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Kriminalpolizei Wilhelmshaven, Mozartstraße

Sonntag, eigentlich ein Tag der Erholung und der Beschaulichkeit, ein Tag für die Familie, in der die Arbeit ruhen sollte, doch nicht so, wenn man bei der Polizei arbeitet und noch dazu mitten in einem undurchsichtigen und schwierigen Fall steckt.

Trevisan war gegen 8 Uhr ins Büro gefahren. Dort traf er auf Krog, der mit seinen Leuten mitten in der Auswertung der sichergestellten Akten und Schriftstücke aus dem Hause Ollmert steckte. Es gab durchaus einige interessante Aspekte. Meist enthielten die Ordner Verträge mit Versicherungen, mit Handyprovidern oder mit Internetfirmen, doch einer der Ordner enthielt Kontoauszüge, die sehr aufschlussreich waren.

»Das ist alles aus dem letzten Jahr?«, fragte Trevisan.

»Die Aufstellung ist aktuell«, bestätigte Krog. »Nach dieser Übersicht ist Ollmert pleite. Er hat zwar eine Lebensversicherung über eine halbe Million, die er auch bedient, aber ansonsten sieht es düster aus. Seine Gesamtschulden belaufen sich auf 347.522,21 Euro. Der Porsche ist geleast, dafür zahlt er 420 Euro. Das Boot ist ebenfalls auf Pump gekauft, 200 Euro jeden Monat. Dazu die Versicherungen, die Miete für das Haus, die Abzahlung, ihm bleiben genau 433,12 Euro zum Leben.«

»Aber er hatte doch auch Guthaben?«, sagte Trevisan.

»Ja, auf dem Sparbuch, aber an die Fonds kommt er nicht ran, die laufen über einen Rentenfonds und sind gesperrt, bis er in Rente geht. Die Zahlungen hat er seit ein paar Jahren eingestellt, die Summe steht beitragsfrei, nur der Zinserlös wird gutgeschrieben, aber das ist nicht viel bei 2,75 Prozent.

Trevisan runzelte die Stirn. »Habt ihr tatsächlich an Bord der Jacht keinen Schlüssel und keine Papiere gefunden?«

Krog schüttelte den Kopf. »Wir haben das Boot gründlich durchsucht, keine Schlüssel, keine Geldbörse, keine Papiere. Weshalb fragst du?«

Trevisan zuckte mit der Schulter. »Ich weiß nicht, es ist nur so eine Idee. Wer erhält die Summe, wenn er abtritt?«

Krog suchte den entsprechenden Vertrag heraus. »Als Erbberechtigter steht hier eine Stiftung, ›Armonicas‹, Sitz in Basel, in der Schweiz, früher stand da mal Doreen Pleitgen, aber das wurde vor vier Jahren notariell geändert. Jetzt sag’ schon, welche Idee treibt dich um?«

Trevisan kratzte sich an der Stirn. »Einen Augenblick lang dachte ich …, vielleicht wollte er nicht mehr … diese Stiftung könnte natürlich auch … na ja, wir müssen auf alle Fälle herausfinden, wer dahintersteckt.«

»Du denkst an Selbstmord?«, fragte Krog ungläubig.

Trevisan schüttelte den Kopf. »Eher an Betrug.«

»Ach so, klar, wenn er selbst diese Stiftung betreibt«, dämmerte es Krog.

Trevisan nickte. »Es wäre eine Möglichkeit, seine Schulden mit einem Schlag loszuwerden.«

Krog winkte ab. »Dann hätte er sicherlich die Papiere irgendwo abgelegt, damit man sie findet, du weißt, ohne Totenschein kein Erbe.«

»Da hast du auch wieder recht.«

Krog wandte sich den Kisten zu.

»Macht rechtzeitig Schluss.«

»Wenn wir durch sind«, entgegnete Krog. »Und du?«

»Ich besuche meinen Enkel im Krankenhaus.«

»Ach ja, den Opa müssen wir natürlich begießen, wenn wir den Fall gelöst haben«, antwortete Krog mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. »Noch eins: Ich habe mit dieser Frau Haferkamp gesprochen. Eine komische Nudel ist das, aber sie bestätigt unsere Annahme. Ollmert hatte einen Laptop. Keine Ahnung, wo der abgeblieben ist.«

Trevisan nickte. Bevor er die Dienststelle verließ, schaute er bei Eike im Büro vorbei. Er saß vor dem Computer und durchforstete noch immer die Dateien des Kraftfahrtbundesamtes.

