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Prolog

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Nebel stieg vom Main her auf und hüllte den Fuß des Marienberges ein. Nur die Festung ragte noch aus dem Meer weiß wirbelnder Wogen und starrte aus dunklen Fenstern über das weite Land Bischof Johanns IL von Brunn. Der Fluss, den die steinerne Brücke in weiten Bögen überspannte, schien verschwunden, und auch von der Vorstadt am Fuß des Berges mit seinen drei Klöstern und den Kirchtürmen war nichts mehr zu sehen.

Die beiden Männer fluchten. Sie zerrten den schweren Sack die Uferböschung hinauf und trugen ihn zwischen den im Nebel verschwimmenden Holzstapeln hinüber zur Pforte in der Stadtmauer. Normalerweise hätte sie um diese Zeit verschlossen sein müssen, doch nach einem kräftigen Stoß mit der Schulter schwang sie mit einem Quietschen zurück.

»Was hast du vor?«, flüsterte der Kleinere der beiden und lud sich mit einer Grimasse den Sack wieder auf die Schultern. »Was suchen wir hier?«

»Einen sicheren Ort für unsere Fracht. Schon vergessen?«, grummelte der andere.

»Nein, wie sollte ich das vergessen?«, schimpfte der Erste und rückte den Sack zurecht. »Aber warum haben wir sie nicht einfach in den Main geworfen? Ist das nicht der rechte Platz für so etwas?«

Der Größere spuckte auf den Boden und ging voran durch die nächtliche Gasse der Vorstadt. Er bemühte sich, leise aufzutreten, und ließ den Blick aufmerksam umherhuschen, um zu erkunden, ob nicht ein Licht oder ein Geräusch das Nahen der Scharwächter anzeigte.

»Der rechte Platz vielleicht schon, aber nicht das, was er sich vorstellt. Er hat gesagt, sie soll verschwinden – für immer verschwinden. Und er hat ganz genaue Anweisungen gegeben, wie das zu passieren hat!«

Der Kleinere mühte sich, mit ihm Schritt zu halten und in der Dunkelheit nicht zu stolpern.

»Und jetzt willst du sie vergraben, oder was?«, fragte er spöttisch und sah erstaunt, dass der andere nickte.

»Ja, die Toten gehören unter die Erde.«

»Du willst sie auf dem Kirchhof verscharren?«, fragte sein Begleiter ungläubig und sah zu dem vor ihnen aufragenden Turm von St. Gertraud hinüber, aber der andere ging ohne ein Wort zu sagen weiter. Sie passierten den Kirchhof, ohne dass der Größere anhielt. Die Bebauung wurde spärlicher. Gärten wechselten sich mit Hütten und Häusern ab. Zu ihrer Rechten konnten sie den Graben mit der Kürnach und dahinter die aufragende Stadtmauer erahnen, die die Vorstadt Pleichach vom alten Stadtkern trennte. Da ging dem Kleineren ein Licht auf.

»Du willst sie zwischen den Juden verscharren! Hat er das befohlen?« Er pfiff leise durch die Zähne. »Er muss sie gehasst haben. Dagegen wäre ein Grab draußen zwischen den Weinbergen gnädig!«

Der andere nickte und ließ den Sack zu Boden gleiten. »Wir sollten sie vorher ausziehen. Sicher ist sicher.«

Er zog seinen Dolch vom Gürtel und schlitzte den Sack auf. Grob riss er an den Gewändern. Der Kleine half ihm.

»Du machst ja die Kleider kaputt«, schimpfte er. »So können wir sie nicht mal mehr verkaufen.«

»Verkaufen? Dummer Kerl! Willst du dein eigenes Grab schaufeln? Wir werden sie verbrennen!«

Bevor der andere etwas erwidern konnte, ließ ein Geräusch die beiden Männer herumfahren. Ein Lichtschein näherte sich von der Kirche her, und sie ahnten den Klang von Schritten.

