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Kapitel 3

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Der Montag verflog mit häuslichen Arbeiten und Geplauder. Die Frauen zogen die schmuddeligen Tücher von den Betten und legten frische über die durchgelegenen Strohmatratzen. Dann schleppten sie Wassereimer vom Brunnen heran, gaben frische Lauge dazu und wuschen Laken und Decken in großen Bottichen vor dem Haus. Gret warf ihre Schuhe von sich, stieg in eine ovale Wanne und trat die eingeweichten Decken mit den Füßen. Anna und Mara spülten sie aus, während Jeanne sie anschließend mit Elisabeths Hilfe auswrang. Marthe brummelte vor sich hin, während sie die ersten Tücher über einer abbröckelnden Mauer ausbreitete.

Die sonnigen Tage waren zwar vorüber, doch trotz der Wolken, die der Wind heute über den Main trieb, war es warm genug, dass sie gern auf der Wiese arbeiteten statt in der Düsternis des stickigen Hauses. Anna stimmte ein Lied an, und die anderen Frauen sangen mit – außer Marthe, die das Lied hirnlos und dumm nannte und sich weigerte mit einzustimmen.

Später ging die Meisterin los, um die Weinvorräte aufzufüllen. Sie nahm Gret mit und kam erst am späten Nachmittag zurück. Der Schröter brachte die beiden Fässer, die sie erworben hatte, und rollte ihnen eines ins Haus, das andere in den Bretterverschlag, der hinten angebaut war. Er plauderte noch ein wenig mit der Wirtin, ehe er sich verabschiedete und mit seinem Eselskarren davonzog. Else verteilte die Aufgaben für den Nachmittag. Jeanne sollte einkaufen gehen. Sie entschied sich, Elisabeth mitzunehmen. Die Meisterin wollte nicht, dass sich eine ihrer Frauen alleine in der Stadt herumtrieb. Sie runzelte zwar die Stirn, als Jeanne verkündete, das neueste Mitglied ihrer Gemeinschaft mitnehmen zu wollen, nickte dann aber und ließ die beiden Frauen ziehen.

»Wohin gehen wir?«, erkundigte sich Elisabeth, die sich neugierig umsah. Jedes Haus, jeden Hof, jeden Strauch starrte sie an, ob sie ihn nicht vielleicht wiedererkennen würde, doch nichts regte sich in ihrem von düsterem Nebel erfüllten Gedächtnis.

»Auf den Markt. Dort drüben unter dem Turm ist das Tor, durch das wir in die innere Stadt kommen.« Elisabeth legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den Turm, sah sich die Brücke und das Tor an, vor dem die beiden Wächter standen. Nichts. Nur Dunkelheit. Vielleicht war sie hier zuvor noch nicht gewesen? Und doch schwang da etwas in ihrer Seele, als sie durch die Gassen ging, den Blick an den Häuserfassaden entlanggleiten ließ und dem Strom der geschäftigen Menschen auswich.

Bald erreichten die beiden Frauen den Markt, dessen Stände sich die Domstraße entlang bis in die engen Quergassen zu beiden Seiten erstreckten. Sie kauften Gemüse und Äpfel, schlenderten über den Eiermarkt und erstanden noch ein Stück Speck, der heute unter das Gemüse des Eintopfs geschnitten werden würde.

Jeanne plapperte die erste Stunde ohne Unterlass. Immer wieder stellte sie Fragen, auf die sie aber nur einsilbige Antworten erhielt.

»Sehr gesprächig bist du nicht gerade«, sagte sie, als sich die beiden Frauen bereits wieder dem inneren Pleichacher Tor näherten.

