Читать книгу Das Antlitz der Ehre - Ulrike Schweikert - Страница 11
Kapitel 7
ОглавлениеIhr?« Bischof von Brunn blinzelte überrascht, als er den Besucher erkannte.
»Ja, mich habt Ihr nicht erwartet, Exzellenz, das kann ich mir denken.«
Er sprach in dem überheblichen Ton, der ihm zu eigen war und der Johann von Brunn schon immer verärgert hatte.
»Da bin ich bis zum Zabelstein gezogen und habe vor Euch noch immer keine Ruhe«, brummte er missmutig.
»Gezogen? Ich würde eher sagen, verbannt worden, doch halten wir uns nicht mit Haarspaltereien auf. Ich bin gekommen, um Euch meine Hochachtung auszusprechen.« Hans von Grumbach legte die Hand an die Brust und verbeugte sich, doch das spöttische Lächeln strafte die ehrerbietige Geste Lügen.
»Dafür den weiten Weg? Nun hört endlich mit dem Geplänkel auf, und sagt mir, was Ihr hier wollt, damit wir das Ganze rasch beenden und ich Euch auf den Heimweg schicken kann.«
Hans von Grumbach lächelte breit. »Ich glaubte mich zu erinnern, Ihr wärt für Eure Gastfreundschaft im ganzen Land berühmt, aber da muss ich mich wohl geirrt haben. Eine Verwechslung, ohne Zweifel.«
Der Bischof schnaubte durch die Nase. »Ja, ich war stets ein guter Gastgeber, aber Ihr Domleute habt mir ja alles genommen. Also beschwert Euch nicht. Es ist Eure eigene Schuld!«
»Dass ich da nicht selber draufgekommen bin«, säuselte der Propst.
»Was seid Ihr für ein penetranter Geselle«, schimpfte der Bischof, rief aber nach einem Diener und befahl ihm, Wein zu bringen und ein Mahl zu richten.
»So, und nun rückt endlich heraus mit der Sprache, warum Ihr den weiten Weg in die Berge auf Euch genommen habt, um mich hier auf dem Zabelstein aufzusuchen«, forderte er den Besucher auf, als sie endlich zu Tisch saßen und die Diener. den Raum verlassen hatten. Nicht einmal Friedlein war mit von der Partie.
Hans von Grumbach ließ ihn zappeln. Er nahm erst vom Wildbret, nagte eine Entenkeule ab und sprach dem Wein zu, ehe er bereit war, der nun offensichtlichen Neugier des Bischofs nachzugeben.
»Ihr habt Euch weit vorgewagt, Exzellenz. Auch wenn nur wenige wagen, es laut auszusprechen, so sind sich die meisten darin einig, dass nur Ihr hinter dieser verwegenen Tat stecken könnt.«
»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.« Der Bischof sah seinen Gast nicht an und schenkte sich lieber den mit Edelsteinen besetzten Becher wieder voll.
»Beleidigt mich nicht, indem Ihr den Einfältigen spielt«, gab Hans von Grumbach zurück. »Aber gut, wenn Ihr so eitel seid, dass Ihr es ausgesprochen hören wollt, bitte: Ich gratuliere Euch zur erfolgreichen Ausführung Eures Mordauftrags an Eurem Nachfolger, dem Pfleger Johann von Wertheim. Und bitte, fangt nun nicht an zu leugnen oder irgendwelche Ausflüchte vorzubringen. Das wäre nur Verschwendung unserer kostbaren Zeit. Niemand hört, was wir hier besprechen, also können wir offen und ehrlich miteinander sein.«
»Ihr? Offen und ehrlich? Das wäre ja mal etwas ganz Neues. Das seid Ihr ja nicht einmal bei Eurer Beichte«, ätzte der abgesetzte Bischof.
»Nichtsdestoweniger möchte ich etwas Wichtiges mit Euch besprechen, mit dem es mir sehr ernst ist. Doch betrachten wir zuerst die Tatsachen, um zu wissen, wo wir stehen. Ihr habt den Pfleger erfolgreich beseitigt. So weit, so gut. Über Eure Motive müssen wir nicht rätseln. Ihr habt zwar eingewilligt, von der Regierung Eures Bistums zurückzutreten, Euch hier auf den Zabelstein zurückzuziehen und dem gewählten Pfleger von Wertheim alles zu überlassen, doch diesen Entschluss habt Ihr schnell bereut, nicht wahr?«
»Wie soll man mit den paar Gulden über die Runden kommen?«, murmelte der Bischof. Hans von Grumbach lachte hell auf.
