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Kapitel 1

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Wilhelm, was ist denn nun schon wieder?«, rief der Mann mit schwerer Zunge, schob sich den Hut in den Nacken, der schon wieder in seine Stirn gerutscht war, und blieb schwankend auf unsicheren Beinen stehen.

»Ich muss pissen«, rief der Kumpan zurück, der auf die Böschung der Kürnach zustakste. Er war offensichtlich genauso betrunken wie der andere, der nun den Kienspan etwas höher hielt.

»Muss das hier sein? Das kannst du auch hinter der Eselsstube machen. Ich will endlich etwas trinken, und ich will ein Weib!«

Wilhelm kicherte. »Erstens hast du schon genug getrunken – ich übrigens auch«, er rülpste vernehmlich, »zweitens kriegst du eh keinen mehr hoch, und drittens muss ich jetzt pissen, sonst passt nichts mehr in mich rein!« Er nestelte an seinen Hosen.

»Robert, komm her, und leuchte mir!«, befahl er.

Der Gerufene schwankte heran. »Zu Befehl, mein Hauptmann«, lallte er und lachte.

Wilhelm ließ sein Wams sinken und vergaß den Druck auf seiner Blase. Seine Stimme hörte sich fast nüchtern an. »Leuchte mal dort drüben. Was ist das?« Gehorsam ging Robert ein paar Schritte in die ihm gewiesene Richtung. Der Feuerschein der Fackel wanderte über den Boden und erhellte kniehohes Unkraut, kleine Büsche und so manchen Unrat. Als der Feuerschein ihn nicht mehr blendete, hieß Wilhelm seinen Freund stehen bleiben. Er betrachtete das niedergedrückte Gras, das sich bereits wieder aufzurichten begann. Sein Blick wanderte über das Unkraut die Böschung hinunter, wo etwas Großes, Helles aus dem Wasser ragte. Er ließ es nicht aus den Augen, während er langsam näher trat. Nach und nach erfasste er einen Bauch, zwei feste Brüste und einen Arm, der sich um den Kopf gelegt hatte, der von langem, honigblondem Haar verhüllt wurde.

»Ein Weib«, stotterte Robert und starrte auf den Körper hinunter. »Ein junges Weib.«

Wilhelm trat noch ein Stück näher. »Ja, und wie es scheint, ein junges, totes Weib.«

Robert wich zurück. »Mir sind sie lebendig lieber. Komm, lass uns gehen. Im Eselshaus ist es warm und lustig, und wir bekommen was zu trinken.«

Doch Wilhelm hörte nicht auf ihn, sondern stieg die Böschung hinunter, bis seine Schuhspitzen vom schlammigen Wasser umspült wurden. Er ging in die Hocke und schob mit dem Zeigefinger die blonden Locken zur Seite.

»Ein hübsches, junges, totes Weib«, sagte er.

»Das nützt jetzt auch nichts mehr«, erwiderte sein Freund und schwenkte die Fackel. »Also, komm jetzt!«

Wilhelm ignorierte das Drängen. »Seltsam«, murmelte er, »warum liegt sie hier?«

Rudolf seufzte und kam nun auch die Böschung herunter. »Vermutlich, weil sie hier gestorben ist«, sagte er. »Warum auch sonst? Und nun lass sie. Vielleicht war es das Fieber oder die Pest! Also rühr sie um Gottes willen nicht an.«

»Und wo sind ihre Kleider?«, wollte Wilhelm wissen.

