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Kapitel 6 Eine Tracht Prügel

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Ein mulmiges Gefühl hatte Jos schon, als er sich in der nächtlichen Dunkelheit aus dem Haus schlich. Die Treppe knarrte. Er blieb stehen und lauschte. Nichts rührte sich. Vorsichtig ging er weiter. Vielleicht war das doch keine so gute Idee. Wenn der Meister aufwachte, dann würde Jos sich wünschen, er hätte sein Lager nie verlassen. Und was, wenn Rebecca schon schlief? Er konnte ja schlecht in die Kammer eindringen, in der sie mit ihrem Ehemann im Bett lag!

Der Gedanke an den Henker und das Ehelager drehte ihm fast den Magen um. Dennoch ging er weiter, überquerte den Hof und eilte die Gasse hinunter.

Wenig später erreichte er den Grasstreifen an der Mauer und sah zum Haus des Henkers hinüber. Was sollte er nun tun? Hinter den Pergamentfenstern brannte noch Licht. Wie in aller Welt sollte er sich Rebecca bemerkbar machen, ohne dass jemand anderes etwas mitbekam?

Unschlüssig trat er näher. Es war ein dummer Einfall gewesen! Jos schalt sich im Stillen. Er riskierte gerade seine Lehrstelle, nur weil es ihn drängte, die Ereignisse mit Rebecca zu besprechen. Kam es denn auf ein paar Tage an? Irgendwann würde er ihr in der Stadt schon über den Weg laufen, und dann wäre immer noch Zeit genug, sie zu befragen und ihr von dem Mann mit der Maske zu berichten.

Und wenn der Mord bis dahin bereits geschehen war? Die Männer meinten es bitterernst und schreckten nicht davor zurück, sich ihres Werkzeugs beim ersten Anzeichen von Widerstand zu entledigen.

Immerhin hatten sie jetzt ihren Armbrustschützen verloren.

Ja, und? Gab es in Franken etwa nur einen Mann, der schießen konnte? Oder konnten sie sich nicht gut für eine andere Waffe entschieden haben?

Grübelnd ging Jos an der hoch über ihm aufragenden Stadtmauer entlang. Auf der anderen Seite konnte er das Wasser gegen die Steine schlagen hören. Ein Teil des Uferstreifens war vom immer wiederkehrenden Hochwasser Stück für Stück weggeschwemmt worden, sodass der Main nun im Süden und ganz im Norden der Stadt bis an den Fuß der Mauer reichte. Seitdem verzichtete die Stadt darauf, in diesen Bereichen Wächter auf der Brustwehr patrouillieren zu lassen. Der Turm ragte über Jos auf. Schritt für Schritt näherte er sich dem Haus von Meister Keßler. Jos hatte den Schuppen, der ein Stück vom Haus entfernt an der Ecke des Gartens stand, gerade erreicht, als sich die Haustür öffnete und eine Gestalt herauskam. Jos erstarrte. Er kannte diese Silhouette gut. Zu oft hatte sie ihn in seinen Träumen verfolgt.

»Rebecca«, rief er, sprang vor, griff nach ihrem Arm und zog sie in den Schatten des Schuppens. »Ich habe gebetet, dass du herauskommst.«

Rebecca legte kurz die Hand auf ihr Herz. Das war das einzige Anzeichen, dass er sie erschreckt hatte.

»Vielleicht habe ich es gespürt«, sagte sie langsam. Sie sah Jos an. In der Dunkelheit der Nacht waren ihre Augen groß, schwarz und glänzend. »Was tust du hier?« Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt nichts, das deine Anwesenheit zu dieser Stunde hier rechtfertigen könnte. Willst du mich in Schwierigkeiten bringen?«

Jos trat näher und griff nach ihren Händen. »Es geht nicht um mich und dich.«

Rebecca wich zurück. »Es gibt kein du und ich!«

Er achtete nicht auf die Zurückweisung. Jos wusste, sie hatten nicht viel Zeit, daher stieß er hervor: »Der Tote, den du auf dem Galgenberg gefunden hast, erzähl mir von ihm!«

»Du bist hier, um deine Gier nach einer blutigen Sensation zu stillen?«, fragte sie ungläubig und wich noch einen weiteren Schritt zurück.