»Außerdem langweilt Ihr Euch fürchterlich und vermisst das Leben auf dem Marienberg.«
Johann von Brunn erwiderte nichts, doch er wunderte sich, dass sein erklärter Feind unter dem Kapitel ihn so gut verstand.
»Kommen wir also zu Eurem zweiten Anliegen, der Rückkehr in Euer altes Leben, und da muss ich Euch leider sagen: Dieser Teil des Plans wird nicht aufgehen!«
»Warum nicht?«, rief der Bischof.
»Weil Ihr Eure Rechnung mal wieder ohne das Kapitel und die anderen Kräfte im Land gemacht habt, wie beispielsweise den Rat der Stadt Würzburg.«
Der Bischof machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, der bürgerliche Pöbel, um den muss man sich kein allzu großes Kopfzerbrechen machen.«
Hans von Grumbach überhörte den Einwand und fuhr fort: »Jedenfalls ist keiner, der im Herzogtum Franken etwas zu sagen hat, dafür, Euch wieder in Amt und Würden zu setzen, am allerwenigsten die Domherren des Kapitels. Nein, da werden sie sich eher auf einen neuen Kandidaten einigen, der den Auftrag des Pflegers übernehmen wird, um nach Eurem Ableben mit der Bischofswürde belohnt zu werden.«
»So seht Ihr das«, widersprach Johann von Brunn. »Ich aber sage Euch, es gibt nicht wenige unter den Domherren, die sich auf meine Seite schlagen werden, sobald ich nur mit dem kleinen Finger winke. Unterschätzt meine Macht nicht!«
Hans von Grumbach schüttelte mit bedauernder Miene den Kopf. »Vielleicht ist es das Alter, das Euch Euren Blick trübt. Ich jedenfalls sehe noch klar und die anderen Herren des Kapitels ebenso, und so entgeht ihnen auch nicht, dass der kleine Finger, oder besser gesagt die Hand, die da winkt, vollkommen leer ist. Verzeiht, für so senil halte ich Euch dann doch nicht, dass ich annehme, Ihr könntet glauben, irgendjemand wäre allein Eurer Person so in Liebe verbunden, dass er dieser leeren Hand erneut Treue schwören würde.«
»Was erdreistet Ihr Euch?«, rief der Bischof erzürnt, doch dann ließ er sich gegen die hohe Lehne zurückfallen. Eine Weile schwieg er und bewegte die unterschiedlichsten Gedanken, ehe er fragte:
»Sind wir nun beim Kern Eures Besuchs angelangt?«
Hans von Grumbach nickte. »Ja, das habt Ihr richtig bemerkt. Nun kommen wir zu dem Vorschlag, den ich Euch unterbreiten möchte. Nachdem wir bereits festgestellt haben, dass Ihr nicht an Euer eigentliches Ziel gelangen werdet, müssen wir uns fragen, was wäre das Zweitbeste für Euch? Die Antwort ist einfach: ein Pfleger, der in Eurem Sinne handelt und Euch zukommen lässt, was Ihr verdient.«
»Ach, und der sollt wohl Ihr sein?«, giftete der Bischof und stürzte einen weiteren Becher Wein herunter. »Ausgerechnet ich soll Euch zu Amt und Würden verhelfen? Das ist dreist! Ihr meint wohl, ich weiß nichts von Euren Intrigen gegen mich?«
Hans von Grumbach hob die Schultern. »Ich nehme an, Eure Tochter hat Euch alles erzählt. Es ist schon eine Last mit der Neugier der Frauen. So muss ich eben einen anderen Weg einschlagen, um ans Ziel zu gelangen.«
»Und der wäre, das einstige Opfer Eures Mordplans zum Helfer zu wandeln?«, ergänzte der Bischof ein wenig fassungslos.