»Hast du was herausgefunden?«, fragte Trevisan ohne Umschweife.

Eike blickte kurz auf, bevor er sich wieder dem Bildschirm widmete. »Zumindest sind es nur noch 164 Fahrzeuge, die in Frage kommen.«

»Wie hast du das geschafft?«

»Ich war gestern bei Jokisch und habe ihm eine Aufstellung mit Cabrios vorgelegt«, antwortete er und hob den zusammengehefteten Katalog in die Höhe. Trevisan griff danach und blätterte ihn durch.

»Woher hast du den?«

»Selbst gebastelt.«

»Gut gemacht, Eike. Und wie kommst du voran?«

»97 Fahrzeuge befinden sich in Privatbesitz«, erklärte Eike, »39 sind auf eine Firma angemeldet. Zwölf gehören zu einem Autohaus und 14 sind auf eine Autovermietung zugelassen.«

Trevisan nickte anerkennend. »Von über 4.000 auf 167, Respekt.«

»Wenn du mitgerechnet hast, fehlen zwei.«

Trevisan lächelte. »Ich gebe zu, ich habe nicht mitgezählt, was ist mit den zwei Übrigen?«

»Eines gehört einer Bank und war offenbar geleast, ein anderes, ein Honda, ist vor einem Monat als gestohlen gemeldet worden.«

Trevisan trat näher und legte Eike die Hand auf die Schulter. »Du hast dir sehr viel Mühe gemacht. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, welcher von diesen 167 Flitzern der Richtige ist.«

»Ich schaue mir die Halter an und vergleiche sie mit den Meldedateien«, entgegnete Eike. »Jokisch ist sich sicher, dass eine Frau am Steuer saß, und die muss ja wohl gemeldet sein. Da fällt bestimmt die Hälfte raus, und den Rest müssen wir vor Ort überprüfen. Ich hoffe nicht, dass es der gestohlene Wagen war.«

»Da werden sich die Bremer Kollegen sicherlich freuen«, antwortete Trevisan. »Ich würde Feierabend machen und Paula besuchen gehen, wenn du sonst nichts mehr für mich hast.«

Eike lächelte. »Gratulation zum Opa und Grüße an die Familie.«

»Danke, ich richte deine Grüße aus.«

»Okay, aber da ist noch was. Die Österreicher leiten eine Handyortung ein, die Italiener lehnen ab, zum einen, weil wir die Region nicht näher bestimmen können und zum anderen, weil der Vermisste erwachsen ist und es wohl so aussieht, als ob er in Deutschland verunglückte. Sie begründen die Entscheidung mit dem Schutz der Privatsphäre.«

Trevisan zuckte mit der Schulter. »Na schön, kann man nichts machen, vielleicht haben die Österreicher ihn auf dem Schirm, dann könnten wir noch einmal in Italien anfragen.«

»Alles klar.«

»Vergiss den Feierabend nicht«, mahnte Trevisan, bevor er Eike im Büro zurückließ und ging.

*

Wilhelmshavener Klinikum, Friedrich-Paffrath-Straße

Trevisan fuhr von der Dienststelle zum Krankenhaus. Er hatte Hunger und fuhr über die Werftstraße, wo er an einer Pizzeria Halt machte. Bevor er Paulas Zimmer betrat, besorgte er einen Blumenstrauß am Kiosk. Lea und Peer waren anwesend, als Trevisan zu ihnen stieß und Paula mit einem Kuss begrüßte. Suchend blickte er sich um.

»Wo ist der kleine Ayk?«, fragte er.

»Der schläft im Gemeinschaftsraum, zu viel Besuch«, sagte sie und zeigte auf das zerwühlte Bett auf der anderen Seite.

»Ich sehe niemanden?«

»Ayse ist mit ihrer Verwandtschaft ins Café gegangen, aber vorhin hättest du hier sein sollen, das Zimmer war voll.«

Er ging zu Lea und küsste sie, bevor er Peer umarmte und ihm kräftig auf die Schulter klopfte. »Gut gemacht, junger Mann.«

Peer lächelte. Bevor er antworten konnte, kam eine Schwester ins Zimmer. Sie ging auf Peer zu. »Es wäre so weit, er muss gewickelt werden.«

Peer bekam einen roten Kopf.

»Sollen wir raus?«, fragte Trevisan.

Paula schüttelte den Kopf. »Nein, ihr könnt hierbleiben, aber Peer muss mit, er wickelt ihn drüben, unter Aufsicht. Es wird Zeit, dass er es lernt.«

Peer nickte. »Ihr entschuldigt mich, die Pflicht ruft.«

Zusammen mit der Krankenschwester verließ er den Raum.

