Читать книгу Verschollen in Ostfriesland - Ulrich Hefner - Страница 13

6

Оглавление

Kriminalpolizei Wilhelmshaven, Mozartstraße

An der Pinnwand im Soko-Raum waren weitere Fotos hinzugekommen. Bilder des Wohnhauses, Fotos vom Boot und von der Blutlache auf Deck nahe der Reling sowie eine Karte mit gelben Fähnchen. Sie zeigten, wo sich der Bürgermeister vor seinem Verschwinden aufgehalten hatte und den Ort, an dem das Boot vor der Küste aufgebracht worden war.

Neben Trevisan und seiner Crew hatte sich auch Krog von der Spurensicherung am langen Tisch eingefunden. An der Stirnseite neben Trevisan saß Thorke Oselich, die Chefin. Es war Spätnachmittag, und es galt, die bisherigen Ermittlungsergebnisse zusammenzuführen. Seit dem Verschwinden von Enno Ollmert waren inzwischen 14 Tage vergangen, und noch immer stand nicht fest, was dem Bürgermeister widerfahren war. Trevisan räusperte sich, als er das Meeting eröffnete. »Seit zwei Tagen haben wir den Fall auf dem Tisch, und so wie es aussieht, hat sich Janson von der Vermisstenstelle nicht unbedingt ein Bein ausgerissen und die Ermittlungen vorangetrieben. Zumindest ist eine europaweite Ausschreibung des Mannes im Fahndungssystem erfolgt, Wohnung und Büro wurden durchsucht. Dennoch stehen wir mit leeren Händen da.«

»So langsam wird die Presse ungeduldig«, verkündete Thorke Oselich. »Ein verschwundener Bürgermeister ist eine Schlagzeile wert, vor allem, wenn der verschwundene Bürgermeister eine schillernde Persönlichkeit ist wie Ollmert, der genügend Raum für Spekulationen offen lässt. Wir sollten bald etwas vorweisen können, bevor die Hypothesen ins Uferlose ausarten.«

»Richtig«, stimmte Trevisan zu. »Wir tragen alle Fakten zusammen und versuchen nach und nach die Lücken zu füllen. Fakt ist, dass Enno Ollmert von seiner Nachbarin am 15. Juni in seinem Garten letztmalig gesehen wurde. Er hatte vor, eine Woche Urlaub in Italien zu machen, und sollte am Montag, dem 24. Juni wieder sein Amt antreten, was er nicht tat. Am Abend meldete ihn seine Sekretärin vermisst.«

»Es gibt die Zeugenaussage eines Nachbarn, dass der Bürgermeister am Tag seines Verschwindens gegen 22.30 Uhr an der Ecke Hager Straße, Westermarscher Damm in einen roten Sportwagen, einen Zweisitzer-Cabrio mit Bremer Kennzeichen stieg, der von einer Frau gelenkt wurde«, fügte Monika hinzu. »Er hatte zwei Koffer bei sich. Genau diese Koffer und die entsprechende Kleidung fehlen im Haus. Der Wagen fuhr dann über die Dorfstraße davon.«

»Das deckt sich mit der Aussage der Reinemachefrau, die ebenfalls von zwei Koffern unterschiedlicher Größe sprach und von dem Urlaub wusste«, bestätigte Trevisan. »Es sollte in den Süden nach Italien gehen.«

Eike nickte. »Ich habe das Handy des Bürgermeisters überprüft. Es wurde um Mitternacht abgeschaltet und hat sich seither nicht mehr ins Netz eingeloggt. Der letzte Sendemast, bei dem der Log-Out erfolgte, steht in der Nähe der A1 bei Vechta.«

Trevisan blickte Eike fragend an. »Und wenn es sich irgendwo im Ausland wieder eingebucht hat, weil er es vielleicht laden musste?«

»Dann müssten wir wissen, wo das war, und benötigten einen erweiterten Beschluss, damit die ausländischen Behörden eine Ortung durchführen.«

Trevisan schrieb das Wort »Ortungsbeschluss« auf den Notizblock, der vor ihm lag, und wandte sich Krog zu. »Habt ihr was gefunden, das uns weiterbringt?«