»Nein!«, rief Jos verzweifelt. »Es geht um mehr – um eine Verschwörung! Da waren Männer, verhüllt in schwarze Mäntel und mit Kapuzen über den Gesichtern. Einer trug gar eine Maske. Ich habe sie gehört, weil sie das Hufeisen verloren haben und der Meister das Pferd beschlagen musste.«

Rebecca schüttelte den Kopf. »Ich verstehe kein Wort. Du musst mir schon die ganze Geschichte erzählen.«

»Das versuche ich ja gerade!«

»Sprich leiser!«, mahnte sie ihn und sah sich nervös um.

Jos holte tief Luft. »Es begann am Abend des Tages, an dem Sara und ich Würzburg erreichten …«

Weiter kam er nicht. Die Tür öffnete sich ein zweites Mal und eine schlanke männliche Gestalt trat über die Schwelle: Simon Kessler!

»Ah, habe ich recht vermutet! Meines Vaters leichtfertiges Weib treibt sich mit einem Nebenbuhler in der Nacht herum. Das wird den Henker nicht erfreuen. Ich habe ihn vor dieser Ehe gewarnt, aber er wollte nicht auf mich hören!« Ein triumphierendes Grinsen im Gesicht trat er näher. Jos erstarrte, doch Rebecca reagierte sofort.

»Nein, ich sagte es bereits. Ich kann ihm nur einen Beutel mit Erde vom Fuß des Galgens anbieten. Wenn das nicht hilft, sollte er es vielleicht einmal mit einem Psalm und einem Stück Alraune versuchen, sag das deinem Meister.«

Jos versuchte, nicht zu Simon zu sehen. »Und was soll die Erde kosten?«, fragte er.

Rebecca lächelte Simon unschuldig an, so als habe er sie nicht gerade eben des Ehebruchs bezichtigt.

»Was verlangt der Henker gewöhnlich für einen Beutel Galgenerde? In Hall wurde selten nach so etwas gefragt, und ich kann mich nicht erinnern, was mein Vater berechnete.«

Simon starrte sie finster an. »Was will der Kerl hier?«

»Sein Meister schickt ihn. Er sucht nach etwas, das tolle Pferde ruhig hält, die sich nicht beschlagen lassen wollen. Er hat gehört, dass andere Schmiede die widerspenstigen Gäule mit einem alten Galgenstrick anbinden und dass sie davon sogleich lammfromm werden.«

Simon nickte. »Ich weiß. Der alte Eßwurm macht das. Ich habe ihm das Seil selbst verkauft.«

Jos staunte. Er hatte das für einen findigen Einfall von Rebecca gehalten.

»Sieben Batzen! Ich habe noch eines. Soll ich es holen?«

Jos zögerte. »Ich weiß nicht. So viel habe ich nicht dabei. Ich werde den Meister fragen, ob er es zu diesem Preis haben will. Bemüh dich nicht. Ich werde es ihm sagen und dann wiederkommen.« Er nickte Simon zu und machte sich dann schleunigst davon. Hoffentlich bekam Rebecca mit dem Henker keine Schwierigkeiten.

Simon und Rebecca starrten sich an. »Du kannst mich nicht täuschen«, sagte der junge Mann. Rebecca schob sich an ihm vorbei. Simon griff nach ihrem Oberarm.

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Gehört es nicht zu den Aufgaben der Henkersgattin, den Meister bei seinen Geschäften zu unterstützen? Hast nicht du mich zum Galgenberg geschickt, obwohl der Henker – so wie ich ihn verstanden habe – es damit gar nicht so eilig hatte, als er dich mit dem Gang beauftragte?« Sie sah ihn scharf an. »Was nützt es, wenn wir die Erde in den Beuteln im Haus herumliegen haben, wenn keiner sie kauft?«

»Ich habe ihn erkannt«, sagte Simon, ohne auf Rebeccas Worte einzugehen. »Es ist der Gleiche, der schon einmal hier war. Ich werde es Vater berichten!«

Rebecca sah so gleichmütig drein, wie nur möglich. »Tu, was du nicht lassen kannst. Wenn du dich lächerlich machen willst, bitte. Entscheide. Du kennst den Henker besser als ich. Mir erscheint er wie ein Mann, der keinen Wert darauf legt, dass ein Grünschnabel sich in seine Angelegenheiten mischt und ihm Ratschläge erteilt.«

Simon zuckte ein wenig zusammen und ließ sie los. Vielleicht hatte sie ihn überzeugt, dass es besser für ihn war, den Mund zu halten. Vielleicht. Jedenfalls würde sie sehr vorsichtig sein müssen.

