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Kapitel 1

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Die Räder der Kutsche rumpelten den unebenen Karrenweg entlang und ließen das prächtige Gefährt von einer Seite auf die andere schwanken. Obwohl sie vierspännig fuhren, kam die Kutsche nur langsam voran.

»Sind wir immer noch nicht da?«, stöhnte eine der beiden Frauen, die sich in der Kutsche auf den wohl gepolsterten Bänken gegenübersaßen. »Ich kann die Stunden nicht mehr zählen, die wir nun schon durchgerüttelt werden. Was ist das nur für ein Einfall, bei diesem Wetter solch eine lange Fahrt zu machen! Ich weiß zwar noch, dass eine Reise über die Landstraße eine arge Plage ist, nur hätte ich mir nicht träumen lassen, dass es in solch einer noblen Kutsche fast noch schlimmer ist, als zu Fuß über Stock und Stein zu gehen.«

Die Miene der Frau gegenüber schwankte zwischen Ärger und Amüsement.

»Urteilst du nicht ein wenig hart, liebe Jeanne? Vielleicht trügt dich da deine Erinnerung.«

Jeanne wollte etwas erwidern, doch stattdessen stieß sie einen Schrei aus, als das linke Vorderrad unvermittelt in eine Mulde sackte und die Kutsche sich zur Seite neigte. Ihr Knie stieß hart gegen das ihrer Gefährtin, ehe sie das Gleichgewicht wiederfinden konnte und in ihre Ecke zurückrutschte.

»Oh, das tut mir leid! Entschuldige, Elisabeth, das lag nicht in meiner Absicht.«

»Ich weiß, Jeanne. Es ist nichts passiert«, beschwichtigte sie die andere, auch wenn sie sich ihr Knie rieb und das Gesicht vor Schmerz verzog. Elisabeth schob den Vorhang beiseite und spähte hinaus.

»Ich kann nur Bäume nach allen Seiten ausmachen, aber der Weg steigt nun immer steiler an. Ich denke, wir haben die Burg bald erreicht.«

Als der Weg sich wieder abflachte, traten die Bäume zurück, und das späte Licht des Tages drang in die Kutsche. Elisabeth beugte sich ein wenig vor. Sie fuhren nun einen Höhenrücken entlang, dessen grasgrüne Oberfläche nur durch ein wenig Buschwerk unterbrochen wurde. Die Bäume, die hier früher einmal dicht an dicht in den Himmel geragt hatten, waren längst abgeschlagen worden. Einige der Baumstümpfe moderten noch vor sich hin.

Es war nicht nur die Folge des Bedarfs der Burg an Bauholz und Brennmaterial. Man war stets darauf bedacht, gute Sicht auf das umliegende Gelände zu behalten und einem möglichen Feind jede Deckung zu nehmen.

»Dort ist sie!«, rief Elisabeth und deutete nach vorn. »Ich kann den Bergfried sehen und die Ringmauer mit dem Torturm.«

Jeanne drängte sich neben sie ans Fenster. Je näher sie kamen, desto mehr Einzelheiten konnten die Frauen ausmachen. Die Französin nickte anerkennend.

»Das ist eine ordentliche Burg. Nicht so groß wie Unser Frauenberg, aber vielleicht ebenso gut gesichert. Sieh dir nur die beiden Ringmauern und die vielen Türme an.«

Die beiden Bewaffneten, die bis dahin hinter der Kutsche hergeritten waren, überholten sie nun und sprengten davon, um ihre Ankunft zu melden, damit die Brücke herabgelassen und das Tor geöffnet sein würde, wenn die Kutsche ihr Ziel erreichte.

»Ob es klug ist, dem Bischof eine solche Festung zu überlassen?«, fügte Jeanne nachdenklich hinzu.

Elisabeth wiegte den Kopf. »Ja, ich weiß nicht, ob er den Palas bequem und geräumig genug findet.«

Jeanne schnaubte undamenhaft durch die Nase. »Das habe ich nicht gemeint!«

»Ich weiß, was du gemeint hast, aber ich möchte keine weiteren Verleumdungen gegen den Bischof hören. Er hat eingesehen, dass seine Regierung dem Land schadet, und übergab deshalb alle politischen Geschäfte dem Pfleger von Wertheim. Das ist eine großmütige Tat, Würzburg und den Marienberg zu verlassen und sich hier in den dichten Wäldern auf den Zabelstein zurückzuziehen.«

»Ob das aus Einsicht herrührt? Ich dachte eher, das Kapitel und der fränkische Adel mussten ihn zu diesem Schritt zwingen«, murmelte das Kammermädchen.

