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ОглавлениеBasdorf, Accumer Weg
Sie hatten sich wie vereinbart pünktlich um 9 Uhr auf der Dienststelle getroffen und ausgetauscht. Nach der kurzen Besprechung waren sie nach Basdorf gefahren, um das Haus des Bürgermeisters zu durchsuchen. Drei Kollegen der Spurensicherung widmeten sich unterdessen dem Büro im Rathaus von Deichhagen.
Janson von der Vermisstenstelle in Aurich war vor Tagen bereits dort gewesen, doch seine Nachschau war oberflächlich und hatte dem Bürgermeister selbst gegolten. Seit dessen Boot führerlos vor Baltrum aufgetaucht war, musste Trevisan von anderen Voraussetzungen ausgehen. Von einem geplanten Verschwinden, einem Unfall oder gar Mord an Enno Ollmert, alles war möglich. Trevisan und seine Crew mussten gründlich vorgehen und nach Hinweisen suchen, die eine der Thesen untermauerte oder zumindest dazu führte, eine Möglichkeit sicher auszuschließen.
Janson hatte damals das Türschloss aufbrechen müssen und es anschließend durch ein anderes ersetzt. Die dazugehörigen Schlüssel hatte er an Trevisan übergeben.
Das Haus lag am Ende des Dorfes in einem Neubaugebiet unmittelbar vor den weitläufigen Wiesen und Feldern. Es war ein modernes Dreigiebelhaus mit üppigen Glasfronten und sah neu aus. Die weiß getünchte Fassade war durch blaue Umrahmungen der Fenster aufgelockert und das Grundstück um das Haus mit Rasen und jungen Büschen und Sträuchern bepflanzt. Eine Mauer oder einen Zaun gab es nicht. Schmale, graue Rabatten grenzten das Grundstück zur Straße und zur Nachbarschaft ab.
Die Innenjalousien waren herabgelassen, so wie es auch in Jansons Akte beschrieben war, was dafür sprach, dass Ollmert das Haus vor seinem Verlassen entsprechend gesichert hatte. Ein kontrollierter und geplanter Aufbruch, dachte Trevisan, als er vor der blauen Eingangstür mit den beiden Dreiecksfenstern stand und das Schloss öffnete. Im Haus selbst war alles ordentlich und sauber hinterlassen worden. Trevisan blickte sich um. So ähnlich sieht es aus, wenn jemand für ein paar Tage wegfährt. Allerdings hatte er erwartet, dass ein Bürgermeister innerhalb einer Woche mehr Post erhielt, doch auch so etwas ließ sich heutzutage steuern.
Monika, Lentje und Lisa sowie Krog und drei seiner Spurensicherungsexperten folgten ihm ins Haus. Eike war auf der Dienststelle geblieben, um weitere Details über Enno Ollmert herauszufinden und noch einmal mit dem Provider von Ollmerts Handy zu sprechen. Aber auch, um die Liste der Namen zu überprüfen, die Monika und Trevisan von der Chefsekretärin erhalten hatten. Möglicherweise ergab sich daraus ein konkreter Ermittlungsansatz.
Trevisan ging über den Flur, der mit grauen Marmorplatten ausgelegt war, und betrat das Wohnzimmer. Ollmert bevorzugte eindeutig die nüchterne Moderne. Abstrakte Gemälde verzierten die weißen Wände, und eine Designer-Sitzkombination, in schwarzem Leder gehalten, stand inmitten des Raumes, davor ein niedriger Glastisch. An einer Wand stand eine Vitrine, an der Stirnseite prangte ein riesiger Fernseher an der Wand. Darunter stand ein Lowboard in weißem Lack gehalten. Ein Highboard in der Ecke vervollständigte das Mobiliar im geräumigen, mit hellem Parkett ausgelegten Wohnzimmer. Die Stereoanlage von Bang und Olufson nebst den teuren Lautsprechern, die in den Ecken standen, waren sicherlich nicht billig gewesen. Auch das Mobiliar erschien hochwertig und teuer.
»Was verdient so ein Bürgermeister?«, fragte Lisa, als sie neben Trevisan stehen blieb und das Fernsehgerät bewunderte.
»Der ist in der Gehaltsklasse B eingestuft, soweit ich weiß«, antwortete Trevisan. »Also mehr als ein Polizeidirektor.«
Lisa nickte überrascht und verschwand im Flur. Trevisan schaute sich die Fotos auf dem Highboard genauer an. Drei Bilder gab es dort zu sehen: Ollmert neben seinem Porsche, Ollmert am Ruder seines Bootes und Ollmert vor dem Eiffelturm. Weitere Fotos gab es nicht, offenbar hielt sich der Kreis seiner Freunde und Bekannten in Grenzen.
