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Kapitel 6

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Es war der Tag vor dem feierlichen Begräbnis. Der Leichnam des Pflegers Johann von Wertheim, der ge-rade einmal wenige Wochen das Schicksal des Landes gelenkt hatte, lag aufgebahrt im Dom, wo die Menschen von ihm Abschied nehmen konnten oder auch nur ihre Neugier befriedigen. Er war so jung gewesen, und noch vor ein paar Tagen schien ihm eine glänzende Zukunft sicher. Nein, niemand hätte ahnen können, dass sich das Schicksal so schnell wenden und seine hässliche Fratze zeigen würde.

Wirklich keiner? Wenigstens einen musste es geben, der es nicht nur gewusst, sondern auch geplant und ausgeführt hatte.

Wer hatte die Möglichkeit gehabt, den Wein, das Mus oder den Käse des Pflegers zu vergiften? Denn dass es beim Mahl mit den Schwestern geschehen sein musste, daran bestand kein Zweifel. Wer von ihnen gab nur vor, ein Anhänger und Vertrauensmann des Johann von Wertheim gewesen zu sein? Misstrauische Blicke schweiften unter den Gefolgsleuten umher.

Und noch eine Frage bewegte so manches Gemüt: Wer stand hinter dem Anschlag? Denn dass der Tod die Folge eines persönlichen Racheakts eines der Begleiter gewesen sein sollte, wollte niemand glauben. Nein, hinter diesem Anschlag stand mehr. Und obwohl man noch immer rätselte, wer der gedungene Mörder sein mochte, dauerte es nicht lange, bis man für den Drahtzieher des Ganzen vor allem einen Namen hinter vorgehaltener Hand flüsterte: Bischof Johann II. von Brunn.

Ein paar wenige waren gar so mutig, dies laut auszusprechen, wie Pfarrer Reinhart von Emskirchen. Doch auch ohne solch vereinzelte Ausrufe der Empörung waren sich die meisten in ihrem Stillschweigen einig. Vielleicht war Elisabeth eine der wenigen, die anders über die Sache dachte. Nicht nur, weil Bischof von Brunn ihr Vater war. Nein, es gab da durchaus noch eine andere Person, die sich vom Tod des Pflegers einen Nutzen versprechen konnte.

Was hatte sich der Herr im Himmel nur dabei gedacht, diesen feigen Anschlag zuzulassen?

Elisabeth stand am Fuß der hohen Warte im Hof der Festung und sah sich um. Aufgeregt liefen Mägde, Knechte und Wächter durcheinander. Ritter, Vikare und Kapläne standen in Gruppen beisammen und sprachen in gedämpftem Ton miteinander. Elisabeth konnte die ratlosen Gesichter der Männer sehen, die vor der Basilika standen. Es kam ihr vor, als würde sich die Geschichte wiederholen. Waren in den vergangenen Wochen unter Pfleger von Wertheim endlich ein wenig Ruhe und Alltag auf der Festung und im Land eingekehrt, so musste sich nun jeder wieder fragen, wie es weitergehen und was die Zukunft für ihn bringen würde.

Doch auch die andere Frage schwebte fast wie ein greifbarer Schleier über der Festung: Wer war für diesen feigen Mordanschlag verantwortlich, und was bezweckte der Drahtzieher damit?

Elisabeth hörte sehr wohl den Namen ihres Vaters im Getuschel, doch steckte er wirklich hinter der Tat? Hatte er ihr nicht noch vor wenigen Wochen gesagt, er sei mit seinem beschaulichen Leben auf Burg Zabelstein ganz zufrieden? Würde er auf diese Weise versuchen, nach Würzburg und auf die Festung zurückzukehren?

Eine Stimme ließ sie zusammenfahren. Bildete sie sich das nur ein? Sie hörte die Worte, verstand sie aber nicht, denn ihr Geist war zu sehr vom Klang der tiefen, so verführerisch angenehmen Stimme erfüllt. Es war ihr, als müsse sich ihr Magen umdrehen. Da schnurrte er und wiegte die Menschen in falscher Sicherheit, lullte ihre Wachsamkeit ein, um dann wie eine Viper zuzuschlagen. Elisabeth erstarrte. So war es! Ganz bestimmt. Hatte er es ihr nicht selbst gesagt? Oder zumindest angedeutet? Er war kein Mann, der sich geschlagen gab. Er würde weiterkämpfen. Und warum sollte jemand, der schon einmal zum Mittel des Mordens gegriffen hatte, bei einer zweiten Gelegenheit davor zurückschrecken? Elisabeth spürte, wie Zorn in ihr kochte, der zu Hass aufloderte. Sie reckte sich und trat aus dem Schatten des Turmes, um dem Kirchenmann den Weg zu verstellen.

