Читать книгу Die Dirne und der Bischof - Ulrike Schweikert - Страница 8
Kapitel 2
ОглавлениеUm sie herum war es dunkel. Sie schwebte. Sie konnte ihren Körper nicht mehr fühlen. Wo war sie? Was war mit ihr geschehen? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Wer war sie überhaupt? Verschiedene Namen und Gesichter huschten durch ihren Geist, doch keiner davon löste ein besonders intensives Gefühl aus. Vielleicht war sie gar kein Mensch, kein lebendes Wesen, nur ein Gedanke in der Leere, bevor Gott die Welt schuf? Diese Vorstellung löste ein Gefühl von Frieden in ihr aus. Die Finsternis verlor ihren Schrecken. Sie musste sich nicht länger mühen, diesen Ort hinter sich zu lassen. Alles lief nach Gottes Plan, und sie würde so lange hier in der Dunkelheit schweben, bis der Schöpfer sich ans Werk machte und »Es werde Licht!« rief.
Es wurde Licht! Erst war es nur ein schwacher, rötlicher Schimmer, den man für eine Täuschung der Sinne halten konnte, doch dann wurde er stärker und brannte sich schmerzhaft in den losgelösten Geist. Und plötzlich gab es auch Geräusche dort irgendwo hinter dem roten Schein. Es war keine Musik. Es waren Stimmen. Verschiedene Stimmen. Ein Mann und eine Frau und dann noch jemand. Sie sprachen irgendwelche Worte, und ihre Stimmen störten die göttliche Harmonie, die so kurz vor Beginn der Schöpfung herrschte. Wie konnten sie es wagen, sich vorzudrängen? Warum warteten sie nicht einfach, bis sie an der Reihe waren? Sie hatte das Bedürfnis, ärgerlich die Stirn zu runzeln, doch wie sollte das gehen ohne einen Körper? Als wolle ihr Leib sie vom Gegenteil überzeugen, zuckte Schmerz durch sie hindurch. Er begann im Kopf, wand sich über Rücken und Schultern und fuhr ihr dann bis in die Beine. Fast enttäuscht musste sie sich eingestehen, dass sie nicht nur ein körperloser Gedanke war. Nun verstand sie auch einige der Worte, die um sie herum gesprochen wurden. Der Mann stand links von ihr, die Frau auf der rechten Seite. Dann erklang noch eine dritte Stimme von einer weiteren Frau, die jünger sein musste als die erste. Eine Hand griff nach ihrem Arm, dann tasteten Finger über ihren Hals. Ein kalter Lufthauch strich über ihre nackte Haut.
Ihr Geist ließ ein Seufzen durch den Raum ihrer Gedanken hallen. Es wurde Zeit, die Augen zu öffnen. Noch ehe sie sich im Klaren war, ob sie dem zustimmen sollte, zuckten ihre Lider, und Licht fiel in einem grellen Streifen in ihre Augen. Ein feistes Männergesicht beugte sich über ihren nackten Leib. Eine fleischige Hand hielt eine Öllampe. Der Schmerz schoss wie ein Blitz durch ihren Kopf, und sie kniff die Lider hastig wieder zu. Obwohl sie kein Verlangen spürte, den Versuch zu wiederholen, öffnete sie nach einer Weile noch einmal die Augen. Nun war es ruhig, die Stimmen und Schritte waren verklungen, das Licht gedämpft. Der Schmerz hielt sich in Grenzen, und sie blinzelte ein paar Mal, bis das verschwommene Bild so weit an Schärfe gewann, dass sie etwas erkennen konnte.
Von Alter und Ruß geschwärzte Dachbalken, die Sparren mit Stroh gedeckt. Es roch feucht und modrig, aber auch seltsam süßlich. Alles kam ihr fremd vor. So fremd wie ihr eigener Körper, der sich nun mit immer schärferen Wellen von Schmerz in ihr Bewusstsein zurückmeldete. Sie versuchte, sich wieder auf ihre Umgebung zu konzentrieren.
Sehr weit entfernt schien die Decke nicht zu sein. Wenn sie aufstehen würde, könnte sie sie bestimmt mit den Fingerspitzen erreichen. Wenn sie in der Lage gewesen wäre, aufzustehen – ja sich überhaupt zu rühren! Immerhin gehorchten ihr die Augenlider schon ganz gut, und so versuchte sie nun die Lippen und die Zunge zu bewegen.
Das faltige Gesicht einer älteren Frau drang in ihr Blickfeld. Sie hob eine Lampe hoch und sah auf sie herab. Das Mädchen kniff rasch die Augen zu, doch der erwartete Schmerz blieb aus. Zögernd öffnete sie die Lider wieder.
»Du bist also erwacht«, stellte die Frau fest. Es klangen weder Freude noch Erleichterung aus ihrem Tonfall. Ihre Wangen waren gerötet, ein Rußfleck prangte auf ihrem Kinn. Sie trug eine schmuddelige Haube, unter der ein paar graue Haarsträhnen hervorlugten. Ihre Lippen hatte sie rot gefärbt, was sie aber nicht hübscher aussehen ließ. Als sie sich vorbeugte, konnte das Mädchen die faltige Haut ihrer schlaffen Brüste sehen.