Trevisan öffnete die Schränke. Dort fand er vorwiegend Bedienungsanleitungen für die technischen Geräte, außerdem ein hochwertiges »Bresser«-Fernglas und in einem Fach im Highboard mehrere Armbanduhren und Herrenschmuck.
»Ausgeraubt hat ihn niemand«, murmelte Trevisan.
»Was hast du gesagt?«, fragte Monika, die das Zimmer betreten hatte, ohne dass es Trevisan bemerkt hatte.
»Ach nichts. Habt ihr was gefunden?«
Monika schüttelte den Kopf. »Krog ist in seinem Arbeitszimmer, da gibt es einige persönliche Unterlagen. Post liegt auf dem Schreibtisch. Ich habe seinen Pass im Schlafzimmer gefunden, ansonsten nur ein paar Tabletten und Medikamente. Einige Schrankfächer sind leer, bei den Anzügen ist noch viel Luft, da könnte einiges fehlen, außerdem fand ich zwei Kofferschutzhüllen, die in den Kleiderschrank geworfen waren. Es müssen ein großer und ein kleiner Koffer gewesen sein.«
»Alles klar. Wenn du fertig bist, nimm Lisa mit und frag in der Nachbarschaft. Vielleicht hat da einer was gesehen.«
Monika nickte und wandte sich um.
»Fangt am besten mit Frau Anderson gegenüber an, sie ist die Letzte, die Ollmert im Garten gesehen hat, er hat ihr noch gewunken«, rief ihr Trevisan nach.
Noch bevor Monika die Tür erreicht hatte, war der melodische Dreiklang der Türglocke zu hören. Monika öffnete. Eine kleine, schmächtige Frau in einem dunklen, hochgeschlossenen, gestreiften Kleid und einem beigefarbenen Kopftuch stand vor der Tür und schaute Monika mit großen Augen an. In der Hand hielt sie einen Schlüsselbund.
»Wo Herr Ollmert?«, fragte sie in gebrochenem Deutsch.
»Wer sind Sie?«, fragte Monika.
Die Frau hob den Schlüsselbund in die Höhe. »Nicht mehr passen, Schlüssel, wo Herr Ollmert, ich muss sprechen.«
Monika fasste in ihre Hosentasche und zog ihren Dienstausweis hervor. »Wir sind hier, weil Herr Ollmert verschwunden ist. Und Sie sagen mir bitte, was Sie hier wollen!«
Die Frau stemmte ihre Arme in die Hüfte. »Ich putzen, Herr Ollmert, schon lange, drei Jahre putzen hier, wo Herr Ollmert?«
»Martin, kommst du mal!«, rief Monika in den Flur. Trevisan kam aus dem Wohnzimmer. Monika wies mit dem Kopf in Richtung der Frau. »Sie sagt, sie putzt hier.«
Trevisan zuckte mit der Schulter. »Von einer Putzfrau weiß ich nichts.«
»Jetzt weißt du es, ich geh rüber zu Frau Anderson«, entgegnete Monika und ging an der Frau vorbei.
Trevisan zeigte seinen Dienstausweis. »Sie putzen hier?«
»Ja, putzen, wo Herr Ollmert?«
»Herr Ollmert ist verschwunden«, entgegnete Trevisan. »Wir sind von der Polizei und suchen nach ihm.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nix verschwunden, machen Urlaub.«
Trevisan bat die Frau ins Haus. Er führte sie ins Wohnzimmer und bot ihr Platz an. Sie hieß Enisa Yilmaz, wohnte am anderen Ende von Basdorf und putzte seit drei Jahren für den Bürgermeister. Sie wusste, dass Ollmert vor einer Woche in Urlaub gefahren war, und hatte ihm sogar beim Kofferpacken geholfen. Er hatte ihr erzählt, dass er in den Süden nach Italien fahren und ausspannen wolle.
»Wie groß waren die Koffer?«, fragte Trevisan, um abschätzen zu können, wie viel Kleidung Ollmert auf seine Reise mitgenommen hatte.
Sie zeichnete ein großes Quadrat in die Luft und anschließend ein um die Hälfte kleineres.
»Was nahm er mit auf seine Reise?«
Die Frau zuckte mit der Schulter. »War Anzug, ganz feine, drei oder vier, war kurze Hosen, Shirt und Unterwäsche, was man braucht bei baden gehen in warme Tage.«
»Hat er auch gesagt, wann er zurückkommt?«, fragte Trevisan.