»Ja, wen haben wir denn da? Dompropst von Grumbach! Nein, ich dürfte nicht überrascht sein, Euch an diesem Tag hier anzutreffen.« Ihre Augen verengten sich in tiefer Abneigung, doch der Propst lächelte sie spöttisch an. Wenn sie nicht bereits zur Genüge die Schwärze seiner Seele kennengelernt hätte, wäre sie vielleicht von seinem Äußeren angetan gewesen. Er war wie stets eine prachtvolle Erscheinung, das Haar dunkel und voll, nur von wenigen Silberfäden durchzogen, die Haut glatt, das Gesicht männlich, doch nicht zu markant, um seine natürliche Harmonie zu verlieren. Und all das zusammen mit dieser warmen, vollen Stimme – es war schwer, seinem Charme nicht zu erliegen. Er verbarg den Abgrund seiner Finsternis noch immer meisterlich, und nur der durchdringende Blick, der ein Frösteln auf der Haut zurückließ, konnte die Ahnung aufkeimen lassen, dass der Dompropst nicht der warmherzige Mann war, für den man ihn leicht halten konnte.

Hans von Grumbach betrachtete sie mit erhobenen Augenbrauen vom Kopf bis zu den Füßen. »Ah, unsere liebe Jungfrau Elisabeth, wenn es mir erlaubt ist, sie so zu nennen – ich werde später für diese Lüge beichten. Nun, was verschafft mir die Ehre, dass Ihr meine Gesellschaft sucht?«

»Eure Gesellschaft suche ich ganz sicher nicht«, zischte sie. »Ihr seid es, der sich frech auf dem Marienberg zeigt. Nun, habt Ihr Euren Hoffnungen nachgeholfen? Seid Ihr gekommen, um in Eurem Triumph zu baden?«

»Mein Triumph?«, gab er ein wenig irritiert zurück, dann lächelte er noch breiter. »Ah, ich verstehe, Ihr versucht mich mit fremden Federn zu schmücken. Das müsst Ihr nicht.«

»Wollt Ihr die Tat leugnen? Und nun tut nicht entsetzt oder behauptet gar, dass Ihr zu so etwas nicht fähig seid. Ihr seid zu allem fähig, um Euer ehrgeiziges Ziel zu erreichen!«

Dompropst von Grumbach lachte. »Ach, ich habe Euch fast ein wenig vermisst, Jungfrau Elisabeth. Ihr seid so feurig, wenn Ihr Euch ereifert, doch auch stets ein wenig blind, das muss ich Euch sagen.«

»Wollt Ihr so dreist sein, Eure Schuld zu leugnen? Ich spreche ja nicht davon, dass Ihr selbst Hand an ihn gelegt habt. Dafür habt Ihr Eure Handlanger.« Sie ließ ihren Blick zu Fritz Hase mit seinem rattengleichen Gesicht wandern, der in einiger Entfernung herumlungerte.

Der Dompropst sah sich kurz um, ob auch niemand ihr Gespräch mithören konnte, ehe er mit gesenkter Stimme fortfuhr: »Ich sage nicht, dass ich nicht einen solchen Auftrag erteilen könnte, wenn ich die Notwendigkeit erkenne.«

»Notwendigkeit!«, fauchte Elisabeth.

»Ja, so könnte man sagen. Und ich will auch nicht leugnen, dass ich diese Möglichkeit durchaus erwogen habe. Doch zu meiner Schande war ich bislang zu unentschlossen. Was den Grund darin haben mag – das gestehe ich jetzt nur ungern vor Euch –, dass ich mir der Mehrheit der Domherren nicht sicher sein kann. Noch nicht! Diese Tat mag in Euren Augen wohl meine Handschrift tragen, und dennoch irrt Ihr Euch. Nein, ich fürchte, Ihr müsst der Wahrheit ins Auge sehen und Euren Blick auf den Zabelstein wenden. Was, offen gesagt, kein Geheimnis ist. Es ist bereits in aller Munde.«

»Auch was in aller Munde ist, kann falsch sein«, entgegnete Elisabeth mit belegter Stimme.