Simon stapfte zur offenen Haustür zurück. Auf der obersten Stufe drehte er sich noch einmal um. »Ich werde dich nicht aus den Augen lassen!«, rief er drohend.

»Ich weiß«, seufzte Rebecca und folgte ihm ins Haus.

Bis er die Tür zur Werkstatt öffnete, hoffte Jos, sein Verschwinden wäre unbemerkt geblieben. Er schob die Tür auf, drückte sich durch den Spalt und tastete sich auf die Treppe zu.

»Es ist doch immer wieder aufschlussreich, was sich in diesem Haus nächtens so alles tut.« Jos blieb wie angewurzelt stehen, die Ferse schon auf der ersten Stufe.

»Man sollte meinen, nach einem anstrengenden Arbeitstag würden alle unter ihren Decken liegen und den Schlaf des Gerechten genießen, um in Gottes Güte Kräfte für den neuen Tag zu sammeln. Aber falsch gedacht!« Die Stimme des alten Meisters klang eher belustigt als verärgert.

Jos wusste nicht, was er sagen sollte. Wie lange war der Alte schon wach? Hatte er bereits sein Weggehen bemerkt? Dann konnte er schlecht behaupten, ein Leibdrücken hätte ihn hinaus ins heimliche Gemach getrieben.

Meister Ruprecht kicherte. »Ah, ich kenne dieses Schweigen. Du überlegst, welche Ausrede du mir anbieten kannst. Harmlos muss sie klingen, aber überzeugend. Vergiss es, Junge. Ich bin zu alt, als dass man mir noch Lügenmärchen andrehen könnte.«

Der alte Mann musste dort irgendwo bei der Feuerstelle sitzen, doch außer einem kaum erkennbaren Schimmer Rot, wo die letzten glühenden Kohlen der Esse am Abend sorgsam bedeckt worden waren, konnte Jos nichts erkennen.

»Es tut mir leid«, stotterte Jos.

»Unsinn«, gab der Alte zurück. »Auch das ist eine Lüge. Dir tut höchstens leid, dass du erwischt wurdest.«

»Könnt Ihr wieder nicht schlafen?« Es war seltsam, mit dieser körperlosen Stimme im Dunkeln zu reden.

Der alte Meister seufzte. »Ja. Den Tag über fühle ich mich müde und ermattet und in der Nacht vertreibt der Schmerz den Schlaf. – Nun, zumindest ist es heute mal wieder keine langweilige Nacht.«

Wollte er ihn denn gar nicht rügen oder ihm für das Vergehen eine Strafe aufbrummen?

»Was mich interessiert, mein Junge, ist sie es wert?«

Jos erstarrte. Wie konnte er wissen …?

»Die meisten Mädchen sind es nämlich nicht! Lass dir das von einem alten Kerl wie mir sagen. Sie haben es nicht verdient, dass ein anständiger Bursche sich für sie zum Narren macht. Sie stürzen ihn ins Unglück und gehen dann weiter, ohne noch einen Gedanken an ihn zu verschwenden. Also höre auf mich! – Oder gehört sie zu den wenigen edlen Geschöpfen, die es wert sind, dass man für sie seinen Hals und seine Seele riskiert?«

Jos seufzte tief. »Ja, das tut sie!«

»Aber sie ist nichts für dich, habe ich recht? Ich höre es an deinem Seufzen. Du kannst sie nicht bekommen. Schlecht, ganz schlecht. Ich weiß, dass du mir nicht einmal zuhören wirst, wenn ich dir sage, du musst sie aus deinem Geist und aus deinem Leib reißen. Halte dich lieber an die Kleine, die mit dir nach Würzburg gekommen ist! Das ist gesünder für dich.«

Jos fragte nicht, woher der Alte wusste, dass er nicht bei Sara gewesen war. Es war schon unheimlich, wie er alles durchschaute, noch dazu ohne ihn in der Dunkelheit überhaupt sehen zu können. Oder hatte Meister Ruprecht Fähigkeiten, die andere Menschen nicht besaßen? Konnte er im Dunkeln sehen und aus der Entfernung in Jos’ Mienenspiel lesen?

»Nun geh, Junge, in deinem Alter braucht man noch ein wenig Schlaf. Ach, und übrigens, die dritte, die achte und die elfte Stufe knarren – von unten gezählt!«

Jos dankte, wünschte eine Gute Nacht und schlich dann nach oben. Er war in Gedanken schon bei seinem Lager, als vor ihm ein Licht aufflammte und eine von einer Nachthaube gerahmte, sehr grimmige Miene enthüllte.