»Er gesagt, eine Woche bleiben, dann wiederkommen. Müssen da sein jetzt heute.«
»Wie oft putzen Sie bei ihm?«
Die Frau wiegte den Kopf hin und her. »Ich putzen einmal Woche immer Donnerstag, dann manchmal er anrufen und fragen putzen. Ich kommen, wenn ist Zeit.«
»Haben Sie am letzten Donnerstag geputzt?«
»Ich putzen und legen Post in Zimmer oben.«
Trevisan warf einen Blick durch die offene Wohnungstür in den Flur. »Moment«, sagte er, ehe er zum Briefkasten ging, an dem der Schlüssel steckte, und ihn öffnete. Es waren mehrere Briefe darin, aber keine Werbung und keine Zeitung. Bevor er zurück ins Wohnzimmer ging, warf er einen Blick nach draußen. Auf dem Briefkasten klebte ein weißer Aufkleber mit roter Schrift. »Keine Werbung einwerfen!«, stand darauf geschrieben. Wahrscheinlich war das der Grund, dass es keine Werbeprospekte gab. Als er zurück ins Wohnzimmer ging, schaute er die Briefe durch. Zwei Postwurfsendungen von Firmen aus der Umgebung und drei Briefe, die frankiert worden waren. Sie stammten von einer Bank, dem Pfarramt und vom örtlichen Fußballverein. Er setzte sich zur Putzfrau an den Tisch und zeigte ihr die Briefe. »Ist es normal, dass Herr Ollmert innerhalb einer Woche so wenig Post bekommt?«
»Nicht viel Post, nicht Woche, Briefkasten geleert Sonntag, habe gelegt Briefe in Zimmer oben.«
»Sie waren am Sonntag hier?«, fragte Trevisan überrascht.
Die Frau nickte. »War in Gegend, war früh am Morgen, vielleicht 10 Uhr, habe geleert Postkasten.«
»Und Ollmert war nicht hier und seine Koffer auch nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht hier.«
»War sonst etwas ungewöhnlich im Haus?«, fragte Trevisan.
Die Frau warf Trevisan einen fragenden Blick zu.
»Sah es aus, als ob jemand drinnen war, Herr Ollmert vielleicht oder jemand anderes?«
Sie lächelte. »Nix drinnen, alles sauber und gut, wie Donnerstag.«
Trevisan überlegte. »Ach ja, eine Frage noch: Las Herr Ollmert Zeitung, wir haben keine Zeitungen gefunden.«
»Er immer lesen Büro, keine Zeitung in Haus.«
Bevor Trevisan die Putzfrau gehen ließ, führte er sie ins Schlafzimmer und zeigte ihr im Schrank die leeren Fächer.
Sie nickte. »Gepackt in Koffer, Shirts und Hemd und Anzüge, drei und kurze Hose für Süden, so viel gebraucht dort für Urlaub.«
»Hatte Herr Ollmert ein Fahrrad?«
Die Frau nickte. »Ja, haben Rad, schwarz und rot, alte Fahrrad, für Mann. Stehen Garage.«
Trevisan notierte sich die Adresse und die Telefonnummer der Frau, ehe er sie gehen ließ. Eine Stunde später verließen sie mit mehreren gepackten Kisten das Haus. In der Garage stand nur der Porsche des Bürgermeisters, ein Fahrrad war dort nicht zu finden.
»Weder Geldbörse, Ausweis oder Führerschein haben wir gefunden«, berichtete Krog. »Oben im Schreibtisch war eine Geldkassette mit rund 400 Euro. Außerdem fanden wir Kontoauszüge, ein Sparbuch mit 4.288,12 Euro Guthaben und Unterlagen eines Fondsparvertrages im Wert von knapp 13.000 Euro.«
»Von wann stammt der letzte Kontoauszug?«, fragte Trevisan.
»Anfang des Monats.«
»Sonst nichts?«
Krog wies auf die Kartons. »Das Material müssen wir erst sondieren, und für die verschlossene Post benötigen wir einen richterlichen Beschluss.«
Trevisan nickte. »Ich dachte, ein Bürgermeister hat mehr auf der hohen Kante. Er verdient doch bestimmt 6.000 Euro im Monat.«
»Laut Kontoauszug genau 5.612,21 sowie eine Aufwandspauschale von 422 Euro von einem Bürgerverein, um genau zu sein«, stellte Krog klar.
»Habt ihr einen Computer gefunden?«
Krog schüttelte den Kopf.
Trevisan runzelte die Stirn. »Das ist ungewöhnlich«, sagte er.
»Mit seinem Büro sind wir durch, da gibt es einen Computer der Stadtverwaltung, aber da sind keine persönlichen Dateien darauf«, berichtete Krog.