Elisabeth seufzte. »Was soll ich dir sagen? Es ist ein seltsames Gefühl, erwachsen und doch neu geboren zu sein. Ihr alle habt eine Geschichte und Erinnerungen. In meinem Kopf wallen – bis auf ein paar vereinzelte Bilder – nur finstere Nebel, die ich nicht durchdringen kann. Ich weiß nichts! Du nennst mich Elisabeth, und vermutlich habe ich auch vorher so geheißen, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Auch wenn ihr alle sehr freundlich zu mir seid, ist das Leben hier bei euch wie ein Gewand, das für jemand anderen genäht wurde und nun an der einen Stelle zu weit und an der anderen zu eng ist. Ich bin ein Baum, der seine Wurzeln verloren hat und umgestürzt ist. Ich habe mit meinen Erinnerungen auch meine Familie und mein Heim verloren, in das man zurückkehren und wo man sich geborgen fühlen kann.«

Jeanne blieb stehen, drehte sich zu ihr um und tätschelte mitleidsvoll ihren Arm. »Das Frauenhaus ist jetzt dein Heim, und wir werden dir eine Familie sein.« Sie lächelte schelmisch. »Und wie in jeder Familie liebt man den einen mehr, den anderen weniger, man zankt sich ab und zu und rauft sich die Haare aus. Und die Meisterin ist unser aller Mutter. Streng und unnachgiebig, aber auch gerecht. Wir müssen hart für sie arbeiten, dafür hat sie ein wachsames Auge auf alles, was vor sich geht, und sie scheut sich nicht, selbst Ritter oder Ratsherrn zur Ordnung zu rufen, wenn sie über die Stränge schlagen. Zweimal hat sie sogar nach dem Henker geschickt, als sich eine Gruppe Betrunkener gar nicht zügeln ließ. Ja, und als die Sache mit Ester passiert ist...« Ihre Miene verdüsterte sich.

Nun hätte sie Jeanne fragen müssen, doch Elisabeth fand nicht den Mut, sich auch noch den Rest an Illusion zu rauben, die sie nur noch mühsam aufrechterhalten konnte. Und dann war der Augenblick auch schon vorbei, und Jeanne strahlte wieder zu Elisabeth hoch, die sie um einen Kopf überragte.

»Du wirst sehen, es ist nicht so schlecht hier. Viele von uns haben schon schlimmere Zeiten erlebt und hier bei der Eselswirtin Frieden gefunden.«

Elisabeth nickte nur stumm. Sie fand Jeanne sympathisch, und auch mit den anderen Frauen ließ sich sicher auskommen – wobei sie ein wenig Angst vor der Meisterin verspürte, doch was war das für ein Leben hier? Sie hatte nur eine vage Vorstellung davon, was in einem Frauenhaus vor sich ging, doch trotz ihres Gedächtnisverlustes konnte sie sich nicht länger der Wahrheit verschließen, dass das Leben zu der Zeit, als das Haus für bedürftige Frauen gebaut worden war, sich deutlich von den jetzigen Zuständen unterschieden haben musste. Dies war keine fromme Gesellschaft lediger Frauen mehr, wie beispielsweise die der Beginen, die sich für ihre Nächsten aufopferten. Schon allein, dass der Henker hier für Ordnung zu sorgen hatte, zeugte von der Sünde, die hier Einzug gehalten hatte. Tief in sich spürte Elisabeth, dass das nicht ihr rechter Platz auf dieser Erde war.

Im Frauenhaus angekommen, fanden sie die anderen in ihren Betten vor. Die meisten schliefen.

»Du solltest dich auch noch ein wenig hinlegen. Die nächtliche Ruhe ist hier nur kurz, und wenn die ersten Gäste kommen, ist es zu spät, an Schlaf zu denken.«

Elisabeth fühlte sich nicht müde, dennoch legte sie sich auf das Linnen. Die Decke hing noch draußen zum Trocknen. Was hätte sie sonst in dem großen, trüben Raum machen können, den die kleinen, mit Pergament bespannten Fenster selbst bei Tag kaum erhellten?

Es ist so düster, dass man nicht einmal lesen kann, dachte Elisabeth und wunderte sich über ihren Gedanken. Lesen? Konnte sie das überhaupt? Sie dachte an große Fenster mit bleigefassten Glasscheiben, die grünlich schimmerten, wenn die Sonne hindurchschien. Sie sah ein dickes, in Leder gebundenes Buch, doch als sie das Bild fassen und ihr Gedächtnis zwingen wollte, das dazugehörige Zimmer, ja das ganze Haus freizugeben, verschwand alles im Nebel.