»Jos Zeuner! Was hat das zu bedeuten?«

Die Meisterin! Das war vermutlich noch schlimmer, als dem Schmied selbst in die Arme zu laufen.

»Mir war schlecht. Mein Bauch drohte zu platzen, und dann habe ich mich nicht mehr von der Grube weggetraut, so wie es rumorte.«

»Lüg mich nicht an!«, rief sie. Auch bei ihr kam man mit einer solchen Ausrede nicht weiter. »Du warst zwei Stunden lang weg! Ich konnte es gar nicht glauben, als Claus es mir beichtete. Sorgen hat er sich um dich gemacht, du pflichtvergessener Taugenichts!«

Sorgen? Das bezweifelte Jos. Eins auswischen hatte der Geselle ihm wollen. Und das war ihm nun ja auch gelungen. Dabei hatte Jos gedacht, Claus wäre endlich eingeschlafen gewesen, als er sich davonstahl. Falsch gedacht. Was für Folgen würde das für ihn haben? Ängstlich sah er die Meisterin an. Er sollte es gleich erfahren!

»Komm mit in die Küche und schließ die Tür.«

Jos gehorchte.

Sie griff nach einer starken Weidenrute, die in der Ecke an der Wand gelehnt hatte. »Leg dich über den Tisch. Kittel und Hemd hoch, Bruech und Beinlinge runter!«

»Was?« Jos wich zurück. Sie wollte ihm den nackten Hintern versohlen?

Er hätte die harte Hand des Meisters in seinem Gesicht begrüßt. Ja selbst von seiner Faust niedergeschlagen zu werden, schien ihm besser, als sich vor seinem Weib entblößen zu müssen, als wäre er ein ungezogener Knabe!

»Für so etwas bin ich viel zu alt«, protestierte er.

»Das mag sein«, gab die Meisterin zu. »Ist nicht meine Schuld, dass du in deinem Alter noch Lehrbub bist. Ich habe mir alle meine Lehrjungen mit der Rute gezogen, bis sie Gehorsam gelernt haben. Ich fange bei dir nicht mit Ausnahmen an. Also, wird’s bald?« Sie ließ die Rute durch die Luft pfeifen. »Oder soll ich dem Meister sagen, dass er sich einen anderen Lehrjungen suchen soll?«

»Oh nein, bitte nicht!«, rief Jos voll Entsetzen aus. »Ich will gern für den Meister arbeiten.«

»Gut, dann lass uns das hinter uns bringen. Ich möchte zurück in mein Bett und noch ein paar Stunden schlafen, bevor ich wieder aufstehen muss.«

Jos sah ein, dass er der schändlichen Strafe nicht entgehen würde. Tränen der Scham standen ihm in den Augen, als er sein Hinterteil entblößte und sich über den Tisch beugte. Die Rute zischte durch die Luft, und allzu schnell durfte Jos feststellen, dass die Meisterin auch zuzuschlagen wusste. Er biss sich auf die Lippen. Keinen Laut würde sie zu hören bekommen.

Die Rute tanzte auf und ab. Wie lange wollte sie noch zuschlagen? Es fühlte sich an, als wäre kein Stückchen Haut mehr auf seinen Backen. Endlich, als Jos schon erwog, in seinen Ärmel zu beißen, ließ sie von ihm ab.

»So, ich hoffe, es hat sich dir jetzt eingeprägt, dass du dich an die Regeln des Meisters zu halten hast, die in diesem Haus gelten. Und zu denen gehört, dass du ohne Erlaubnis dein Lager bei Nacht nicht mehr zu verlassen hast! Ist das klar?«

»Ja, Meisterin«, sagte Jos kleinlaut und versuchte, keine Grimasse zu ziehen, während er sich vorsichtig die Bruech und die Beinlinge wieder hochzog.

»Gut, und nun ab in dein Bett!«

Das ließ sich Jos nicht zweimal sagen. Er humpelte die Treppe zu den Dachkammern hoch und tappte zu seinem Lager.

»Und?« Claus’ Stimme durchdrang sofort die Dunkelheit. »Hattest du einen schönen Empfang?«

»Aber sicher! Dank deiner Hilfe«, giftete Jos zurück. Es gelang ihm nur mühsam, ein Stöhnen zu unterdrücken, als er sich auf seine Strohmatratze legte.