»Genau! Ihr habt es mit Eurem messerscharfen Verstand sofort erfasst.«
»Ha!« Bischof von Brunn sprang auf, das Messer, mit dem er sich gerade ein wenig vom Kapaun hatte abschneiden wollen, wie ein Schwert in der Hand. Die Spitze auf den Besucher gerichtet rief er leidenschaftlich aus:
»Niemals! Das wird niemals geschehen!«
Der Dompropst ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Spart Euch Eure Worte. Mir ist klar, dass Ihr Euch erst beruhigen und dann bei Verstand über meinen Vorschlag nachdenken müsst. Ihr solltet erwägen, welch Vorteile es für Euch bedeuten würde. Daher schlage ich vor, wir widmen uns von nun an nur noch diesen köstlichen Speisen und dem nicht minder guten Wein, und Ihr gebt mir Eure Antwort, wenn Ihr begriffen habt, dass Euch gar nichts Besseres passieren kann, als einen Pfleger auf dem Marienberg zu wissen, der Euch gewogen ist!«
Auf der Festung Unser Frauenberg herrschte immer noch Ratlosigkeit. Nicht nur das Domkapitel tagte, auch die Kapitularen von Neumünster und der bürgerliche Rat. Ein Ausschuss des führenden fränkischen Adels war in Würzburg eingetroffen, um sich zu beraten. Dass ein neuer Pfleger gewählt werden musste, darüber war man sich schnell einig. Dass es möglich sein sollte, das Land von einem Ausschuss von Vertrauten zu regieren, daran glaubten sie nicht wirklich, dennoch traten die adeligen Schiedsrichter noch einmal zusammen, die bereits bei der Wahl des ersten Pflegers dem Kapitel beratend zur Seite gestanden hatten. Unter ihnen Georg von Henneberg, Wilhelm von Castell, Konrad von Weinsberg, der Truchseß Fritz von Baldersheim und Ditz von Herbilstat. Statt des Verstorbenen wählte man seinen Bruder Albrecht von Wertheim zu ihnen, der dem Ruf nur ungern folgte, sich der Aufgabe aber nicht entziehen konnte. Immerhin würde er so nicht nur bei den Beratungen des Kapitels anwesend sein, sondern auch stets sogleich erfahren, was die Ritterschaft plante. Sein Vater gab sich mehr als zufrieden, obwohl Albrecht in seiner Entscheidung hart blieb. Er würde für dieses Amt nicht zur Verfügung stehen! Er hatte Elisabeth sein Versprechen gegeben, und er würde diesen Schwur niemals brechen! Nicht für den Posten als Pfleger und nicht für das Bistum Würzburg und das gesamte Herzogtum Franken!
»Ich habe es meinem Vater gesagt, so wie du es wolltest.«
Albrecht nahm Elisabeth in die Arme. Endlich waren sie alleine. Jeanne trieb sich draußen im Gang und auf der Treppe herum, um sie vor unliebsamen Überraschungen zu bewahren.
Elisabeth wusste nicht, ob sie sich darüber freuen oder um ihn fürchten sollte. »Und wie hat dein Vater reagiert?«
»Reden wir nicht darüber. Er war nicht erfreut, doch er wird sich an den Gedanken gewöhnen. Ich fürchte nicht, dass sich die Familie deswegen entzweien wird, also mach dir keine Sorgen, mein Herz. Für uns wird alles gut.«
Elisabeth seufzte. »Ich kann nur hoffen, dass du recht hast. Welch schwere Schicksalsschläge brechen über dich herein. Und nun muss ich dein Los noch weiter erschweren.«
»Deine Beichte, die dir auf der Seele brennt? Nein, Elisabeth, lass es. Es gibt im Augenblick Wichtigeres. Das ganze Land ist in Aufruhr und ohne eine feste Hand, es zu führen.«
»Ich weiß, und dennoch hörst du mir jetzt zu! Es gibt keine Ausflüchte mehr. Ich will deinen Schmerz bestimmt nicht vergrößern, aber er wird ganz sicher nicht kleiner sein, wenn du es irgendwann einmal durch Zufall erfährst. Nein, dreh dich nicht weg, und versuche auch nicht, mich durch diese bittende Miene davon abzuhalten. Du musst wissen, was in diesem Jahr geschehen ist!«
»Warum? Warum willst du mich quälen? Es hat mit einem anderen Mann zu tun, nicht wahr? Du hast an unserer Liebe gezweifelt, während ich fort war, doch er hat dich enttäuscht. Deshalb hast du dich entschlossen, in dieses Kloster zu gehen. Doch warum in den alten Abfällen wühlen? Du bist zur Besinnung gekommen, und nun ist zwischen uns alles wieder gut.«
Elisabeth sah ihn verblüfft an. »Wie kommst du auf solch einen Gedanken?«
Er ging nicht darauf ein und sagte stattdessen: »Ich habe recht, und nun ist es gesagt und vergessen.«
Elisabeth atmete tief durch, schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln, und sah ihn dann fest an.