Robert hob die Schultern und ließ sie dann wieder fallen. »Woher soll ich das wissen?« Er sah sich suchend um. »Hier sind sie jedenfalls nicht. Vielleicht hat sie sich vorher ausgezogen, oder jemand anderes hat es getan und die Kleider mitgenommen.«

»Genau!«, rief sein Freund. »Jedenfalls wird sie sich kaum selbst ausgezogen und zum Sterben hierher gelegt haben!«

Roberts Gesicht zeigte Unbehagen. »Aber dann ist das vielleicht eine Sache für den Schultheiß und den Rat. Ganz sicher geht es uns nichts an.« Er begann die Böschung wieder zu erklimmen. »Und nun komm! Mein schöner Rausch ist schon fast verflogen, weil du so rücksichtslos bist, mich mit toten Leichen zu belästigen. Dafür bist du mir einmal huren und einen Humpen Wein schuldig.« Er drehte sich um und grinste seinen Freund entwaffnend an. »Ich habe eh keine einzige Münze mehr, mit der ich bezahlen könnte – und du bist schließlich mein Freund und kannst nicht zulassen, dass ich darben muss, während du dich deinen Freuden hingibst.«

»Du bist ein Schuft, Robert, ein ganz hinterhältiger Schuft!«, schimpfte Wilhelm, erhob sich und betrachtete seine nun schlammigen Schuhspitzen mit einem Seufzer. Sein Freund lachte gackernd.

»Du wirst es mir nicht abschlagen. Das kannst du gar nicht!«, bettelte er sehnsuchtsvoll.

»Vermutlich sollte ich das aber«, begann Wilhelm und brach dann mitten im Satz ab. Er stützte die Handflächen auf die Oberschenkel und beugte sich nach vorn.

»Was ist?«

»Komm näher, ich brauche Licht!«

Robert schüttelte übertrieben heftig den Kopf. »Nein, nein, nein«, quengelte er. »Ich mag keine Leichen.«

»Nein, da ist etwas, dort im Wasser. Es glitzert wie Gold!«

Schon stand Robert an seiner Seite.

»Wo? Ich kann nichts erkennen.« Er beugte sich herab und ließ den Schein der Fackel übers Wasser gleiten.

Wilhelm ließ es zu, dass der Schlamm sich noch einmal schmatzend an seine Sohlen saugte. »Da drüben, ein wenig weiter nach links!«

»Ja, nun sehe ich es!«, jauchzte Robert. Ohne auf Beinlinge und Schuhe Rücksicht zu nehmen, watete er zwei Schritte ins Wasser, bückte sich und angelte eine goldene Kette an die Oberfläche, an deren Ende ein flaches, ovales Medaillon hing. Ein tropfenförmiger Rubin, der von einem Ring kleiner Perlen umgeben war, glitzerte im Flammenschein. Robert pfiff durch die Zähne.

»Dann ist heute ja doch mein Glückstag!« Feierlich reckte er sich und zog das Wams über seiner Brust glatt.

»Mein Freund, ich spendiere dir heute so viele Huren, wie du schaffen kannst.«

Wilhelm feixte. »Ich denke, die alte Frauenhauswirtin hat nur sechs Mädchen im Angebot.«

Robert schnaubte. »Ach, und du meinst, du könntest die alle bedienen? Noch heute Nacht? In deinem Zustand?«

Der Freund sah ihn empört an. »Was soll das heißen, in meinem Zustand? Ich bin wieder völlig nüchtern und im Besitz all meiner Kräfte.«

Robert lachte hell auf und hakte sich bei ihm unter. »Dann will ich aber was sehen!«

Sie hatten den bleichen Körper dort am Ufer bereits vergessen, noch ehe sie sich zwei Schritte von ihm entfernt hatten, als ein leises Seufzen und eine Bewegung, die er im Augenwinkel erhaschte, Wilhelm innehalten ließen.

»Hast du eben den Seufzer getan?«

Robert schüttelte den Kopf. »Nein, warum sollte ich? Obwohl, warum nicht? Aus Vorfreude auf die Brüste, die ich gleich zwischen den Fingern haben werde?«

»Blödsinn!«, fauchte Wilhelm und drehte sich zögernd um. Er starrte auf den weißen Frauenkörper, der still und bewegungslos halb im Wasser lag. Er hatte sich getäuscht. Natürlich hatte er sich getäuscht! Leichen seufzten und bewegten sich nicht. Erleichterung durchflutete ihn, aber noch ehe er sich abwenden konnte, zuckte der Leib und warf einen Ring kleiner Wellen auf, die sich träge nach allen Seiten ausbreiteten. Auch Robert hatte die Bewegung gesehen.