»Wer bist du? Kannst du mich hören? Dann sag mir deinen Namen und woher du kommst.«
Die Augen zu öffnen, war eine Sache. Sich jedoch zu erinnern, wer sie war, oder das gar laut auszusprechen? Die Alte mit den schlaffen Brüsten verlangte Unmögliches von ihr! Die junge Frau wollte wieder zurück in die tröstliche Dunkelheit, in der sie nur ein Gedanke Gottes gewesen war!
Die Frau beugte sich vor und kniff das junge Mädchen fest in die empfindliche Haut ihrer Seite.
»Au!«, stieß sie empört aus und zuckte zusammen. »Was fällt dir ein?« Ihre Stimme war rau und fremd und brannte in der Kehle.
Die Alte verzog die geschminkten Lippen zu einem Grinsen. »Stumm bist du also nicht, mein Täubchen. Aber du hörst dich an, als könntest du einen Schluck vertragen.«
Eine Gestalt mit üppigem kastanienbraunem Haar huschte aus den Schatten und trat neben die Alte. »Meisterin, soll ich Wein holen?«
»Mara! Was habe ich befohlen?« Die Alte hob die Hand, als wolle sie ihr eine Ohrfeige geben, aber die zierliche Frau wich zurück und duckte sich. Die Wirtin ließ die Hand sinken. »Nun gut, hol den gebrannten Heidelbeerwein. Ich denke, sie braucht etwas Kräftiges.«
Else schob ihren Arm unter den Kopf der jungen Frau, hob ihn an und drückte den Hals der Tonflasche an die aufgeplatzten Lippen. Sie trank zwei Schlucke. Röte schoss in ihre Wangen. Sie riss die Augen auf. Ihr Körper bäumte sich auf. Die Decke rutschte von ihrem nackten Oberkörper. Sie hustete krampfhaft, Tränen rannen über ihre Wangen, ihre Brust wölbte sich und ließ die Luft dann in einem Stoß entweichen. Die Wirtin grinste und nickte.
»So, jetzt können wir uns unterhalten. – Mara, mach, dass du in dein Bett kommst!«
»Ach Meisterin, bitte«, flehte die junge Frau, »wir kommen um vor Neugier und wollen auch wissen, was geschehen ist.«
Else wiegte den Kopf hin und her, aber ihre Miene war nicht unfreundlich. Sie sah zu der blonden Frau auf dem Bett, die sie aus großen Augen anstarrte, die Decke mit beiden Händen umklammert und schamhaft über ihre Brust gezogen. »Nun gut«, stimmte sie zu, dann hol unserem Gast ein Hemd und einen Becher Wein, und sieh nach, ob noch Mus im Kessel ist. Vielleicht kann sie schon etwas essen.«
»Danke, Meisterin!« Mara wandte sich um und eilte davon. Üppig fiel ihr kastanienbraunes Haar in leichten Wellen über den Rücken herab. Bevor sie mit dem Hemd zurückkam, lösten sich weitere Schatten aus der Dunkelheit des Hauses, brachten Weinkrug und Becher und eine Schale mit kaltem Mus und ließen sich dann in einigem Abstand in den Binsen nieder. Die Wirtin ließ den Blick schweifen und seufzte.
»Das hätte ich mir denken können. Ihr habt mal wieder gelauscht, statt mir zu gehorchen. Ich ziehe euch allen einen Schilling von eurem Lohn ab!«
Die Frauen nahmen es gelassen. Die meisten mussten sowieso noch etliche Schulden bei Else abarbeiten. Es gab verschiedene Gründe, warum sie hier gestrandet waren, doch keine der hier versammelten Frauen gab sich der Illusion hin, es läge in ihrer Hand, das Frauenhaus in der Pleichacher Vorstadt von Würzburg gegen ein besseres Heim tauschen zu können. Und so schlecht war es hier gar nicht. Die Meisterin sorgte für eine warme Mahlzeit am Tag und ab und zu ein neues Gewand, sie hatten ein Dach über dem Kopf, wenn sie sich zum Schlafen niederlegten, und eine warme Wolldecke, um sich zuzudecken, wenn der Wind durch die Ritzen des altersschwachen Hauses pfiff. Dafür mussten sie den Männern, die hier Zerstreuung suchten, zu Diensten sein. Meist forderten sie nichts Unerträgliches, und die Wirtin achtete darauf, dass kein Gast ihre Mädchen quälte. Ja, wenn sie Prügel bekamen, dann meist von der Wirtin selbst. Die Frauen – jede für sich – hatten schon schlimmere Zeiten erlebt als die hier unter Else Eberlins wachsamen Augen. Natürlich freuten sich die Frauen, wenn die Meisterin ihnen von den Münzen, die sie von den Kunden forderte, ihren Anteil gab und sie sich ein wenig billigen Tand bei den Krämern der Stadt oder Süßigkeiten an einem der Bäckerstände kaufen konnten, aber nun waren sie alle gern bereit, einen Schilling für eine spannende Geschichte zu geben und mit dabei zu sein, wenn die fremde blonde Frau zu erzählen beginnen würde.
