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Kapitel 3

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Ach, mein gnädigster Herr, was macht Ihr für ein trübsinniges Gesicht? Das Essen ist herrlich, und der Wein mundet vorzüglich, und nachher werde ich Euch verwöhnen, dass Ihr glauben mögt, Ihr könntet bereits den Schein des Himmelreichs erhaschen.«

Geradina versuchte ihm eine rote Traube in den Mund zu schieben. Als er das Gesicht wegdrehte, schlang sie die Arme um den fleischigen Nacken des Bischofs. Er befreite sich aus der Umarmung und schob seine Mätresse grob von sich.

»Hör auf, mich mit Trauben zu füttern, und unterlass es, mich zu umschlingen, als wolltest du alles Leben aus mir herausquetschen. Ja, so kommst du mir manches Mal vor. Wie Efeu, der sich heimtückisch an einem gesunden Baum emporrankt, erst schmeichelnd seine Rinde umhüllt und ihm dann gnadenlos allen Lebenssaft aussaugt, bis er dahinsiecht und schließlich jämmerlich zugrunde geht.«

Beleidigt verschränkte Geradina die Arme vor dem üppigen Busen. »Das ist nicht nett, Eure Exzellenz, nach dem, was ich alles für Euch getan habe. Ich bin Euch sogar in Eure Verbannung auf den Zabelstein gefolgt!«

»Ja, es ist mir aufgefallen, dass ich nicht einmal hier Ruhe vor dir habe«, sagte der Bischof unfreundlich.

»Das ist nicht nett«, wiederholte sie mit weinerlicher Stimme.

»Ich will auch nicht nett sein«, polterte der Bischof. »Und nun geh, und befreie mich von deinem Anblick, denn wenn ich etwas noch weniger leiden kann als wie Efeu schlingende Weiber, so sind es welche, die heulen. Es macht dich nicht gerade schöner, das solltest du wissen!«

Die Hände vors Gesicht geschlagen, rannte Geradina schluchzend hinaus. Der Bischof wandte sich ungerührt wieder seiner Rehkeule zu, warf jedoch den halb abgenagten Knochen kurz darauf missmutig auf seinen Teller und stürzte zwei Gläser Wein hinunter. Sein Blick wanderte unstet über die wenigen Gäste seiner Tafel, bis er an Friedleins schiefem Gesicht hängen blieb. Der Narr erwiderte seinen Blick.

»Nun, Exzellenz, was ist? Braucht Ihr ein neues Opfer für Euren Zorn? Soll ich mich ein wenig um Euren Hals schmiegen oder ein paar Tränen vergießen? Ich bin sicher, sie würden auch mich nicht hübscher machen.«

Der Bischof nahm einen der abgenagten Knochen von seinem Teller und warf ihn quer über den Tisch nach seinem Hofnarren. Der neigte sich ein wenig zur Seite, ohne seine Mahlzeit zu unterbrechen, sodass das Geschoss gegen die Wand prallte. Kaplan Berthold und Vikar Weigand ließen sich bei ihrem Mahl nicht stören, und auch die Ritter von Hain und Baiersdorfer aßen ungestört weiter. Solche Szenen waren sie gewöhnt.

»Pah, es gibt vermutlich nichts, was dich noch hässlicher machen würde«, sagte Johann von Brunn grob.

»Vermutlich habt Ihr recht. Wer bin ich, dass ich Euch zu widersprechen wagte? War ja auch nur ein Vorschlag, um Eure Stimmung zu heben.«

»Es gibt nichts, das meine Stimmung heben könnte«, brummte der Bischof und schob den Teller mit einer heftigen Geste von sich. »Nicht einmal das von mir selbst geschossene Wild oder der Wein bereitet mir Genuss.«

Er stemmte sich von seinem Sitz hoch, und auch Friedlein sprang auf. Der Narr erreichte die Tür noch vor seinem Herrn und verließ mit ihm die Halle. Die Hände auf dem Rücken verschränkt, ging der Bischof im düsteren Hof auf und ab. Er schien nicht einmal zu merken, dass der Wind aufgefrischt hatte und ihn mit dürren Blättern umwirbelte, ehe die ersten Tropfen fielen. Der Esel, der das Laufrad des Brunnens in Bewegung hielt, um die wassergefüllten Eimer aus dem mehr als einhundert Schritt tiefen Schacht zu ziehen, blieb stehen, glotzte ihm nach und wackelte mit den Ohren.