»Wir haben das Haus und sein Büro in der Stadtverwaltung durchsucht«, sagte er. »Im Haus gibt es keine Spuren eines Einbruchs oder einer Auseinandersetzung. Es wirkte tatsächlich so, als ob der Mann in den Urlaub gefahren ist. Und die Sache mit der Post hat sich dann ja auch durch die Putzfrau aufgeklärt. Die ungeöffneten Briefe waren von der letzten Woche, der älteste Poststempel stammte vom Montag, dem 17. Juni, der jüngste Brief trug den Poststempel vom 26. Juni. Da Koffer und Kleidung fehlen, dürfte er zwischendurch nicht zu Hause gewesen sein. Wir haben weder Geldbörse noch Ausweis oder Führerschein gefunden, auch ein Schlüsselbund lag da nicht. Vom Boot …«

Trevisan hob abwehrend die Hand. »Dazu kommen wir noch, lasst uns chronologisch vorgehen.«

Krog meldete sich wie ein Schüler im Unterricht. »Sollten wir die Post auswerten müssen, dann benötigen wir einen richterlichen Beschluss«, sagte er.

Erneut notierte Trevisan die Info.

»Und im Büro?«

»Nichts von Bedeutung für unseren Fall.«

»Gut, machen wir also weiter«, seufzte Trevisan. »Wir wissen nicht, wo und mit wem Ollmert die vergangene Woche verbrachte, wir wissen nur, dass die Küstenwache am gestrigen Tag gegen Mittag die Segeljacht von Enno Ollmert vor Baltrum führerlos aufbrachte. An Deck befand sich eine große Menge Blut.«

Krog räusperte sich. »Die Blutgruppe stimmt mit der von Ollmert überein, wir fanden einen Blutspenderausweis in seinem Schreibtisch. Die DNA-Erhebung dauert an, das Ergebnis erwarte ich frühestens Mitte nächster Woche.«

Thorke Oselich wies auf das Foto mit der Blutlache. »Das ist eine Menge Blut. Überlebt ein Mensch, der solch eine Menge Blut verliert?«

Krog nickte. »Ein halber bis ein Liter, die Lache wirkt deshalb so groß, weil sie mit Wasser durchsetzt ist. Ich denke nicht, dass ein solcher Blutverlust lebensbedrohlich ist.«

»Wie kann das passiert sein?«, fragte Eike.

Krog erhob sich und ging zur Pinnwand. Er zeigte auf den Bootsmast und den daran befindlichen Großbaum, an dem die Unterkante des Segels befestigt war. »Der Großbaum ist nach oben und nach jeder Seite hin beweglich, dafür sorgt das Lümmellager. Das Unterliek des Segels ist daran befestigt. Bei plötzlichen Richtungsänderungen oder drehendem Sturmwind kann es durchaus sein, dass dieser Baum mit Schwung von backbord nach steuerbord schlägt, wenn er nicht richtig festgemacht ist. Ein erfahrener Skipper weiß das und hält den Kopf unten. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass ein schwingender Baum auf einen Kopf trifft – und das kann böse enden. Allerdings war in den vergangenen Tagen weder Sturm, noch haben wir am Baum selbst irgendwelche Spuren gefunden. Das könnte aber auch daran liegen, dass Spritzwasser alles abgewaschen hat. Wer weiß, welche Kapriolen das Boot mitgemacht hat, nachdem es führerlos im Teich trieb.«

Lentje richtete sich auf ihrem Stuhl auf. »Ollmert war nach Auskunft des Hafenmeisters von Neßmersiel ein ausgezeichneter Skipper. Außerdem sagt der Hafenmeister, dass das Boot am Sonntag, dem 23. Juni noch am Anleger lag und am Montag gegen 10 Uhr morgens weg war. Der Jachthafen ist eingezäunt. Ollmert hat einen Schlüssel für die Zugangstür.«

»Flut war an diesem Tag zwischen 4 Uhr und 10 Uhr, da muss er irgendwann ausgelaufen sein«, fügte Krog hinzu. »Untypisch ist allerdings, dass der Sprit des Hilfsmotors nahezu leer war und es keine Vorräte an Bord gab. Kleidung und Koffer waren nicht an Bord.«

Trevisan kratzte sich am Kinn. »Okay, das sind die harten Fakten. Um genau zu wissen, dass es tatsächlich Ollmerts Blut ist, müssen wir den DNA-Abgleich abwarten.«

