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Kapitel 5

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Die Meisterin sollte zumindest zum Teil recht behalten. Als der Frühling sich dem Ende zuneigte, hatte sich Elisabeth an ihr Leben im Frauenhaus gewöhnt. Sie konnte ihren Dienst an den Gästen zwar nicht mit demselben Gleichmut ausüben wie die anderen Frauen oder gar an den Männern und ihrer Behandlung Freude empfinden, doch sie ekelte sich auch nicht mehr so sehr vor deren Berührungen, und der Geruch ihrer klebrigen Körpersäfte brachte sie nicht mehr zum Würgen. Sie konnte sich küssen und über den Busen streicheln lassen und eine freundliche Miene bewahren. Ja, sogar zu lächeln verstand sie inzwischen, auch wenn es kein Lächeln war, das ihr eigenes Herz und ihre Seele erwärmte. Sie tat, was die Meisterin ihr befahl, und es bereitete ihr nur noch selten Schmerzen, wenn die Männer in sie stießen. Zum Glück musste Elisabeth zumeist nur einem Gast am Abend dienen. Es gab Nächte, in denen manche der anderen Frauen drei- oder gar viermal die Gier eines Mannes über sich ergehen lassen mussten. Dann waren sie oft wund und klagten am anderen Tag über Schmerzen, wenn sie sich zum Frühmahl auf die Bank setzten. Else verteilte Salbe und hörte sich eine Weile die Klagen an, dann rief sie ihre Schützlinge barsch zur Ordnung.

»Das ist euer Platz, an dem ihr eure Aufgabe erledigen müsst. Glaubt ihr, die Arbeit der Handwerker oder Häcker wäre ein Zuckerschlecken? Die der Waschfrauen und Mägde? Glaubt ihr, sie leiden keine Schmerzen? Viele bekommen einen krummen Rücken und werden nicht einmal satt! Ihr habt genug zu essen, ein Dach über dem Kopf und müsst nicht frieren, also hört auf zu jammern!«

Bereits am zweiten Abend hatte die Wirtin Elisabeth zu sich gerufen und ihr ein Schwämmchen und ein verkorktes Tonfläschchen gereicht.

Elisabeth entfernte den Korken. Es roch scharf nach Essig und Kräutern. Der Geruch kam ihr irgendwie bekannt vor. »Was ist das?«

»Das wird hoffentlich dafür sorgen, dass du kein Kind bekommst.«

»Was?« Daran hatte sie noch gar nicht gedacht, doch jetzt drängte sich ihr die Erkenntnis geradezu auf. Das war die Sünde, gegen die die Pfarrer von der Kanzel wetterten – und die bei Fruchtbarkeit dazu führte, dass die Menschen sich mehrten! Warum sollte es bei den Menschen anders sein als bei den Tieren? Nur weil sie die Krönung der Schöpfung Gottes waren?

»Du träufelst jeden Abend etwas davon auf den Schwamm und steckst ihn in deine Scham, so tief es geht.« Tränen traten Elisabeth in die Augen.

»Das ist nichts zum Heulen! Sei froh, wenn sich erst gar kein Kind in dir regt, denn sonst wird alles viel schwerer und auch gefährlich für dein Leben. Ich bin für dich und die anderen Mädchen verantwortlich und muss dafür sorgen, dass euch nichts geschieht. Willst du etwa von einem dieser Männer geschwängert werden?«

Elisabeth wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht und schniefte. »Nein«, sagte sie leise.

»Also, dann halte dich an meine Anweisungen, und vergiss es nicht. Bevor du zu Bett gehst, kannst du das Schwämmchen entfernen und auswaschen. Verstanden?«

Elisabeth nickte, auch wenn ihr allein bei dem Gedanken übel würde. Jetzt wusste sie auch wieder, woher ihr der Geruch bekannt war. Es war das Erste, was sie gerochen hatte, als sie im Frauenhaus erwacht war. Die alten Laken hatten den Geruch aufgenommen. Und auch beim Waschen der Decken und Tücher war er ihr in die Nase gestiegen – vermischt mit den anderen Gerüchen, die die fremden Männer mit sich brachten.

Rasch verschloss sie das Fläschchen wieder. Mit angewiderter Miene drehte Elisabeth das Schwämmchen in den Händen und räumte es dann in die kleine Kiste, die die Meisterin ihr für ihre Habseligkeiten gegeben hatte.