»Zieh, Alter, nicht so faul«, erinnerte die Magd, die mit ihren leeren Eimern auf Wasser wartete, das Tier an seine Pflicht. Der Esel stieß einen kläglichen Laut aus und setzte sich wieder in Bewegung. Und auch Bischof Johann von Brunn fuhr unermüdlich fort, den Hof zu umkreisen, bis Friedlein ihn darauf aufmerksam machte, dass seine Robe bald völlig durchnässt sein werde.

»Ich kann Euch nicht davon abhalten, wenn Ihr es Euch in den Kopf gesetzt habt, Euch heute hier draußen zu Tode zu verkühlen, Exzellenz, wobei der Herr im Himmel sicher so gnädig sein wird, Euch vor einem solchen Schicksal zu bewahren. Da ich selbst mit den himmlischen Obrigkeiten nicht so auf vertrautem Fuß stehe, bin ich mir jedoch nicht sicher, ob sie sich erbarmen würden, auch mich zu erretten. Daher will ich keinen in Versuchung führen und mich lieber ins Trockene begeben. Es bestünde allerdings auch die Möglichkeit, dass Ihr mit mir kommt und mir drinnen berichtet, was Euch so sehr die Laune verdirbt.«

Der entmachtete Bischof hielt in seinem Lauf inne und funkelte Friedlein an. Dann sah er an seinem Gewand herab, das die Nässe von den Schultern her dunkel zu verfärben begann. Johann von Brunn stieß einen Seufzer aus, folgte dann aber dem Hofnarren in sein eigenes behagliches Gemach, wo bereits ein Feuer im Kamin brannte. Der Bischof ließ sich in seinen bequemen Polstersessel fallen und stöhnte.

»Also, Herr, wollt Ihr darüber reden, oder soll ich Euch sagen, welch Vermutungen ich seit Tagen über Euren trübsinnigen Zustand anstelle?«

Der Bischof hob abwehrend die Hände. »Gott bewahre mich vor deinem Geschwätz. Aber bevor du mich mit deiner Fragerei noch länger nervst: Ich ärgere mich über den Pfleger von Wertheim!«

»Weshalb?«

»Ich habe ihm ein Schreiben geschickt.« Der Bischof reckte sich ein wenig in seinem Sessel. Vielleicht, um imposanter zu wirken.

»Und? Was stand darin?« Friedlein ließ nicht locker.

»Ich bot ihm meine Hilfe und Beratung an und machte manch guten Vorschlag für die Verwaltung und Regierung des Bistums.«

»Eurer Laune nach zu schließen, hat er sie nicht gebührend geschätzt.«

»Nein!«, rief der Bischof erbost. »Das hat er nicht. Ich forderte ihn auf, zu mir zu kommen und sich mit mir zu besprechen, doch was tut er? Er lehnt nicht nur ab, zum Zabelstein zu reisen oder auch nur einen Vertreter zu schicken, er fordert mich gar auf, mich ruhig zu verhalten und mich nicht mehr in die Regierungsgeschäfte einzumischen, die nur er und das Kapitel sowie die zur Beratung gewählten Edlen wahrnehmen.«

»Nein, ist das nicht die Höhe!«

»Friedlein, verspottest du mich?«

»Ich?« Der Narr war ganz die Unschuld selbst und riss die grünen Augen weit auf. »Wie kommt Ihr denn auf solch einen Gedanken?«

»Ich höre es an deinem Tonfall, und ich warne dich. Es ist nicht ratsam, mich in solch einer Stimmung zu reizen.«

Friedlein griff sich an den Hals und verdrehte ein wenig die Augen. »Ich weiß, Eure Exzellenz, sonst ist mein Leben verspielt.«

»Schluss jetzt! Du glaubst doch nicht etwa, dass es mich aufheitert, daran erinnert zu werden, wie man jetzt in Würzburg mit meinen Gefolgsleuten umspringt?«

»Nein, das glaube ich nicht. Aber Ihr habt nun die Möglichkeit, Euch über etwas anderes zu ärgern. Sozusagen eine größere Auswahl an Kümmernissen, die Euch den Abend verderben.«

Der Bischof starrte den Narren verdutzt an. Dann begann er zu lachen. »Ich weiß nicht, warum ich dich nicht schon lange habe hinrichten lassen!«

Friedlein hob die Schultern. »Vielleicht, weil ich Euch immer wieder zum Lachen bringe oder weil ich Euch gute Ratschläge erteile, wie beispielsweise den:«

Er beugte sich in seinem unbequemen Sitz, den er sich gewählt hatte, nach vorn. Seine Miene war nun ernst, und auch aus seiner Stimme war jeder Spott gewichen.