Elisabeth runzelte die Stirn. »Du scheinst zu vergessen, dass er mein Vater ist.«

Jeanne lehnte sich wieder in die Polster der prächtigen Bischofskutsche zurück. »Nein, ich habe es nicht vergessen. Wie sollte ich? Müsste ich sonst nicht noch immer bei der Eselswirtin leben und den Männern Nacht für Nacht zu Diensten sein? Nur weil du seine Tochter bist, konntest du mich und Gret freikaufen.«

Elisabeth legte ihre Hand auf das Knie der früheren Dirne. »Denk nicht zurück. Vergiss die Zeit am besten.«

»Wie sollte ich?«, widersprach das Kammermädchen. »Kannst du einfach vergessen und den Träumen und Erinnerungen befehlen?«

Die Herrin seufzte. »Nein, das kann ich nicht. Bei Tage geht es recht gut, doch ich fürchte noch immer die Nächte.«

Jeanne nickte. »Ich weiß. Du sprichst oft im Schlaf. Von Else redest du und den anderen Frauen und von Meister Thürner, unserem Henker. Vergangene Nacht hast du von einem Ritter von Thann geredet.«

Fast ein Jahr hatte Elisabeth das Leben der Frauen in Elses Haus geteilt, nicht wissend, wer sie war und woher sie kam. Und auch nicht, woher der Schlag auf den Kopf gekommen war, der sie für so lange Zeit ihres Gedächtnisses beraubt hatte, bis die Erinnerungen endlich zurückkehrten.

Elisabeth zog eine Grimasse. »Ja, so manches verfolgt mich, auch wenn ich immer wieder erstaunt feststelle, dass nicht alle Erinnerungen an diese Zeit schlecht sind. Manches Mal ist es fast so, als würde ich die anderen Frauen vermissen.«

Jeanne lächelte. »Dass selbst du das sagst, die in einem Frauenhaus nichts verloren hatte! Nicht wie wir anderen. Es war unser Schicksal, dass unser Weg uns in Elses Haus brachte.«

»Nichts im Frauenhaus verloren?«, wiederholte Elisabeth, und ihre Stimme klang bitter. »Nein, nicht im Frauenhaus. Verloren habe ich mein Gedächtnis und damit meine Vergangenheit auf der Marienfestung durch den heimtückischen Anschlag der Männer, die meinem Vater ans Leben wollten.«

»Die beiden Ritter sind tot, und alles ist jetzt wieder gut«, beschwichtigte Jeanne die Freundin, die nun auch ihre Herrin war.

»Alles?«, sagte Elisabeth zweifelnd und richtete ihren Blick wieder auf die Burg vor sich, deren Mauern nun über ihnen aufragten und ihre Schatten über die Ostflanke warfen, die wie die Hänge im Norden und Westen steil abfiel. Nur nach Südosten war der Berg über einen mäßig ansteigenden Grat mit Pferd und Wagen zu erreichen. Hier sicherte ein tiefer Graben mit Türmen, Tor und Ziehbrücke den Zugang.

Die Räder des Wagens rumpelten über die Planken, und die Frauen erhaschten einen Blick in den von Unrat und Morast bedeckten Graben, ehe die Mauern sie umschlossen. Für einen Augenblick schwebten die Spitzen eines aufgezogenen Fallgitters über den Pferden und der Kutsche, dann fuhren die Reisenden in den Hof ein. Der Ruf des Kutschers ertönte, und die vier kräftigen Braunen kamen zum Stehen. Kurz darauf wurde der Wagenschlag aufgerissen, und der Kutscher half Elisabeth beim Aussteigen. Jeanne raffte ihre Röcke und kletterte hinterher. Staunend sah sie sich um.

»Bleib du bei unseren Kisten und sieh, wohin man sie bringt. Ich weiß nicht, wo unser Gemach sein wird«, wies Elisabeth sie an. Jeanne knickste und senkte den Blick.

»Jawohl, Herrin, wie Ihr wünscht«, sagte sie artig, wie sie es immer tat, wenn die beiden Frauen nicht alleine waren. Elisabeth fand zwar, dass sie es ein wenig übertrieb, Jeanne aber blieb dabei. Ob das Verhältnis zwischen Herrin und Kammermädchen so ihren Vorstellungen entsprach oder ob sie es sich irgendwo abgesehen hatte, wusste Elisabeth nicht. Und vielleicht war es ja ganz gut so, dass Jeanne darauf achtete, dass sie sich unter den scharfen Augen ihrer Umgebung so verhielten, wie man es von ihnen erwarten durfte. Ein zu vertraulicher Umgang mit ihren Mägden wäre ihrem eh schon ein wenig angeschlagenen Ruf vielleicht abträglich gewesen. Also erwiderte Elisabeth die Worte nur mit einem knappen Nicken und ließ Jeanne bei ihrem Gepäck zurück, während sie selbst dem Diener folgte, der sie die Stufen zum Palas hinauf und zu ihrem Vater brachte, dem von seinen Regierungsgeschäften abgesetzten Würzburger Fürstbischof Johann II. von Brunn.

»Sieht sie nicht ganz wunderbar aus, die Jungfrau Elisabeth, Eure liebreizende Tochter, verehrter Herr... ah... ich meine natürlich Eure bischöfliche Gnaden.«

Wieder einmal spürte Elisabeth den Drang, sich unter dem spöttischen Blick des Hofnarren zu ducken, doch sie unterdrückte ihn und richtete sich stattdessen noch ein wenig stolzer in ihrem Scherenstuhl auf.