»Ach, fast möchte man Euch Eure Unschuld glauben, würde man es nicht besser wissen, Jungfrau! Seid Ihr so leichtgläubig, so vernarrt oder so dumm, dass Ihr die Wahrheit nicht seht?« Er beugte sich vor, dass sie seinen Atem auf der Wange spüren konnte. »Oder wisst Ihr es im tiefen Innern Eures Herzens, habt aber beschlossen, Euren Hass auf mich allein zu konzentrieren? Das wäre überaus praktisch, denn wohin wollt Ihr gehen, wenn ich hier erst der Herr bin? Da wäre es um ein ruhiges Gewissen schlecht bestellt, wenn Ihr Tag für Tag das Los des dahinsiechenden Bischofs teilen müsst, wo Ihr doch so strenge moralische Grundsätze hegt«, flötete er vergnügt.

»Meine Moral tut hier nichts zur Sache«, verteidigte sich Elisabeth. »Ihr müsst um Euer Seelenheil fürchten. Ihr habt versucht, meinem Vater und mir das Leben zu nehmen, nur um Eure Machtgier zu befriedigen.«

»Ja, und dennoch hat Euer Vater nun etwas getan, was mir sehr zu Streich kommt – wenn auch ein wenig zu früh, doch ich will nicht ungerecht sein.« Der Dompropst zog ein nachdenkliches Gesicht. »Ob ihm das überhaupt bewusst war? Nein, bestimmt nicht. Er mag mich nicht besonders – zu Recht, werdet Ihr sagen.« Elisabeth sog nur scharf die Luft ein. Was konnte man zu so viel Dreistigkeit sagen?

»Ja, er denkt sicher nur an seinen Vorteil und bildet sich vielleicht in der senilen Schwäche seines alternden Geistes ein, nun, da der unliebsame Pfleger aus dem Weg ist, würden Rat und Kapitel ihn wieder in Gnaden als ihren rechtmäßigen Herrscher empfangen.« Dompropst von Grumbach schüttelte den Kopf. »Nein, diese Rechnung wird nicht aufgehen. Aber wisst Ihr, mir kommt da gerade eine Idee, die mir vortrefflich gefällt. Seht Euch nur diese kopflose Herde an.« Er ließ den Blick über den Hof schweifen und machte eine abfällige Handbewegung.

»Womöglich wird es Tage dauern, bis sie den Schock überwunden haben und wieder fähig sind, ihren Geist zu gebrauchen. So lange kann man nichts tun, und ich glaube, ich nutze die Zeit, einen kleinen Besuch abzustatten. Ihr ahnt, wohin es gehen wird? Darf ich Euch einen Platz in meiner Kutsche anbieten und Euch zu einem Besuch bei Eurem Vater mitnehmen? Wie wäre das schön, wenn Ihr ihn ein wenig sanftmütig stimmen und ihm zuraten würdet, meinen Vorschlag anzunehmen, den ich ihm unterbreiten werde.«

Elisabeth schnappte nach Luft und war eine ganze Weile nicht in der Lage, ihm eine Antwort entgegenzuschleudern, so empört war sie über diese Frechheit.

»Ich würde mich eher vom Turm stürzen, als mit Euch auf Reisen zu gehen, und ganz sicher werde ich meinem Vater auch niemals raten, einem von Euren Vorschlägen zuzustimmen, ganz gleich, wie er lautet!«

Seine Augen blitzten belustigt. »Nun, dann kann ich vermutlich nur froh sein, dass Ihr nicht mitkommt und so Euren Vater auch nicht warnen oder gegen mich beeinflussen könnt, nicht wahr?«

Und mit diesen Worten ließ er sie einfach stehen. Erhobenen Hauptes schritt er davon. Sein Diener Fritz Hase folgte ihm. Elisabeth blieb nur, ihm hinterherzustarren und sich zu fragen, ob sie in diesem Duell auch nur einen einzigen Treffer gelandet hatte. Nein, gut sah die Bilanz nicht für sie aus, und sie hatte das ungute Gefühl, als habe man ihr auch den letzten Faden aus der Hand genommen.