»Wenn Ihr Euch hier langweilt und über die Ignoranz des Pflegers ärgert, dann unternehmt etwas dagegen, statt Euch nur Euren Launen hinzugeben. Geradina zu kränken wird Eure Stimmung nicht heben. Jammert nicht. Tut etwas!«

Bischof Johann von Brunn öffnete und schloss tonlos den Mund. So wagte keiner seiner Leute mit ihm zu sprechen. Aber war der Narr mit seiner Offenheit nicht segensreicher als all die Speichellecker, die nur vergeblich versuchten, ihn bei Laune zu halten und ihm das wenige Geld aus der Tasche zu ziehen, das ihm geblieben war? Nein, wenn einer hier nicht nur auf seine eigenen Vorteile aus war, dann Friedlein. Und dass ein scharfer Geist in diesem verschobenen Kopf wohnte, davon war der Bischof überzeugt.

»Du meinst also, wenn der Pfleger von Wertheim sich weigert, mich in angemessener Weise zu respektieren und mich an den Entscheidungen des Landes teilhaben zu lassen, dann muss ich andere Wege beschreiten, um an mein Ziel zu gelangen? Schließlich habe ich diesem dummen Vertrag nur in einer schwachen Minute zugestimmt, die dieses machtgierige Domkapitel für sich ausgenutzt hat. Ich bin immer noch der gesalbte Fürstbischof von Würzburg!«

»Genau.«

Langsam erhob sich der Bischof und trat vor den Kamin. Eine Weile starrte er schweigend in die Flammen, dann drehte er sich mit einem Ruck um und fixierte den Hofnarren, der seinen Blick erwartungsvoll erwiderte.

»Wir werden einen Brief schreiben. Nicht an den Pfleger und das Kapitel. Ich werde an die Viertelmeister der Stadt Würzburg schreiben.«

Friedlein nickte. »Soll ich den Schreiber rufen?«

Bischof von Brunn schüttelte den Kopf. »Nein, setz du dich hierher, und schreibe, was ich dir sage, und dann sorge mir dafür, dass die Briefe sogleich zugestellt werden.«

Ein Funkeln trat in die Augen des Bischofs. »Ja, du hast recht. Ich werde dieses ungerechte Schicksal, das sie mir aufgezwungen haben, nicht länger hinnehmen. Ich würde hier draußen sonst vor Langeweile sterben, noch ehe der Winter vorbei ist.«

»Vielleicht haben sich das die Domherren so ähnlich gedacht.«

»Nun, dann werde ich sie eines Besseren belehren.« Der fleischige Finger des Bischofs wies zum Sekretär. »Schreib!«

Friedlein deutete eine Verbeugung an und setzte sich an den Sekretär. Er zog ein Blatt Pergament hervor, glättete es, spitzte die Feder, rührte die Tinte durch und hob dann erwartungsvoll den Blick. »Ich bin bereit. Was wollen Eure Exzellenz den Vierteln der Stadt schreiben?«

Der Bischof kaute auf seiner Lippe und ging ein paarmal in seinem Gemach auf und ab. Der Narr rührte sich nicht und folgte dem Gang seines Herrn nur mit den Augen. Endlich blieb Johann von Brunn stehen.

»Fangen wir im Süden an. Schreib:

Liebe Freunde von dem Viertel zu Sande!

Ihr werdet ohne Zweifel wohl vernommen haben, welche Beschuldigungen man uns unverdienterweise aufbürdet. Gewiss würdet ihr aber eine bessere Meinung von uns gewinnen, wenn man euch den Hergang der Sache der Wahrheit gemäß und nicht auf fälschliche Weise, wie von der Gemeinde aus geschehen, berichtet hätte. Wir haben uns nie geweigert, zum Besten des Stifts alle geforderten Opfer zu bringen, und sind überzeugt, von dem langjährigen verderblichen Zwiste keineswegs der Urheber zu sein, dessen Schuld nur alle jene tragen, welche uns bei euch als die Ursache dieser traurigen Zerwürfnisse zu verdächtigen suchen. Wir glauben, im Stande zu sein, euch mittels unserer Herren Ritter und Städte dafür eine genügende Versicherung bieten zu können, wenn ihr euch nur fürder gegen uns verhalten wolltet, wie es Untertanen gegen ihren Fürsten geziemt. Fordert doch unsere Ehre und euer und des ganzen Landes Bestes, dass wir also handeln, um Frieden und Wohlstand im Stifte wiederherzustellen, was auf eine andere Weise und bei fortdauerndem allgemeinem Misstrauen nicht geschehen mag. Gott der Allmächtige wolle euch die Einsicht verleihen, unsere lauteren Absichten nicht zu misskennen.