Die Wirtin wartete, bis Mara ihr in das verschlissene Hemd geholfen hatte, dann fragte sie noch einmal: »Wer bist du? Wie ist dein Name?«
Die Blonde starrte erst sie und dann die anderen Frauen an, die im Kreis auf dem Boden kauerten und erwartungsvoll zu ihr aufsahen, doch sie blieb stumm und schüttelte nur den Kopf.
Ein ärgerlicher Zug trat in die Miene der Wirtin. Ein paar der Frauen zogen die Köpfe zwischen die Schultern. Sie alle wussten, dass es nicht ratsam war, Else zu reizen. Sie konnte sehr wohl großzügig und aufgeräumter Stimmung sein, doch nur allzu schnell schlug ihre Laune um, und dann brach ein Gewittersturm über denjenigen herein, der so leichtsinnig gewesen war, ihren Zorn zu entfachen.
»Sag uns deinen Namen!«, forderte sie noch einmal in strengem Ton, doch die Frau auf dem Bett starrte sie nur aus ihren weit aufgerissenen Augen an und schüttelte noch einmal den Kopf.
Die Frauenhauswirtin hob die Rechte – alle zuckten zurück, nur nicht die junge Frau, die sie unverwandt aus ihren graugrünen Augen anstarrte. Die Hand traf sie hart ins Gesicht. So viel Kraft würde man einem Weib diesen Alters gar nicht zutrauen! Die Blonde schrie auf und wankte. Fast wäre sie hinten übergekippt und aus dem Bett gefallen, aber sie fing sich noch und richtete sich wieder auf. Tränen tropften auf die schmierige Decke.
»Nun, willst du mir jetzt antworten? Sag uns deinen Namen!«
Ein Name! Ja, natürlich, sie musste einen Namen haben, mit dem die anderen Menschen sie gerufen hatten. Die junge Frau tastete in ihrem Geist umher, doch je mehr sie sich anstrengte, desto undurchdringlicher wurde die Finsternis. Er ließ sich nicht fassen. Sie konnte Gestalten erahnen, die durch die Schatten huschten und Worte murmelten, doch wenn sie sie zu greifen suchte, entflohen sie und zogen sich in Räume zurück, die ihr Bewusstsein nicht betreten konnte.
»Ich – ich weiß ihn nicht«, antwortete sie. Ihre Stimme war nun nicht mehr so heiser und rau. Man konnte den hellen Klang erahnen, den sie normalerweise hatte. Und man hörte ihr Erstaunen.
Die Wirtin, die bereits die Hand zu einer zweiten Ohrfeige erhoben hatte, ließ sie wieder sinken. »Du weißt nicht, wie du heißt?«
Die Blonde schüttelte den Kopf.
»Und auch nicht, wo du herkommst?«
Sie überlegte einige Augenblicke, dann schüttelte sie wieder den Kopf.
»Hm.« Die Eselswirtin kaute auf ihrer Unterlippe. »Kannst du dich daran erinnern, was dir zugestoßen ist? Jemand muss dich gewürgt und niedergeschlagen haben.«
»Nein, ich kann mich an gar nichts erinnern«, klagte die junge Frau und sah flehend in die Runde, als hätte eine der anderen Frauen ihr helfen können. Die Wirtin folgte ihrem Blick.
»Nun, kann eine von euch uns weiterhelfen? Habt ihr sie schon einmal gesehen? Strengt euer Hirn an! Ihr habt euren Kopf nicht nur, damit die Läuse ein Zuhause finden!«
Jeanne, die kleine, schwarzhaarige Französin, kicherte und ließ ihre Zahnlücke sehen. Die anderen schüttelten nur einmütig die Köpfe.
»Was wird nun mit ihr geschehen?«, wollte Gret wissen. Sie war groß und hager, ihr Gesicht von Sommersprossen übersät und ihr Haar lodernd rot wie die Flammen des Kaminfeuers.
»Sollen wir sie zum Spital bringen?«, fragte Mara.
»Sie kann bei uns bleiben«, schlug Anna, die jüngste der Frauen, vor.
Die hübsche blonde Marthe schnaubte mürrisch. »Ich teile mein Bett nicht mit ihr. Schlimm genug, dass ich manchmal Mara unter meine Decke lassen muss, aber sie ist wenigstens klein und zappelt nachts nicht so herum.«
»Sie kann zu mir ins Bett kommen«, bot Ester an.
»Natürlich, unsere barmherzige Seele, unsere gute Schwester des Hauses«, keifte Marthe.