Else tätschelte ihr die Wange. »Kopf hoch, mein Kind, es ist alles nicht so düster, wie es dir im Augenblick erscheint. Und nun lächle einmal, und lass dir von Jeanne deine Wangen ein wenig röten. Du sollst nicht aussehen wie der Tod, wenn unsere Gäste gleich kommen. Ich werde dir schon einen aussuchen, der dich nicht zu sehr fordert. Du schaffst das schon!«

Die Meisterin war so schlau, Elisabeth nicht zu zerbrechen. Sie behielt sie im Auge und teilte ihr keinen der Männer zu, von denen sie wusste, dass sie außergewöhnliche Vorlieben pflegten. Ihr war klar, wenn sie es zu weit trieb, dann würde sich ein Teil von Elisabeths Wesen in eine verborgene Kammer zurückziehen und nur eine schöne, weibliche Hülle übrig bleiben, die bereit war, Befehle auszuführen, die aber nicht mehr richtig lebte. Das war nicht das, was die Männer hier suchten. Teilnahmslose Weiber im Bett, die mit trübem Blick zur Decke starrten, hatten so manche von ihnen in der heimischen Schlafkammer. Wenn sie nach einem anstrengenden Arbeitstag hierher ins Frauenhaus kamen, dann wollten sie trinken und spielen, lachen und scherzen, ein wenig übermütig wie die Knaben sein und – wenn sie ihre Lust auslebten – sich einreden können, dass sie auch den Weibern Wolllust bereitet hatten und es sich gelohnt hatte, die acht Pfennige dafür auszugeben.

Elisabeth betrachtete die Meisterin bald mit Respekt und ohne Groll. Sie hatte ihre Stärken und ihre Schwächen kennengelernt und wusste die Dinge zu meiden, die sie in Zorn versetzten, denn dann saß ihre Hand locker – und war sie einmal in Wut, fehlte nicht viel, dass sie zu einem Riemen oder der Peitsche griff. Andere Strafen waren die Streichung von Mahlzeiten oder eine Nacht ohne Decke in den Binsen. Allerdings war Else so weitsichtig, diese Strafe nicht in den eisigen Nächten des Winters zu verhängen. Was würde ihr eine kranke Dirne noch nützen?

Ritter Philipp von Thann, der Elisabeth die Jungfräulichkeit geraubt hatte, kam immer wieder zu ihr, wenn er in der Stadt weilte. Manches Mal saß er, nachdem er sich an ihr befriedigt hatte, noch lange bei einem Becher Wein mit ihr zusammen und erzählte ihr von seinen Schwierigkeiten mit den zahlreichen Gläubigern, von den Streitereien in der Familie und von der Burg, in der er aufgewachsen war.

»Man sollte nicht meinen, dass ich mich noch immer wie ein einfältiges Mädchen nach diesen alten Mauern von Burg Meinungen sehne«, sagte er eines Abends. Elisabeth zog sich ihr Hemd über den Kopf und setzte sich dann mit einem Becher neben ihn.

»Warum seid Ihr von Meinungen fortgegangen? Könnt Ihr nicht zurückkehren, wenn Ihr wisst, wohin Euch Euer Herz zieht?« Sie seufzte tief. Wenn sie nur wüsste, wonach sich ihr Herz sehnte! Sie würde keinen Augenblick zögern.

Der Junker lachte auf. Er legte den Arm um sie und küsste ihren Hals. Elisabeth zuckte nicht zurück.

»Ach, du bist so ein unschuldiges Lämmlein. Ich kann nicht zurück, weil uns Burg und Stadt heimtückisch geraubt wurden.«

Elisabeth riss die Augen auf. »Was? Wisst Ihr, von wem? Ich habe schon gehört, dass sich ehrlose, räuberische Ritter in unserem Land mit Strauchdieben verbünden, um Kaufleute und Junker zu überfallen. Könnt Ihr denn nicht zum Bischof gehen und ihn um Hilfe bitten?«

Der junge Mann gluckste und küsste sie noch einmal. »Wie kommt eine solch kindliche Seele in dieses Haus?«, rief er. »Der Raubritter ist unser Herr Bischof höchstpersönlich, und seine Strauchdiebe heißen von Thüngen und von Castell, sind Grafen von Henneberg und von Wertheim.«