»Wir brauchen auch einen Beschluss, um seine Konten zu überprüfen«, warf Eike ein. »Wer weiß? Vielleicht hat er an seinem Ferienort Geld abgebucht.«

Trevisan notierte Eikes Vorschlag auf seinem Notizzettel, ehe er fortfuhr:

»Im Rathaus haben wir erfahren, dass Ollmert Drohbriefe erhalten hat. Wir lassen sie gerade untersuchen. Außerdem ist Ollmert inzwischen sehr umstritten, und seine Wiederwahl im nächsten Jahr steht auf der Kippe. Es gibt einige, die nicht gut auf ihn zu sprechen sind. Unter anderem, weil er keinen Halt vor verheirateten Frauen macht und weil er einige, nicht mit dem Gemeinderat abgesprochene Entscheidungen gefällt hat. Diesen Behauptungen müssen wir nachgehen, überhaupt müssen wir seinen Lebenswandel näher betrachten.«

Thorke Oselich blickte ihre Tischnachbarn fragend an. »Und was sind die bisherigen Theorien? Was soll ich der Presse sagen oder dem Landrat, der mich heute Morgen mehrmals angerufen hat?«

Eike meldete sich zu Wort. »Also wenn ihr mich fragt, dann ist ein Unfall die wahrscheinlichste Theorie«, sagte er. »Es mag sein, dass er mit einer Frau, wahrscheinlich einer verheirateten Frau, in den Süden gefahren ist. Aber am letzten Montag war er hier und hat mit seinem Boot eine Ausfahrt gemacht und dabei nicht aufgepasst – und bumms, schlug ihm der Mast gegen den Kopf und er fiel über Bord. Ich glaube kaum, dass wir ihn noch lebend finden.«

»Und die Koffer mit der Kleidung?«, fragte Monika.

»Montag sollte er wieder arbeiten«, schob Lisa nach. »Da fährt man doch nicht raus auf die Nordsee.«

Eike zuckte mit der Schulter. »Vielleicht sind die Koffer noch bei seiner Ferienbekanntschaft oder in irgendeinem Bahnhofsschließfach.«

Trevisan rieb sich mit beiden Händen über die Wangen. »Ja, das ist eben das Problem. Jede Theorie wirft eine Menge weiterer Fragen auf, und es bleiben Ungereimtheiten. Deshalb wird uns nichts anderes übrig bleiben, als die vergangenen 14 Tage im Leben des Bürgermeisters so gut es geht zu rekonstruieren. Dabei müssen wir ins Detail gehen. Vom freiwilligen Untertauchen, von einem Unfall bis hin zu einem Mord ist für mich derzeit alles möglich.«

Monika nickte zustimmend. »Wenn er den Montag noch frei haben wollte, hätte er auf dem Rathaus anrufen können, und wir hätten einen neuen Logfile vom Provider gemeldet bekommen. Ich sehe es wie Martin, jede Theorie ist möglich, solange wir nicht mehr wissen.«

Trevisan schob seinen Notizblock der Chefin zu. »Ich gehe davon aus, dass wir bis morgen die Beschlüsse haben«, sagte er. Thorke Oselich nickte.

»Machen wir uns an die Arbeit. Eike, du übernimmst die Computerrecherche, Bankkonto, Handyortung und Recherchen nach dem Auto, mit dem er wegfuhr. So viele rote Zweisitzer wird es in Bremen nicht geben. Lisa, Lentje, Monika und ich kümmern uns um die Namen, die auf der Liste von Frau Haferkamp stehen, und du, Paul, hast eine Menge Kartons aus dem Haus des Bürgermeisters getragen. Vielleicht finden wir in den Unterlagen etwas, das uns weiterhilft. Hast du inzwischen herausgefunden, ob er einen Computer hat?«

Krog schüttelte den Kopf.

»Dann müssen wir im Rathaus nachfragen, vielleicht weiß seine Sekretärin, ob er einen Laptop hatte«, beschloss Trevisan und schaute auf seine Armbanduhr. »Aber jetzt machen wir erst einmal Feierabend. Wir treffen uns morgen gegen 8 Uhr.«

Verschollen in Ostfriesland

Подняться наверх