Gegeben am und so weiter und so weiter.

»Wie findest du das? Es ist natürlich nur ein Auftakt, um Verbindung mit der Stadt aufzunehmen und sie auf meine Seite zu bringen. Ich denke, das Volk mit seinem einfachen Gemüt ist leichter zu überzeugen.«

Der Hofnarr schnitt eine Grimasse. »Wenn Ihr meint, Exzellenz, und ein einfaches Gemüt mit einem kurzen Gedächtnis einhergeht.«

Der Bischof ignorierte den Einwurf. »Dann müssen noch ein paar Domherren auf meine Seite gebracht werden, und schon ist dieser Pfleger nur noch Geschichte.«

»Warum schreibt Ihr an die einzelnen Viertel und nicht gleich an den Rat?«, wollte der Hofnarr wissen, der das Blatt sorgsam mit Sand bestreute und den überschüssigen Staub abblies.

»Ich habe bereits ein Sendschreiben an den Rat gerichtet, bevor sie diesen von Wertheim als Pfleger einsetzten und ich meine Reise auf den Zabelstein antrat, doch wie es mir scheint, haben die einfachen Bürger es nicht erhalten. Es war für alle zur Kenntnis gedacht, doch der Rat muss es einbehalten haben. Nun sollen meine Leute, die ich in der Stadt noch immer habe, diesen Brief in Würzburg ausstreuen. Er wird den Boden für meine Rückkehr bereiten. Warte es nur ab.«

Der Hofnarr erwiderte nichts. Stattdessen nahm er sich ein neues Blatt und begann den Text zu wiederholen, nur dass er die Anrede an ein anderes Viertel der Stadt richtete. Der Bischof nahm stattdessen wieder seinen Marsch durch das Gemach auf.

»Ich muss nur genügend Bürger auf meine Seite ziehen. Gefolgsleute zu finden war von jeher nicht sehr schwer für mich. Und dann wird es ein Leichtes, die Regierung wieder zu übernehmen und auf den Marienberg zurückzukehren.«

»Eure Exzellenz, Ihr vergesst nur eine kleine, aber nicht unwichtige Sache, die so viele in Eure Arme getrieben hat.«

»Und das wäre?«, fragte der Bischof ungehalten.

»Das liebe Geld, das noch besser als Worte überzeugen kann.«

»Ich habe kein Geld mehr«, schnaubte Johann von Brunn. Friedlein nickte.

»Ich weiß, und das macht die Sache ein wenig schwieriger, wenn auch nicht unmöglich. Die Überzeugungsarbeit muss nur gründlicher sein.«

»Dann schreib gleich ein paar Briefe mehr. Sie müssen jedem Bürger zu Augen kommen. Lass sie in der ganzen Stadt ausstreuen.«

Der Narr nickte nachdenklich. »Dann wollen wir nur hoffen, dass Eure Anhänger keine Schwierigkeiten bekommen, wie zum Beispiel ihr Leben am Ende eines Stricks zu beschließen. Der Rat könnte das immerhin als Hochverrat werten.«

»Pah«, sagte der Bischof nur.

»Ja, pah. Was bedeutet es schon, sein Leben für ein paar Briefe zu riskieren. Für einen wahren Anhänger ist das nichts.«

»Du verspottest mich schon wieder!«

Friedlein verdrehte die Augen. »Meine teuerste Exzellenz, wie käme ich dazu, so dreist zu sein? Bin ich nicht etwa eben erst von Eurem Narren zu Eurem Schreiberling aufgestiegen? Daher bitte ich Euch, nun Ruhe zu bewahren und mich meine Arbeit tun zu lassen.«

Schwungvoll tauchte er die Feder ein, dass die Tinte nach allen Seiten spritzte.