Der Große fluchte lästerlich und sah sich gehetzt um. Dann packte er den nackten, weiblichen Körper und warf ihn über die Böschung, dass er bis in das trübe Wasser der Kürnach hinunterrollte. Ohne zu zögern raffte er Kleider und Sack zusammen und rannte geduckt über den alten Judenfriedhof davon. Der andere folgte ihm. Sie liefen bis ins Hauger Viertel hinüber und ließen sich dann schwer atmend in einem Garten ins dichte Gebüsch fallen. Eine Weile lauschten sie ängstlich, konnten aber nichts hören, was nicht zu den gewohnten Geräuschen der Nacht gehörte.

Nach einer Weile wagte der Kleinere die Stille zu durchbrechen. »Ich glaube, die Scharwächter haben uns nicht gesehen.«

»Hoffentlich nicht«, erwiderte der andere und fluchte noch einmal.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte sein Begleiter unsicher, nachdem sie wieder eine ganze Weile geschwiegen hatten. Er kratzte sich. Ein Büschel Nesseln hatte ihm die nackten Waden verbrannt.

»Was wohl? Wir gehen zurück und sagen, dass wir den Auftrag wie befohlen ausgeführt haben. Dann nehmen wir unseren Beutel und sehen zu, dass wir lange Zeit dem Würzburger Land nicht mehr zu nahe kommen.«

»Wir begraben sie nicht auf dem Judenfriedhof?«, wagte der Kleinere nachzuhaken und rückte ein Stück von den Nesseln weg.

»Hast du nicht gesehen? Ich habe sie in die Kürnach gestoßen! Meinst du, ich taste nun im Schlamm nach einer Leiche, bis mich die Scharwächter herausziehen und mir ein schönes Quartier in einem der Türme anbieten? Nein! Der Körper wird dort im Schlamm verrotten. Und wenn nicht, dann finden sie ihn erst, wenn wir schon weit weg sind. Wir haben unseren Teil getan, und wir werden uns unseren Lohn dafür holen.«

»Du hast also nicht vor, von unserem... äh... Missgeschick zu berichten?«

Der Große schnaubte durch die Nase. »Hältst du mich für dämlich? Ich hänge am Leben und will es noch eine Weile genießen! Und das werde ich – und du auch, wenn wir uns nicht ganz dumm anstellen.«

»Möge Sankt Kilian geben, dass du recht behältst!«, seufzte der Kleine und bekreuzigte sich.

Der Große lachte rau. »Seit wann ist Sankt Kilian der Schutzherr der Taugenichtse und Mörder?«

»Ich bin kein Mörder!«, widersprach der Kleine, »und du auch nicht.«

»Nein«, stimmte ihm sein Begleiter zu, während sie auf die unbewachte Pforte zugingen, die sie aus der Stadt brachte. »Manches Mal kann man das den feinen Wamsträgern überlassen.«

Der Kleinere wandte sich noch einmal um und sah in die Richtung, in der irgendwo der Bach an den alten Judengräbern vorbeifloss. Er bekreuzigte sich. »Die Kürnach hat sie verschlungen. Möge der Herr ihrer Seele gnädig sein«, flüsterte er.

Er irrte sich in zwei Dingen. Erstens hatte die Kürnach den Körper nicht verschlungen. Er war an einem der zahlreichen Querdämme hängen geblieben, die das Wasser des Baches aufstauten, sodass der gesamte Graben um die Stadt bis zum Main hinunter stets mit Wasser gefüllt war. So ragte der weiße Frauenleib nun halb aus dem Wasser. Nur die Beine und einer der Arme waren von der schlammigen Flut bedeckt. Und zweitens war die Frau nicht tot. Noch war ihre Seele nicht von ihr gewichen. Auch wenn sie schon stundenlang durch die Tiefen der Finsternis taumelte.

Und in noch einem Punkt hatten sich die beiden Männer mit ihrer verbotenen Last geirrt: Es war nicht die Scharwache gewesen, die sie aufgescheucht und bei ihrem Auftrag gestört hatte.

Die Dirne und der Bischof

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