Sie sah Albrecht an diesen traurigen Tagen ab und zu aus der Ferne, doch Elisabeth bekam kaum die Möglichkeit, ihm ihr tiefes Bedauern und ihr Mitgefühl wegen des plötzlichen Todes seines Bruders aussprechen zu können. Dabei drängte es sie, ihn in die Arme zu nehmen und zum Trost an ihre Brust zu ziehen, doch nie waren sie unbeobachtet, und so wagte sie es nicht. Er sah so verloren aus, wie er auf der Festung auf und ab ging und sich dann auf sein Pferd schwang, um zu der Versammlung des Kapitels nach Würzburg hinunterzureiten. Noch war er offiziell einer von ihnen, auch wenn er meist bereits wieder in Wams, Beinlingen und Stiefeln gekleidet umherging, statt das lange Gewand eines Domherrn zu tragen. Aber erst das Siegel des päpstlichen Legaten oder eines anderen hohen Würdenträgers in Vertretung des Papstes würde ihn gänzlich aus dem Domkapitel lösen können. So war es nur natürlich und richtig, dass er in diesen Tagen der Trauer sein prächtiges langes Gewand wieder anlegte und sich unter die anderen Domherren mischte, die rasch eine Lösung für das nun führerlose Land finden mussten. Graf Hans von Wertheim, der Vater des ermordeten Pflegers, und sein Bruder Graf Michael reisten mit einigen Gefolgsleuten an und nahmen Quartier auf der Marienfestung.

Der Tag des Begräbnisses kam und verstrich. Noch einige Stunden gönnte sich das Kapitel Zeit für Trauer, dann aber war es Zeit, die Dinge in die Hand zu nehmen. Genauer gesagt, den Mann zu finden, der das Schicksal des Landes in seine Hände nehmen würde.

Dass sie Bischof von Brunn nicht wieder an die Regierung lassen wollten, darüber waren sich alle Domherren einig. Es hatte sie viel Mühe gekostet, ihm die Zügel aus der Hand zu nehmen und ihn mit einer nicht zu großen Abfindung auf den Zabelstein abzuschieben. Sie würden nun nicht zulassen, dass sich die Laus wieder in ihrem Pelz einnistete, um sich an ihnen gütlich zu tun. Nein, wie das laufen würde, hatten sie bereits viele Jahre lang miterlebt. Das bedeutete auf der anderen Seite, sie würden sich auf einen Kandidaten einigen müssen, der die Nachfolge als Pfleger und vielleicht auch als Bischof antreten sollte.

Bis dahin waren sich die Herren des Domkapitels einig, aber genau hier endete diese Eintracht. Die Wogen türmten sich auf. Jeder hatte seine eigenen Vorstellungen und versuchte nun, Anhänger für seinen Plan zu gewinnen. Wobei natürlich keiner von ihnen mit offenen Karten spielte. Es war nie klug, das Blatt zu früh auf den Tisch zu legen. Und so hub ein Schachern und Feilschen an, dem nur zwei der Domherren mit ungewöhnlicher Distanz begegneten und sich still im Hintergrund hielten: Albrecht von Wertheim und Dompropst Hans von Grumbach. Doch während der Propst das Gezänk aufmerksam verfolgte, hing Albrecht seinen Gedanken nach. Das Ganze interessierte ihn nicht, obwohl es das durchaus sollte. Schließlich war auch sein Schicksal untrennbar mit dem des Landes verwoben. Wie sollte es für ihn weitergehen, nun, da er keinen mächtigen Bruder mehr vorweisen konnte, der schützend seine Hand über ihn und seine Braut hielt? Er würde den Segen seines Vaters erlangen müssen, doch das schien ihm ähnlich unmöglich, wie seinen Bruder aus dem Reich des Todes zurückzuholen. Gleich nach dieser Zusammenkunft würde er mit dem Grafen sprechen. Hans von Wertheim hatte seinen Sohn zu sich beordert. Albrecht zog eine Grimasse. Nein, auf diese Unterredung freute er sich nicht gerade. Obwohl er sich nicht vorstellen konnte, was sein Vater mit ihm besprechen wollte. Das jedenfalls, was er dem Vater zu sagen hatte, würde diesem überhaupt nicht schmecken!