»Was ist mit dir? Du schaust, als habe es dir ins Gemüsebeet gehagelt.«

Elisabeth war auf dem Rückweg vom äußeren Tor in die Burg, als sie auf Gret traf, die einen Sack mit Rüben auf dem Rücken trug. Sie passte ihren Schritt dem der Magd an, ließ sich aber ein wenig Zeit, deren Frage zu beantworten. Endlich sagte sie: »Ich war am äußeren Tor, um Albrecht zu verabschieden. Sein Vater ruft ihn zu sich.«

»Dann wird er endlich mit dem Grafen über die Hochzeit reden?«, vermutete Gret. Elisabeth hob die Schultern.

»Ich weiß es nicht. Er hat mir diese Frage nicht beantwortet. Nein, er vermied es gar deutlich. Albrecht hat noch immer vor, ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen, und hofft ganz auf die Unterstützung seines Bruders. Und darauf, dass sein Vater sich schon wieder mit ihm versöhnen und ihn dann unterstützen wird. Aber ich weiß nicht, ob er da nicht zu blauäugig denkt. Weder Graf Hans von Wertheim noch sein Bruder Michael sind für ein sanftes Gemüt und umgängliches Verhalten bekannt! Für sie ist dies keine vorteilhafte Verbindung mehr und Schluss. Außerdem...« Sie seufzte.

»Und außerdem drückt dich dein Gewissen, und du denkst daran, was passiert, sollten sie erfahren, wie unvorteilhaft diese Verbindung ist«, ergänzte Gret.

»Ja, ich habe es Albrecht noch immer nicht gesagt.«

»Aber du willst es tun, nicht wahr?«

Elisabeth nickte wild mit dem Kopf. »Ich bin fester entschlossen denn je. Mit dieser Lüge gehe ich nicht vor den Altar.«

Gret stöhnte. »Ich frage mich, warum ich überhaupt etwas sage, wenn keiner auf mich hört. Dann lehne ich mich also zurück und sehe zu, wie du in dein Verderben rennst. Du kannst danach zu mir kommen und deine Tränen an meiner Schulter trocknen, aber helfen kann ich dir dann nicht mehr«, fügte sie düster hinzu, ehe sie mit ihrem Sack über der Schulter die Treppe zur Küche hinunter verschwand.

Elisabeth sah ihr nach. Hatte die Freundin recht? War sie im Begriff, einen schweren Fehler zu begehen? Vielleicht. Dennoch konnte sie sich nicht vorstellen, mit solch einer Lüge zu leben. Wie würde sie Albrecht damit auch nur einmal freimütig in die Augen sehen können?

Den Kopf gesenkt, schritt sie grübelnd ohne ein Ziel über den Hof. Ein Teil ihres Geistes bemerkte den menschlichen Schatten, der über ihre Schuhspitzen hinweg auf sie zuglitt, doch erst der Warnruf ließ sie aufsehen und innehalten – allerdings zu spät, um den Zusammenstoß ganz zu vermeiden.

Drei kleine Kisten trug er übereinandergestapelt in den Armen. Zwei gelang es ihm trotz seines abrupten Stopps zu halten, die oberste allerdings rutschte ihm seitlich herunter. Er stieß einen Schrei des Entsetzens aus, konnte aber nichts tun, ohne auch den Inhalt der anderen beiden zu gefährden.

Obwohl sie mit ihren Gedanken so weit weg gewesen war, griff Elisabeth zu und erwischte die kleine Kiste, ehe sie am Boden zerschellte.

»Gott sei gedankt, sie ist unversehrt«, stöhnte Meister Thomas. »Es tut mir leid, Fräulein Elisabeth, aber ich habe Euch gar nicht gesehen.«

»Was wohl an dem Turm in Euren Armen liegt?«, vermutete sie.

»Ganz recht. Ich wollte diese Kisten keinem der Knechte überlassen, da ich sichergehen wollte, dass sie wohlbehalten in meiner Kammer eintreffen.« Er grinste schief.