Friedlein war für einen Mann ein wenig klein gewachsen, gar einige Zoll kleiner als Elisabeth, dafür von kräftigerem Körperbau. Sein linkes Bein war ein wenig kürzer als das andere und zwang ihn zu einem hinkenden Gang, sein Gesicht, das von dunklem, fast schwarzem Haar umrahmt wurde, wirkte irgendwie schief. Die grünen Augen dagegen sahen hell und klar in die Welt und sandten einen solch intensiven Blick aus, dass man ihm nur schwer standhalten konnte.

Er war ein intelligenter Mann, wortgewandt und voller Scharfsinn, wenn es darum ging, die politische Lage einzuschätzen. Vielleicht hatten seine körperlichen Mängel ihm den Posten als Berater eines Fürsten verwehrt, sodass er ins Narrengewand schlüpfte, um seine Meinung kundtun zu können und auch gehört zu werden. Bischof Johann jedenfalls schätzte die Ansichten seines Hofnarren, der von jeher mehr Ratgeber denn Possenreißer gewesen war.

Elisabeths Gefühle dem Mann gegenüber waren gemischt. Sie achtete seinen klugen Geist, fürchtete sich aber ein wenig vor seiner scharfen Zunge, denn einen Vorteil hatte der Posten des Narren für Friedlein allemal: Er durfte viel mehr aussprechen, ohne die Entlassung oder eine Strafe befürchten zu müssen, als andere Berater. Eine scharfe Zunge war bei einem Hofnarren geschätzt, bei Ratgebern nur selten. Und gerade deshalb fühlte sich Elisabeth, seit sie die Schande ihrer Zeit im Frauenhaus mit sich trug, in seiner Gegenwart unwohl. Bildete sie sich das nur ein oder legte er eine besondere Betonung auf das Wort Jungfrau?

Er konnte um ihr Geheimnis nicht wissen. Ihr Vater würde nicht über diese Schmach sprechen, nicht einmal mit dem von ihm so hochgeschätzten Friedlein. Das hoffte sie zumindest. Vielleicht bezog sich der Spott ja auch auf den jungen Domherrn Albrecht von Wertheim, der für sie bereit war, der kirchlichen Laufbahn, die er eben erst begonnen hatte, wieder zu entsagen. Dachte der Narr, sie habe seinem Werben bereits zu weit nachgegeben?

Nun, diese Vermutung war für sie weniger gefährlich, als wenn er in ihrer Vergangenheit kramen und das Jahr, das sie angeblich im Kloster verbracht hatte (wie die offizielle Erklärung ihres Verschwindens lautete), näher untersuchen würde.

»Ja, meine Tochter sieht prächtig aus, Friedlein«, bestätigte Johann von Brunn mit Stolz. »Komm her, meine Liebe. Es ist schön, dass du dich doch noch besonnen hast, das schwere Los, das man mir aufgebürdet hat, mit mir zu teilen.«

Elisabeth schüttelte den Kopf. »Nein, Vater.« Die Anrede schmeckte noch immer ein wenig seltsam, obgleich sie früher als Kind keine Schwierigkeiten damit gehabt hatte. »Ich komme nur, um nach Euch zu sehen und mich davon zu überzeugen, dass Ihr Euch wohl befindet.«

»Und dann? Wirst du sogleich zu Unser Frauenberg zurückkehren?« In seinem Tonfall schwang die Kränkung mit.

»Ja«, antwortete sie nur. Er wusste von ihren Plänen. Warum sie noch einmal aussprechen? Der Hofnarr schien allerdings nichts dabei zu finden, die Wunde noch einmal aufzureißen.

»Sie wird den jungen Domherrn Albrecht von Wertheim ehelichen, wenn er kein Domherr mehr ist, sondern wieder Ritter. Nicht mehr Euer Ritter natürlich, Exzellenz. Nein, ich vermute, eher der seines Bruders, des Pflegers Johann von Wertheim, der Euch als Bischof folgen wird, wenn Ihr – wie von vielen bereits sehnsüchtig erwartet – bald für immer die Augen schließt.«

Elisabeth zuckte zusammen und warf ihrem Vater einen Blick zu. Der schien sich nicht wirklich zu ärgern, obwohl er einen leeren Zinnbecher ergriff und nach seinem Hofnarren warf, der diesem jedoch geschickt auswich. Der Becher prallte gegen die Wand und blieb verbeult am Boden liegen.

»Vater, ich liebe Albrecht«, sagte Elisabeth. Sie ignorierte Friedlein, der spöttisch »Oh, die Liebe! Welch starke, himmlische Macht« murmelte.