»Und ich besorge uns einen Kaffee, der nicht nach Wasser schmeckt«, sagte Lea und schloss sich Peer und der Krankenschwester an. Nachdem die Tür geschlossen war, setzte sich Trevisan zu Paula auf das Bett. »Wie geht es dir heute, mein Mädchen?«

»Am Dienstag darf ich raus.«

»Oh, toll, soll ich euch abholen?«

Paula schüttelte den Kopf. »Privileg des Vaters.«

»Klar.«

Paula betrachtete ihren Vater. »Du siehst müde aus, Paps.«

»Bin ich auch«, bestätigte Trevisan.

»Du ermittelst wegen dieses verschwundenen Bürgermeisters?«

Trevisan nickte.

»Ich habe davon in der Zeitung gelesen, sogar die ›Bild‹ schreibt schon darüber.«

Trevisan verzog sein Gesicht. »Eine harte Nuss.«

»Weißt du, was passiert ist?«

Trevisan zuckte mit der Schulter. »Ich weiß es nicht, vermutlich ein Unfall, wobei, es könnte auch Mord gewesen sein, oder Versicherungsbetrug, der Kerl hatte Schulden, möglicherweise sogar Selbstmord. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Je mehr wir erfahren, desto größer werden die Zweifel.«

Paula schaute ihren Vater nachdenklich an. »Es beschäftigt dich.«

»Ja, weil ich gerne den Dingen auf den Grund gehe, aber in diesem Fall ist überhaupt nichts logisch. Wir laufen uns die Hacken ab und schlagen uns das Wochenende um die Ohren, aber statt, dass wir Licht ins Dunkle bringen, wird alles nur noch diffuser. Aber reden wir nicht darüber.«

»Doch, reden wir darüber, vielleicht geht es dir dann besser.«

»Ah, die Frau Kriminalpsychologin.«

»Habt ihr mit seiner Verflossenen gesprochen?«

»Wen meinst du?«

»Die Moderatorin von ›NDR-Aktuell‹.«

»Wieso sollten wir?«

Paula wies auf die Zeitung mit den vier Buchstaben. »Weil sie ein herzzerreißendes Interview gegeben hat. Selbstmord ist vielleicht gar keine blöde Idee. Sie sagt nämlich, dass er schon einmal versucht hat, aus dem Leben zu treten, nachdem sie ihn verlassen hatte.«

Trevisan griff zur Zeitung. »Tatsächlich?«

»Ja, und außerdem ging es ihm in der letzten Zeit seelisch nicht gut, sagt sie. Sie hatten nämlich noch immer Kontakt.«

Trevisan faltete die Zeitung auseinander. »Wo ist der Bürgermeister von Diekenhörn, Mord, Selbstmord, Entführung, die Polizei tappt im Dunkeln.«

»Entführung, daran habe ich noch gar nicht gedacht«, seufzte Trevisan.

Er überflog die Zeilen auf der ersten Seite und schüttelte den Kopf. Das Einzige, das in diesem Text der Wahrheit entsprach, war der Umstand, dass Ollmert aus seinem Urlaub nicht an den Schreibtisch im Rathaus zurückgekehrt war, der Rest des Textes bestand aus abenteuerlichen Spekulationen und Thesen, mit denen das Blatt beinahe die gesamte Seite füllte.

»Das sagt seine langjährige Partnerin und Freundin, lesen Sie weiter auf Seite 2«, endete der Artikel. Trevisan blätterte die Zeitung auf und las das Interview. Paula hatte recht, schenkte man diesen Zeilen Glauben, so war Doreen Pleitgen trotz der Trennung noch immer die beste Freundin von Enno Ollmert. Mit ihr zu sprechen, war mit Sicherheit kein Fehler. Trevisan faltete die Zeitung zusammen. »Brauchst du die noch?«

»Die gehört dem Krankenhaus, ich kaufe mir diesen Mist nicht.«

Trevisan zuckte mit der Schulter. »Die nehme ich mit. Aber eigentlich wäre es besser, wenn ich mich hier ins Bett lege und du meinen Job übernimmst.«

»Was soll Paula übernehmen?«, fragte Peer, der unbemerkt das Zimmer betreten hatte. In seinen Armen lag ein Bündel. Und plötzlich drehte sich alles nur noch um den kleinen Ayk, und der Rest des Lebens schien stillzustehen.

Verschollen in Ostfriesland

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