»Ich rate dir, schlafe auf dem Bauch«, fügte Claus hinzu. »Sie kann aber auch zuschlagen!«

Jos ging auf, dass der Geselle aus eigener Erfahrung sprach. Dennoch würde er ihm diesen Verrat nicht verzeihen. Er würde sich rächen! Irgendwann würde es eine Gelegenheit geben und dann würde er zuschlagen!

Am nächsten Morgen fühlte sich Jos völlig zerschlagen – was er in gewissem Sinne ja auch war. Er musste sich auf die Lippen beißen, um nicht zu stöhnen, als er sich langsam wie ein alter Mann erhob und den Kittel über das Hemd zog. Es wunderte ihn, dass Claus die Gelegenheit ausließ, sich an seinem Unglück zu weiden und ihn mit Spott zu überschütten. Vermutlich war es keine Rücksicht, sondern nur dem verschlafenen Zustand des Gesellen zuzuschreiben, der an diesem Morgen aus dem Gähnen gar nicht mehr herauskam. Jos wurde den Verdacht nicht los, dass auch Claus nicht die ganze Nacht in seinem Bett zugebracht hatte. War er mit Emma zusammen gewesen? Jos beobachtete sie über den Rand seiner Musschale hinweg. Sie lächelte ihn an – mitleidig? Hatte es sich bereits im ganzen Haus herumgesprochen? Beschämt senkte Jos den Kopf. Das war schlimmer als die brennende Haut auf dem Hintern. Wenigstens sprach der Meister ihn nicht darauf an. Entweder er wusste es nicht, oder er hielt es nicht für nötig, den Vorfall zu erwähnen.

»Komm her, Jos. Wir werden versuchen, ein Eisen gemeinsam zu schmieden. Ich halte es mit der Zange und wir schlagen im Viererrhythmus. Ich, Claus, du. Während dem Vierten wird gewendet. Später schlagen wir ohne Pause im Dreierrhythmus, doch für den Anfang ist es so leichter. Der Barren muss erst einmal so weit gestreckt werden, dass er die rechte Stärke und Breite für ein Hufeisen bekommt. Pass auf, dass du nicht schräg auf die Kanten schlägst und sie dadurch abflachst. Das Eisen muss oben und unten eben sein und richtige Kanten haben!«

Er drückte Jos den Hammer in die Hand. Claus stand schon neben ihm, während der Meister mit der Zange den länglichen Eisenbarren aus der Glut hob. Er kniff die Augen zusammen.

»Gut so! Merke dir die Farbe. Es ist ein helles Gelb. Wenn es weiß wird oder gar zu sprühen beginnt, ist das Eisen überhitzt. Und nun los.« Der Meister legte das glühende Eisen auf den rechteckigen Ambossblock, hob den schweren Hammer und ließ ihn mit Schwung herabsausen. Jos wartete, bis Claus seinen Schlag ausgeführt hatte, dann hob auch er den Hammer.

»Zu spät!«, rief der Meister. Du musst schon bereit sein, wenn Claus seinen Schlag ausführt. Noch einmal. Ich zähle: eins – zwei – drei – wenden – eins – zwei – drei – wenden.« Jedes Mal wenn er »wenden« sagte, drehte er das glühende Stück geschickt auf die andere Seite.

Jos war es, als führten ihre Hammer einen Tanz auf. Er sah nur noch das Eisen auf dem Amboss, dessen Farbe sich von Gelb über Orange nach Rot wandelte, und hörte den Takt der Schläge, bis der Meister ihnen Einhalt gebot. Er schob das nun um einiges längere und flachere Eisen wieder in die Glut und gebot Claus, die beiden Blasebälge zu treten.

»Du hältst den Hammer zu kurz und zu fest«, korrigierte er Jos. »Er muss schwingen, sonst wirst du bald vor Schmerz deinen Arm nicht mehr heben können. Außerdem musst du mehr darauf achten, dass der Hammerkopf gerade auftrifft. Du schlägst jedes Mal eine Scharte in den Block, die ein anderer ausgleichen muss.«

»Ich versuche es, Meister«, versicherte Jos. Er konnte das Grinsen des Gesellen in seinem Rücken spüren.