»Und nun wäre das Unglück beinahe Euch selbst passiert«, fügte Elisabeth hinzu. »Warum tragt Ihr auch alle drei auf einmal? Ihr habt es geradezu herausgefordert!«

»Ja, das war ganz und gar unbedacht von mir«, gab er zerknirscht zu. »Würdet Ihr so freundlich sein, die dritte Kiste wieder obenauf zu legen, damit ich meinen Weg nun hoffentlich unbeschadet zu Ende bringen kann?«

»Nein, das werde ich nicht! Schaut nicht so erstaunt. Ich trage sie Euch in Eure Kammer, und dann müsst Ihr mir verraten, was für Kostbarkeiten in diesen Kisten schlummern.«

Meister Thomas lächelte. »Ich danke Euch, Fräulein Elisabeth. Ich hoffe, Ihr seht Euch nachher nicht für Eure Freundlichkeit getäuscht, denn ich fürchte, der Inhalt kann nur einem solch verschrobenen Kerl, wie ich es bin, einen Ausruf des Entzückens entringen.«

Elisabeth barg die Kiste behutsam in ihren Armen und schritt neben Meister Thomas zu dem mittleren Gebäude auf der Südseite der Festung, wo er und ihr Bruder neben den wertvollsten der mitgebrachten Waren untergebracht worden waren. Während Georg ein Gemach und zwei angrenzende Kammern im Obergeschoss bezogen hatte, bog Meister Thomas von dem schmalen Gang im unteren Geschoss in einen Raum mit gewölbter Decke und steinernem Boden ab, in dem es außer einer einfachen Feuerstelle, einem langen Tisch und einigen Hockern an der Wand keinerlei Möbelstücke gab. Hatte man sie entfernt? Elisabeth konnte sich nicht erinnern, wann sie diesen Raum das letzte Mal betreten hatte. Es musste sehr lange her gewesen sein. Nun jedenfalls enthielt er – außer der kärglichen Möblierung – unzählige Kisten und Bündel und so etwas wie handliche, tragbare Holzregale mit Dosen aus Metall, Holz oder glasiertem Ton, kleinen Metalloder Holzschachteln, aber auch mit Stroh ausgepolsterte Kästen, in denen bauchige Glasflaschen ruhten.

Behutsam stellte Elisabeth ihre Kiste auf den Tisch und sah sich dann neugierig in der weitläufigen Kammer um.

»Wollt Ihr mir verraten, wozu Ihr diese vielen verschiedenen Dosen und Kästchen braucht?«

»Gern, Fräulein Elisabeth, wenn Euch das interessiert. Aber sagt mir Bescheid, wenn ich Euch langweile. Die Leidenschaft geht gern mit mir durch, wenn ich von der Wunderwelt der Heilmittel spreche.«

»Ich werde es Euch wissen lassen, ehe ich gelangweilt in tiefen Schlaf sinke«, gab sie mit einem Lächeln zurück.

»Nun denn.« Auch Meister Thomas stellte seine Fracht ab, ehe er sich zu ihr gesellte und auf eines der kleinen Transportregale zeigte.

»Wie Ihr bereits selbst bemerkt habt, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, Heilmittel zu transportieren und aufzubewahren. Es gibt Holzkästen und Säckchen aus Stoff oder Leder, Papiertüten und kleine Schachteln, dann die Tongefäße und natürlich die aus Glas. Daneben findet Ihr Materialien wie Silber und Bronze, Zinn und Horn. Die Wertvollsten sind die aus feinem, weißem Milchglas, auch Porzellan genannt, das aus dem fernen Japan kommt und kaum bezahlbar ist, dafür aber bei jedem Fall zu Bruch gehen kann. Keiner weiß, wie sie es herstellen. Viele haben schon experimentiert, aber unsere Häfnerwaren und das Steingut sind noch weit von diesem wundervollen Milchglas entfernt. Manche sagen auch Beinglas dazu, wenn Menschenknochen in der Grundmasse mitverarbeitet wurden. Aber ich schweife ab. Wozu diese vielen verschiedenen Behältnisse? Natürlich sollen sie in einer Apotheke auch schön aussehen – wir wollen ja schließlich die zahlungskräftige Kundschaft beeindrucken, und nichts schafft mehr Vertrauen als eine prächtige Offizin! Doch mehr noch fordern alle Ingredienzien eine sorgfältige Behandlung, und nicht jeder Stoff lässt sich in jedem Behältnis aufbewahren. Sie verfallen und verderben, verändern sich, werden wässrig oder fest, schimmeln oder ziehen Ungeziefer an. All das muss ich zu verhindern suchen, um jedes Heilmittel möglichst lange in seiner reinen und damit wirksamen Form zu erhalten.«

Elisabeth strich mit dem Finger an den Behältnissen entlang, die mit farbigen Wappen und seltsamen Zeichen verziert waren.

»Wollt Ihr ein paar Beispiele sehen?«

Sie nickte. Meister Thomas nahm ein Holzkästchen aus einem der Regale und öffnete es. Drinnen sah Elisabeth einen fest verschlossenen Lederbeutel.

