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ОглавлениеPolizeikommissariat Wittmund, Kriminalermittlungsdienst
Trevisan hatte den Besuch bei seiner Tochter verschieben müssen. Zusammen mit Monika Sander war er nach Wittmund zum Polizeikommissariat gefahren, um sich mit Hauptkommissar Janson zu treffen, bei dem die bisherige Leitung der Fahndung nach dem verschollenen Bürgermeister von Diekenhörn gelegen hatte.
Unterwegs unterhielten sie sich über den verschwundenen Bürgermeister namens Enno Ollmert. Trevisan war der Mann gänzlich unbekannt, doch Monika hatte bereits von ihm gehört. Sie wusste, dass er vor seinem Amtsantritt in Diekenhörn beim NDR gearbeitet und einige Jahre lang eine Nachtsendung im Dritten Programm zusammen mit einer Kollegin moderiert hatte, die später Nachrichtensprecherin bei »NDR-Aktuell« geworden war. Ansonsten, so hieß es, wäre er als Tausendsassa und Frauenheld bekannt, der selbst vor Affären mit verheirateten Frauen nicht zurückschreckte.
»Dann kennen wir vielleicht den Grund seines Verschwindens und müssen nur noch den gehörnten Ehemann finden«, scherzte Trevisan, als sie den Dienstwagen auf dem Parkplatz der Wittmunder Polizeidienststelle parkten.
Hauptkommissar Janson war klein, neigte zu Übergewicht und trug ein weißes Hemd mit Schweißrändern am Kragen. Er wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn, als er die Ermittler aus Wilhelmshaven in sein Büro führte.
»Haben Sie schon eine Idee, weswegen er verschwunden ist?«, fragte Trevisan, nachdem ihnen Janson Platz angeboten hatte.
Janson zuckte mit der Schulter. »Er hatte eine Woche Urlaub genommen und sollte am Montag wieder seinen Dienst antreten«, berichtete Janson. »Er hatte ein paar wichtige Termine an diesem Tag. Seine Sekretärin rief mehrfach bei ihm an, Festnetz und Handy, aber kein Erfolg. Am Mittag schickte sie den Büroboten zum Wohnhaus des Bürgermeisters, doch der stand vor verschlossener Tür. Am Abend erstatteten sie Anzeige bei den Kollegen der Streife. Bis heute Mittag gingen wir davon aus, dass er womöglich seinen Urlaub etwas ausgedehnt hat, sein Handy ist seit Sonntag vor einer Woche vom Netz. Er geht gerne zum Windsurfen an den Gardasee. Wir dachten, dass er dort möglicherweise einen Unfall hatte und im Krankenhaus liegt, aber sein Boot treibt vor Baltrum, und darauf gibt es eine Menge Blut. Wir müssen wohl davon ausgehen, dass er vor Baltrum über Bord gegangen ist.«
»Unfall?«
»Zumindest war niemand an Bord, als man die Jacht in der Nähe des Bergumer Wracks in der Nordsee treibend fand.«
Trevisan warf Monika einen kurzen Blick zu.
»Ehrlich, Trevisan«, fuhr Janson fort, »Ich bin froh, dass ihr aus Wilhelmshaven die Sache übernehmt, mein Telefon stand den ganzen Tag nicht still. Ollmert ist in der Gegend eine bekannte Persönlichkeit. Noch dazu stehen bald Wahlen an, ihr könnt euch sicher vorstellen, dass die Presse neugierig ist.«
Trevisan nickte. »Was war oder was ist er denn für ein Typ?«
Janson erhob sich, ging zum Regalschrank und zog einen Ordner aus dem Fach. Er schlug ihn auf und reichte ihn Trevisan. Auf der ersten Seite prangte ein großformatiges Pressefoto des Bürgermeisters. »Auf den ersten Blick könnte man meinen, das ist Johnny Depp, dieser Schauspieler aus diesen Piratenfilmen. Er ist ledig, lebt alleine in einem angemieteten Haus in Basdorf, fährt einen Porsche, hat eine Jacht in Neßmersiel und offenbar jede Menge Frauengeschichten am Laufen. Er war Fernsehmoderator, bevor er im ersten Wahlgang Bürgermeister wurde. Das ist seine erste Amtszeit, und es ist nicht sicher, ob es eine zweite geben wird.«
»Kam er damals bei den Leuten so gut an, dass er seine Gegenkandidaten gleich im ersten Wahlgang ausstach?«, fragte Monika.
Janson zuckte mit der Schulter und nahm an seinem Schreibtisch Platz. »Sein Vorgänger war alt und trat nicht mehr an. Der andere Kandidat war eher unbekannt, Ollmert kam vom Fernsehen, und reden kann er, so wie alle Politiker. Große Versprechen und am Ende, nach der Wahl, nur heiße Luft.«
»Dann war er wohl nicht sehr beliebt?«, mutmaßte Trevisan.
Janson lächelte. »In der Damenwelt und bei Empfängen schon, aber wer gute Politik von ihm erwartete, der wurde wohl enttäuscht. Gerüchten nach wäre er wohl nicht mehr wiedergewählt worden, aber wie gesagt, die Wahlen sind erst im nächsten Jahr.«
Trevisan blätterte den Ordner durch. »Ah, im Haus ward ihr schon«, stellte er anhand der Fotos auf den weiteren Seiten fest.