Sie musste wohl doch eingeschlafen sein, denn ein plötzlicher Lärm ließ Elisabeth hochfahren. Die meisten anderen Frauen waren schon wach. Öllampen brannten nun in ihren Haltern an den Wänden, obwohl von draußen noch ein Rest an Tageslicht durch die Fenster schimmerte. Elisabeth sah sich verwundert um. Eine seltsame Geschäftigkeit vibrierte in dem einen großen Raum des Frauenhauses, der durch zwei Wandschirme aus Weidengeflecht notdürftig unterteilt werden konnte. Nun waren sie beide an die Wand zurückgeschoben, sodass Elisabeth den ganzen Raum überblicken konnte. Sie zählte drei Betten und zwei Strohmatratzen in der hinteren Hälfte, rechts und links der Tür standen die beiden Tische mit je zwei Bänken und ein paar Hockern. Links neben der Tür war die Feuerstelle, in der Marthe gerade die Glut schürte. Anna schob Krüge mit Gewürzwein und Met heran, um sie zu wärmen. Ester zerschnitt einen riesigen Brotlaib und warf die Stücke in einen Korb. Mara saß auf einem der Betten, auf dem prall gefüllte Kissen lagen, und ließ sich von Jeanne ihr Mieder schnüren. Im Gegensatz zum vorherigen Tag trug sie nun ein weit ausgeschnittenes Hemd, das ihren Busen mehr freiließ als ihn zu bedecken, und auch ihre Arme waren fast nackt! Auch die anderen trugen nun Gewänder aus farbigen Stoffen, die sicher nicht züchtig zu nennen waren. Gret hatte ihren Rock so hoch geschürzt, dass man ihre Waden sehen konnte, Annas Ausschnitt ließ gar die Brustwarzen sehen, sobald sie sich vorbeugte. Außerdem hatten sie sich die Lippen rot gefärbt. Maras Augen waren von Kohle schwarz umrandet, und Marthe hatte sich das Gesicht weiß gepudert, die Wangen dafür mit einer rötlichen Substanz bemalt. Selbst die Meisterin hatte sich einen auffällig bunten Rock übergezogen, sich eng geschnürt und ihr Gesicht geschminkt. Eine schwere Kette hing auf ihren schlaffen Busen herab, goldene Armreife klingelten bei jeder Bewegung. Sie stand hoch aufgerichtet mitten im Raum und ließ ihren wachsamen Blick über ihre Schützlinge schweifen.

Reglos blieb Elisabeth in ihrem Bett sitzen, das ein wenig abseits an der Wand stand, und starrte die Frauen an, die sich so verändert hatten.

Der Lärm, der sie geweckt hatte, war von der Haustür gekommen, gegen die jemand gehämmert hatte und die nun so schwungvoll geöffnet wurde, dass sie mit einem Schlag gegen die Wand krachte. Drei Männer traten ein und grüßten die Frauen laut und überschwänglich. Sie schienen ausgelassener Stimmung. Vermutlich hatten sie bereits Wein getrunken. Der eine herzte Marthe, die ihm ein süßes Lächeln schenkte und plötzlich wunderschön aussah, nun, da sie die verdrießliche Miene abgelegt hatte. Der zweite legte seine Arme um Annas üppige Mitte und zog sie an sich. Anna verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten gegen seine Brust. Der Krug entglitt ihren Händen und zerschellte auf dem Boden. Roter Wein floss in die Binsen. Die Männer lachten, Anna fluchte und warf der Meisterin einen ängstlichen Blick zu. Deren Stirn hatte sich umwölkt, ihre Stimme klang jedoch betont freundlich.

»Nun, nun, meine Herrn, nicht so stürmisch. Setzt Euch erst einmal, und trinkt etwas. Das Brot ist ganz frisch. Wollt Ihr auch Käse und Speck? Ein kleines Würfelspiel vielleicht?«

Die Männer setzten sich auf die Bänke und ließen sich Wein ausschenken. Gret reichte ihnen Käse und Speck. Jeanne brachte zwei Lederbecher mit Knochenwürfeln und setzte sich zu ihnen. Die Besucher waren alle drei im besten Mannesalter und vornehm gekleidet. Sicher keine kleinen Handwerker aus einer der Vorstädte. Diese Herren hier besaßen vermutlich befestigte Höfe, von denen manche mit Turm und Tor eher kleinen Burgen als Stadthäusern glichen, im Bastheimer oder Gänsheimer Viertel der inneren Stadt, wo auch viele Domherrenhöfe standen. Elisabeth wunderte sich über ihre Gedanken und fragte sich gerade, woher sie das alles wusste, als der Blick der Meisterin auf sie fiel. Die Augenbrauen zusammengeschoben, kam sie zu ihr herüber.

