt Stuttgart den zivilrechtlichen Prüferinnen und Prüfern zur Hand gibt, umfassen in der Regel 15 bis 20 Seiten, mitunter sogar noch mehr. Der langjährige Trend ist eindeutig: Der Umfang der Klausuren und der Lösungshinweise hat im letzten Jahrzehnt konstant zugenommen. Unsere Erläuterungen der gangbaren Lösungswege in den 15 Fällen dieses Kurses enthalten ebenfalls erheblich mehr als das, was in einer Klausur zu Papier gebracht werden kann. Um dies deutlich zu machen, sind vertiefende Ausführungen zum materiellen Recht und zum Gutachtenaufbau von der eigentlichen Fallbearbeitung optisch deutlich abgesetzt.

In der Ausbildungsliteratur trifft man auch auf Werke, die ihre Lösungen zu Fällen, die auf Examensniveau liegen sollen, auf viel weniger Raum darbieten. Die Gründe dafür können recht unterschiedlich sein. Erwähnt sei hier nur das begreifliche Anliegen der Attraktivität für die angehenden Käufer: Wer arbeitet sich denn schon gerne durch lange Texte hindurch? Diese rhetorische Frage ist mit zwei Gegenfragen zu beantworten: Kann man in einem echten Examenskurs mit Lösungshinweisen auskommen, die unter dem Standard der echten Klausuren liegen? Geht es denn kürzer, wenn man die schwierigen Sachprobleme, die in den Klausuren stecken, deutlich herausarbeiten will? Unserer Ansicht nach geht das nicht. Unser Kurs bietet eingehende Erläuterungen. Diese wollen aufmerksam durchgearbeitet und durchdacht werden. Dafür belohnen sie mit einem Zugewinn an Verständnis.

Aus didaktischen Gründen setzt der Kurs klare inhaltliche Schwerpunkte: Im Mittelpunkt stehen Probleme des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuchs, des Allgemeinen Schuldrechts und der gesetzlichen Schuldverhältnisse, die in den meisten zivilrechtlichen Examensaufgaben eine Rolle spielen, oft genug sogar eine Schlüsselrolle. Die Fälle sind ganz bewusst so angelegt, dass thematische Überschneidungen auftreten, um das Verständnis für charakteristische Problemstellungen zu vertiefen. Deshalb ist auch die Reihenfolge der Kursfälle bewusst gewählt, muss jedoch für eine gewinnbringende Lektüre nicht unbedingt eingehalten werden. Ein Schwerpunkt der Fälle liegt in der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, ohne die man in den wenigsten Examensklausuren auskommt.

Die Unterrichts- und Prüfungserfahrung lehrt, dass die zivilrechtlichen Grundlagen in den ersten Fachsemestern nur oberflächlich gelernt und verstanden werden. Im Fortgang des Studiums erwerben viele Studierende zwar reichlich Spezialwissen zu sog. Streitständen, die zu jedem Buch des BGB zu Hunderten aufgelistet werden können. Dieser Lern- und Gedächtnisaufwand zahlt sich aber häufig nicht aus, weil sich Schwächen im Verständnis des Allgemeinen Teils und Allgemeinen Schuldrechts – den keineswegs einfachen Grundlagen – in den Examensklausuren brutal rächen.

Hier liegt die fatale Schwäche der Streitstandpaukerei und schematischen „Durchprüferei“, die in manchen der kommerziellen Repetitorien auf die Spitze getrieben werden. So mancher Absolvent jener Kurse sieht am Ende den Wald vor lauter „Streitstandbäumen“ nicht mehr. Erfahrene Korrektor(innen) im Originalexamen legen entscheidenden Wert darauf, dass sich die Bearbeitungen nicht in den heruntergeleierten Standardfloskeln zu der angeblichen „einen Ansicht“ und „anderen Ansicht“ erschöpfen: Als ob es in der deutschen Rechtswissenschaft nur jeweils zwei Ansichten und dazu vielleicht noch eine „vermittelnde Ansicht“ gäbe!

Wegen der Komplexität der rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen gibt es meistens auch nicht „die eine“, allein richtige Lösung. Wir haben besonderes Augenmerk darauf gelegt, die Argumentationsspielräume und die Bandbreite der vertretbaren Lösungen herauszuarbeiten. Diesem Anliegen würde es widersprechen, wenn unsere Ausführungen als geradlinige, glatte, scheinbar zwingende „Musterlösungen“ daherkämen. Was wir aufzeigen, sind die vertretbaren und ggf. vorzugswürdigen Lösungswege. So verhält es sich auch in den Originalklausuren der Prüfungsämter. Die Aufgabensteller betonen in ihren Hinweisen fast immer die gleichwertige Vertretbarkeit abweichender Standpunkte.

Dieses didaktische Ziel hat uns schon bei der Gestaltung der Sachverhalte geleitet. Um die Kunst der Auslegung von Rechtsgeschäften nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) zu erlernen, auf die es in unzähligen Fallgestaltungen ankommt, braucht man geeignetes, speziell darauf zugeschnittenes Fallmaterial. Die Fähigkeit zu überzeugender Argumentation ist von unschätzbarer Bedeutung für die erfolgreiche Begutachtung schwieriger Zivilrechtsfälle. Selbstverständlich besteht die juristische Ausbildung auch zu einem guten Teil aus dem Erlernen von Fachwissen. Die Wiedergabe dieses erarbeiteten Stoffs darf jedoch nicht zum Selbstzweck werden. Solides rechtliches Wissen bildet vielmehr die Grundlage für die handfeste Auseinandersetzung mit den konkreten Problemen des jeweiligen Einzelfalls. Darin liegt ein entscheidender Aspekt einer praxisgerechten Juristenausbildung. Nur wenn eine gerichtliche Entscheidung die Interessen der betroffenen Parteien berücksichtigt und sich damit inhaltlich auseinandersetzt, wird diese Entscheidung die Akzeptanz finden, derer sie für den Rechtsfrieden bedarf.