»Lass sie in Ruhe!«, zischte Gret und zog Marthe an ihrem goldblonden Haar.
»Nimm deine Finger weg, Feuerdämon!«, kreischte Marthe.
Die Wirtin war wie ein Blitz über ihnen und verpasste beiden Frauen eine Ohrfeige. »Ruhe!«, donnerte sie.
Die beiden ließen voneinander ab, warfen sich jedoch noch giftige Blicke zu. Die junge Frau auf dem Bett starrte sie entsetzt an.
»Was glotzt du so?«, fauchte Marthe.
Else hob die Augenbrauen. »Hast du noch nicht genug? Ich kann auch den Riemen holen, wenn du das mal wieder nötig hast.«
Die schöne Blonde senkte den Blick. »Nein, Meisterin, das ist nicht nötig«, murmelte sie. Gret verbarg ein Grinsen hinter ihrer Hand. Auch sie war mit Sommersprossen bedeckt.
Else wandte sich wieder dem Bett zu. »Ja, was machen wir mit dir? Als Erstes werde ich dir ein paar Kleider heraussuchen. So kannst du ja nicht herumlaufen. Und Schuhe brauchst du auch. Dann bekommst du ein Linnen und eine Decke. Sieh zu, dass du sie sauber hältst. Jeder ist für seine Wäsche selbst verantwortlich. Wenn du sonst noch etwas benötigst, dann wende dich an mich. Wir essen zweimal am Tag gemeinsam. Morgens gibt es Milchsuppe oder Mus, abends einen warmen Eintopf und Brot. Der gute Wein ist nur für die Gäste. Die Mädchen zeigen dir, welches euer Fass ist. Fürs Erste kannst du allein in diesem Bett schlafen. Wenn es dir besser geht, können wir die Betten neu verteilen.«
Die namenlose Frau lächelte und sagte warm: »Du hast ein christlich gutes Herz, ich danke dir! Wie kann ich dir das jemals vergelten?« Die anderen Frauen warfen einander Blicke zu.
Die Wirtin mied die graugrünen Augen. »Das werden wir dann sehen«, murmelte sie nur und scheuchte dann ihre Frauen davon. »Nun aber marsch in eure Betten, sonst werdet ihr meinen Zorn erleben!«
Die Frauen erhoben sich und klopften sich die Binsen aus den Hemden.
»Wie sollen wir sie denn nennen, wenn wir ihren Namen nicht wissen?«, wollte die mollige Jeanne wissen.
»Wir müssen ihr einen Namen geben«, stimmte Gret zu.
Die Wirtin nickte. »Ja, das ist eine gute Idee. Hast du einen Vorschlag?«
Die Rothaarige zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht recht. Vielleicht Maria? Oder Susanne? Oder Afra?«
Sie sah zu der jungen Frau im Bett, doch die zuckte nur hilflos mit den Schultern.
»Barbara? Johanna? Margret?«, schlug Anna vor, doch auch diese Namen lösten keine Reaktion aus.
»Was ist?«, drängte die Wirtin. »Entscheide dich, oder wir suchen einen für dich aus.«
»Ursula oder Margarete?«, fuhr Gret fort. »Vielleicht Luzia? Brigitta oder Elisabeth?«
Die Frau im Bett zuckte zusammen. Elisabeth. Ein warmes Gefühl durchflutete sie.
Sie sah in ihrem Geist ein kleines Mädchen mit strengen, blonden Zöpfen auftauchen. Es saß im Heu, ein kleines Kätzchen an die Brust gedrückt. Wie wunderbar frisch das Heu roch!
»Elisabeth! Wo bist duf« Eine Frauenstimme durchbrach den Frieden, Das Kind duckte sich hinter den Heuberg, doch da hörte es eine Tür quietschen, und helles Sonnenlicht flutete herein, Schwere Schritte näherten sich. Ein geschürzter Rock mit schmutzigem Saum tauchte in ihrem Blickfeld auf und ein paar geschwollene Füße, die in ausgetretenen Schuhen steckten, Sie hörte den keuchenden Atem der dicken Frau.
»Elisabeth! Hast du mein Rufen nicht gehört?«
Der Vorwurf war nicht zu überhören. Das Kind ließ den Blick weiter auf Saum und Schuhe gesenkt und schüttelte den Kopf, obwohl es den Ruf natürlich deutlich vernommen hatte.
Mit einem Stöhnen beugte sich die Dicke herab und wand das Kätzchen aus ihren Händen. Die Finger schlossen sich um den dünnen Kinderarm.
»Komm jetzt! Dein Vater kann jeden Augenblick zurückkommen!«
Sie zerrte das Mädchen auf die Beine und zog es hinter sich her ins grelle Sonnenlicht hinaus.
»Ja, er kommt. Die ersten Boten sind schon am frühen Morgen eingetroffen. Der Feldzug ist vorüber. Das Heer kehrt zurück. Dein Vater ist wohlauf.«
»Hat das fränkische Heer denn gesiegt?«, wollte das Mädchen wissen, während es neben der Dicken herstapfte.