»Ihr habt mich rufen lassen, Vater?«

Albrecht hörte selbst, wie steif und unnatürlich die Worte klangen, aber genau so fühlte er sich, wie er so in der Tür stand, die Kappe mit der langen Feder in den Händen. Sein Vater saß aufrecht in einem gepolsterten Scherenstuhl am Feuer, das nun, da der Herbsttag sich neigte, in jeder der besseren Gästestuben des Bischofspalastes entzündet worden war.

Hans von Wertheim sah auf. »Ja, komm herein und setz dich. Nimm dir den Stuhl dort, und schieb ihn ans Feuer. Es ist heute unangenehm feucht, und der Wind dringt kalt durch jede Ritze.«

Albrecht gehorchte, auch wenn er lieber stehen geblieben wäre. »Was gibt es?«, fragte er, als er sich gesetzt hatte, doch statt zur Sache zu kommen, sah sein Vater ihn lange aufmerksam an.

»Du siehst nicht gut aus. Blass bist du und abgehärmt wie diese Asketen in den Einsiedeleien. Ich dachte stets, ein Domherr führe ein annehmliches Leben.«

»Es ist nicht unangenehm«, wich Albrecht aus.

Der Vater nickte langsam. »Ich weiß, der Tod deines Bruders geht dir nahe.«

»Ja, so ist es«, gab Albrecht ein wenig steif zurück.

»Mir auch«, sagte der Vater mit einem Seufzer. »Und ihn dann auch noch auf diese Weise zu verlieren. Bei einem Ritter muss man jederzeit mit seinem Tod rechnen. Es gehört mit zu seinem Handwerk, und jeder Kriegszug, ja, jede Fehde bringt ihn in Gefahr. Bei einem Kirchenmann dagegen sollte man meinen, er könnte zu Ruhm und zu hohem Alter gelangen. Wie wurden wir getäuscht! Dein Bruder ist tot und mit ihm unsere großen Pläne.«

Albrecht machte eine ungeduldige Handbewegung. »Das Zweite ist nicht so wichtig. Die Grafen von Wertheim kamen stets gut zurecht, auch ohne einen Bischof in der Familie.«

Sein Vater runzelte unwillig die Stirn. »Was ist das für ein unsinniges Gerede? Es geht nicht darum, ob wir überleben. Es geht darum, die Familie voranzubringen, und dabei war dein Bruder auf dem besten Weg. Noch war er nur Pfleger, doch schon bald wäre er Bischof und Landesfürst geworden!«

Albrecht hob die Schultern. »Es ist nicht mehr zu ändern. Das Schicksal hat gegen uns entschieden.«

»Nein, ganz so ist es nicht. Wir können zwar am Tod deines Bruders nichts mehr ändern, doch noch müssen wir uns mit unseren hohen Plänen nicht geschlagen geben.«

Albrecht wich ein Stück in seinem Stuhl zurück, bis die hölzerne Lehne ihm in den Rücken drückte. »Wie meint Ihr das, Vater?«, fragte er, obwohl er die Antwort ahnte.

»Du willst es aus meinem Mund hören? Gut! Das Kapitel hat sich schon einmal darauf geeinigt, einen Domherrn von Wertheim zum Pfleger zu ernennen. Dein Bruder hat sein Amt gewissenhaft ausgefüllt und bereits viel auf den Weg gebracht. Ist es da nicht recht und gut, wenn du als sein Bruder das Werk fortführst, das er begonnen hat?«

Albrecht sprang auf. »Nein, das geht nicht!«

»Setz dich hin! Was soll dieser Aufschrei, als habe ich ein schreckliches Opfer von dir verlangt?«

Kraftlos ließ sich Albrecht wieder auf seinen Stuhl sinken. Ihm war es vor dem Feuer plötzlich viel zu heiß, doch er blieb, wo er war, obgleich sich auf seiner Stirn Schweißperlen bildeten. Vermutlich waren sie jedoch nicht auf die Flammen im Kamin zurückzuführen. Sein Ansinnen war plötzlich noch unmöglicher, als es ihm bereits zuvor erschienen war.