»Der Bischof hat Euch aus Eurer eigenen Burg vertrieben?«

»Ja, also nicht aus unserem Erblehen«, gab der Junker zu. »Die drei Burgen über Dahn sind noch in der Familie, doch wir saßen durchaus zu Recht auch auf Burg Meinungen, und hätte der Bischof auch nur einen seiner Verträge eingehalten, dann hätten die Bürger von Meinungen nicht beschlossen, ihm ihren Gehorsam aufzukündigen! Bischof Johann bezichtigte uns, wir hätten ihm widerrechtlich die Stadt entrissen. Wir, die Herren von Thann, Junker des ältesten fränkischen Adels! Mein Ahn hat bereits unter Friedrich Barbarossa als Hofmeister gedient, und da kommt dieser Bischof aus einer armseligen elsässischen Familie und behauptet, wir hätten ihm Burg und Stadt entrissen! Dabei hat er die Rechte des Bistums verpfändet und das Geld bei seinen Jagden und Banketten verschleudert. Nicht einmal seine Zinsen begleicht er. Wie kann er da weiterhin Gehorsam verlangen?«

Seine Stimme war mit jedem Satz lauter geworden. Die Erregung trieb ihm die Röte ins Gesicht. Elisabeth wusste nicht, was sie sagen sollte. Wie konnte sie entscheiden, wer im Recht und wer im Unrecht war? Urteilte der Junker aus Verbitterung nicht ein wenig hart über den Landesherrn Johann von Brunn? Sie schenkte ihm seinen Becher mit dem guten Wein noch einmal voll und setzte sich wieder neben ihn.

»Wie hat der Bischof es angestellt, ich meine, wie hat er Euch die Burg weggenommen?«

Der Junker trank und schnaubte dann abfällig. »Na, wie wohl? Er hat ein Heer von Kriegsknechten gesammelt und nach Burg Meinungen geschickt, während ich mit einer Anzahl meiner Mannen nicht da war. Bei Nacht ließ er die Mauern ersteigen und das Tor öffnen. Die Männer des Bischofs nahmen meinen Vetter Burkhard, seine Frau und die Kinder gefangen und auch meine Schwester, die mit ihrem Gemahl gerade auf der Burg weilte. Dann zogen sie weiter nach Meinungen und zwangen den Rat, die Tore zu öffnen und die Schlüssel herauszugeben.«

Nun war es Elisabeth, die nach seiner Hand griff und voller Besorgnis fragte: »Sind Eure Angehörigen wieder freigekommen?«

Philipp von Thann nickte. »Ja, es ist ja schon einige Jahre her. Die Frauen und Mädchen ließ er bald darauf gehen, für die Männer und Knaben hat er uns eine ordentliche Summe abgepresst. Und Meinungen mit Burg und Stadt hat der Bischof noch immer fest im Griff.« Er trank seinen Becher leer und erhob sich. Mit beiden Armen umschlang er Elisabeths Leib und drückte sie an sich.

»Wir werden uns eine ganze Weile nicht sehen. Ich breche schon in den Morgenstunden nach Geißberg auf.« Er zog eine Grimasse. »Die älteren Brüder haben zum großen Familienrat gerufen. Ich glaube, sie haben nun auch endlich eine Braut für mich gefunden, die ihrer Meinung nach genug mitbringt und deren Familie nichts gegen einen jüngsten Sohn einzuwenden hat.«

Er küsste sie sanft auf den Mund, und Elisabeth fühlte fast so etwas wie Bedauern. »Behalte dir die Unschuld in deinem Blick, bis wir uns wiedersehen«, sagte der Junker zum Abschied.

In der Nacht träumte Elisabeth wieder von dem steinernen Gang mit den erloschenen Fackeln an den Wänden und von der Tür mit dem Lichtstreifen. Sie beschloss, ganz langsam zu gehen und keinen Laut von sich zu geben, doch auch dieses Mal kam sie nicht recht vorwärts. Es war zum Verrücktwerden! Je mehr sie sich abmühte, desto schwerer wurde es. Dann würde sie es eben lassen. Sie war müde und erschöpft. Ihr warmes Bett sollte sie umhüllen und in den Schlaf wiegen.

Nein, sie wollte zu dieser Tür! Stück für Stück schob sie sich vorwärts. Zuerst hörte sie nur ihren eigenen Atem, doch dann drangen Stimmen an ihr Ohr, gedämpfte, raunende Stimmen. Elisabeth streckte die Arme aus. Ihre Handflächen berührten das Holz der Tür. Die war alt und rau, ihre Finger glitten über einen eisernen Ring. Diese Stimmen. Sie lockten sie und trieben ihr dennoch den Angstschweiß auf die Stirn. Es waren keine Worte zu verstehen. Nur ein Rauschen und ein gleichmäßiger Singsang wie von einem fernen Vogel in den Zweigen. Die junge Frau presste das Ohr an das Holz. Aber nein, da war kein Holz mehr. Was geschah um sie? Alles löste sich in Nebel auf. Sie fiel. Der Traum entglitt ihr und verwehte.