Sie brummte unwillig. »Über so etwas weiß ich nicht Bescheid. Ich bin nur eine einfache Magd und froh über jeden Mann – sei er nun Bürger oder Ritter –, der unbeschadet aus Böhmen zurückkehrt und dem diese Ketzer nicht den Bauch aufgeschlitzt haben.«
»Was ist?«, drängte die Rothaarige mit den Sommersprossen und holte die junge Frau in die Wirklichkeit zurück. Sie lächelte Gret zu und nickte.
»Ja, wir nennen sie Elisabeth«, rief Ester. »Das ist gut. Hieß das Haus nicht so, als es einst für zehn arme Frauen gestiftet wurde, die hier Kost und Kleidung bekommen sollten?« Die anderen nickten zustimmend.
»Gut, dann ist das abgemacht.« Wirtin Else klatschte in die Hände. »Also, ab in eure Betten, und ich will kein Gerede mehr hören!«
»Elisabeth«, flüsterte die Frau im Bett und lauschte dem Klang. Ja, das war gut so. Auch wenn sie sich nicht sicher sein konnte, ob sie selbst das Mädchen gewesen war. War es überhaupt eine echte Erinnerung? Wenn ja, wo waren all die anderen, die sie im Laufe ihres Lebens aufgesammelt haben musste? Doch so sehr sie auch suchte, außer diesem einen bunten Fetzen war rund herum nur düsterer Nebel in ihrem Geist zu finden. So konzentrierte sie sich auf diese eine Begebenheit und beschloss, sie wie einen Schatz zu hüten. Erschöpft schloss Elisabeth die Augen. Das kleine Mädchen lächelte ihr zu.
Else wartete, bis Ruhe eingekehrt war, dann löschte sie die Lampe. Die Wirtin ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Der große Schlüssel knirschte im Schloss. Ein paar Sterne leuchteten ihr den Weg zu ihrem Haus. Nun ja, es war mehr eine Hütte denn ein Haus, klein und niedrig, mit lehmbestrichenen Flechtwänden und einem durchhängenden Strohdach, dennoch konnte sie es ihr Eigen nennen, und es hatte alles, was sie brauchte: Eine Feuerstelle mit einem Kessel darüber, einen Tisch, eine Holzbank und zwei Hocker und ein Wandbord, auf dem sie ihr Tongeschirr und Lebensmittel aufbewahrte. Ein zweiter, winziger Raum wurde von einer schulterhohen Flechtwand abgetrennt. Der vorherige Besitzer hatte dort in der Ecke sein Vieh gehalten, ein Schwein, eine Ziege und ein paar Hühner, aber Else hatte den Verschlag gesäubert, mit frisehen Binsen bestreut und ihre Bettstatt dort eingerichtet. Dort stand auch ihr größter Stolz: Eine eisenbeschlagene Truhe mit einem Schloss, in der sie ihre Kleider, das eingenommene Geld und all ihre anderen wertvollen Habseligkeiten aufbewahrte.
Else trat an den Herd und schob die Asche auseinander. Darunter glühten noch ein paar verkohlte Scheite. Sie zündete ein Binsenlicht an und stellte es auf den Tisch. Schwerfällig ließ sie sich auf die Bank sinken. Sie griff unter ihre Röcke und zog das Medaillon hervor, das der Handwerksbursche ihr als Bezahlung gegeben hatte. Die goldene Oberfläche schimmerte im Licht der Flamme, der große Edelstein und die Perlen blitzten. Das war kein billiger Tand! Dieses Schmuckstück hatte ein kunstfertiger Goldschmied hergestellt, und sie war bereit, jede Wette einzugehen, dass der Stein und die Perlen so wertvoll waren, wie sie ihr im warmen Licht der Lampe erschienen.
»Junger Narr«, murmelte die Wirtin und ließ das Kleinod an seiner Kette hin und her schwingen. Dann wickelte sie es sorgsam in ein Tuch und verstaute es unter Hemden und Strümpfen in ihrer Truhe. Ein zufriedenes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel, als sie unter ihre Federdecke schlüpfte und sofort einschlief.
Elisabeth lag im Dunkeln. Es machte keinen Unterschied, ob sie die Augen öffnete oder geschlossen hielt. Fast könnte sie meinen, sie wäre wieder in ihre Ohnmacht zurückgeglitten, wenn nicht verschiedene Geräusche an ihr Ohr gedrungen wären. Sie konnte die Frauen atmen hören, eine von ihnen schnarchte leise, eine andere murmelte etwas im Schlaf. Dann raschelte das Stroh einer Matratze, als sich jemand auf seinem Lager herumdrehte. Draußen tropfte irgendwo Wasser. Ein Hund jaulte. Sie konnte auch den Wind hören, der um die Häuserecken strich.