»Meinst du, die lebt etwa noch?«

Zögernd beugte sich Wilhelm herab und legte seine Hand an ihren Hals. Die Haut unter seinen Fingern war kalt, aber er konnte deutlich ein Pochen im Innern spüren. Und dann zuckten ihre Lippen, und ein zweiter Seufzer entwich in die Nacht.

»Ja, sie lebt!«, verkündete Wilhelm.

»Und was machen wir nun mit ihr?«, fragte Robert. »Ich kenne mich da nicht aus. Ich habe noch nicht allzu viele nackte Weiber im Stadtgraben gefunden.«

Wilhelm kaute auf seiner Lippe. »Vermutlich wäre es richtig, den Schultheiß zu holen oder zumindest die Scharwächter.«

Robert, der die Freuden der Nacht schwinden sah, seufzte tief. »Ade, du lustiges Frauenhaus«, lamentierte er, dann ruckte sein Kopf nach oben. »Glaubst du, dass sie eins der Mädchen der alten Eselswirtin ist? Das würde alles erklären. Sie ist mit einem Besucher hinausgegangen – und dann wurde sie ohnmächtig, und er bekam es mit der Angst zu tun, weil er dachte, sie wäre tot. Und dann hat er sie hier liegen lassen und sich davongemacht.« Er strahlte. »Na, wie habe ich das Rätsel gelöst?«

Wilhelm wiegte den Kopf hin und her. »Das wäre eine Möglichkeit. Dann sollten wir sie zurückbringen. Die Buhlerin wird schon wissen, was mit ihr zu tun ist.« Wilhelm packte die beiden Handgelenke. »Los, fass mit an!«

Froh, dass sie nun doch noch zum Frauenhaus gingen, fasste Robert die Beine der Bewusstlosen und half seinem Freund, sie die Böschung hinaufzutragen. Die Vorstadt lag in der Dunkelheit der Nacht, doch aus dem niederen Haus vor der Mauer, die den Judenfriedhof begrenzte, drang trübes Licht durch die Pergamentscheiben. Die beiden Männer schleppten die junge Frau auf das Frauenhaus zu. Zweimal stolperten sie, und einmal rutschte ihnen der Körper gar aus den Händen und fiel auf den mit Unkraut bedeckten Boden, aber die Frau erwachte nicht. Nicht einmal ein Stöhnen entrang sich ihren Lippen. Sie schien dem Tod näher als dem Leben.

Der freundliche Gruß blieb der Eselswirtin im Hals stecken, als ihr Blick auf die leblose, nackte Gestalt fiel, die die beiden jungen Männer hereintrugen. Sie sahen sich suchend um und legten den Körper dann auf den Tisch, der rechts der Tür stand. Ein Tonbecher fiel herab und ging zu Bruch. Die vier leicht bekleideten Frauen, die mit zwei Kunden auf der anderen Seite an einem zweiten Tisch saßen, verstummten und starrten zu ihnen hinüber. Nun waren nur noch die Geräusche der beiden Paare zu hören, die hinter einem Wandschirm eindeutig der Sache nachgingen, zu deren Zweck die Eselswirtin ihre Frauen beschäftigte.

»Was bringt ihr mir da?«, fragte die Wirtin leise und trat zögernd näher. Sie strich der Bewusstlosen die Haare aus dem Gesicht. »Was habt ihr mit dem Mädchen getan?«

»Wir?«, entrüstete sich Robert. »Was unterstellst du uns, Buhlerin! Wie kannst du es wagen!«

Die Wirtin des Frauenhauses wehrte ab. »Ich unterstelle gar nichts. Ich frage nur, und das wird ja wohl erlaubt sein, wenn ihr mir eine Leiche in mein Haus schleppt!«

Die Geräusche hinter dem Wandschirm ebbten ab. Else wusste nicht, ob die Männer fertig waren oder ob ihre Worte sie aus dem Rhythmus gebracht hatten. Jedenfalls schien jeder aufzuhorchen, der sich in dem einen großen Raum des Frauenhauses befand, der sich von der Eingangstür bis zur rückwärtigen Wand erstreckte.