»Vater, sie werden mich nicht wählen«, widersprach er schwach. »Ich bin zu jung, gerade erst zu ihnen gestoßen, und außerdem habe ich bereits entschieden, in den Ritterstand zurückzukehren.«

Der Vater wischte den Einwand beiseite. »Diese Entscheidung wurde in einer anderen Situation getroffen, als dein Bruder noch lebte, und außerdem bist du noch nicht wieder aus dem geistlichen Stand entbunden. Das wird nicht schwer zu regeln sein. Bleibt also nur noch zu überlegen, wie wir die anderen Domherren überzeugen, dich zu Johanns Nachfolger zu erklären. Lass mich nur machen. Wir haben das bei Johann hinbekommen, das schaffen wir auch bei dir.«

Albrecht sprang auf. »Nein! Ihr könnt Euch die Mühe sparen. Ich werde weder Pfleger noch Bischof. Ich werde in den Ritterstand zurückkehren und eine Familie gründen, die den stolzen Namen von Wertheim fortführen wird.«

Sein Vater sah ihn verblüfft an. »Darüber haben wir einmal gesprochen, ja, aber die Situation hat sich geändert. Wir haben für deinen Bruder Georg bereits eine Braut ausgewählt, die uns die Erben unseres Namens gebären wird. Es ist für uns alle das Beste, wenn du dich um das Amt des Bischofs bemühst.«

»Für Euch vielleicht, aber nicht für mich«, widersprach Albrecht leise. »Und nicht für meine Braut, der ich mich versprochen habe. Ihr könnt nicht verlangen, dass ich den Schwur breche!«

Noch wirkte der Vater mehr irritiert denn erzürnt. »Von wem redest du? Wir haben dich keiner versprochen.«

»Nein, Ihr nicht. Ich selbst habe Elisabeth, der Tochter Bischof Johanns von Brunn, meinen Schwur geleistet. Sie hat ihr Leben in meine Hände gelegt, und ich werde ihr Vertrauen nicht enttäuschen.«

»Elisabeth, ach ja«, wiederholte der Vater. »Ich weiß, dass er sie in deine Obhut gab, als sie noch ein Kind war und du ein Jüngling, doch daraus erwachsen keine weiteren Verpflichtungen! Vergiss es, mein Sohn.«

»Es war mehr als das, und das wisst Ihr auch«, rief Albrecht erregt aus. »Ich erinnere mich genau, mit Euch darüber gesprochen zu haben, und Ihr habt es mit Wohlwollen betrachtet; leugnet das nicht!«

Nun erhob auch der Vater die Stimme. »Ja, das war zu einer Zeit, da ihr Vater hier als Bischof noch das Sagen hatte und nicht sparsam mit Gold und Pfründen in seiner Verwandtschaft umging. Das kannst du nicht vergleichen, und das weißt du genau, denn ich habe keinen Dummkopf großgezogen. Heute ist sie nur noch der Bankert eines alten, machtlosen Kirchenmannes, und selbst wenn ich dich nicht auf dem großen Weg des Pflegers und des Fürstbischofs sehen würde, wäre Elisabeth ganz sicher nicht die Braut, die du heimführen würdest.«

Albrecht trat vor den Grafen. Er versuchte seiner Stimme einen ruhigen, festen Klang zu geben. »Bei allem Respekt, der Euch gebührt, Vater: Ich bin kein Kind mehr, dem Ihr befehlen könnt. Ich bin ein Mann, ein ehrenhafter Ritter, und ich werde meine eigenen Entscheidungen treffen, die Ihr annehmen müsst. Ich hoffe, wir werden uns nicht darüber entzweien; dennoch sage ich Euch, mein Entschluss steht fest: Ich werde Elisabeth heiraten. Es tut mir leid, doch ich stehe für Eure hohen Pläne nicht zur Verfügung.«

Er nutzte das Schweigen des Vaters, der sich erst von seiner Verblüffung erholen musste, ehe er seinem Zorn freien Lauf lassen würde, um das Gemach zu verlassen und die Treppe hinunterzufliehen.

Das Antlitz der Ehre

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