»Elisabeth«, flüsterte sie und lauschte dem Klang des Namens. War sie das wirklich? Von nun an ja, aber wer war sie gewesen, bevor die Finsternis sie umfangen hatte? Gehörte sie hierher oder war ihr ein anderes Leben bestimmt gewesen? Was hatte sie dort herausgerissen? Sie schickte ihre Gedanken auf die Suche nach ihrer Vergangenheit, fand aber nur Leere. Es war, als habe Gott sie in dieser Stunde erst – jungfräulich und nackt – auf die Erde gesandt. War das möglich? Sie wusste es nicht. Und was war dann mit der Erinnerung an das kleine Mädchen und die dicke Frau? Sie hatte von ihrem Vater gesprochen. Es gab dort draußen also eine Familie, die vielleicht in diesem Augenblick nach ihr suchte und sich Sorgen machte, was mit ihr geschehen sei. Ein Vater und vielleicht auch eine Mutter und Geschwister. Oder gar ein Ehemann? Elisabeth lauschte in sich hinein. Eher nicht. So alt war sie sicher noch nicht. Sie legte ihre Hände auf ihren Leib. Wenigstens war sie sich ziemlich sicher, dass sie noch kein Kind geboren hatte. Plötzlich blitzte das Bild eines kleinen Jungen auf, der sie gegen das Schienbein trat und ihr an den Zöpfen zog.
Das blonde Mädchen, das ihn kaum um einen Zoll überragte, schrie auf und schlug ihm ins Gesicht.
»Aua!«
Der Junge blinzelte die Tränen weg und hielt sich die gerötete Wange.
»Du blöde Ziege«, schrie er erbost. Dann wandte er sich um und rannte davon. »Elisabeth ist ein blöde Ziegel«
Das hörte sie ihn noch rufen, ehe das Bild verblasste und der Nebel ihre Erinnerungen wieder verhüllte.
»Ich bin Elisabeth!«, sagte sie leise, dann schlief sie ein.
Ein Kichern nahe ihrem Ohr weckte sie. Dann legte sich eine Hand auf ihre Schulter und schüttelte sie leicht.
»Wach auf! Es ist schon lange Tag. Willst du den ganzen Sonntag verschlafen? Wir waren schon in der Frühmesse. Müßiggang ist eine Sünde, sagt der Pfarrer!«
Die junge Frau hob die Lider und rieb sich die Augen. Fremde Gesichter starrten sie an. Eine Weile brauchte sie, um sich zu erinnern. Richtig, sie war aus der Finsternis geboren worden und in diesem Haus aufgewacht mit all diesen Frauen, die sie Elisabeth genannt hatten. Nein, korrigierte sie, sie war Elisabeth und hatte als Kind ein Kätzchen gehabt und einen Jungen gekannt, der sie an den Zöpfen gezogen hatte! Erleichterung durchflutete sie, dass die Nacht weder das Kätzchen noch den frechen Knaben mit sich genommen hatte. Elisabeth richtete sich auf und lächelte in die Runde.
»Ich bitte um Verzeihung. Ich wollte keine Unannehmlichkeiten bereiten.« Die Frauen lachten.
»Wie sie spricht!«, sagte die Mollige mit dem mausbraunen Haar und presste kichernd die Hand vor den sinnlichen Mund. Sie schien die jüngste der Frauen zu sein.
»Du hast keine Unannehmlichkeiten gemacht. Die Meisterin hat gesagt, wir sollen dich schlafen lassen«, beschwichtigte sie die große Frau mit dem roten Haar und den Sommersprossen.
»Aber jetzt steh auf«, ergänzte die Schwarzhaarige mit den dunklen Augen. Sie schien nicht aus der Gegend zu sein, so wie sie die Worte betonte. Eher weich und singend. Sie streckte Elisabeth einen einfachen, dunklen Rock, den man unter der Brust schnüren konnte, und eine Haube entgegen. »Hier, das hat mir die Meisterin für dich gegeben. Das müsste dir passen. Ich bin übrigens Jeanne.« Sie lächelte und ließ gerade Zähne sehen, in deren Reihe allerdings eine Lücke klaffte. »Der Feuerkopf neben mir heißt Gret, die Kleine mit dem Haar wie Kastanien heißt Mara, unsere Jüngste mit den weichen Formen ist Anna. Die gute Seele, die Gott mit einem Pferdegesicht gestraft hat, heißt Ester. Die Narben hat sie allerdings von ein paar Männern. Und die, die entweder verkniffen oder zornig dreinschaut und uns das Leben hier zur Hölle macht – wenn die Männer es gerade nicht tun – ist Marthe.«
Die Letztgenannte zog Jeanne an den Haaren und zischte: »Halt dein französisches Schandmaul. Man sollte dich dahin zurückschicken, wo du hergekommen bist. Ich warne dich! Fordere nicht meinen Zorn heraus!«
Jeanne schien sich nichts daraus zu machen. Sie schob sich außer Reichweite von Marthes Händen und grinste Elisabeth an. »Da hörst du es! Vor ihr musst du dich in Acht nehmen. Aber nun komm!«
Sie schlug die Decke zurück, zog Elisabeth das Hemd über den Kopf und begann die junge Frau mit warmem Wasser abzuwaschen. Errötend nahm ihr Elisabeth den Lappen aus der Hand. »Danke, das kann ich selbst.« Sie senkte den Blick. Es war ihr unangenehm, dass die Frauen noch immer dastanden und sie anstarrten. Jeanne half ihr, sich mit einem Laken abzutrocknen und das Hemd wieder anzuziehen.