»Und außerdem ist sie nicht tot«, stellte Wilhelm richtig. »Jedenfalls noch nicht.«

Die Wirtin legt ihre Hand erst an den Hals, dann zwischen die Brüste der jungen Frau. Sie nickte.

»Jeanne, hol eine Decke«, rief sie einem der Mädchen am anderen Tisch zu. Die mollige Französin beeilte sich, den Befehl auszuführen.

»Ist sie eine von deinen Mädchen?«, wollte Robert wissen.

Die Eselswirtin wich seinem Blick aus. »Könnte schon sein«, murmelte sie. »Warum?«

»Na ja, wir müssen doch wissen, ob wir sie bei dir lassen können oder was sonst zu geschehen hat.«

»Und außerdem würde uns interessieren, was mit ihr passiert ist. Ist sie mit einem Gast rausgegangen? Weißt du, mit wem sie zuletzt zusammen war?«, mischte sich Wilhelm ein.

»Ihr wollt mir also sagen, dass nicht ihr es wart, die ihre Hände als Letzte auf diese Haut gelegt haben?«

»Nur, um sie aus der Kürnach zu ziehen und hierher zu tragen«, bestätigte Wilhelm.

Die Wirtin, die eigentlich Else Eberlin hieß, aber meist Buhlerin oder Eselswirtin genannt wurde, betrachtete die beiden jungen Männer. Sie kannte sie seit Langem, genauso wie ihre Väter, von denen der eine ein Metzger war, der im Rat saß, und der andere eine gutgehende Silberschmiede besaß. Sie waren leichtsinnig, dem Wein, den Würfeln und den Weibern zugetan, aber sie waren nicht bösartig. Else glaubte ihnen.

Ein Mann trat hinter dem Wandschirm hervor und ordnete seine verblichene Kutte. Die Eselswirtin wünschte dem Vikar eine gute Nacht. Kurz darauf war auch der zweite Kunde so weit, dass er sich sein Wams wieder schnüren ließ. Der Gerber, der mit Weib und vier Kindern hier in der Pleichacher Vorstadt wohnte, ging gähnend hinaus. Die Wirtin wandte sich wieder an die beiden Freunde.

»Nun, ihr beiden, wenn ihr schon einmal hier seid, dann kann ein wenig Entspannung nach dieser Unannehmlichkeit nicht schaden.« Robert nickte zustimmend.

»Wein? Ein wenig Wurst und Brot? Ein kleines Würfelspiel oder eines der Mädchen?«

»Ein Mädchen?«, rief Robert übermütig. »Wir wollen alle! Und ein ganzes Dutzend Krüge Wein dazu!« Er warf die Kette mit dem Medaillon auf den Tisch, dass es neben den nassen, schlammigen Füßen der Bewusstlosen liegen blieb. Die Eselswirtin griff danach, rückte eine Öllampe näher und betrachtete das Schmuckstück mit gierigem Blick. Dann sah sie misstrauisch den jungen Mann an.

»Ist das dein Eigen? Ich will nicht hoffen, dass, wenn ich es annehme, mir morgen ein wütender Vater die Tür eindrückt oder gar der Schultheiß mein Haus nach gestohlenem Gut durchsucht.«

»Willst du mich beleidigen, elendes Kupplerweib?« Robert stemmte drohend die Hände in die Hüften.