»Steht es nicht schon in der Bibel, dass die Tochter ihr Vaterhaus verlassen und ihrem Gatten nachfolgen wird?«

»Du hast ja recht, meine Liebe, dennoch hätte ich dich gerne um mich. Geradina ist erst seit einer Woche hier, und ich muss gestehen, sie geht mir jetzt schon auf die Nerven.«

Elisabeth erwiderte nichts. Was sie über die jüngste einer ganzen Reihe von Mätressen des Bischofs dachte, behielt sie lieber für sich. Dass sich ihr Vater mit seinen mehr als siebzig Lebensjahren überhaupt noch mit Mätressen umgab, konnte ihr nicht gefallen, selbst wenn er nicht Bischof gewesen wäre. So schwieg sie lieber und ergriff die ihr entgegengestreckte Hand, um einen Kuss auf den Ring zu hauchen. Er war mit einem wertvollen Edelstein geschmückt, zeigte aber nicht das Siegel des Würzburger Fürstbischofs. Natürlich, das Siegel hatte der Vater in die Hände des Pflegers legen müssen, der nun die Regierungsgeschäfte für ihn übernahm, um das Land aus seinen zerstörerischen Fehden zu führen und vor allem von der drückenden Schuldenlast zu befreien, an der Johanns leichtfertige Lebensweise maßgeblich Schuld trug.

Ja, seine verschwenderische Hofhaltung und seine Schwäche für Mätressen musste sie ihm zur Last legen, und dennoch sah sie ihn mit gemischten Gefühlen entmachtet im Saal der Burg sitzen, die die Domherren ihm für seine letzten Jahre bis zu seinem Tod zugewiesen hatten. Bis es so weit sein würde, durfte er sich noch Bischof nennen. Das zumindest hatten sie ihm nicht genommen. Zu Elisabeths Überraschung schien ihr Vater recht guter Dinge zu sein und sich über den Verlust seiner Macht nicht zu grämen, abgesehen davon, dass er betonte, mit den wenigen Gulden, die das Kapitel ihm zubilligte, nicht weit zu kommen.

»So schlimm steht es doch gar nicht«, widersprach Elisabeth. »Ihr habt die Burg Zabelstein und Schloss Aschach mit allen Gütern und Einkünften zugesprochen bekommen und dreitausend Gulden jährliche Leibding.«

Der Bischof seufzte, sein Narr aber lachte.

»Dreitausend? Was sind dreitausend Gulden, wenn man einen fürstlichen Hof führen will?«

Elisabeth dachte an die wenigen Pfennige, die ein Handwerker am Tag verdiente, ja, und an die Münzen, die sie sich im Frauenhaus so schwer hatte verdienen müssen. Dreitausend Gulden! Es war für sie fast unvorstellbar, dass man in einem Jahr so viel Geld ausgeben konnte. Und dennoch hatte auch sie früher leichtfertig in die Schatulle des Vaters gegriffen, um sich teure Gewänder nähen zu lassen, Geschmeide anzufertigen oder die wundervollen Pferde zu kaufen, die sie so gerne ritt. War es nicht scheinheilig, wenn sie, die Tochter der Sünde, ihm Vorhaltungen machte?

Vielleicht ahnte der Bischof ihre Gedanken, denn er erhob sich schwerfällig aus seinem tiefen Polsterstuhl.

»Du darfst dich nun zurückziehen, meine Tochter, und ein Gewand anlegen, das meine Sinne erfreut. Ich werde nach dem Küchenmeister rufen lassen und ihm auftragen, eine besonders reiche Tafel zur Feier des Tages zu richten.«

Elisabeth erhob sich ebenfalls. »Das ist nicht nötig, Vater. Ich esse nicht viel. Ein leichtes Mahl wird mir genügen.«

»Das waren die falschen Worte«, tadelte der Hofnarr, dem die finstere Miene des Bischofs ebenfalls nicht entgangen sein konnte. »Wisst Ihr denn nicht mehr, dass es nur wenige Dinge gibt, die Seiner Exzellenz mehr Vergnügen bereiten als eine wohl gedeckte Tafel, die sich unter der Last der Speisen zu biegen scheint? Wobei der Wein natürlich nicht fehlen darf. Nein, wenn ich nachdenke, fällt mir nicht viel anderes ein, das ihm ein heiteres Gemüt und ein strahlendes Antlitz bereitet – und das, was mir sonst noch in den Sinn kommt, wäre in diesem Rahmen nicht anständig zu erwähnen«, fügte er mit einem unverschämten Grinsen an. »Ja, Essen und Trinken ist die Lust der späten Jahre, denn die Zeiten, da der Herr verwegen zur Jagd geritten ist und bei seinen Turnieren sich am liebsten selbst in den Sattel geschwungen hat, sind wohl vorbei.«

»Ich bin noch immer ein guter Reiter!«, widersprach der Bischof.

»Aber ja, Herr, keiner macht im Sattel eine so gute Figur wie Seine Exzellenz«, sagte Friedlein mit Spott in der Stimme, sodass der Bischof vermutlich erwog, noch einen Becher nach seinem Narren zu werfen. Er entschied sich dagegen, rief stattdessen einen Diener und verabschiedete Elisabeth mit freundlichen Worten.

»Wie schön, dass ihr wohlbehalten zurück seid!«, schallte es ihnen entgegen, als Elisabeth und Jeanne einige Tage später vom Zabelstein nach Würzburg zurückkehrten.

Eine burschikos wirkende Frau mit flammend rotem Haar, von dem einige Strähnen unter ihrer Haube hervorlugten, eilte mit ausgebreiteten Armen auf die Kutsche zu und schloss dann Jeanne in die Arme, dass deren Rippen knackten und sie vor Empörung aufschrie. Elisabeth schenkte sie nur ein Lächeln und ein Kopfnicken. Sie hier im Hof der Festung Marienberg zu umarmen wäre unschicklich gewesen.