»Ein Mann wie Ollmert und keinen persönlichen Computer?«, murmelte Trevisan nachdenklich. »Das kann ich kaum glauben.«
»Vielleicht hat er einen Laptop und hat ihn bei sich.«
Trevisan nickte. »Könnt ihr das herausfinden?«
Krog atmete tief ein. »Mal sehen, was sich machen lässt.«
*
Er hieß Valentin Jokisch, war Rentner und wohnte am Ende der Accumer Straße. Er kannte den Bürgermeister flüchtig. Manchmal unterhielten sie sich sogar, wenn Jokisch seinen dreijährigen Labrador ausführte und sie sich begegneten. Frau Anderson aus dem Haus gegenüber hatte bestätigt, dass sie den Bürgermeister am Samstag vor einer Woche, so gegen 14 Uhr nachmittags, im Garten gesehen und er ihr zugewunken hatte. Er war alleine gewesen, mehr konnte sie nicht sagen. Die weitere Nachbarschaft konnte keine ergänzenden Angaben machen. Herr Jokisch hingegen hatte am Samstag vor zwei Wochen eine durchaus interessante Beobachtung gemacht. Er hatte Monika auf seine Terrasse gebeten und ihr ein Glas Wasser eingeschenkt, ehe er sich zu ihr an den Tisch setzte.
»Normalerweise gehe ich früher mit Sami raus, aber er hatte Probleme mit der Verdauung«, holte der Rentner aus. »Ich laufe meist über die Accumer Straße hinaus in die Felder und dann zurück. Weil ich aber den Weg schon gelaufen bin, ging ich diesmal runter in die Hager Straße und von dort aus über den Westermarscher Damm, da kommt man auch über die Felder hinten herum in die Accumer Straße und zu mir nach Hause.«
Monika nippte am Glas.
»Es war schon dunkel, und ich war gerade im Westermarscher Damm, dort am Hofladen, da konnte es Sami nicht mehr halten.«
»Was geschah dann?«, fragte Monika, bevor der Rentner ihr weiter von den Verdauungsproblemen seines Hundes erzählte.
»Da fuhr dieser Sportflitzer an mir vorbei«, fuhr der Rentner fort.
»Sportflitzer?«
»Ja, so ein kleiner roter Zweisitzer mit offenem Verdeck. Drinnen saß eine Frau, die hatte ein buntes Kopftuch auf.«
»Weiter?«
Der alte Mann wiegte den Kopf hin und her. »Der Flitzer hielt an der Ecke zur Hager Straße und stand dort beinahe zwei Minuten. Dann kam ein Mann angelaufen, der hatte zwei Koffer bei sich, einen großen und einen kleinen Koffer. Die hob er in den Wagen und stieg auf der Beifahrerseite ein. Dann sind die über die Hager Straße in Richtung Dorfstraße weggefahren. Das ging ganz schnell, und ich hatte das Gefühl, das sollte auch so schnell gehen, damit niemand was mitbekommt. Die sahen mich gar nicht, weil ich ein bisschen ins Gelände gegangen bin und hinter einem Busch stand. Bei Sami ist manchmal der Stuhl sehr weich, wenn er Probleme hat, Sie wissen, was ich meine.«
Monika runzelte die Stirn. »Und dieser Mann hatte zwei Koffer …«
»Der Bürgermeister war das, und der hatte zwei Koffer, die er in den Fond gehoben hat. Die waren wohl zu groß für den Kofferraum, oder der war schon voll. Man hört so einiges über den Ollmert. Der soll es mit den Damen nicht so genau nehmen, und die hatten wohl ihre Gründe, dass niemand was sehen sollte.«
Jokisch zwinkerte.
»Sie sind sich sicher, dass es der Bürgermeister war? Es war doch schon dunkel.«
Jokisch nickte. »Da oben, wo sie standen, ist eine schöne helle Laterne über die Straße gespannt, und ich kenne ihn, wie gesagt.«
»Was für ein Auto war das?«
»Ein roter Sportwagen, ohne Dach, so ein kleiner Zweisitzer.«
»Marke?«
Jokisch zuckte mit der Schulter. »Da kenne ich mich nicht so gut aus, aber das Kennzeichen war aus Bremen, mehr konnte ich mir nicht merken, nur HB, aber da bin ich sicher.«
Monika hatte ihr Notizbuch gezückt und notierte die Daten. »Wissen Sie noch, wann das genau war?«
Der Rentner überlegte. »Ich bin raus, da war es 22 Uhr, ich schätze gegen 22.30 Uhr. Als ich zurückkam, lief schon die Sportschau im Zweiten.«
»Zu der Dame können Sie nichts weiter sagen?«
Jokisch schüttelte den Kopf. »Alt war sie nicht, sie trug ein Kopftuch, ihr Gesicht sah ich nicht.«
Monika trank ihr Glas leer und bedankte sich bei dem alten Mann. Vielleicht war damit zumindest geklärt, wie Ollmert von hier weggekommen war. Nun galt es herauszufinden, welche Beziehung er zu einer Dame aus Bremen unterhielt, die einen roten Sportflitzer fährt. Leicht war dies sicherlich nicht.