»Möchtest du mich in die Domstraße begleiten?«, fragte Jeanne am anderen Morgen in ihrer singenden Art, mit der sie die Worte betonte.

»Gern, wenn die Meisterin nichts dagegen hat.« Elisabeth hob den Blick und sah Else fragend an, die mit den Frauen draußen auf der Bank saß und ein Hemd flickte. Auch die anderen hatten sich Nadel und Faden geholt. Es gab immer etwas auszubessern. Und wenn nicht, dann konnte man Ärmel und Säume besticken.

»Ich gehe mit!«, rief Marthe. Sie warf mit einer heftigen Bewegung das Hemd, das sie gerade gesäumt hatte, auf den Tisch. »Das war so ausgemacht!«

»Vielleicht will Jeanne aber lieber die sanfte Lisa an ihrer Seite haben als dein keifendes Maul«, sagte Gret. Anna kicherte. Marthe zog Anna an ihren mausbraunen Zöpfen und trat nach Gret, die dem Tritt auswich, ohne auch nur von ihrer Näharbeit aufzusehen.

»Wenn du dich weiterhin so aufführst, dann gehst du heute nirgendwo hin«, herrschte die Wirtin Marthe an. »Ich lasse dir viel durchgehen, weil du meine schöne Stute im Stall bist, aber auch von dir lasse ich mir nicht auf der Nase herumtanzen! Hast du das verstanden?«

Marthe warf ihr einen wütenden Blick zu, doch dann senkte sie die Lider und sagte mit zitternder Stimme: »Ja, Meisterin.«

»Jetzt muss sie lernen, ihre Zunge zu hüten«, raunte Anna in Esters Ohr, sodass Elisabeth, aber sicher auch Marthe es hören konnten. »Die Schönste ist sie jetzt nämlich nicht mehr. Das ist Lisa! Achtet nur darauf, wie die Männer sie jeden Abend ansehen!«

Das war richtig. Und obwohl Elisabeth sicher nicht so hässlich sein wollte wie Ester, war ihr dieses Kompliment unangenehm. Weder strebte sie danach, den Männern zu sehr zu gefallen, noch wünschte sie sich Marthes Eifersucht, die offensichtlich mit jedem Tag wuchs. Keine Gehässigkeit ließ Marthe aus, kein noch so kleiner Patzer Elisabeths entging ihr, auf dem sie mit böser Zunge herumreiten konnte. Und natürlich vergaß sie nie, jede Verfehlung wie zufällig vor der Meisterin zu erwähnen! Nein, auf das Privileg, die schönste Dirne des Frauenhauses zu sein, hätte Elisabeth gerne verzichtet!

»Ihr könnt zu dritt gehen«, unterbrach die Meisterin ihre Gedanken. Jeanne zog ein enttäuschtes Gesicht.

»Haltet euch nicht zu lange auf, und vergesst nichts!«, sagte sie wie jedes Mal, ehe sie ihre Schützlinge entließ. Die drei nickten gehorsam, dann klemmte sich jede von ihnen einen Weidenkorb unter den Arm, ehe sie eilig über die Wiese davongingen. Wie herrlich war es doch, dem wachsamen Auge der Meisterin eine Weile zu entgehen! Es war ein schöner Frühsommertag. Die Sonne schien vom blauen Himmel. Die Frauen rafften ihre Röcke und schritten weit aus. Während Jeanne und Elisabeth sich ihre Hauben umgebunden hatten, ließ Marthe ihr schönes Haar offen über den Rücken fallen. Für ihren Ausflug in die Domstraße trugen die Frauen nicht die bunten, unzüchtigen Gewänder, mit denen sie abends den Männern zu gefallen suchten. Ihre Kleider und Hauben waren schlicht, denn der Rat hatte ihnen in der Öffentlichkeit allen Schmuck verboten.

Für Frauen, die öffentlich Unzucht treiben, gilt, sie sollen sich von ehrbaren Frauen unterscheiden und daher keine prächtigen und geschmückten Kleider tragen, keine hochgetürmten Schleier, keine Korallen und Goldstickerei, keinen Silberschmuck.