»Auch du hast allen Grund, meinen Worten zu lauschen!«, wandte sich der Meister Claus zu. »Du musst dich mehr konzentrieren. Wenn du einfach so gedankenlos zuschlägst, ist es einfacher, ich schmiede mein Eisen alleine. Es kostet mich weniger Kraft, es gleich richtig zu machen, als ständig eure Fehler auszugleichen.«

Jos warf Claus einen Blick zu. Das Grinsen war aus dem Gesicht verschwunden. Mit zusammengepressten Lippen trat der Geselle die beiden Blasebälge, bis der Meister das Eisen aus der Glut zog und die beiden jungen Männer sich bemühten, zum rechten Rhythmus und zu einem sauberen Schlag zu finden.

Obwohl Jos versuchte, alle Anweisungen des Meisters zu beherzigen, tat ihm am Nachmittag der Arm weh. Er war froh, als der Schmied ihn hinausschickte, um den Hof zu kehren. Die Pause tat ihm gut. Tief in Gedanken schwang Jos den Besen und zählte im Geist noch einmal alle Ratschläge auf, die Meister Buchner ihm heute gegeben hatte. Plötzlich hielt er inne und fuhr herum.

»He, was soll das?«

Ein kleiner Junge zupfte Jos am Kittel.

»Ich soll dir was ausrichten«, sprudelte er los. »Aber nur dir, und es soll keiner zuhören, wenn ich es dir sage.« Misstrauisch legte er die Stirn in Falten und vergewisserte sich, dass auch wirklich niemand sonst in Hörweite war.

»Und von wem sollst du mir was ausrichten?«

»Das ist ein Geheimnis«, raunte der Junge. »Ich musste beim Grab meiner Mutter schwören, dass ich es nicht verrate. Sie sagt, sie würde mir den Heller sonst wieder wegnehmen, aber das kann sie gar nicht. Den habe ich ja schon ausgegeben«, vertraute er Jos treuherzig an, der sich für diesen Teil des Geschäfts jedoch nicht interessierte.

»Was soll ich denn mit einer Nachricht anfangen, von der ich nicht weiß, wer sie geschickt hat?«

Der Junge zuckte mit den mageren Schultern. »Sie hat gesagt, du würdest es wissen.«

Sie. Es gab nicht viele Frauen in Würzburg, die Jos kannte. »Wie sah sie denn aus?«

Noch einmal hob der Junge die Schultern. »Weiß nicht. Wie eine Frau eben.«

»War sie jung?«

»Sie ist verheiratet, denn sie hatte eine Haube auf«, sagte der Kleine.

Jos gab es auf. »Also sag schon, was du mir ausrichten sollst.«

Der Junge schloss kurz die Augen, wohl um sich die Nachricht möglichst genau in Erinnerung zu rufen. »Komm am Donnerstag in den Dom, wenn der Bischof dem Allerheiligsten folgt. Stelle dich an den ersten Beichtstuhl im linken Seitenschiff.«

»Der Bischof folgt dem Allerheiligsten? Warum? Was soll das bedeuten?«, fragte Jos verwirrt.

»Woher soll ich das wissen?«, rief der Junge. »Meine Aufgabe war es, dir die Nachricht zu bringen, nicht sie dir zu erklären. Soviel ich weiß, wird das Allerheiligste schon immer donnerstags umhergetragen, und die Leute kommen, um den Schrein mit der Hostie zu sehen. Manchmal ist der Bischof eben dabei, wie an diesem Donnerstag. Dann werden noch mehr Menschen kommen. Ein rechtes Gedränge wird es im Dom geben, vor allem, weil der Bischof nun ja bald die Stadt verlassen wird. Den König will er besuchen!« Der Junge seufzte. »Den König würde ich auch gern einmal sehen. Du nicht auch?«

Jos nickte abwesend. Er grübelte über Rebeccas Botschaft nach. Nur sie konnte ihm diese Worte geschickt haben. Sara kam ihn besuchen, wann immer es ihre Zeit erlaubte. Sie musste nicht zu solchen Heimlichkeiten greifen. Er würde also am Donnerstag mit Rebecca sprechen. Sein Herz begann, wild zu schlagen. Was sie ihm wohl zu sagen hatte?

Er wollte sich an den Jungen wenden, um ihn nach dem Ablauf der Feierlichkeiten zu befragen, doch der Kleine hatte sich unbemerkt davongemacht. Er hatte seinen Auftrag erledigt und konnte nun den Lohn für seine Arbeit genießen. Sicher hatte er sich für den Heller Süßigkeiten gekauft, die er in einer stillen Ecke zu genießen dachte.

Die Maske der Verräter

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