»Wie siehst du denn aus? Nein, so geht das nicht! Da könnte ja jemand auf den Gedanken kommen, ich hätte einer entlaufenen Betschwester Unterkunft gewährt.«

»Wieso? Das sind die Kleider, die ich gestern bekommen habe«, wunderte sich Elisabeth. Sie sah an sich herunter und konnte nichts Anstößiges erkennen. Nun ja, die Kleider waren ein wenig verwaschen und an manchen Stellen fadenscheinig geworden, aber sonst?

Else brummte. »Gestern war Sonntag! Dafür sind sie in Ordnung, aber nicht für heute und nicht für die anderen Nächte, in denen wir unsere Arbeit tun müssen.«

Sie sah zum Tisch hinüber, wo die Männer unter großem Gejohle die Würfel rollen ließen. Die Frauen klatschten begeistert in die Hände, wenn ein Wurf gelang, und trösteten die Verlierer mit einem Kuss. Hier wurde die Wirtin offensichtlich gerade nicht gebraucht.

»Komm mit mir, ich will sehen, ob ich dich nicht ein wenig herrichten kann«, forderte die Eselswirtin ihren neuen Schützling auf. Gehorsam folgte ihr Elisabeth nach draußen und in das kleine Häuschen hinüber, das kaum zwanzig Schritte entfernt am Rand des alten Judenfriedhofs zwischen ein paar knorrigen Apfelbäumen stand. Brombeeren rankten sich an bröckeligen Lehmwänden empor. Else schob die junge Frau auf einen Schemel und eilte um die Flechtwand herum. Sie öffnete ihre Truhe, wühlte zwischen Hemden, Röcken und Miedern. Einen Moment wog sie das Medaillon in den Händen, das die beiden Männer, die Elisabeth gefunden hatten, ihr überlassen hatten. Dann verstaute sie es wieder sorgfältig. Mit einem farbigen Kleiderbündel unter dem Arm kam sie in die Hauptkammer zurück.

»Hier, das ist dein Gewand, das du von nun an abends anziehen wirst. Pass darauf auf, und sieh zu, dass es dir nicht gleich zerrissen wird!«

Warum sollte sie ihre Gewänder zerreißen? Sie war doch kein Kind mehr, das sich in Scheunen herumtrieb oder auf Bäume kletterte! Die Worte des Protestes lagen ihr schon auf den Lippen, doch dann schwieg Elisabeth lieber und ließ sich von der Wirtin aus ihrem einfachen Rock und dem langen Leinenhemd helfen. Dafür zog Else ihr ein gelbes aus dünnem Stoff an, das kaum bis zu den Knien reichte. Die Ärmel bauschten sich um die Ellenbogen. Vorn fiel der geschlitzte Stoff auseinander und entblößte das weiße Dekolleté. Elisabeth raffte errötend den Stoff zusammen. »Hast du vielleicht einen Fürspan oder eine Fibel für mich?«

Die Wirtin schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig. Nun bück dich, dass ich dir in den Rock helfen kann.«

Sie warf das Gewand aus einem bestickten, grünen Stoff über ihren Kopf. Der Rock war noch tiefer ausgeschnitten als das Hemd, und man konnte ihn unter dem Busen schnüren, was die Wirtin auch tat, und zwar so eng, dass Elisabeth aufstöhnte. Ihre Brüste bildeten nun zwei pralle Hügel, von gelbem Stoff und einer bestickten Borte umrahmt, als wären sie ein Präsent, das besonders geschmückt dargeboten wurde. Der Rock fiel in reichen Falten bis zu den Knöcheln, die Ärmel dagegen waren eng und kurz, sodass sich der gelbe Stoff des Hemdes über den Oberarmen aufbauschte.