Die Augen der Wirtin blitzten, dennoch senkte sie demütig den Blick. »Nein, nichts läge mir ferner. Nehmt euch heute Nacht, was ihr haben wollt.«

Robert klatschte erfreut in die Hände und winkte seinem Freund zu. »Nun dann, lass deinen großen Worten auch große Taten folgen. Ich warte gespannt!«

Wilhelm grinste zurück. »Nun gut, ich fange mit Mara und Gret an. Kommt her, meine Schönen, und lasst uns zuerst einen Becher Wein zusammen leeren.«

Die beiden Dirnen ließen sich nicht lange bitten. Mara holte einen Krug, dann zogen sie den jungen Mann auf eine strohgefüllte Matratze, die von schmuddeligen Decken und Kissen bedeckt war. Bevor Wilhelm Grets Küsse erwiderte, warf er noch einen Blick zu der Wirtin, die auf die nun von einer Decke verhüllte Gestalt niederblickte.

»Was wird mit ihr geschehen?«, wollte er wissen.

»Ich lasse den Bader holen, vielleicht wacht sie wieder auf. Denk nicht mehr daran, und überlass dich deinen wohlverdienten Freuden.«

Wilhelm nickte und ließ sich von Mara auf die Kissen niederdrücken. Er sah noch, wie Robert mit den anderen beiden hinter dem Wandschirm verschwand. Die Männer, die am Tisch gesessen hatten, verabschiedeten sich, drückten die geforderten Münzen in die vorgestreckte Hand der Wirtin und verließen dann das Frauenhaus.

Else wartete, bis die beiden jungen Männer sich nur noch um die Mädchen und den Wein kümmerten, dann schob sie den Arm unter den Nacken der Bewusstlosen.

»Anna, nimm ihre Füße!«, befahl sie der Dirne, die den Vikar bedient hatte.

Sie trugen die Reglose um einen zweiten Wandschirm herum und legten sie auf eines der beiden Betten, die dahinter standen. Die Laken waren fleckig und rochen nach Schweiß und vergossenen Körpersäften. Else rückte eine Lampe heran.

»Meisterin, erkennst du sie?«, fragte Anna und beugte sich, die Stirn gerunzelt, über das bleiche Gesicht.

Die Wirtin schüttelte den Kopf. »Du etwa?«

Anna verneinte. »Sie kann nicht von hier sein. Zumindest nicht von der Pleichach.«

Else stimmte ihr zu. »Aber wo kommt sie dann her? Und was hat sie nackt in unserem Stadtgraben verloren?«

»Das kann sie uns erzählen, wenn sie aufwacht. – Sie wird doch wieder aufwachen?« Die kleine Frau mit dem unscheinbaren mausbraunen Haar sah fragend auf. Else zuckte mit den Schultern.

»Kann ich nicht sagen.« Sie schob die Decke ein Stück zur Seite. »Sieh dir die Flecken am Hals und an der Schläfe an. Und dort im Haar ist ein Riss in der Haut. Es ist noch völlig mit Blut verschmiert. Jemand hat sie gewürgt, und sie hat mindestens zwei Schläge auf den Kopf bekommen.«

»Soll ich den Bader holen?«, fragte Anna.

Die Frauenhauswirtin überlegte. Der Bader tat nichts umsonst. Schon gar nicht nachts nach einem halb erwürgten und niedergeschlagenen Mädchen sehen. Andererseits, vielleicht war sie noch zu retten. Sie war jung und schön. Sie konnte ihre Schulden abarbeiten. Wenn sie überlebte.

Else nickte. »Ja, hol ihn her.«

Kaum war Anna verschwunden, zog die Wirtin die Decke herab. Sie betrachtete den reglosen Körper genau, betastete die Füße und Hände, ließ das Haar durch ihre Finger gleiten und schob dann die Beine ein wenig auseinander, um die Scham zu untersuchen. Ein harsches Klopfen an der Tür ließ sie zusammenfahren. Hastig warf sie die Decke wieder über das Mädchen und eilte zur Tür.