Auch Schleppen und lange Mäntel waren verboten. Und damit jeder Zweifel ausgeschlossen war, mussten sich die Dirnen seit einiger Zeit ein gelbes Band an den Saum ihrer Röcke nähen. So war für jeden anständigen Bürger gleich erkennbar, um was für Frauen es sich hier handelte. Es war daher nicht verwunderlich, dass die meisten Bürger, denen sie begegneten, sie anstarrten. Während die Frauen zurückwichen und miteinander tuschelten, betrachteten die Männer sie oft mit begehrlichen Blicken oder riefen ihnen anzügliche Scherze hinterher. Auch die Wächter am Pleichacher Tor winkten ihnen zu. Einen von ihnen hatte Elisabeth schon ein paar Mal im Frauenhaus gesehen. Es war ein vierschrötiger Mann mit einer roten Nase, die sicher einmal gebrochen gewesen war. Er vertrat Marthe den Weg und legte ihr den Arm um die Taille.

»Gib mir einen Kuss, meine Schöne, sonst kann ich dich nicht passieren lassen.«

»Lass mich los, sonst muss ich dir zwei Pfennige berechnen«, entgegnete Marthe, doch sie lächelte zu ihm hoch, und ihre Stimme klang schelmisch. Sie behielt den strahlenden Ausdruck bei, bis sie sich von ihm abgewandt hatte, dann fiel er von ihr ab und machte wieder der mürrischen Miene Platz, die sie üblicherweise zur Schau trug. Die Verwandlung war verblüffend.

»Es ist, als würde die Sonne plötzlich von einer düsteren Wolke verschluckt und ihr Strahlen und ihre Wärme sind von einem Augenblick auf den anderen verschwunden«, sagte Elisabeth leise zu Jeanne.

Die Französin nickte. »Ja, für uns hat sie nur ihr Gekeife übrig. Wenn es aber ums Geschäft geht, wird sie im Handumdrehen zur huldvollen Königin. Sie könnte sich jederzeit einer Gauklertruppe anschließen und mit ihnen ihre Schauspiele darbieten!«

Marthe runzelte die Stirn, und ihr Ausdruck wurde noch finsterer. »Was habt ihr da zu tuscheln? Verbreitet ihr wieder Lügen über mich?«

Jeanne schüttelte den Kopf. »Nein, keine Lügen, das könnten wir mit unserem Gewissen nicht vereinbaren. Wie sprechen nur die Wahrheit!« Sie grinste, dass man ihre Zahnlücke sehen konnte. Marthe hob drohend die Hand, doch Jeanne wich hinter Elisabeth zurück.

»Danke, meine Wangen sind gerötet genug!«

Marthe wandte sich wieder ab und ging nun mit schnellen Schritten vor ihnen her. Die anderen beiden Frauen ließen sich ein wenig zurückfallen.

»Mir kommt es vor, als würde sie mit jedem Tag noch sauertöpfischer«, sagte Jeanne mit einem Seufzer. »Und ihre Hand sitzt lockerer denn je.«

Elisabeths Blick ruhte auf Marthes schmalem Rücken. »Ich kenne sie nicht so gut wie ihr, doch wenn ich sie ansehe und ihr Gezänk höre, dann empfinde ich Mitleid mit ihr.«

»Was?«, rief Jeanne ungläubig. »Mitleid? Ich glaube, sie hat dir noch nicht oft genug eine Ohrfeige gegeben oder ist dir mit ihren Krallen durch die Haare gefahren.«

»Doch, schon, aber ich denke, es muss einen Grund für ihr Verhalten geben.«

»Vielleicht liegt es daran, dass sie eine undankbare, streitsüchtige Schlampe ist?«, schlug Jeanne vor.

Elisabeth lächelte, obwohl sie eher Traurigkeit empfand. »Nein, ich glaube, etwas quält sie, und sie lässt nur ihre Ängste oder Schmerzen an uns aus. Die vergangenen Tage hat sie auch nur wenig geschlafen.«

Jeanne fragte nicht, woher Elisabeth das wusste. »Wie du auch«, sagte sie leise. »Du hast dich immer noch nicht ganz bei uns eingelebt.«

Elisabeth seufzte. »Vielleicht will ich das gar nicht?«

Marthe hatte inzwischen den Judenplatz erreicht und war stehen geblieben. Mit in die Hüften gestützten Händen stand sie da und sah die beiden Nachkömmlinge mit sauertöpfischer Miene an.