»Nein, du hast nicht recht. Du hast nie meine Liebe und mein Herz verloren, doch ich hatte alles verloren, meine Erinnerungen, meine Familie, meine Vergangenheit und meine Zukunft. Nein, sei jetzt still, und höre mir zu, denn ich muss es dir in der richtigen Reihenfolge berichten, damit du verstehst, dass ich nicht anders handeln konnte und dass mich zumindest keine Schuld trifft, in solch eine Situation geraten zu sein. Es fing damit an, dass ich ein Gespräch belauschte, das nicht für meine Ohren bestimmt war, und erwischt wurde. Die Ritter Seitz von Kere und Bernhard von Seckendorf sprachen über einen Mordanschlag, den sie im Auftrag des Domherrn von Grumbach ausführen wollten.« Sie ignorierte seinen Ausruf und sprach rasch weiter. »Das Opfer sollte mein Vater sein, und Domherr von Grumbach wollte dessen Nachfolge antreten. Eigentlich war mein Leben zu Ende, als sie mich ertappten. Ich bekam einen Schlag auf den Kopf und versank in Schwärze und Vergessenheit. Diese dauerte ein Jahr. Mein Körper erwachte zwar wieder, doch die Erinnerungen kehrten erst nach einem Jahr wieder.«
»Und deshalb warst du im Kloster, mein armer Liebling?«
Elisabeth schüttelte den Kopf. Es bereitete ihr körperlichen Schmerz, ihm seine Hoffnung zu rauben.
»Nein, als ich erwachte, fand ich mich in einem anderen Haus wieder. Es war das Frauenhaus der Eselswirtin in Würzburg.«
Sie erwartete einen Ausruf, doch der Schmerz ließ ihn nur stumm zusammenzucken. Dennoch sprach sie weiter. Sie quälte ihn nicht mit Einzelheiten, doch sie schonte ihn auch nicht. Ihr Körper war anderen Männern zu Diensten gewesen! Viele Male. Und auch wenn sie ihre Liebe nicht verraten hatte – welcher Mann konnte zu solch einer Großmut fähig sein, damit zu leben?
Als Elisabeth geendet hatte, schwieg auch Albrecht. Sie ließ ihm Zeit. Sie saß nur reglos da und sah zu ihm hinüber; er aber hielt den Blick gesenkt. Alles Leben schien aus ihm gewichen zu sein und eine leblose Hülle zurückgelassen zu haben. Elisabeth wusste nicht, wie sie den Schmerz dieses Anblicks ertragen sollte, doch konnte sie ihn trösten? Sie wagte nicht, ihn zu berühren. Konnten Worte wie eine scharfe Klinge ins Herz dringen und töten? In diesem Moment war sie überzeugt, dass sie genau das getan hatten.
Endlich hob Albrecht den Blick und richtete ihn auf Elisabeth. Er war der eines Fremden. Schwerfällig erhob er sich. Er schien in diesen Momenten gealtert. Als er zu sprechen anfing, klang seine Stimme rau und leblos.
»Ich habe deine Beichte gefürchtet, obwohl ich nicht ahnen konnte, wie schlimm sie ausfallen würde. Vielleicht hättest du auf mich hören und schweigen sollen. Andererseits, jetzt, da ich es weiß, wie könnte ich mir da noch wünschen, unwissend an deiner Seite zu leben? Nein, sag jetzt nichts mehr. Ich muss erst darüber nachdenken. Und ich glaube auch ein wenig beten. Ja, das ist es. Ich muss in die Kirche gehen. Vielleicht finde ich dort eine Antwort.«
Steifbeinig ging er hinaus. Erst als sich die Tür hinter ihm schloss, brach Elisabeth zusammen und weinte, bis Jeanne nach einer ihr angemessen erscheinenden Zeit zu ihr trat und sie in ihr Gemach geleitete.