»Ich grüße dich, Gret«, erwiderte Jeanne, als sie wieder zu Luft kam. »Du hast dich doch nicht etwa um uns gesorgt? Dass wir in die Hände von Strauchdieben gefallen sind oder in die eines der unzähligen Ritter, die der Bischof erzürnt hat und die ihm deswegen den Fehdebrief geschickt haben?« Sie zwinkerte vergnügt.

Gret winkte ab. »Aber nein, warum sollte ich mir um dich Sorgen machen? Unkraut vergeht nicht.« Jeanne stieß einen Ruf der Empörung aus und knuffte Gret am Oberarm. Doch die Küchenmagd sprach weiter, als sei nichts geschehen.

»Nein – wenn, dann galt meine Sorge unserer zarten Elisabeth.«

Diese zog eine Grimasse. »Zart? Ich glaube, die Zeiten sind schon lange vorbei. Aber danke, dass du dich gesorgt hast. Bist du zur Messe gegangen und hast für unsere sichere Rückkehr gebetet? Hast gar eine Kerze für uns gestiftet?«, fügte sie neckend hinzu.

Gret grinste und schüttelte den Kopf. »Nein, so weit bin ich nicht gegangen. Obwohl sich hier auf dem Marienberg einiges geändert hat, seit Pfleger Johann das Zepter schwingt. Die Kapläne lesen regelmäßig die Messe, und es geht sogar manch einer hin, um zuzuhören. Und auch der Pfleger selbst ist ungewöhnlich häufig in der Kirche anzutreffen.«

»Im Gegensatz zu Bischof von Brunn früher«, ergänzte Jeanne, brach dann aber ab, als Elisabeth das Gesicht verzog.

»Entschuldige bitte, ich wollte nichts Schlechtes über deinen Vater sagen.«

»Was wahr ist, darf man auch sagen«, widersprach Gret.

Elisabeth nickte. »Es entspricht leider der Wahrheit, dass der Bischof viele Jahre seine seelsorgerischen Pflichten arg vernachlässigt und selbst seine eigene Kirche hier auf der Burg nur selten betreten hat«, gab Elisabeth zu, doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit von jemandem in Anspruch genommen, der oben auf den Stufen erschien, die zum großen Festsaal und zu den Gemächern der Fürstbischöfe im alten Palas führten.

Elisabeth merkte selber, wie sich ein Strahlen über ihrem Gesicht ausbreitete. Gret stieß Jeanne in die Rippen, und die beiden tauschten Blicke.

»Albrecht!« Sie war ihm die ersten Schritte bereits entgegengeeilt, als sie sich der beiden Freundinnen erinnerte, die noch immer neben der Kutsche standen.

»Ihr verzeiht?«

Die beiden lächelten. »Aber ja, gnädiges Fräulein«, sagte Gret mit warmer Stimme. »Geh du nur zu deinem Liebsten. Musst du da erst deine Mägde um Erlaubnis fragen?«

»Nein, das nicht, aber es ist nicht höflich, einfach so davonzulaufen.«

Gret verbeugte sich. »Dann danken wir für die höfliche Rücksicht. Und nun mach, dass du fortkommst!«

Doch statt dem Drängen zu folgen, ihm entgegenzulaufen, raffte Elisabeth den Saum ihres langen Reisekleides nur einige Zoll und ging, wie es sich gehörte, gemessenen Schrittes auf ihn zu. Albrecht kam ihr entgegen, und obgleich er heute wieder das lange Gewand der Domherren trug und nicht wenige Leute im Hof unterwegs waren, umarmte er sie kurz, als sie endlich vor ihm stand. Dass er sie gerne auch geküsst hätte, konnte sie in seiner Miene lesen. So weit ließ er sich jedoch nicht treiben.

»Ich habe sehnsüchtig die Tage gezählt, bis du endlich wieder da bist«, sagte er überschwänglich, obwohl sie kaum mehr als eine Woche auf dem Zabelstein geweilt hatte. »Komm, lass uns ein paar Schritte spazieren gehen, und berichte mir, wie es dir ergangen ist.«

Elisabeth willigte gerne ein. Es war für sie die einzige Möglichkeit, alleine miteinander zu sprechen, ohne Anstoß zu erregen. Im großen Saal war immer ein Kommen und Gehen. Ungestört würden sie dort nicht sein. Sich ohne Begleitung in ein Gemach zurückzuziehen kam gar nicht infrage. Das hätte zu Recht Anlass zu Gerede gegeben. Nicht, dass man es hier auf der Bischofsburg unter Johann von Brunn mit der Moral besonders genau genommen hätte. Aber gerade die über Jahre hinweg üblichen Ausschweifungen würden den Schluss nahelegen, dass es mit Elisabeths Moral ebenfalls nicht weit her sei. Und das konnten weder Albrecht noch Elisabeth wünschen. Lag nicht schon allein durch ihre uneheliche Geburt ein unauslöschlicher Schatten auf ihr? Ein Schatten, den die Menschen gern zu übersehen bereit waren, solange es sich bei dem Vater um einen hochadeligen und mächtigen Mann handelte!