»Kommt ihr heute auch noch? Die Meisterin hat gesagt, wir sollen nicht trödeln.«

»Ja, aber es gibt auch keinen Grund zu hetzen und früher als nötig zurück zu sein«, widersprach Jeanne.

»Es ist ein so schöner Sommertag«, fügte Elisabeth hinzu, aber auch das konnte kein Lächeln auf Marthes Gesicht zaubern. Das gelang nur den Männern, die mit Münzen dafür zu zahlen bereit waren.

Jeanne wandte sich demonstrativ von Marthe ab und betrachtete die Baustelle der Marienkapelle zu ihrer Linken. Für eine Kapelle würde es ein überaus großes Gotteshaus werden. Immerhin wurde schon seit fünfzig Jahren an der Kirche für die Bürger Würzburgs gebaut, die den sündigen Fleck tilgen sollte, den die Synagoge hier hinterlassen hatte – so jedenfalls hatte der Rat es einst formuliert. Heute waren nur wenige Arbeiten im Gange, und die von Gerüsten gesäumten Wände und Bögen boten nichts Spannendes zu sehen. Ja, seit das große Portal vollendet worden war und die Bildhauerwerkstatt Würzburg verlassen hatte, ging es nur noch zäh voran.

Jeanne wandte sich den halb verfallenen Häusern auf der anderen Seite des Platzes zu. Ein Windstoß trieb eine Wolke übler Gerüche vom Rigol herüber, einem lang gezogenen Tümpel, der mit einem Arm der Kürnach verbunden war, und in dem allerlei Abfall entsorgt wurde.

»Der Ratsherr, der gestern bei mir gelegen hat, hat gesagt, die alten Judenhäuser sollen nun alle abgerissen werden, sodass um die Marienkapelle ein freier Platz entsteht. Viele Juden wohnen ja eh nicht mehr in der Stadt. Außerdem hat der Bischof den Judenfriedhof bei uns draußen an Metzger Wentzel und seine Frau Agnes verkauft.«

Elisabeth sah sie an. »Was? Er hat den Friedhof der Juden einfach so verkauft? Aber warum denn? Wie konnte er nur!«

Jeanne zuckte mit den Schultern. »Der Bischof soll neunhundert Gulden Schulden bei den Wentzels gehabt haben und hat sie dadurch abgetragen. Er verpfändet allerlei Dörfer, Mühlen, Zollrechte und was weiß ich noch. Warum sollte er dann nicht auch einen Judenfriedhof hergeben, den er nicht braucht?«

»Und doch ist es nicht recht«, beharrte Elisabeth.

Jeanne nickte. »Man tut ihnen immer unrecht. Das war schon immer so. Erst versprechen die Herrscher ihnen ihren Schutz, und dann beuten sie sie nach Belieben aus.«

Etwas regte sich in Elisabeths Geist. Wut stieg in ihr auf. Sie sah sich mit langen Schritten in einer Halle auf und ab gehen. Ihre Hände gestikulierten wild, das aufgelöste Haar schwang ihr ins Gesicht. Und dann sah sie ihn. Seine Gestalt trat aus dem Nebel. Er trug eng anliegende Beinlinge aus Seide, sein kurzes Gewand war nach der höfischen Mode in zahlreiche Falten gelegt und mit einem goldverzierten Gürtel in der Taille zusammengerafft. Er hob seine Hände und legte sie auf ihre erhitzten Wangen. Sie fühlten sich kühl an, doch sie konnte sein Gesicht nicht erkennen. Seine Stimme hörte sie dafür umso deutlicher.

»Mein kleiner Hitzkopf«, sagte er mit Zärtlichkeit in der Stimme. »Du bist der Racheengel der Armen, der Unterdrückten und Entrechteten. Du wirst sicher eines Tages heiliggesprochen und wirst einst im Himmel neben der Heiligen Jungfrau sitzen.«

»Spotte nicht«, ereiferte sich Elisabeth. »Es ist einfach Unrecht!«

»Das mag schon sein«, bestätigte der junge Mann. »Doch du musst begreifen, dass es kein für alle gerechtes Paradies hier auf Erden geben kann. Das Geld wurde für den Feldzug nach Böhmen gebraucht. Der König hat Männer gefordert, Waffen, Pferde und Trosswagen. Wäre es gerecht, den Tatz für die Bürger Würzburgs wieder zu erhöhen? Die Zölle auf Wein? Die Märkte zu besteuern? Oder jede Herdstatt? Noch weitere Dörfer und Burgen zu verpfänden und die Zinslast des Stifts noch mehr in die Höhe zu treiben? Was ist recht? Ich sage icht, dass er ein weitsichtiger und guter Herrscher ist, doch er ist der vom Kapitel gewählte Bischof, und alle müssen sich seinen Entscheidungen beugen.«