Der Mann, der mit einer Fackel in der Hand draußen vor der Tür stand, war groß, mit breiten Schultern und kurzem, grauem Haar. Sein scharf geschnittenes Gesicht war sorgfältig rasiert. Er hielt sich auffällig gerade und neigte nur leicht den Kopf, als die Eselswirtin ihm öffnete.

»Welch angenehme Überraschung«, sagte sie ohne Freude in der Stimme und trat zurück, um ihn eintreten zu lassen. »Was verschafft uns die Ehre?«

Er musste sich ein wenig ducken, damit sein Hut nicht an den Türbalken stieß. Er steckte den Kienspan erst in einen der Halter in der Wand, ehe er ihr antwortete.

»Else, versuche nicht, mir Honig um den Mund zu schmieren, du müsstest inzwischen wissen, dass das bei mir nichts nutzt. Außerdem brauchst du nicht so zu tun, als würde dich mein Kommen erfreuen.«

Sie seufzte. »Du weißt, dass ich nichts gegen dich habe, aber wer will schon den Henker im Haus? Nicht einmal für mich ist das gut.«

Meister Thürner neigte zustimmend den Kopf. »Und doch ist es an mir, dafür zu sorgen, dass im Frauenhaus die Dinge so laufen, wie sie sollen.«

Else verschränkte trotzig die Arme vor ihrem schlaffen Busen. »Es ist alles so, wie es sein soll.«

»So?« Der Henker hob seine grauen Augenbrauen. »Was denkst du, wie lange ist es her, dass die Weinglocke geläutet wurde, um die Leute zu mahnen, dass es nun an der Zeit ist, nach Hause zu gehen?«

»Ich weiß es nicht«, wich sie aus. »Ich habe sie nicht gehört. Aber du weißt genau, dass ich meine Gäste um diese Zeit noch nicht wegschicken kann. Wann sollen sie denn hierherkommen, um sich von ihrer Mühsal zu entspannen? Wenn die Sonne am Himmel steht, müssen sie ihrer Arbeit nachgehen – oder es ist Sonntag oder Feiertag, dann müssen sie in der Kirche beten. Für uns bleibt nur die Nacht. Ich bin für die Mädchen verantwortlich. Wie soll ich sie ernähren und kleiden, wenn sie nichts verdienen?«

Der Henker hob den Zeigefinger. »Ah, du lieferst mir das rechte Stichwort. Sonntag! Wann fängt der Sonntag wohl an? Wenn die Sonne aufgeht?«

»Nein«, brummte die Wirtin mürrisch. »Wenn es zur Mitternacht läutet. Ist es wirklich schon so spät?«

Der Besucher nickte und deutete auf den Wandschirm, hinter dem ein verzücktes Kichern erklang. »Wen hast du noch da?«

»Keine Pfaffen, keine Ehemänner, keine Juden«, fauchte Else, »nur zwei ehrliche, ledige Handwerkssöhne, die ein wenig Vergnügen suchen.«

Der Henker nickte beifällig. »Gut, ist mir recht, wenn ich dir keine Strafe aufbrummen muss. Es ist das Gesetz des Bischofs und des Rats, nicht meins.«

»Ha, der Bischof!«, stieß Else erbost aus. »Der soll sich bloß nicht so aufspielen. Mir Vorhaltungen machen, wie ich hier meine Mädchen führe, während er sich dort auf seiner Festung mit seinen Mätressen im Bett herumwälzt!«

»Vorsicht, Else, du betrittst gefährlichen Boden«, mahnte der Henker.

Die Frauenhauswirtin schnaubte durch die Nase. »Ach ja? Darf man in diesem Land nicht sagen, was wahr ist?«

»Manchmal ist es klüger, es nicht zu tun«, riet der Henker.

Else grinste. »Also streitest nicht einmal du ab, dass unser Bischof und Landesvater ein geiler Hurenbock ist.«

»Ich würde es nie so ausdrücken«, widersprach der Henker, doch um seine Mundwinkel zuckte es.