Sie schritten zwischen dem Gewirr kleiner, aus Holz errichteter Häuser hindurch, das den Innenhof der Festung weitgehend ausfüllte, vorbei an der Basilika und der hohen Warte, die sich weithin sichtbar aus der Mitte des Hofes erhob. Die Wächter verbeugten sich höflich, als sie das innere Tor und die vorgelagerte Barbakane zur Vorburg durchschritten. Für einige Augenblicke blieben sie an der Pferdeschwemme stehen, durch die zwei Knechte gerade die prächtigen Rappen trieben, die der Bischof erst vor einigen Wochen erstanden hatte. Nun gehörten sie zum Besitz der Festung und wurden von Albrechts Bruder verwaltet, wie er sagte. Vielleicht würde er sie verkaufen. War nicht jeder Gulden in dieser misslichen Lage, in der sich das Bistum befand, wichtig?

Elisabeth versuchte, keinen Groll zu empfinden. Diese schönen Pferde standen weder ihr noch ihrem Vater zu. Rasch wandte sie sich ab und folgte Albrecht durch das äußere Tor. Als sie von den Wachen nicht mehr gesehen werden konnten, blieben sie stehen. Albrecht wandte sich ihr zu. Seine Hände verharrten einen Moment reglos in der Luft. Erst als sie seine lautlose Frage mit einem leichten Nicken beantwortete, legte er seine Arme um sie und zog Elisabeth an sich. Zart küsste er sie auf den Mund.

»Du musst dir keine Sorgen machen. Alles wird gut«, bekräftigte er, obwohl sie ihre Sorgen noch gar nicht geäußert hatte.

»Wir werden uns schon bald ein eigenes Haus suchen, in dem wir leben können. Vielleicht in Würzburg, ich weiß es noch nicht. Ach, ich stelle es mir wunderbar vor heimzukommen und von meiner Hausfrau – meiner Elisabeth – erwartet zu werden.« Er strahlte sie an.

»Wir werden Unser Frauenberg verlassen?«, hakte sie erstaunt nach. »Aber warum denn? Warum die Eile? Ich habe meine Gemächer, und auch du bist gut untergebracht. Wir können eine Hochzeit doch nicht so überstürzen. Das würde deiner Familie nicht gefallen. Und du dachtest doch nicht etwa daran, mit mir vor der Eheschließung ein gemeinsames Haus zu beziehen?«

»Nein, natürlich nicht«, rief er entrüstet. »Ich würde nichts tun, an dem dein Ruf Schaden nehmen könnte. Ich würde natürlich bis zu unserer Hochzeit nicht bei dir wohnen können, aber wenn du dein Kammermädchen hast und ich eine ältere Cousine zu deiner Gesellschaft so lange dort einquartieren würde, dann sollte niemand Anstoß daran nehmen.«

»Ich habe hier meine Gemächer«, wiederholte Elisabeth.

Nun schien Albrecht verlegen. »Ja, ich weiß. Dein Vater hat sie dir eingerichtet, aber er ist nicht mehr Herr dieser Festung, weißt du, und wenn nun der Pfleger oder ein anderer Obmann die Burg führt, wird er hier einziehen und die Räume des Bischofs übernehmen.«

Elisabeth dämmerte, wovon er sprach. Warum war sie noch nicht selbst darauf gekommen? »Ich muss aus meinen Gemächern, die ich seit meiner Kindheit bewohnt habe, ausziehen?«

Albrecht nickte mit zerknirschter Miene. »Ja, leider ist es so. Und es wäre gut, wenn es bald geschehen würde...«

»Sagt wer?«, gab Elisabeth kriegerisch zurück. Obwohl sie einsah, dass er recht hatte, wollte sie sich nicht so plötzlich ihres Heims verweisen lassen.

»Der Pfleger, dem das Kapitel die Rechte und Pflichten des Bistums und des Landes übertragen hat«, antwortete er ein wenig steif.

»Dein Bruder Johann?«, wiederholte sie ungläubig, obwohl das auch in ihrem Sinne sein musste. Wie konnte sie mit einem Domherrn zusammen im Palas leben? Nein, er war mit seiner Forderung im Recht, und dennoch ärgerte sie die Eile, mit der er ihr ihr Heim zu entziehen suchte. Und dass er mit seinem Bruder darüber gesprochen hatte statt mit ihr selbst. Stand ihr nicht wenigstens das zu? Oder würden stets Männer über ihr Geschick entscheiden?