Nicht weniger bedeutsam für eine erfolgreiche Argumentation ist die Kunst der Rhetorik. Es genügt nicht, rechtliches Spezialwissen aus dem Gedächtnis abrufen zu können. Man muss es auch unter Zeitdruck mit knappen, prägnanten Formulierungen überzeugend zu Papier bringen können. Rhetorik ist die Kunst der wirkungsvollen Rede, die verschriftlichte Rede eingeschlossen. Das gilt für Examensklausuren ebenso wie für anwaltliche Schriftsätze und gerichtliche Urteilsbegründungen.

Die Fähigkeit der überzeugenden Rede will ebenfalls geübt werden. Auch aus diesem Grund haben wir für unseren Klausurenkurs Fälle ausgesucht, deren Gemeinsamkeit darin liegt, dass man über die vorzugswürdige – wenn man will: die richtige – Lösung herzhaft streiten kann. Es handelt sich nicht um sog. Einbahnstraßenfälle, die nur einen einzigen korrekten Lösungsweg (aner-)kennen wollen, den die Bearbeiter dann finden und einhalten müssen, wenn sie nicht scheitern wollen.

Es hat sich gezeigt, dass die 15 Fälle dieses Klausurenkurses weitgehend „zeitlos“ sind. Keiner von ihnen ist seit der 1. Auflage von 2012 in irgendeiner Weise veraltet; einige haben durch aktuelle Entwicklungen sogar noch an Aktualität hinzugewonnen, namentlich Fall 6 („Erkerzimmer“) zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Dieses Rechtsinstitut steht durch die Corona-Krise vor neuen Herausforderungen als „zentrale Norm des Zivilrechts“ in der Bewältigung von Systemkrisen.[1] Das wird mit Sicherheit auch neuen Stoff für künftige Examensklausuren bieten.

Unsere Klausuren sind durchweg mehrfach erprobt, sei es als Originalklausur im Staatsexamen in Baden-Württemberg, sei es in Examensklausurenkursen an der Universität Mannheim. Die Erfahrungen aus den Korrekturen sind in die Erläuterungen der vertretbaren Lösungswege eingeflossen, und ebenso die Unterrichtserfahrung aus vielen Examenskursen. Mehrere der hier versammelten Fälle sind auch schon in zivilrechtlichen Moot Courts verwendet worden. So war Fall 5 („Speisekarte“) die Finalaufgabe des ELSA-Deutschland Moot Courts, die im Jahr 2009 in Karlsruhe verhandelt wurde; die Jury bestand aus fünf Richter(inne)n am Bundesgerichtshof. Fall 1 („Rittergut“) war eine Finalaufgabe eines Mannheimer Zivilrechts-Moot-Courts (Rechtsanwalt Wolfgang Schilling Moot Court). Den Vorsitz in der Jury führte Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Hagen, ein ehemaliger Vizepräsident des BGH. Er ist am 5. Dezember 2019 verstorben. In seinen Lebenserinnerungen, die er im Jahr 2018 veröffentlichte, hat er auch auf sein langjähriges ehrenamtliches Engagement als Schirmherr und Vorsitzender dieses Moot Courts zurückgeblickt.[2] Wir werden Horst Hagen als Freund und Lehrer immer in dankbarer Erinnerung behalten.

In unseren Lehrveranstaltungen der letzten Jahre haben wir stets auf diesem Klausurenkurs aufgebaut, beginnend mit der Übung im Zivilrecht für Fortgeschrittene. Insoweit haben wir natürlich vor allem von den leichteren Fällen regen Gebrauch gemacht. Hinweise und Anregungen unserer Kursteilnehmer(innen) haben wir in Neuauflagen eingearbeitet. Literatur und Rechtsprechung sind durchweg auf dem aktuellen Stand. Die Erläuterungen zu einzelnen Fällen haben wir noch einmal im Ganzen gründlich durchgearbeitet, um den didaktischen Wert weiter zu verbessern, insbesondere Fall 10 („Wertpapierdepot“).

Unser Plädoyer für eine praxisorientierte Juristenausbildung, die viel Wert auf eine gelungene, an den Interessen der Beteiligten ausgerichteten Argumentation legt, spiegelt sich letztlich auch in unserem beruflichen Werdegang wider. Das Autorenteam besteht aus einer Praktikerin und einem Hochschullehrer. Birgit Schneider ist Richterin am Oberlandesgericht Karlsruhe und Honorarprofessorin an der Universität Mannheim, zuständig insbesondere für die Examenskurse zum Allgemeinen Teil des BGB und zum Zivilprozessrecht. Ulrich Falk ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Rhetorik und Europäische Rechtsgeschichte an der Universität Mannheim. Der Schwerpunkt seiner zivilrechtlichen Lehre liegt auf den Examenskursen zu den Gesetzlichen Schuldverhältnissen, zum Kreditsicherungsrecht und zum Erbrecht. Beide prüfen seit vielen Jahren regelmäßig in der ersten Staatsprüfung des Landes Baden-Württemberg. Falk wurde im Jahr 2006 zum Mitglied des Ständigen Ausschusses für die Erste Juristische Staatsprüfung im Justizministerium des Landes Baden-Württemberg bestellt. Diese Bestellung wurde mehrfach verlängert. Er ist jetzt das dienstälteste und erfahrenste Mitglied dieses Gremiums.

Mannheim, im Oktober 2020 Birgit Schneider Ulrich Falk

Klausurenkurs im Bürgerlichen Recht II

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