»Sind es die Blüten einer Pflanze, die die Heilung bringen, dann verwahrt man sie am besten in solchen Lederbeuteln in einem Holzkasten. Bei Samen reichen auch Papiertüten, wenn sie nur trocken bleiben. Reist man durch Länder, in denen es stets heiß und feucht ist, wie manche Regionen Indiens, fangen sie leicht an zu schimmeln oder zu treiben. Andere trockene Arzneimittel – Pulver, die man in Wein lösen muss und die von sich aus nicht viel Wasser ziehen – bewahre ich in solchen weiß gestrichenen Holzkästchen auf, die aus Espen-, Eschen- oder Buchenholz gemacht sind. Diese Art von Ingredienzien und fertige Arzneien aufzubewahren ist nicht sehr teuer. Andere dagegen umso mehr. Substanzen, die stark riechen, wie diese zum Beispiel...« Er öffnete eine Dose und hielt sie Elisabeth entgegen. Ein seltsam intensiver Geruch ließ sie zurückweichen. »Das ist Moschus, in seiner konzentrierten Form von uns als unangenehm empfunden, vermischt mit anderen Gerüchen aber anziehend. Oder Ambra hier. Solche Stoffe muss man in Silber-, Kristall- oder Glasgefäße geben, um sie nicht zu verderben. Auch Öle, die wir aus Pflanzen pressen, müssen in Glasbehälter. Die zylindrischen Holzgefäße dort drüben enthalten getrocknete Wurzeln, aber auch Harz von besonderen Bäumen, Edelsteine und fein geriebene farbige Erden, die Linderung vieler Beschwerden bringen. Die Gefäße daneben sind aus Blei oder Zinn und enthalten fettige Tinkturen und Salben, aber auch so wichtige und seltene Stoffe wie Muskat, Mumia vera, Opium und Drachenblut.«

»Mumia vera«, wiederholte Elisabeth ehrfürchtig.

»Ja, das Pulver von alten, ägyptischen Mumien soll magische Wirkung haben und kann geradezu unanständig teuer verkauft werden. Die Menschen glauben an ihre Kraft. Ich jedoch – im Vertrauen gesagt, Fräulein Elisabeth – halte die ganzen Berichte über wundersame Heilungen oder gar Verjüngungen für maßlos übertrieben. Ich wage gar zu behaupten, dass manche heimische Heilpflanze aus unseren Gärten, wenn sie sorgfältig zubereitet verabreicht wird, der Heilung besser dient.«

»Und dennoch habt Ihr es hier, um es den gutgläubigen Kranken zu verkaufen, ja, Ihr habt Euch sogar eine ganze Mumie aus Ägypten mitgebracht, wie ich höre«, entgegnete Elisabeth und sah provozierend zu ihm auf. Meister Thomas ließ sich nicht beirren.

»Ja, ich habe mir Mumia vera auf meiner Reise besorgt, und ich bringe es mit, um es zu verkaufen. An andere Apotheker, die danach suchen, aber auch an Leidende, die zu mir kommen und eine Arznei wollen. Wenn ihr Arzt ihnen eine Medizin mit diesem Stoff aufgeschrieben hat, dann ist es nicht an mir, die Anweisung zu ändern. Ich darf es nicht einmal, so steht es in zahlreichen Apothekerverordnungen der Städte, auf die jeder schwören muss, der sich dort in diesem Beruf niederlassen will. Ich zweifle auch an anderen alt hergebrachten Mitteln, die schon die großen griechischen Ärzte oder die der Schule von Salerno empfohlen haben. Doch wer bin ich, gegen die aufzubegehren, die seit vielen Jahrhunderten die Medizin beherrschen?«

»Wenn Ihr doch andere Erfahrungen gemacht habt. Warum denn nicht? Sie müssen sich mit Eurer Meinung auseinandersetzen und die Richtigkeit ihrer Thesen beweisen, wenn sie weiterhin Bestand haben sollen.«

Er lächelte sie an. »Ihr seid eine bemerkenswerte Frau. Ja, ich würde es Euch zutrauen, dass Ihr Euch mit Ärzten, Gelehrten und Räten auseinandersetzt und sie dazu zwingt, Eure Ansichten zu hören und zu prüfen. Allerdings sollte man daran denken, dass solch ein Auftreten nicht gerade hilfreich ist, wenn man sich an einem Ort niederlassen und ein Apothekenprivileg der Stadt erhalten will. Vielleicht ist man gut beraten, erst ein wenig später streitbar zu werden. Oder haltet Ihr das für feige?«