»Er ist auf unserer Seite«, versicherte Albrecht. »Du darfst ihm nicht zürnen. Es würde sich wirklich nicht schicken. Nein, es ist ganz unmöglich, dass du hier im Palas des Marienberges bleibst.«

Resignierend hob sie die Schultern. »Nun gut, dann sei es so, wie es sein muss. Warum aber in Würzburg ein eigenes Haus? Wird dein Vater nicht wollen, dass du erst einmal auf die elterliche Burg heimkehrst, und dir dann eine seiner Festen überlassen?«

Albrecht wand sich. »Ja, vielleicht, das weiß ich nicht.«

»Du weißt es nicht? Ja hast du denn mit deinem Vater nicht darüber gesprochen?«

»Nein, noch nicht; ich werde es jedoch beizeiten tun.«

Elisabeth runzelte die Stirn. »Ihr habt über die Hochzeit gesprochen, aber nicht darüber, wo wir wohnen werden? Das verstehe ich nicht.« Als Albrecht schwieg und den Blick abwandte, wurde es ihr klar.

»Du hast noch gar nicht mit deinem Vater gesprochen? Warum denn nicht? Hat er unserer Verbindung nicht immer wohlwollend entgegengesehen? Er weiß, dass du dich mir versprochen hast.«

»Ja, das ist wahr. Das war bevor... nun ja... ehe all das geschehen ist.« Er machte eine ausholende Geste, die sie und die ganze Festung erfasste.

Elisabeth wich ein Stück zurück. Hatte er von ihrer Schande erfahren? Wusste er von ihrem Jahr im Frauenhaus? Und wusste auch sein Vater davon und lehnte sie deshalb als Gemahlin seines Sohnes ab? Verständlich, aber wie konnte das sein? Noch ehe sie die Frage formulieren konnte, wurde ihr klar, dass Albrecht nicht davon sprach, was ihr geschehen war.

»Stört er sich an meiner unehelichen Geburt?« Sie blickte Albrecht provozierend an. Er blieb stumm.

»Davon wusste er, seit er mich als Kind das erste Mal sah, und dennoch hatte er früher nichts dagegen einzuwenden, dass ich die Tochter des Bischofs bin.«

»Das schon. Nun ist die Lage jedoch eine andere«, sagte er schwach.

»Du meinst, jetzt, nachdem mein Vater seiner Regierungsgeschäfte enthoben und in die Verbannung geschickt wurde, bin ich keine geeignete Gattin mehr für seinen Sohn, weil Bischof von Brunn nun kein Geld und keine Macht mehr an die Mitglieder seiner Familie und Verbündeten vergeben kann, nicht wahr? Denn darin war er stets mehr als großzügig. Ja, ich erinnere mich, das war einer der Vorwürfe, weswegen das Domkapitel ihn absetzte. Aber das war es auch, was mich in den Augen deines Vaters – trotz des Makels meiner Geburt – als geeignete Braut erscheinen ließ. Ich verstehe. Dieser Vorteil ist nun geschwunden, und nur der Makel ist geblieben.«

»Sprich nicht so«, bat Albrecht und griff nach ihren Händen, doch sie entzog sie ihm und wich zurück.

»Ist es nicht wahr?«

Er wand sich, nickte dann aber kleinlaut. »Ja, doch du darfst nicht denken, dass ich seine Ansichten teile. Mir ist es gleich, ob eine Ehe mit dir meiner Familie Vorteile bringt oder nicht. Nur du bist mir wichtig! Ich brauche weder das Geld noch die Pfründe, die dein Vater verteilen konnte«, fügte er leidenschaftlich hinzu.

Nun war es Elisabeth, die nach seinen Händen griff. »Ich glaube dir. Aber so einfach ist es nicht. Wie stellst du dir das vor? Willst du mich gegen den Willen deines Vaters und ohne sein Wissen heiraten und darauf hoffen, dass er dir irgendwann vergibt? Wovon sollen wir leben, wenn du in Ungnade fällst? Wie du weißt, habe ich keine üppige Mitgift mehr zu erwarten!«

Ein trotziger Zug trat in seine Miene. »Mein Bruder steht noch immer hinter mir. Er hat nichts dagegen, wenn ich dich heirate, und wird mich in sein Gefolge nehmen. Jetzt ist er erst Pfleger des Stifts, aber wenn der Bischof endlich...« Er hielt inne und setzte neu an. »Ich meine, später, wenn vom Kapitel ein neuer Bischof gewählt wird, dann werden sie ihn in das hohe Amt berufen, so steht es im Vertrag. Dann haben wir keine Sorgen mehr, ganz gleich, was mein Vater dazu sagt. Mein Bruder Johann wird unser Schirm und Schutz sein. Dafür stehe ich mit meinem Schwert an seiner Seite. Ich denke, er wird uns dann auch einige Räume hier auf der Festung zur Verfügung stellen, sodass du in dein Heim zurückkehren kannst – wenn auch sicher nicht in die Gemächer deiner Kindheit«, fügte er rasch noch hinzu. Er wagte es, ihr Gesicht zwischen seine Hände zu nehmen und ihre Stirn zu küssen. Seine Stimme klang zärtlich.

»Mach dir keine Sorgen. Es wir alles gut. Deine Geburt ist nicht deine Schande. Sie ist die deines Vaters und deiner Mutter, die als eheliche Ratsherrenfrau ihren Gatten verlassen hat, um an der Seite des Bischofs jahrelang ein sündiges Leben zu führen. Du hast dir nichts zu Schulden kommen lassen, und nur das zählt. Für mich liegt kein Schatten über dir. Du bist so glänzend rein wie die Jungfrau Maria im Himmel.«

Obwohl er ihr mit den Worten sicher hatte schmeicheln wollen, breitete sich in ihr Entsetzen aus, und Elisabeth taumelte zurück.