Inzwischen ging das Schachern weiter; jeder suchte seine Pläne zu verfolgen und Anhänger zu gewinnen. Zu diesem Zweck gab es mehrere Möglichkeiten, die meisten hatten allerdings in irgendeiner Weise mit Geld oder Privilegien zu tun.
Es war einige Tage später, als Graf Hans von Wertheim seinen Sohn wieder zu sich rufen ließ. Albrechts Oheim, Graf Michael, war ebenfalls anwesend. Albrecht sah von einem zum anderen und fühlte sich mehr als unwohl. Die Mienen der beiden Brüder strahlten etwas aus, das ihm nicht gefiel. So viel Stolz und Zuversicht, als sei ihre Sache bereits gewonnen.
»So einfach wird das nicht«, murmelte Albrecht vor sich hin, während er sich höflich vor dem Vater und dem Oheim verbeugte. »Auch ich habe den berühmten Sturschädel der Familie geerbt, also freut euch nicht zu früh!«
Laut dagegen begrüßte er die Familienoberhäupter, wie es sich gehörte, und fragte, weshalb sie ihn hatten rufen lassen.
»Unsere Sache steht nicht schlecht«, begann der Vater mit einem breiten Lächeln, und Albrecht musste sich zurückhalten, ihm nicht sogleich ins Wort zu fallen.
»Wir haben unsere Fühler ausgestreckt und Gespräche geführt...«
...und Bestechungsgelder in Aussicht gestellt, ergänzte Albrecht im Stillen.
»Doch dann ergab sich eine für uns unerwartete Wendung«, fuhr der Oheim fort, und Albrecht konnte in seinem Gesicht ablesen, dass es für die beiden Brüder eine durchaus willkommene Wendung darstellte. Unbehaglich fragte er sich, was das sein könnte, doch er musste nicht lange warten, um eine Antwort zu erhalten. Sein Vater zog ein Pergament mit einem gebrochenen Siegel hervor und reichte es seinem Sohn. Lies das! Es hat uns vor einer Stunde durch einen Boten erreicht.«
Albrecht nahm das Schreiben mit spitzen Fingern, als könnte eine Viper darin verborgen sein, und so kam es ihm irgendwie auch vor. Es gab durchaus Worte, die ebenso tödlich waren wie das Schlangengetier mit seinen Giftzähnen. Zuerst betrachtete er das Siegel und stieß überrascht einen Laut aus, als er das Wappen der Edlen von Brunn erkannte.
»Von Bischof Johann?«, rief er. Die beiden älteren Männer nickten.
»Ja, von Johann II. von Brunn persönlich.«
»Und er schreibt an mich?«, versicherte sich Albrecht, in höchstem Maße erstaunt.
»An die Familie von Wertheim, aber auch an dich, mein Sohn«, bestätigte Hans von Wertheim. »Und nun lies!«
Albrecht trat näher an die Lampe an der Wand und ließ den Blick über die Zeilen schweifen. Dann las er das Schreiben noch einmal Wort für Wort, um sicherzugehen, dass er nichts missverstanden hatte. Endlich ließ er das Blatt sinken und sah zu seinem Vater und dem Oheim, die sichtlich prächtiger Laune waren.
»Was schaust du so, Sohn? Gibt es etwas, das du in diesem Brief nicht verstanden hast?«
Albrecht nickte. »Ja, allerdings: das Warum! Was für einen Vorteil kann er sich davon versprechen? Falls er wirklich für den Tod meines Bruders verantwortlich ist, dann doch sicher nur, um die Macht zurückzuerlangen.«
Michael von Wertheim hob die Schultern. »Das ist eben nicht so einfach, wie er sich das gedacht hat. Und nun muss er andere Pläne schmieden.«
Albrecht sah die beiden Männer forschend an. »Ihr glaubt also beide daran, dass er den Auftrag zu Johanns Ermordung gegeben hat? Und dennoch nehmt Ihr nicht nur dieses Schreiben von ihm entgegen, sondern denkt auch noch ernsthaft darüber nach, seinen Vorschlägen Folge zu leisten?« Albrechts Stimme klang ungewöhnlich schrill.