»Darf ich dir das Haar waschen? Es muss wunderschön sein, wenn es erst einmal von dem ganzen Schlamm und Moder befreit ist.«
Elisabeth nickte und ließ es auch zu, dass Jeanne ihr anschließend in den Rock half und ihn unter der Brust zuschnürte. Er war tief ausgeschnitten und hatte nur halblange Ärmel, sodass über der Brust und an den Armen das helle Hemd zu sehen war. Zuletzt band Jeanne ihr eine Haube um das nasse Haar. Inzwischen waren Mara und Anna hinausgegangen und kamen nun mit einem Kessel zurück, den sie auf den Tisch wuchteten. Ester holte Schalen und Becher vom Wandbord. Die Frauen setzten sich um den größeren der beiden Tische, aßen heißen Haferbrei und tranken mit Wasser verdünnten, sauren Wein. Sie lachten und scherzten, sodass die Beklemmung, die Elisabeth in der fremden Umgebung empfand, von ihr abfiel. Vielleicht gehörte sie ja hierher? Vielleicht hatte sie ihre Familie schon vor langer Zeit verloren, und dies war nun ihr Zuhause? Sie ließ den Blick über die Gesichter schweifen. Sie waren alle so freundlich – bis auf Marthe. Fast wie eine liebende Familie. Da machte es ihr auch nichts aus, dass alle sie jetzt kurz Lisa nannten, auch wenn ihr Elisabeth irgendwie vertrauter erschien.
»Was ist? Warum schaust du uns so an?«, wollte Anna wissen.
»Es ist so friedlich hier, dass ich fast glauben könnte, heimgekehrt zu sein. Ich danke euch.«
Die Frauen tauschten Blicke und murmelten unverständliche Worte. Nur Jeanne sah ihr in die Augen. In ihrem Blick lag eine Traurigkeit, die Elisabeth nicht verstand. Sicher hatte das Schicksal ihnen allen eine Bürde auferlegt, die sie jedoch überwunden hatten, denn nun lebten sie hier zusammen, hatten es warm, waren satt und geborgen. Was hatte Ester heute Nacht gesagt? Das Haus hieß wie sie, Elisabeth, und war für zehn Frauen gestiftet worden, die hier Kost und Kleidung bekommen sollten. Die hier wie ein Familie zusammenleben konnten!
Die Frauen hatten den Kessel fast geleert, als die Tür aufging und ein Mann in einer verschlissenen Kutte eintrat.
»Guten Morgen und Gottes Segen, Pater Thibauld«, grüßten die Frauen höflich. Anna kicherte. Der Pater war vielleicht um die fünfzig, hatte nur noch spärlich Haar auf dem Kopf, und sein faltiges Gesicht war mager. Er ließ sich neben Jeanne auf die Bank fallen und nahm dankend den Becher, den Gret ihm hinüberschob. Sie füllte ihn nicht aus dem Krug, von dem die Frauen tranken, sondern holte einen anderen, der auf dem Kaminsims stand. Der Pater trank, rülpste und seufzte erleichtert. Er legte Jeanne den Arm um die Taille und rutschte ein Stück näher. Sein Blick schweifte durch die Runde und blieb dann an Elisabeth hängen.
»Ah, sieh an, ein neues Gesicht«, freute er sich. Er deutete eine Verbeugung an. »Ich bin Vikar Thibauld vom Stift Haug«, sagte er. »Und wie ist dein Name, schönes Kind?« Die junge Frau starrte ihn nur mit offenem Mund an.
»Sie heißt Lisa... äh... eigentlich Elisabeth«, half Gret nach.
»Könnte ich, ich meine, würde sie...« Der Geistliche leckte sich die Lippen, ohne den Blick von ihr zu wenden. Elisabeth rutschte ein Stück von ihm weg. Ein Gefühl von Scham breitete sich in ihr aus, während seine Augen sie ungeniert anstarrten. Die anderen Frauen tauschten unbehagliche Blicke. Erleichterung trat in ihre Gesichter, als sich die Tür ein zweites Mal öffnete und die Meisterin einließ.
»Ach, Ihr, Vikar Thibauld«, grüßte sie den Kirchenmann, ohne sich Mühe zu geben, ihre säuerliche Miene zu verbergen. »Was wollt Ihr schon wieder hier?«
»Ach, ein wenig Ruhe und Entspannung, gute Wirtin. Ich habe heute schon drei Seelenmessen gelesen!«
»Das ist Eure Aufgabe«, gab sie mitleidlos zurück.