»So kann ich nicht gehen!«, entrüstete sich Elisabeth und sah erst auf ihren Busen und dann auf ihre nackten Unterarme und die ebenfalls entblößten Knöchel herab.

»Doch, das ist genau richtig«, sagte die Meisterin bestimmt und rückte eine Lampe heran. »Und nun halte still, dass ich ein wenig Farbe in dein blasses Gesicht bringen kann.«

In Elses Häuschen gab es keinen Spiegel, doch Elisabeth hatte die anderen Frauen gesehen, und so wollte sie nicht aussehen! Das war nicht richtig – nicht anständig!

»Bitte nicht«, wehrte sie schwach ab.

Die Wirtin umfasste Elisabeths Handgelenke so hart, dass es schmerzte. »An eines kannst du dich gleich gewöhnen«, herrschte sie die junge Frau an. »In meinem Haus wird das getan, was ich sage, und zwar ohne Widerworte. Solange du hier wohnst und an meinem Tisch isst und Kleider aus meiner Truhe trägst, wirst du dich danach richten. Und nun halt still! Ich kann nicht ewig die Zeit mit dir vertrödeln. Wer weiß, ob es drüben nicht schon wieder drunter und drüber geht, wenn ich nicht da bin!«

Stocksteif saß Elisabeth da, während Else ihre Lippen und Wangen rötete, dann folgte sie der Wirtin zum Frauenhaus zurück. Drüben ging es nun hoch her. Elisabeth zählte sechs Männer, die am Tisch saßen, tranken und würfelten. Von den Frauen konnte sie aber nur Jeanne, Ester und Gret entdecken. Dann fiel ihr Blick auf die Matratzen, die jemand auf dem Boden zusammengeschoben hatte. Darauf kauerte Anna auf allen vieren. Von dem Mann, der sich hinter ihr ebenfalls auf die Knie niedergelassen hatte, sah man nur die in enge Hosen gehüllten Beine bis zur Schamkapsel und den Saum seines Wamses. Der Rest war unter Annas Röcken verschwunden. Sie hatte die Knie gespreizt und wiegte den Hintern hin und her. Sie kicherte und stieß immer wieder kleine Schreie aus. Seltsame Geräusche drangen durch den Stoff ihrer Röcke. Elisabeth fühlte, wie ihre Knie weich wurden. Sie ließ sich auf einen Schemel sinken. Obwohl sie nicht weiter hinsehen wollte, konnte sie den Blick auch nicht senken. Ihre Wangen brannten. Sicher wären sie nun auch ohne die Farbe der Wirtin rot genug.

»Ruhe dahinten«, rief einer der am Tisch Sitzenden. »Du bringst mich mit deinem Geschlürfe ja ganz raus! Wie soll ich mich da aufs Würfeln konzentrieren?« Die anderen lachten. Nun erklang von Elisabeths Bett, das jetzt hinter einem Wandschirm verborgen war, rhythmisches Stöhnen und von der anderen Seite ein Kichern und Ächzen.

»Ja, mir ist es inzwischen auch schon ganz heiß an den Lenden«, stimmte ein anderer Gast zu. »Und schmerzhaft eng wird es ebenfalls!«

Die Meisterin legte dem offensichtlich reichen Bürger die Hand auf die Schulter. »Dann solltet Ihr Euch Erleichterung verschaffen. Darf ich Euch Gret mit dem feurigen Haar anbieten oder lieber Jeanne mit dem feurigen Temperament?« Die Frauen lächelten dem Bürger zu.

Der Mann in den engen, farbigen Beinlingen und dem kurzen mit Pelz verbrämten Brokatrock sah zu der blonden Frau auf dem Hocker hinüber.

»Was ist mit der? Sie ist neu, nicht? Kann mich nicht erinnern, sie schon mal gesehen zu haben.«

Elisabeth spürte, wie ihr schlecht wurde. Sie presste die Hand auf den Leib, sprang auf und rannte hinaus.

»Oh, ist sie krank?«, wollte der Bürger wissen und beäugte misstrauisch die beiden Dirnen, die an seine Seite getreten waren.