»Ich möchte mal wissen, wie viele seiner Bastarde auf dem Marienberg herumlaufen. Jedenfalls ist es kein Geheimnis, dass er seinen Mätressen das Geld in den Rachen stopft, das er uns anständigen Bürgern in immer neuen Steuern abpresst.«

Der Henker nickte nachdenklich. Er protestierte nicht dagegen, dass sich Else zu den anständigen Bürgern zählte.

»Ja, und nicht nur das. Er verkauft und verpfändet alles, was ihm Geld bringt. Die Domherren wissen nicht, wie sie ihm Einhalt gebieten können. Man hört sie Worte im Munde führen wie: ›den Bischof absetzen, bevor er das ganze Land verschleudert hat‹. Der Bischof andererseits lässt Büchsen gießen und auf den Marienberg bringen.«

»Da steht das Kapitel schlecht da, wenn er seinen Stuhl mit Bewaffneten verteidigt«, sagte die Wirtin.

Der Henker wiegte den Kopf hin und her. »Die Stadt wird sich entscheiden müssen, auf welcher Seite sie steht. Und wir wissen beide, dass kein Bürger oder Hintersasse sich freiwillig für diesen Bischof schlagen würde. Tja, und dann bleibt uns nur, gegen seine Kanonen anzugehen.«

»Du meinst, es wird wieder einen großen Krieg geben?«, keuchte die Wirtin. »Heilige Jungfrau, nicht schon wieder. Ich habe Bergtheim nicht vergessen!«

»Ich auch nicht«, schüttelte der Henker den Kopf. »Aber ich fürchte, es wird wieder zu einem Kräftemessen kommen, und dann gnade uns Gott, wenn wieder die Bischöflichen siegen.«

»Ach, bei manch einem Ratsherrenkopf wäre es nicht so schlimm, wenn er zu seinen Füßen rollte«, sagte Else wegwerfend.

»Das ist aber nicht das Einzige, was die Stadt verlieren kann und verlieren wird, wenn wir gegen Bischof von Brunn die Waffen ziehen und verlieren.«

Die Wirtin seufzte. »Ja, das weiß ich, und ich kann nur hoffen, dass es nicht so weit kommt. Soll er sich doch auf seiner Festung mit seinen Dirnen vergnügen und uns hier unten in Frieden lassen.«

Das erinnerte den Henker wieder an den Grund seines nächtlichen Besuches. »Also sieh zu, dass deine Gäste fertig werden und sich auf den Heimweg machen. Ich möchte heute Nacht nicht noch einmal kommen müssen. Ein paar ungestörte Stunden in meinem Bett sind mir lieber.«

»Nun, dann wünsch ich dir eine freudvolle Nacht, und grüß dein zärtliches junges Weib von mir!« Sie grinste ein wenig boshaft.

»Reiz mich nicht!«, schnaubte der Henker, doch dann grinste auch er. »Freches Weibsstück«, schimpfte er und ging zur Tür. »Dir täte eine Tracht Prügel auch nicht schaden.«

Else knickste spöttisch. »Und wer sollte mir die verpassen? Du vielleicht? Das gehört nicht zu deinen Aufgaben!«

»Dass du dich da nur nicht täuschst«, brummte er und öffnete die Tür. Draußen stieß er fast mit Anna zusammen, der der Bader mit seiner dicken Utensilientasche folgte. Überrascht blieb der Henker stehen.

»Was führt dich zu dieser Stunde hierher?«

»Jedenfalls nicht mein Vergnügen«, brummte der Bader, nickte ihm zu und schob sich durch die Tür. Der Blick des Henkers wanderte vom Bader zu Else.