»Ja, schon, aber es ist nicht einfach, sein Leben Gott zu widmen. Man muss sich zwischendurch auch ein paar Freuden des Gaumens und des Fleisches gönnen. Sonst verlässt einen die Kraft, Gott zu dienen.« Sein begehrlicher Blick kehrte wieder zu Elisabeth zurück.
»Eselswirtin, ist es möglich – nur für ein Stündchen –, den neuen, blonden Engel zu beglücken?«
»Es ist Sonntag!«, schimpfte Else.
Der Vikar wand sich. »Ja, ich weiß, der Herr hat es verboten – oder zumindest der Bischof«, verbesserte er sich. »Wie können wir wissen, was der Herr im Himmel denkt?«
Die Meisterin stemmte die Hände in die Hüften. »In diesem Fall ist es mir wichtiger, was der Bischof denkt oder der Schultheiß, denn der wird mir auf alle Fälle Ärger bereiten, wenn ich Euch heute in meinem Haus gegen die Gebote des heiligen Feiertags verstoßen lasse! Was glaubt Ihr wohl, was hier los ist, wenn Ihr Euch auf meinem Lager wälzt und der Henker hereinkommt?«
Der Vikar sah sie flehend an. »Bitte, Frau Wirtin. Ich bin auch bereit, mehr als den üblichen Preis zu bezahlen.« Er kramte in seinem Beutel und hielt ihr zwei Münzen entgegen, die verführerisch glänzten. Der Schein des Metalls schien sich in den Augen der Meisterin widerzuspiegeln. Elses größte Schwäche waren Geld und Geschmeide. Ihre Hand schnellte vor und riss dem Gottesmann die Münzen aus der Hand.
»Also gut, aber beeilt Euch. Ihr geht in mein Haus hinüber.«
»Kann ich das blonde Kind...?«
»Nein! Mara, geh du!«
Die zierliche Frau löste ihre Haube und ließ ihr kastanienbraunes Haar über den Rücken wallen, dann erhob sie sich und ging mit wiegenden Hüften auf den Vikar zu. Sie griff nach seiner Hand und zog ihn von der Bank hoch.
»Kommt mit mir, mein guter Pater, Ihr werdet Eure Sünde nicht so schnell bereuen! Und später könnt Ihr ja immer noch beichten.«
Der Vikar warf Elisabeth noch einen bedauernden Blick zu, dann folgte er Mara hinaus. Elisabeth starrte ihnen mit offenem Mund nach. Was ging hier vor sich? War das nicht das Haus einer Gemeinschaft gottesfürchtiger Frauen? So sehr sie sich auch bemühte, ihr fiel keine harmlose Rechtfertigung für das ein, was sie eben gehört und gesehen hatte. In was für einem Haus war sie hier? Sie hob den Blick zu Else, doch die wandte sich ab, statt eine Erklärung zu bieten.
Die Meisterin scheuchte die Frauen, den Tisch abzuwischen und die Schalen auszuspülen. Elisabeth half stumm und mit gesenktem Blick. Sie traute sich nicht, die anderen Frauen zu fragen. Noch ehe sie unter der strengen Aufsicht der Wirtin die schmutzigen Binsen hinausgekehrt und in die Abortgrube geworfen hatten, kam Mara zurück und half dabei, die frischen Binsen zu verteilen. Der Vikar war nirgends zu sehen. Vermutlich war er zum Stift Haug zurückgekehrt. Ein paar Mal war Elisabeth versucht, Mara zu fragen, was zwischen ihr und dem Kirchenmann vorgefallen war, doch sie fürchtete sich zu sehr vor der Antwort. Wie sollte sie ihr in die Augen sehen, wenn sie von solchen Dingen sprach? Dafür beobachtete sie Mara eine Weile verstohlen. Sie schien noch so unbeschwert wie zuvor, lachte und zankte gutmütig mit den anderen. Wie konnte das sein? Die Beklemmung in Elisabeths Brust ließ ein wenig nach. Es musste eine andere Erklärung geben, die ihr nicht die Schamesröte ins Gesicht treiben würde! Ihr fiel nur keine ein. Aber bald schon würden die anderen ihr davon erzählen.
Den Rest des Tages verbrachten die Frauen müßig im Schatten eines Birnbaumes im Gras. Es war ein schöner Frühlingstag. Sie plauderten oder dösten, bis die Meisterin zwei von ihnen rief, die Abendsuppe zu kochen. Als die Dunkelheit herabsank, aßen sie gemeinsam dicken Eintopf von Kohl, Rüben und Zwiebeln mit ein wenig geräucherter Wurst. Dann schickte Else die Frauen ins Bett und nahm die Lampe mit. Elisabeth verbrachte ihre zweite Nacht im Haus der Eselswirtin. Als sie einschlief, fühlte sie sich warm und geborgen, als würde sie hierhergehören. Sie ahnte nicht, wie schnell das Gefühl verfliegen sollte.