Der Vater schien etwas verlegen. »Nun ja, wir wissen es ja nicht sicher. Er sagt nichts dergleichen. Vermutlich werden wir es nie erfahren. Jedenfalls ist das eine gute Chance, die die Familie nutzen sollte.«
»Ach ja? Mit ihm gemeinsame Sache zu machen? Und wenn er es sich dann wieder einmal anders überlegt, bin ich der Nächste, der mit Schaum vor dem Mund tot zusammenbricht. Nein, ich denke, ich verzichte auf diese Art von Unterstützung.«
»Nun rede nicht solch einen Unsinn!«, brauste der Vater auf. »Habe ich einen Feigling großgezogen, der sich fürchtet, einen Schritt nach vorne zu tun, und sich stattdessen lieber versteckt? Ich kann ihn auch nicht ausstehen, das musst du glauben, und ich verabscheue seine zahlreichen charakterlichen Schwächen. Dennoch kann ich eine Chance erkennen, wenn sie sich bietet, und ich weiß, wann es sich lohnt, sie zu ergreifen. Und deshalb wirst du dieser Einladung folgen und morgen in aller Frühe zum Zabelstein reiten. Hör dir an, was er zu sagen hat, und entscheide klug, mein Sohn.«
Albrecht überlegte, ob er dieses Ansinnen von sich weisen sollte, doch vielleicht war es gar nicht so schlecht, den Bischof zu treffen und ihm direkt zu sagen, dass er nicht interessiert sei und der abgesetzte Johann sich ein anderes Opfer für seine Machtspiele suchen solle. Ja, wenn der Vater und der Oheim nicht dabei waren, konnten sie seine Entscheidung auch nicht verhindern.
Den dicken Umhang eng um sich geschlungen schritt Elisabeth zwischen welken Unkräutern in der Schütt zu Füßen des Palas auf und ab. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken und wollten zu keiner Ordnung finden. Was sollte das bedeuten?
Der kalte Herbstwind zerrte an ihren Röcken, und es wurde bereits dunkel, doch sie bemerkte es nicht. Die ersten Lampen wurden drunten in der Stadt entzündet und erhellten die pergamentbespannten Fenster mit einem warmen Schein. Elisabeth war so in sich gekehrt, dass sie die beiden Frauen erst bemerkte, als sich ein Arm vertrauensvoll um ihre Schulter legte.
»Sie ist schon den ganzen Tag von dieser Unruhe befallen«, sagte Jeanne zu Gret, die sich vor Elisabeth aufbaute, die Hände in die Hüften gestützt, den Blick forschend auf ihr Gesicht gerichtet.
»Was ist los? Erzähl es uns!«
Elisabeth hielt inne und hob die Schultern. »Nichts Besonderes. Albrecht ist heute in aller Früh wieder einmal davongeritten.«
»Zum Zabelstein, ja, das wissen wir«, bestätigte Gret.
»Was? Er reitet zu meinem Vater? Wieso wisst Ihr davon, und ich habe keine Ahnung?«
Gret zog eine Grimasse. »Mach dir nichts draus. Es ist völlig normal, dass die Dienerschaft stets mehr weiß als Herrschaften. Er wurde von seinem Vater und seinem Oheim geschickt, nachdem ein Bote vom Zabelstein ein Schreiben mit dem Siegel des Bischofs von Brunn an die Grafen von Wertheim überbracht hatte.«
Elisabeth schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich weiß nicht, ob es den Grafen recht ist, dass anscheinend jeder darüber Bescheid weiß. Zumindest jeder außer mir.«
»Egal, ob es den Herren recht ist oder nicht. Verhindern werden sie es nicht können, solange sie Dienstboten um sich scharen, die Augen und Ohren im Kopf haben.«
»Da magst du recht haben, doch das ist nicht das Entscheidende!«, erwiderte Elisabeth mit einem Seufzer.