»Geht es um etwas, das ich wissen sollte?«

Die Wirtin hob lässig die Schultern. »Nein, warum? Er soll sich eins meiner Mädchen ansehen. Ist da etwas dagegen einzuwenden?«

»Mitten in der Nacht?«

»Na und? Sie hatte halt... einen Anfall oder so was. Ich möchte lieber gleich wissen, womit ich zu rechnen habe.«

»Wer ist es?«

»Geht dich das etwas an? Es sind meine Mädchen!«

Anna schob sich an der Wirtin vorbei und führte den Bader um den Wandschirm herum. Nun stand Else alleine mit dem Henker vor der Tür.

»Pass auf, dass du dich nicht in Schwierigkeiten bringst«, sagte er leise und wandte sich ab. »Falls du deine Meinung ändern solltest und zu dem Schluss kommst, dass es mich doch etwas angeht, dann weißt du ja, wo du mich findest«, rief er über die Schulter zurück. Dann verschwand er in der Nacht. Die Wirtin trat zurück ins Haus und warf die Tür hinter sich zu.

»Mara, Gret, seht zu, dass ihr fertig werdet, und bringt die Gäste hinaus!«, rief sie und trat zu Bader Wander und Anna. Sie schickte das Mädchen weg.

»Geh schlafen. Du musst heute Nacht mit Mara das Lager teilen. Hier kannst du nicht schlafen!«

Anna zog schmollend die Lippe hoch, widersprach aber nicht und trollte sich. Die Wirtin hörte, wie die anderen die beiden jungen Männer hinauskomplimentierten, dann wurde es still. Es war ihr bewusst, dass die Frauen auf ihren Betten saßen und gespannt lauschten, was hinter dem Wandschirm vor sich ging. Else trat näher an den Bader heran, der die Decke heruntergezogen hatte und den noch immer reglosen Frauenkörper betrachtete.

»Kannst du ihr helfen?«, frage sie nach einer Weile, nachdem der Bader immer noch schwieg.

»Ich weiß es nicht. Was ist mit ihr geschehen?«

»Ich war nicht dabei«, wehrte die Eselswirtin brüsk ab. »Woher also soll ich das wissen?«

Der Bader betastete die Wunden am Kopf und die verfärbten Stellen am Hals. Ansonsten fand er nur ein paar harmlose Schürfwunden und ein paar blaue Flecken. Er begann die Kopfwunde auszuwaschen.

»Ihr Herz schlägt kräftig«, sagte er. »Und der Atem ist regelmäßig, wenn auch flach. Halte sie warm, und versuche, ihr ein wenig Wein einzuflößen. Mehr kann man im Moment nicht tun.«

»Wird sie wieder erwachen?«

Der Bader packte seine Utensilien wieder in seine Tasche. »Das weiß nur Gott alleine. Ich komme morgen nach der Messe noch einmal vorbei.«

»Ist das denn nötig?«, brummte die Wirtin. In Gedanken zählte sie die Münzen, die sie würde bezahlen müssen, wenn das Mädchen starb. »Wenn du eh nichts für sie tun kannst? Abwarten können wir auch alleine!«

Der Bader schürzte missbilligend die Lippen. »Nun, wenn du nicht willst, dann komme ich eben nicht.«

Else versuchte sich an einem versöhnlichen Lächeln. »So habe ich das nicht gemeint, Bader Wander. Wenn sie aufwacht und deiner Hilfe bedarf, schicke ich Anna zu dir herüber. Ansonsten wird es nicht nötig sein, deine Sonntagsruhe zu stören.«

Er neigte den Kopf und nahm den Becher mit saurem Wein entgegen, den Else ihm entgegenstreckte.

»Nun denn, Eselswirtin, eine gesegnete Nacht«, wünschte er zum Abschied und ging hinaus. Else warf einen Blick zu den Lagern ihrer Frauen, die sich alle schlafend stellten, und kehrte dann zu der Bewusstlosen zurück. Sie hatte gerade entschieden, dass es nicht lohne, bei ihr zu wachen, als ein Seufzer sich den halb geöffneten Lippen entrang und die junge Frau die Augen aufschlug.

Die Dirne und der Bischof

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