Elisabeth sah die beiden Frauen an, die mit ihr auf dem Judenplatz standen. »Ja, auch unser Bischof Johann hat sein Wort gebrochen. Er hat allen Juden im Bistum einen Freibrief ausgestellt, aber nichts getan, als König Sigismund nur ein Jahr später einen Gulden von jedem Juden forderte. Und dann, als er von seinem Zug gegen die Hussiten zurückkehrte, ließ er seine Würzburger Juden gar gefangen nehmen, um ihnen sechzigtausend Gulden abzupressen!« Ihre Stimme war lauter geworden. Nun ließ sie die erhobenen Hände wie erschöpft sinken. Die Gestalt des jungen Edlen stand ihr noch immer deutlich vor Augen. Wer war er? Wo hatte sie ihn getroffen? Hatte er irgendetwas mit diesem Traum von dem steinernen Gang zu tun, der sie immer öfter heimsuchte? Gehörte er zu den Stimmen hinter der Tür, die sie nicht erkennen konnte, so sehr sie sich auch jedes Mal bemühte?

»Woher weißt du das?«, fragte Jeanne verblüfft.

Marthe betrachtete sie mit einer Mischung aus Interesse und Misstrauen. »Ja, ich dachte, du hättest dein Gedächtnis völlig verloren und wüsstest nicht einmal, wer du bist?«

Elisabeth senkte den Kopf und nickte. »Ja, das stimmt. Ich weiß auch nicht, wie mir das nun plötzlich in den Sinn kommen konnte, aber ich bin mir sicher, dass es sich so zugetragen hat.«

Jeanne strahlte sie an und hakte sich bei ihr unter. »Das stimmt! So war es. Es ist sicher ein gutes Zeichen, dass du dich an manches zu erinnern beginnst. Bald weißt du wieder alles!«

»Ja, vielleicht«, antwortete Elisabeth bedrückt. Vielleicht wollte sie sich gar nicht an alles erinnern. Es war ihr, als lauere ein fürchterliches Ungeheuer dort hinter der Grenze der Schatten auf sie, und eine Stimme flüsterte ihr zu: »Eines Tages wirst du dich nach dem Frieden der Unwissenheit zurücksehnen!«

Die drei Frauen gingen weiter zum Brothaus und kauften ein Wastel zu drei Pfennigen und zwei Flecken. Die Semmler boten Wecken aus weißem Weizenmehl feil. Gebacken wurde hier in der inneren Stadt allerdings schon lange nicht mehr. Nur die Bäckerei des Domkapitels war im Besitz einer Ausnahmegenehmigung. Alle anderen Bäckeröfen waren mit Hinweis auf die Feuergefahr in die Hauger Vorstadt oder in die Pfistergasse der Vorstadt Sand verlegt worden.

Wie ihnen aufgetragen, erstanden die Frauen Kohl und Zwiebeln auf dem Gemüsemarkt, holten Elses Stiefel beim Altreußen ab und erstanden auf dem Rückweg in der Häfnergasse zwei tönerne Krüge und ein paar einfache Becher als Ersatz für die, die in den vergangenen Nächten zu Bruch gegangen waren. Jeanne konnte es sich nicht verkneifen, eine ihrer wenigen Münzen für ein Stück Zimtgebäck auszugeben. Sie brach ein Stück ab und gab es Elisabeth.

»Danke, du bist lieb, aber du musst nicht dein schwer verdientes Geld für mich ausgeben«, wehrte sie ab.

Jeanne schüttelte den Kopf, dass ihre Haube verrutschte. »Nein, muss ich nicht. Aber wie kann ich es besser ausgeben als dafür, mit einer Freundin was Süßes zu genießen?«

Elisabeth standen Tränen in den Augen, als sie nach dem Gebäck griff. Jeanne biss ein Stück ab, schloss die Augen und kaute genießerisch. Bevor sie ein zweites Mal abbiss, wanderte ihr Blick zu Marthe, die mit verschränkten Armen und abweisender Miene ein Stück entfernt stehen geblieben war. Jeanne seufzte leise, dann brach sie noch ein Stück von ihrem Zimttaler und hielt es Marthe hin, doch die rührte sich nicht.