»Was ist, Geliebte? Du bist plötzlich so blass. Bekommt dir die Sonne nicht? Sollen wir zurückgehen?«

Elisabeth schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das ist es nicht. Du irrst dich in mir. Ich bin ganz bestimmt nicht strahlend rein! Es wäre Blasphemie, mich mit der Jungfrau Maria zu vergleichen.« Rasch bekreuzigte sie sich. »Ich bin eine Sünderin! Nenn mich besser Magdalena. Nein, unterbrich mich nicht, ich muss es dir erzählen, bevor du dich an mich bindest, denn ich könnte es nicht ertragen, wenn du irgendwann einmal davon erfährst und dich dann getäuscht und verraten fühlst. Ich müsste sterben, wenn du dann deine Liebe von mir wenden würdest«, fügte sie leise hinzu.

»Jeder von uns ist ein Sünder«, sagte er sanft. »Nichts, was du getan haben könntest, würde meiner Liebe zu dir auch nur einen Streich versetzen.«

»Sag so etwas nicht so leichtfertig. Nicht, solange du nicht alles gehört hast«, gab Elisabeth mit erstickter Stimme zurück. Tränen traten ihr bei dem Gedanken in die Augen, welche Worte sie gleich würde aussprechen müssen, und bei der Furcht, Entsetzen und dann Ablehnung oder gar Abscheu in seinen Augen zu lesen. War ihr Traum heute und hier zu Ende? Was würde aus ihr werden, wenn Albrecht sich nun von ihr abwandte? Sie wagte kaum zu hoffen, dass seine Liebe stark genug war, die grausame Wahrheit zu überstehen.

Was blieb ihr dann noch? Vielleicht war der Wunsch ihres Vaters, sie in seiner Verbannung an seiner Seite zu wissen, ihre einzige Wahl. Und wenn er dereinst nicht mehr sein sollte? Nein, darüber durfte sie im Augenblick nicht nachdenken. Sonst würde sie der Mut verlassen, und sie würde die Kraft zu dieser Beichte nicht finden.

»Nun?«, half Albrecht nach, der ihren inneren Kampf aufmerksam verfolgte. »Was liegt dir so schwer auf dem Herzen? Lass mich dir deine Sorgen nehmen. Oder schweig, wenn es dir lieber ist. Ich verzeihe dir alles, auch ohne es aus deinem Mund gehört zu haben.«

Ach, wie verlockend die Versuchung sie umgarnte! Aber Elisabeth wusste, dass Albrechts Fantasie nicht so weit ging, den wahren Schrecken zu erfassen. Wie konnte sie! War dies nicht eine ganz unglaubliche Geschichte, die eigentlich so nicht geschehen konnte? Und doch hatte Elisabeth sie erlitten. Konnte eine unschuldige Liebe so stark sein, so etwas zu überdauern?

Elisabeth räusperte sich. »Du hast gehört, dass ich mich in ein Kloster zurückgezogen und ein Jahr lang unter den Nonnen gelebt habe.« Sie holte tief Luft, aber ehe sie weitersprechen konnte, unterbrach sie ein Ruf vom Tor her.

»Herr? Ach, hier seid Ihr! Ich habe Euch schon überall gesucht.«

Gunter, Waffenknecht und Diener des jungen von Wertheim, kam über die Wiese geeilt.

Albrecht wandte sich ihm zu. »Was ist denn? Du siehst, ich habe keine Zeit für dich.«

»Es ist wichtig, hat der Herr Pfleger, Euer Bruder, mir gesagt. Ich solle Euch sofort suchen und zu ihm bringen. So waren seine Worte, und wie kann ich etwas dagegen sagen?« Entschuldigend hob er die Achseln. »Jungfrau Elisabeth, es tut mir leid zu stören.«

Albrecht stieß etwas aus, das ein wenig nach einem Fluch klang. »Nein, natürlich konntest du nicht anders. Dann sage meinem Bruder, dass ich sogleich zu ihm komme. Ich geleite nur noch meine Dame zu ihren Gemächern.«

»Natürlich, Herr.« Gunter verbeugte sich hastig und eilte zur Festung zurück. Albrecht bot Elisabeth den Arm. »Mein Herz, wir müssen uns schon wieder trennen. Die Pflicht ruft. Du weißt, dass ich meinen Bruder nicht erzürnen sollte. Also verzeih die Unterbrechung. Beschwere deinen hübschen Kopf und dein liebes Herz nicht mit Zweifeln. Nichts und niemand wird uns unser Glück rauben können. Hab Vertrauen!«

Elisabeth schob die Hand in seine Armbeuge und ließ sich in die Festung zurückgeleiten. Sie schwieg. Nichts, was ihr auf der Seele brannte, hätte sie hier auf dem Weg so einfach erzählen können.

Das Antlitz der Ehre

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