Gret nickte wissend. »Das Entscheidende ist, dass Albrecht es dir nicht gesagt und sich nicht von dir verabschiedet hat, nicht wahr?«
Elisabeth nickte und sah zu Boden. »Ich fürchte, ich habe ihn verloren.«
»Sie hat es ihm gesagt«, fügte Jeanne hinzu, obwohl Gret das sicher ebenfalls bereits wusste. »Und er ist davongestürmt, um darüber nachzudenken. Er war lange in der Kirche, hat mit sich gehadert und gebetet.«
»Ach, und du kannst mir nun sicher auch berichten, welche Worte seine Gebete enthielten«, rief Elisabeth in sarkastischem Ton, der bei Jeanne aber nicht anzukommen schien, denn sie antwortete ernst:
»Nein, das kann ich dir nicht sagen, und auch nicht, zu welchem Entschluss er kam, denn seine Worte waren so leise, dass nicht einmal der Küster, der zu dieser Zeit im Chor weilte, sie verstehen konnte.«
Elisabeth schnaubte durch die Nase. »Wie beruhigend, dass es anscheinend doch noch etwas gibt, das nicht die ganze Burg weiß.«
Jeanne ließ sich nicht beirren. »Auch wenn wir nicht sicher wissen, wie seine Entscheidung ausgefallen ist und ob die Muttergottes ihm den rechten Rat gegeben hat, so bin ich dennoch zuversichtlich, dass er zu seinem Wort stehen wird, denn er liebt dich von Herzen.« Gret schnaubte vernehmlich, doch Jeanne sprach weiter. »Es ist für einen Mann nur schwer, solch eine Vergangenheit anzunehmen. Gib ihm die Zeit, die er dafür braucht, und freue dich, denn danach wird nichts mehr zwischen euch stehen. Keine Lüge wird eure Liebe trüben«, sagte sie feierlich.
»Wenn ich nur dieselbe Zuversicht empfinden könnte wie du«, sagte Elisabeth mit Sehnsucht in der Stimme.
»Dann wärst du genauso einfältig wie Jeanne«, meinte Gret.
»Nimm ihr nicht die Hoffnung«, schnaubte die kleine Französin. »Wie soll es denn mit ihr weitergehen, wenn Albrecht sich von ihr abwendet?«
»Das weiß Gott allein. Warten wir ab, was geschieht, wenn Albrecht zurückkommt.« Gret zog eine Grimasse. »Uns bleibt bis dahin unsere Arbeit zu tun, was mich daran erinnert, dass mich in der Küche noch ein Berg an schmutzigem Geschirr erwartet und eine Tracht Prügel, wenn ich noch länger hier draußen bei euch bleibe. Daher empfehle ich mich für heute Nacht. Elisabeth, lass den Kopf nicht hängen, das Leben wird irgendwie weitergehen. Und Jeanne, setz ihr nicht noch mehr deiner Flausen in den Kopf!« Mit diesen Worten schritt sie in stolzer Haltung durch die Bastion davon.
»Manchmal wünschte ich, ich könnte mit Gret tauschen«, murmelte Elisabeth.
»Was?«, ereiferte sich Jeanne. »Um sich dem Zorn dieses Küchenmeisters auszusetzen, Stunde um Stunde Gemüse zu putzen und bis in die Nacht Töpfe zu schrubben?«
»Oh, ich weiß, dass sie schwer arbeiten muss, das habe ich nie bezweifelt, und dennoch weiß sie, wo ihr Platz ist, und wird ihr Leben dort noch viele Jahre fortführen können. Eine tüchtige Küchenmagd wird auf dieser Burg immer gebraucht, mögen die Herrscher auch kommen und gehen. Für Gret wird sich nichts ändern. Was interessiert es sie, wer im Saal ihr Brot und ihr Gemüse verzehrt?«
»Und was ist, wenn sie sich unabsichtlich etwas zuschulden kommen lässt? Wenn ein Mann sein Auge auf sie wirft und sie ihn ablehnt? Oder sie lässt es zu und bekommt ein Kind? Sie wird krank oder gerät mit jemandem in Streit, der mehr zu sagen hat als sie? Was dann? Dann steht sie schneller wieder auf der Straße, als du dich einmal umdrehen kannst, und ihr Leidensweg beginnt von vorn. Vielleicht führt er sie wieder zur Eselswirtin oder direkt auf die Landstraße. Nein, schau mich nicht so entsetzt an. Es ist die Wahrheit. Unser aller Schicksal liegt im Nebel der Zukunft verborgen, und es kann uns alle jederzeit aus unserer Bahn werfen. Nicht nur dich, Elisabeth!«
Was gab es daraufhin noch zu sagen? Fast ein wenig beschämt, nur an sich selbst und ihre eigenen Ängste gedacht zu haben, schritt Elisabeth neben Jeanne in den Palasflügel zurück.