Elisabeth schüttelte den Kopf. »Nein, es ist nur klug. Habt Ihr denn vor, den Rat von Würzburg um ein Privileg zu ersuchen? Wir haben bereits einen Apothekenmeister in Würzburg, wisst Ihr das? Meister Heinrich, dessen Offizin auf den Greden zu finden ist, unter der Oberratsstube. Soweit mir bekannt, ist es ein Lehen der Domkustorei.«

Meister Thomas nickte. »Das ist mir bekannt. Ich kam auch nicht, um mich in der Stadt niederzulassen. Ich folgte dem Ruf des Bischofs.« Elisabeth sah ihn überrascht an.

»Euer Bruder hat während der Reisen ab und zu Briefe mit Eurem Vater gewechselt, und in einem äußerte er sich bestrebt, nicht nur einen Leibarzt an seiner Seite zu haben, sondern eine eigene Apotheke auf dem Marienberg einzurichten. Er forderte mich auf, auf meinen Reisen viele seltene Ingredienzien zu sammeln und sie mit nach Würzburg zu bringen, um dann hier eine Offizin einzurichten.«

»Und nun? Was gedenkt Ihr nun zu tun? Ihr wisst doch, dass der Bischof auf dem Zabelstein weilt. Wollt Ihr zu ihm Weiterreisen?«

Meister Thomas hob die Schultern. »Einen Versuch ist es wert, doch ich kann mir nicht denken, dass er unter diesen Umständen noch einen Apothekenmeister benötigt.«

»Warum nicht? Mein Vater ist ein alter Mann, der – das muss man leider sagen – in seinem Leben zu viel dem Genuss gefrönt und sich diverse Leiden zugezogen hat. Wo soll er dort draußen in den Wäldern Heilmittel bekommen?«

»Das ist schon richtig«, unterbrach sie der Gast. »Doch bedenkt, sein Hofstaat ist dort viel kleiner. Und, was viel schwerer wiegt, man sagte mir, dem Bischof stünden nur noch wenige Mittel zur Verfügung, die der Pfleger und das Kapitel ihm zukommen lassen. Ich denke nicht, dass er diese für mich und meine Medizin verwenden will. Wenn er krank ist, wird er einen Boten mit dem Rezept seines Leibarztes nach Schweinfurt, Bamberg oder Würzburg schicken. Da muss er sich nicht eine eigene Offizin einrichten.«

»Und wie wird es dann für Euch weitergehen?«, fragte Elisabeth ein wenig ratlos. Meister Thomas machte eine wegwerfende Handbewegung. »Macht Euch meinetwegen keine Gedanken. Pfleger von Wertheim hat mir fürs Erste erlaubt, meine Waren hier unterzubringen und diesen Raum zum Verarbeiten einiger Kräuter und Steinproben zu verwenden, um Heilmittel herzustellen. Diese kann ich an andere Apotheker verkaufen. Ich kann wieder mit Eurem Bruder auf Reisen gehen und mir neue Ware verschaffen, oder ich gehe zurück in meine Geburtsstadt, nach Bamberg, um dort das Privileg für eine Apotheke zu erwerben. Vielleicht sogar bei Hof, wer weiß. Mein Vater ist ein angesehener Bürger und Ratsherr.«

Elisabeth strich mit dem Finger über eine Reihe zylindrischer Gefäße aus Majolika, der wertvollen Töpferware von einer Insel im Mittelmeer, deren undurchsichtige Zinnglasur und eine weitere durchsichtige, die Blei enthielt, sie ungewöhnlich gut abdichtete, ganz im Gegensatz zu der porösen heimischen Ware. Ein Gedanke huschte durch ihren Sinn, und sie sprach ihn aus, ehe sie darüber nachgedacht hatte.

»Dann kann ich nur hoffen, dass Eure Experimente Euch lange hier aufhalten.«

Meister Thomas trat ein Stück näher. »Warum denn das, Fräulein Elisabeth?«

Sie hob den Blick und sah in seine tiefblauen Augen.

»Damit Ihr Zeit und Muße findet, mir noch viele interessante Dinge von Euren Reisen und über die Heilmittel, die Ihr dort gesammelt habt, zu berichten.«

Das Antlitz der Ehre

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