»Ja, zur Nachschau«, bestätigte Janson. »Richtig durchsucht haben wir es nicht, gab ja keinen Grund dafür. Er war nicht da und hing auch nicht irgendwo im Gebälk. Einbruchspuren gab es nicht, in der Wohnung war alles in Ordnung. Nur im Kleiderschrank waren ein paar leere Fächer, was dafür sprach, dass er tatsächlich im Urlaub ist. Sein Porsche steht verschlossen in der Garage.«
Trevisan räusperte sich. »Okay, das Boot wird von der Wasserschutzpolizei nach Wilhelmshaven geschleppt. Die Spurensicherung aus Oldenburg ist auf der Anfahrt, die sollen sich danach das Haus vornehmen. Gibt es denn jemanden in seinem Bekanntenkreis, der mehr weiß, mit dem er vielleicht darüber gesprochen hat, was er in seinem Urlaub unternimmt?«
Janson zuckte mit der Schulter. »Seine Sekretärin, Frau Haferkamp, mit der haben wir gesprochen, ansonsten scheint er keine engeren Freunde zu haben. Die Nachbarn konnten auch nicht viel sagen.«
»Was heißt nicht viel?«
»Eine Nachbarin hat ihn am Samstag vor einer Woche das letzte Mal in seinem Garten gesehen. Er winkte ihr zu, ehe er ins Haus ging. Seither ist er verschwunden.«
»Da war er alleine?«
»Ja.«
Monika kratzte sich an der Stirn. »Man ging davon aus, dass er in den Urlaub gefahren ist, an den Gardasee oder wohin auch immer, aber sein Wagen steht verschlossen in der Garage. Und heute findet man seine Jacht, ich meine, habt ihr die Jacht nicht überprüft?«
Janson zuckte mit der Schulter. »Wir wussten nichts von einer Jacht«, sagte er zu seiner Entschuldigung.
Trevisan runzelte die Stirn. »Wie ist er nach Neßmersiel gekommen, wie viele Kilometer sind das von seinem Wohnhaus?«
Janson zuckte mit der Schulter. »Drei, vier vielleicht.«
»Die ist er wohl kaum zu Fuß gegangen«, erwiderte Monika Sander. »Dazu noch mit Koffern im Schlepptau.«
Janson faltete die Hände vor seiner Brust. »Vielleicht mit dem Rad oder mit dem Taxi.«
»Wurde das überprüft?«
»Die Taxis ja, ob er ein Fahrrad besaß, wissen wir nicht. Eine Taxifahrt gab es aber nicht. Zumindest nicht von seiner Adresse aus.«
Trevisan blätterte weiter im Ordner und stieß auf einen Brief, der in einer Klarsichthülle steckte.
Wenn du deine Finger nicht bei dir halten kannst, dann wirst du bald merken, wie gefährlich es sein kann, sich an fremden Früchten zu vergreifen.
»Was ist das?«, fragte Trevisan und zeigte auf das Blatt, das aus einem Drucker stammte.
»Ein Drohbrief, da sind noch zwei weitere. Das sind die Kopien, die Originale sind auf dem Weg zur Spurensicherung nach Oldenburg.«
Trevisan blätterte weiter.
Ich habe dich gewarnt, das nächste Mal bist du tot!
Der zweite Brief glich dem ersten und stammte augenscheinlich aus demselben Drucker.
Du hast deine Lektion nicht gelernt, jetzt reicht es, sieh dich besser um, wenn du in der Nacht nach Hause gehst.
Auch dieses Schriftbild stimmte mit den anderen überein.
»Woher habt ihr die?«, fragte Trevisan.
»Frau Haferkamp gab sie uns, sie kamen in den letzten drei Wochen und waren in einem neutralen Kuvert ohne Briefmarke. Leider wurden die Umschläge bereits weggeworfen, es sind nur noch die Briefe da.«
Trevisan schüttelte den Kopf. »Hier stimmt etwas nicht, das passt alles nicht zusammen. Drohbriefe, Urlaub am Gardasee, fehlende Klamotten aus dem Kleiderschrank und die Jacht vor Baltrum. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.«
Janson lächelte. »So ging es mir auch, deshalb bin ich auch nicht beleidigt, dass ich den Fall vom Tisch habe und ihr euch damit herumschlagen müsst.«
»Können wir den Ordner mitnehmen?«
Janson nickte. »Meinen Bericht mit den bisherigen Erkenntnissen schicke ich euch zu, aber das ist auch nicht mehr, als wir gerade besprochen haben. Ich kann nur sagen, an Feinden, die ihm an den Kragen wollten, mangelt es nicht. Und er hat offenbar jeden Tag fleißig daran gearbeitet, dass die Anzahl der Leute, die ihm die Pest an den Hals wünschen, größer wurde. Auch im Rathaus lief nicht alles rund. Am besten wird es sein, ihr macht euch selbst ein Bild. Redet doch mal mit der Sekretärin, sie weiß eine ganze Menge über Enno Ollmert.«
Trevisan schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, ehe er sich erhob. »Gut, dann machen wir uns an die Arbeit. Vielen Dank, Kollege.«
Als Trevisan neben Monika im Wagen auf dem Beifahrersitz Platz nahm, war seine Miene eher finster.
»Was grübelst du?«, fragte sie.
Trevisan zeigte auf den Ordner, den er im Fußraum abgelegt hatte. »Dieser Fall gefällt mir nicht. Janson ist gottfroh, dass er die Sache vom Tisch hat. Viel hat er nicht herausgefunden. Ich fürchte, wir müssen ganz von vorne beginnen.«
»Okay, wo fangen wir an?«
»Mit der Sekretärin.«
»Dann gib mir die Adresse, damit ich weiß, wohin ich fahren muss.«