»Nichts Schlimmes«, wehrte die Meisterin ab. »Nur ein verdorbener Magen. Sie wäre eh nichts für Euch. Also, wen darf ich Euch geben? Ihr wisst, für die übliche Summe könnt Ihr auch beide nehmen.«

»Übernimm dich aber nicht«, lachte sein Nebenmann, dem das Glück gerade hold war und der drei Würfe hintereinander gewonnen hatte. Sein Gegenüber schob ihm mit betrübter Miene einen Stapel Pfennige herüber.

»Wenn du dich zu sehr verausgabst, kannst du deinem Weib keinen Knaben mehr machen, und den hätte sie dringend nötig!«

Alle lachten. Sie wussten, dass der reiche Bäcker bisher nur mit vier Töchtern gesegnet worden war und sich in weinseliger Stimmung deswegen die Haare raufte.

Bäcker Ecken zeigte seine schlechten Zähne. »Mir reicht eine, danke Eselswirtin. Nicht dass meine Männlichkeit dem nicht gewachsen wäre«, betonte er, »aber man muss doch seine Münzen ein wenig zusammenhalten! Was können mir zwei Weiber bieten, was ich nicht auch bei einer für die Hälfte bekommen kann?«

»Wie ein braver Bürger gedacht!«, wieherte der Gerber, der am Eck saß, und schlug sich auf die Schenkel. »Dein Weib kann stolz darauf sein, so einen sparsamen Gatten abbekommen zu haben, der ein paar Pfennige wieder mit nach Hause bringt.«

»Ich dachte eher an einen großen Humpen Wein hinterher«, gab der Bäcker ein wenig verlegen zu. Wieder lachten alle.

»Und?«, drängte ihn die Wirtin und hob die Augenbrauen.

Der Bäcker sah sich noch einmal die beiden Frauen an, die auf seine Entscheidung warteten, und deutete schließlich auf Gret. »Dann nehme ich den Feuerschopf.«

Gret knickste und führte ihn zum nächsten freien Lager. Dort kniete sie vor ihm nieder und half ihm, Schamkapsel und Beinlinge loszunesteln. Die anderen vertieften sich wieder in Wein und Würfelspiel.

Obwohl der Bäcker sich eben noch gebrüstet hatte, er könne durchaus auch zwei Frauen beglücken, musste Gret mit ihren Händen erst ein wenig nachhelfen, bis sich seine Männlichkeit so aufrichtete, dass sie einer Eroberung standhalten würde. Vielleicht hatte er zu viel getrunken. Gret kümmerte das nicht. Hauptsache, er kam schnell zum Ende und sie konnte die Münzen an Else abliefern. Je mehr Kunden sie in der Nacht bediente, desto kleiner würde die Zahl auf ihrem Schuldbrief. So jedenfalls hatte Else es ihr erklärt.

Lange saß Elisabeth vor dem Frauenhaus im Gras und lauschte den gedämpften Geräuschen, die zu ihr herausdrangen. Der Nachtwind wurde mit jeder Stunde kühler. Sie holte sich eine der inzwischen getrockneten Decken von der Leine und legte sie sich um die Schulter. Ihr Kopf war leer. Vielleicht wollte sie gar nicht darüber nachdenken, was sie heute Abend hier gesehen, gehört und gerochen hatte. Ab und zu öffnete sich die Tür, wenn ein Gast sich auf den Heimweg machte oder neue Gäste kamen und mit großem Hallo begrüßt wurden. Dann wurde das Haus leerer und ruhiger. Die Glocke von St. Gertraud hatte vor langer Zeit bereits Mitternacht geläutet, als die Meisterin endlich Zeit fand, nach ihrem verloren gegangenen Schützling zu sehen.

»Ach, hier bist du. Komm herein, oder willst du dir den Tod holen?«

Elisabeth verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. »Ich habe eine Decke, danke, mir ist nicht kalt. Sind die Männer jetzt alle weg?«

Der Laut, den die Eselswirtin ausstieß, klang gereizt. »Es sind noch zwei da, aber die werden dich nicht fressen, also steh auf, und ruiniere mir nicht weiterhin den Rock mit Grasflecken!« Widerstrebend erhob sich die junge Frau.