»Behalte es«, fauchte sie. »Ich brauch deine angebissenen Almosen nicht. Wenn ich was Süßes essen will, dann habe ich selbst Münzen!« Mit einem Ruck wandte sie sich ab und stapfte in Richtung der Fleischbänke davon. Dort hatte sie bereits Knochen und Speck gekauft, als die anderen beiden sie einholten. Jeanne leckte sich die klebrigen Finger ab.

»Gott muss wirklich einen schlechten Tag gehabt haben, als er dich erschuf!«, sagte sie.

Elisabeth dachte, nun würde Marthe wieder wüste Worte in den Mund nehmen und Jeanne eine Ohrfeige verpassen, doch stattdessen war sie für einen Moment wie erstarrt. Ihre Augen glänzten feucht.

»Wahrscheinlich ist das so«, murmelte sie. »Vermutlich hat er nicht einmal hingesehen.«

Elisabeth und Jeanne sahen einander unbehaglich an. Doch ehe Elisabeth auf Marthe zugehen konnte, hatte sie sich bereits abgewandt und sagte in ihrem üblichen barschen Ton:

»Und nun kommt endlich, ihr Trödelliesen. Die Meisterin wird uns alle ausschimpfen, und ihr seid schuld daran!«

Damit hatte sie allerdings nicht ganz unrecht. Kaum ließen sie die letzten Häuser hinter sich, die sich um St. Gertraud scharten, sahen sie die Meisterin bereits mit vor der Brust verschränkten Armen vor der Tür stehen.

»Es war unheimlich viel los in der Stadt«, rief Jeanne, noch bevor sie in Reichweite der kräftigen Hände kam. »Man sollte es nicht glauben!«

»Ja, man sollte es nicht glauben!«, wiederholte Else und machte ein grimmiges Gesicht. »Los, rein jetzt, ihr drei. Habt ihr alles bekommen, was ich euch aufgetragen habe?«

Sie nickten brav und zeigten der Wirtin ihre Körbe. »Wie viel habt ihr ausgegeben?«

Egal, welche Summe sie genannt hätten, das Ergebnis wäre jedes Mal das Gleiche gewesen. Else stöhnte dramatisch, jammerte über die hohen Preise und zählte das Wechselgeld, das Marthe ihr reichte, bis auf den letzten Pfennig nach. Die Frauen wollten schon an ihr vorbeischlüpfen, als die Meisterin wieder aufblickte.

»Es fehlt ein Pfennig. Wo ist er?« Sie sah Marthe an, die ihr das Geld gereicht hatte. Elisabeth und Jeanne tauschten unbehagliche Blicke. Wenn es um Geld ging, kannte die Eselswirtin keinen Spaß. Selbst für einen Pfennig konnte sie unangenehm werden.

Marthe kniff die Augen zusammen. »Woher soll ich das wissen? Was siehst du mich so an? Ich habe ihn nicht genommen! Frag doch die anderen.«

»Du undankbares, freches Biest!«, ereiferte sich Else. »Ich geb dir zu essen und kleide dich und sorge dafür, dass du Arbeit hast, und du kommst mir so daher!«

»Ach ja? So kann man es auch sehen. Ich würde sagen, du hältst uns wie Sklaven, verkaufst uns und füllst deinen Beutel, und wenn wir verrecken, ist es dir egal.«

Die Wirtin schnappte nach Luft, Elisabeth und Jeanne zogen die Köpfe ein. Was um alles in der Welt war mit Marthe los?

»Wie sprichst du denn mit mir?«, schrie die Wirtin zurück und schlug ihr rechts und links ins Gesicht.

Marthe kramte in ihrer Gürteltasche und zog einen Pfennig hervor. Sie schleuderte ihn der Wirtin vor die Füße und stürmte dann ins Haus. Dort warf sie sich auf ihr Bett und zog die Decke über den Kopf.

Die Wirtin sah ihr mit offenem Mund nach, wirkte nun aber eher erstaunt als verärgert. »Nun, sie wird ihre unreinen Tage bekommen. Wird auch Zeit!«

Damit ließ sie es auf sich beruhen. Sie befahl Jeanne und Elisabeth, das Gemüse für die Suppe vorzubereiten und den Wasserkessel mit den Knochen und Kräutern schon einmal aufzusetzen. Dann ging sie zu ihrem eigenen Häuschen davon.

Die Dirne und der Bischof

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