»Los, komm, es ist spät geworden. Ich muss zusehen, dass ich die beiden loswerde, ehe der Henker wieder vorbeisieht.«

Elisabeth folgte ihr und blieb dann nahe der Tür stehen. Die Wirtin mahnte die letzten Besucher zum Aufbruch, doch es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Männer endlich ihre Kleider in Ordnung gebracht und ihre Weinbecher geleert hatten. Else trieb die letzten Münzen ein und ließ sie in ihren Beutel gleiten, dann schickte sie die Frauen zu Bett. Ester ging hinaus, um ihre Decken zu holen. Die anderen begannen, wo sie saßen oder standen, ihre Bänder und Haken zu lösen, und ließen Röcke und Hemden in die Binsen fallen. Gähnend sanken sie auf ihre Matratzen und zogen sich die Decken bis über die Ohren.

Elisabeth blieb vor ihrem zerwühlten Lager stehen. Es war noch warm von den fremden Körpern, und ein unangenehmer Dunst stieg von ihm auf. Zwei feuchte Flecken verdunkelten das Laken. Es graute ihr davor, sich dort hineinlegen zu müssen.

»Ich habe gesagt, marsch ins Bett! Das gilt auch für dich, Elisabeth! Oder willst du spüren, wie hart meine Hand sein kann?«

Grob löste ihr die Meisterin die Schnürungen und zerrte den Rock herunter. Sie gab der jungen Frau einen Stoß in den Rücken, dass sie das Gleichgewicht verlor. Elisabeth kauerte sich an den Rand des Bettes und zog die Decke bis an die Brust. Die Frauenhauswirtin machte noch einmal die Runde und sah nach all ihren Schützlingen, von denen ein paar anscheinend schon eingeschlafen waren. Sie stellte noch einen Eimer neben die Tür für den Fall, dass eine von ihnen in der Nacht ihre Notdurft würde verrichten müssen, dann ging sie hinaus und schloss die Tür hinter sich ab.

Während eine nach der anderen einschlief und die Geräusche der Nacht sich zu dem gewohnten Teppich aus Schnarchen, Rascheln und gemurmelten Worten verwoben, konnte Elisabeth keine Ruhe finden. Das Stroh pikste, und ihre verkrampften Glieder begannen zu schmerzen, doch es ekelte sie davor, sich in dem Bett herumzudrehen. Die Bilder brannten hinter ihren Augen, und die Geräusche des Abends dröhnten in ihrem Sinn. Nein, wie schrecklich! Gott musste sich mit Grauen von diesem Ort der Sünde abwenden. Und die Heilige Jungfrau erst! Bei dem Gedanken, die Muttergottes könne an diesem Abend auf das Treiben herabgesehen haben, glühten ihre Wangen wieder vor Scham. Sie musste weg von hier! Sie konnte und wollte so etwas nicht noch einmal ertragen. Elisabeth beschloss, noch vor dem nächsten Abend das Frauenhaus zu verlassen. Sie wusste zwar nicht, wohin sie gehen und an wen sie sich wenden sollte, aber hier würde sie nicht bleiben!

In der Nacht träumte sie. Sie stand auf dem Absatz einer gewundenen Treppe. Es war dunkel um sie her, und doch konnte sie weiter vorn in einem Gang einen feinen Lichtstreifen ausmachen. Elisabeth bückte sich und zog ihre Schuhe aus. Langsam ging sie auf nackten Sohlen weiter. Der Stein war kalt unter ihren Füßen. Sie folgte einem steinernen Korridor. Eiserne Halter mit erloschenen Fackeln hingen an den Wänden. Sie wollte schneller gehen, wollte das Ende des Ganges erreichen, wo der Spalt am Boden golden schimmerte, doch je mehr sie sich abmühte, desto weiter schien die Tür ihr zu entgleiten. Etwas hielt ihre Füße fest, ihre Beine wurden immer schwerer. Sie reckte die Arme nach vorn. Sie wusste, alles kam darauf an, dass sie diese Tür erreichte. Schweiß drang ihr aus allen Poren. Ihr Atem wurde immer lauter. Nein! Sie musste leise sein. Ihr Herzschlag schwoll zu einem Trommelwirbel an.

Die Dirne und der Bischof

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